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Zürich: TANNHÄUSER, 30.01.2011 & 26.02.2011

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Tannhäuser

Kaspar Sannemann

Romantische Oper in drei Akten |

Musik: Richard Wagner |

Text vom Komponisten

Uraufführung: 19. Oktober 1845 in Dresden |

„Pariser Fassung“: 13. März 1861 in Paris |

Aufführungen in Zürich: 30.1. | 2.2. | 6.2. | 10.2. | 13.2. | 17.2. | 20.2. | 26.2.2011

Kritik:

Nachtrag Vorstellung vom 26.2.11

Oft erweist es sich als gewinnbringend, sich eine Produktion mehrmals anzusehen, denn erstens stechen Details der Inszenierung ins Auge, welche beim ersten Ansehen übersehen wurden und zweitens können Um- oder Neubesetzungen wichtiger Partien zu einem völlig anderen Höreindruck führen. So auch bei diesem Zürcher TANNHÄUSER. Da Peter Seiffert von vorneherein wegen seiner bevorstehenden TRISTAN-Premiere in Berlin nicht alle Aufführungen in Zürich singen konnte, wurde Robert Dean Smith für einige Abende verpflichtet - und stellte eindeutig einen Gewinn dar. (Jedenfalls schien sich der amerikanische Tenor in der Rolle des Minnesängers bedeutend wohler zu fühlen als zehn Tage zuvor als französicher Revolutionär in ANDREA CHÉNIER in Berlin.) Sein Tenor ist schlanker als derjenige Seifferts, weniger auf Kraftprotzerei ausgerichtet, subtiler und inniger geführt. Zwar fehlen ihm die stählernen, heldenhaften Höhen seines Vorgängers, doch macht er dies durch gekonnte Einteilung der Kräfte, vorzügliche Diktion und exemplarische Textsicherheit mehr als wett. Sein Tannhäuser wirkt leicht lausbübisch naiv. So ist es verständlich, dass er sich von Venus zum Drogenrausch verführen lässt, dass er so unüberlegt trotzig in den Sängerwettstreit eingreift und sich so aller Chancen, Elisabeth zu erringen, beraubt. Dadurch, dass er die Partie nicht brüllend durchstehen musste, konnten auch seine PartnerInnen das Volumen zurückdrehen, was vor allem dem ersten Akt zu bedeutend mehr Spannung verhalf. Vesselina Kasarova sang um einiges differenzierter und dadurch intensiver gestaltend als an der Premiere. Michael Volles Wolfram hatte ich bereits anlässlich des Premierenberichts gelobt, eine Steigerung erschien mir damals kaum mehr möglich, doch Volle schaffte dieses Kunststück: Schlicht atemberaubend!!! Alle anderen bewegten sich auf dem hohen sängerischen Niveau der Premiere, genauso wie das Orchester der Oper Zürich unter der subtil gestaltenden Hand Ingo Metzmachers. Nur ein einsamer Buher im zweiten Rang schien diese Meinung nicht zu teilen ;-((. Falls er sich äussern möchte, darf er dies hier gerne tun und begründen, was ihm denn an Metzmachers Dirigat dermassen missfiel.

Getragen und ruhig aus den Tiefen aufsteigend erklingt das Motiv der Pilger, steigert sich in subtil abgestuften crescendi zum überwältigend strahlenden fortissimo, fällt in sich zusammen und leitet über zur chromatischeren Venusberg-Musik, die Flöte lockt zart mit den Phrasen der Liebesgöttin, triumphierend erklingt Tannhäusers Ode an sie - so innig, so mitreissend gestaltet, so transparent und architektonisch klug fundiert gebaut hat man diese Ouvertüre noch kaum je gehört. Ingo Metzmacher und das Orchester der Oper Zürich leisteten Grossartiges an diesem Premierenabend - Wagners TANNHÄUSER wurde als ein musikalisches Festmahl serviert, himmlisch und aufwühlend, spannungsgeladen, dramatisch, bewegend und ergreifend.

