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Zürich: TANNHÄUSER, 23.03.2019

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Tannhäuser

copyright: T+T Fotografie_Toni Suter

Romantische Oper in drei Akten | Musik: Richard Wagner | Text vom Komponisten | Uraufführung: 19. Oktober 1845 in Dresden | „Pariser Fassung“: 13. März 1861 in Paris | Aufführungen dieser Wiederaufnahme in Zürich: 23.3. | 27.3. | 31.3