Gespannt war man auch auf die Arbeit des Regisseurs, des Altmeisters Harry Kupfer. Schon einige Male hat er sich mit Wagners Künstlerdrama auseinandergesetzt, den TANNHÄUSER zusammen mit dem Bühnenbildner Hans Schavernoch zum Beispiel in Hamburg und Berlin inszeniert. Da auch für diese Neuproduktion Hans Schavernoch engagiert wurde, war nicht alles ganz neu, was man in Zürich zu sehen kriegte. Entschieden hat man sich für die Wiener Fassung von 1875, d.h. mit dem Bacchanal der Pariser Fassung und dem Lied Walthers im zweiten Akt. Als leicht enttäuschend empfand ich das Bacchanal: Leicht bekleidete oder halbnackte Nymphen und Faune tummeln sich in einem schicken Stripteaselokal zwischen Sektkübeln im roten Licht. Offiziere und - wie könnte es anders sein - auch kirchliche Würdenträger stürzen sich in unbeholfen lüsternen Posen über die Tänzerinnen. Genau so stellt sich wahrscheinlich Trudchen Müller aus Hintertupfingen die verruchten Freuden der Fleischeslust vor. In der heutigen Zeit (und Aktualisierung des Stoffes wurde für diese Inszenierung ja angekündigt) wirkt das nur peinlich und antiquiert. Bechtolf hat in seiner Inszenierung der TOTEN STADT da weitaus stimmigere und mutigere Schritte gewagt. Ganz misslungen ist die Verwandlung des Venusbergs in das Wartburgtal (hier eine Golfplatz). Die Umbauten sind zu umständlich, schon im Venusberg störten die vier sich dauernd in Bewegung befindenden Bühnenelemente mit ihren Scherwänden. Viel zu früh erblickte man das Grün, die sexy Krankenpflegerinnen, welche Tannhäuser abtransportieren wollten, wirkten ebenso fehl am Platz wie die Einspielung der Sängerknaben auf dem Monitor. Der sittsam gekleidete Pfleger spielte sein Englischhorn hingegen hervorragend. Nachdem auch die Einspielung des Hörnerklangs über Lautsprecher nicht einwandfrei geklappt hatte, standen die Golf spielenden Minnesänger etwas ratlos herum. Im zweiten Akt begrüsste eine strahlend singende Nina Stemme als Elisabeth die Halle des Fernsehstudios für den Sängerwettstreit „Thüringen sucht den konservativsten Superstar“. Wunderbar choreographiert war der Auftritt des Chores, eine Art Defilee von Diplomaten in Operettenuniformen und von unentbehrlichen, in dieser Inszenierung omnipräsenten Kardinälen. Auch der Einzug der Sänger war von ganz treffenden Reaktionen der Gäste begleitet: Respekt für Wolfram, weibliche Fans jubelten Walther zu, die Offiziere stehen für Biterolf stramm, Ablehnung schlägt Tannhäuser entgegen, Indifferenz gegenüber Reinmar von Zweter und dem schlaksigen Heinrich der Schreiber. Daneben gab es aber auch viel Albernes in der Personenführung zu sehen: Wie im Kindergarten der Redestein wurde eine goldene Ukulele als Zeichen der Wortergreifung herumgereicht, ziemlich lächerlich unter Erwachsenen, wie auch das Herumfuchteln von Tannhäuser (alias Jimi Hendrix – gemäss Programmheft) mit der E-Gitarre im ersten Akt. Sehr stark dafür dann die Flucht von Elisabeth und Tannhäuser auf den Konzertflügel, wo sie zusammen wie ein Fels in der Brandung dem Ansturm der bigotten, frömmelnden Männergesellschaft trotzten. Der Beginn des dritten Aktes schliesslich geriet szenisch zum Höhepunkt: In einer leeren Bahnhofshalle erwartete Elisabeth vergeblich die Rückkehr Tannhäusers, brach für ihr Gebet auf einer Wartebank zusammen und entschwand dann in ihrem Trenchcoat durch die Drehtüre. Leider wurden diese eindringlichen Bilder durch einen pompösen Aufmarsch des Papstes und seiner Kardinäle gestört, welche den ergrünten Stab auf den gläsernen Sarg Tannhäusers legten. Gläserne Särge wecken unvermeidlich Assoziationen mit Schneewittchen – wird Elisabeth die Prinzessin sein, welche Tannhäuser wieder zum Leben erwecken soll?

Man ist also optisch hin- und hergerissen zwischen Bewunderung soliden Regiehandwerks, starker Bilder und prägnanter Personenführung und Ablehnung unbeholfener, ausgelutschter Modernismen. Und ähnlich ergeht es einem bei der Einschätzung der gesanglichen Qualitäten der Aufführung: Peter Seiffert hat genau die heldisch-kraftvolle Stimme, die Helligkeit und das Timbre für einen Tannhäuser. Doch sein ständiges Singen unter Hochdruck ermüdet auch das Ohr, man bangt und leidet mit. Zwar schaffte er nach einem kleinen Einbruch am Ende des ersten Aktes mit störenden Intonationstrübungen einen formidablen Sängerwettstreit und eine Romerzählung von fesselnder Intensität und ganz aus dem Wort heraus gestalteter Expressivität – und doch wäre oft etwas weniger an Volumen ein mehr an Qualität gewesen. Seine Venus (Vesselina Kasarova) blieb ihm an Lautstärke nichts schuldig. Diese Stimme ging durch Mark und Bein und streifte oder überschritt ab und an die akustische Schmerzgrenze. Doch lauschte man diesem stimmlichen Kraftakt auch mit Faszination und grosser Bewunderung für ein alles in allem im wahrsten Sinne des Wortes überwältigendes Rollendebüt im Wagnerfach. Mit exemplarischer Diktion und ausdrucksstarker Phrasierungskunst gestaltete Michael Volle den Wolfram: Ein grösseres Glück als diesen fantastischen Sänger im Zürcher Ensemble zu haben, kann man sich kaum vorstellen. Nur schon die Art wie er den Wunschkonzert-Hit, das Lied an den Abendstern vortrug, mit von Todesahnung gefärbter Stimme, verdient allerhöchsten Respekt. Dieser Ausnahme-Sänger zeigte, dass man Wagner auch ohne Kraftprotzerei eindringlich interpretieren kann. Nina Stemme gab mit wunderschön dunkel timbrierter Stimme eine selbstbewusste, kämpferische Elisabeth, vor der auch die vielen Offiziere und der Klerus der Wartburggesellschaft Respekt hatten. Aber auch bei ihr wäre – bei aller Faszination für die Strahlkraft ihres Soprans – ein wenig mehr an lyrischer Gestaltung nicht fehl am Platz gewesen. So geriet das Gebet im dritten Akt eher zu einer Anklage denn zu einer verzweifelten Fürbitte. Mehr als solide der Landgraf von Alfred Muff (wunderschön einfühlsam sein „So bleibe denn unausgesprochen...“). Christoph Strehl war glänzend besetzt als Walther von der Vogelweide und Valeriy Murga gelang ein stimmiges Porträt des zänkisch-autoritären Biterolf. Der Chor, der Zusatzchor und die Statisten, Tänzer und Zuzüger leisteten einen wichtigen Beitrag zu diesem heftig applaudierten Wagnerabend.

Fazit:

Sieger in diesem Sängerkrieg auf der Wartburg waren eindeutig der Dirigent Ingo Metzmacher und das Orchester der Oper Zürich. Dynamisch subtil abgestuft, die Phrasen wunderschön herausgearbeitet, transparent im Klang, spannungsgeladen - eine herausragende Leistung der Musikerinnen und Musiker im Graben. Nur schon dafür lohnt sich der Besuch der Aufführung.

Inhalt:

Die Oper zeigt die innere Zerrissenheit eines Künstlers zwischen profaner Fleischeslust und deren vergeistigter Sublimierung.

Tannhäuser hat sich von den strengen, sittsamen Regeln des höfischen Lebens abgewandt und sich im Venusberg sinnlichen Freuden hingegeben. Doch gerät er hier in eine Art erotischer Überforderung, fühlt sich wohl auch geistig nicht entsprechend ausgefüllt und will die Liebesgöttin verlassen. Diese versucht ihn mit allen Mitteln zurückzuhalten, doch durch die Anrufung der heiligen Jungfrau Maria verschwindet der Zauber des Venusbergs und Tannhäuser findet sich im friedlichen Wartburgtal wieder. Er wird mit einigen Vorbehalten erneut in den Kreis der Sänger aufgenommen, seine Liebe zur Nichte des Landgrafen, Elisabeth, entflammt wieder. Anlässlich eines Sängerwettstreits aber lässt sich Tannhäuser dummerweise von der heuchlerischen Doppelmoral eines Walther von der Vogelweide oder eines Wolfram von Eschenbach provozieren und preist die freie Liebe im Venusberg. Entsetzen pur bei den Anwesenden. Tannhäuser muss als Wiedergutmachung eine Pilgerreise nach Rom unternehmen, um die Vergebung des Papstes zu erlangen. Elisabeth erwartet vergeblich seine Rückkehr, Wolfram ist erfüllt von Todesahnungen. Tannhäuser naht. In einer aufwühlendem Bericht schildert er seine katastrophalen Erfahrungen im Vatikan. Vergebung hat er nicht erlangt. Deshalb will er zurück zu Venus, ruft die Liebesgöttin an. Wolfram kann ihn nur mit dem Bericht, dass Elisabeth sich für ihn und sein Seelenheil geopfert habe, von diesem Schritt zurückhalten. Tannhäuser ist am Ende seiner Kräfte angelangt. Mit den Worten „Heilige Elisabeth, bete für mich“ auf den Lippen stirbt er. Pilger bringen den ergrünten Pilgerstab als Zeichen dafür, dass dem Sünder Erlösung gewährt wurde.

Werk:

Wagner gehörte zweifelsohne zu den belesensten Künstlern des 19. Jahrhunderts. Für seinen TANNHÄUSER hielt er sich an Quellen Brentanos,E.T.A. Hoffmanns, Heines, der Gebrüder Grimm und an mittelalterliche Dichtungen. Die musikalische Form ist gegenüber dem FLIEGENDEN HOLLÄNDER noch weiter in Richtung Musikdrama verfeinert. Zwar sind noch Reste der alten Nummernoper hörbar (Elisabeths „Hallenarie“, Wolframs „Lied an den Abendstern“, der Einzug der Gäste auf der Wartburg), doch sind die Formen in grosse, geschlossene Szenen eingearbeitet. Die Romerzählung Tannhäusers gilt hingegen als eigentlicher musikalischer Durchbruch im Hinblick auf die Entwicklung Wagners vom romantischen Komponisten hin zum Musikdramatiker.

Noch kurz vor seinem Tod schrieb Wagner in einem Tagebucheintrag, der Welt noch einen TANNHÄUSER schuldig zu sein. Er hat das Werk mehrmals überarbeitet, eine definitive Fassung wie bei seinen nachfolgenden Musikdramen aber nie erreicht. In Zürich wird nun die so genannte Pariser Fassung gespielt, welche beinahe 20 Jahre nach der Uraufführung entstand und hauptsächlich Änderungen im ersten Akt beinhaltet. So ist hier de Rolle der Venus aufgewertet, die ganze erste Szene durch ein Bacchanal ergänzt. Darin hat Wagner in Musik ausgedrückt (nämlich das immense Drängen des Fleisches nach sexueller Befriedigung) was er sich in Worten nicht getraute. Diese chromatisch-sinnliche Musik führte dann auch zu einem der ganz grossen Theaterskandale: Nach nur drei Aufführungen wurde das Werk in Paris nach unvorstellbaren Tumulten im Zuschauerraum abgesetzt. Und doch begründeten diese Aufführungen den wagnérisme in Frankreich, welcher in Künstlerkreisen zunehmend Anhänger fand. Puristen bemängeln die Uneinheitlichkeit der Werkteile, wenn die Pariser Fassung gespielt wird, doch ist sie für das Verständnis des Werks und die psychologische Charakterisierung des „Titelhelden“ eindeutig zu bevorzugen.

Musikalische Höhepunkte:

Ouvertüre

Bacchanale, Akt I

Dir töne Lob! Die Wunder sei'n gepriesen, Tannhäusers Lied an Venus, Akt I

Zieh hin, Wahnsinniger, Venus-Tannhäuser, Akt I

Als du in kühnem Sange, Finale Akt I

Dich teure, Halle, Elisabeth, Akt II

Freudig begrüssen wir die edle Halle, Einzug der Gäste, Akt II

Versammelt sind aus meinen Landen, Finale Akt II

Allmächt'ge Jungrau, Gebet der Elisabeth, Akt III

Wie Todesahnung Dämmrung deckt die Lande, Wolfram Akt III

Inbrunst im Herzen, Romerzählung Tannhäusers, Akt III

Willkommen ungetreuer Mann, Venus-Tannhäuser-Wolfram, Akt III

Informationen und Karten

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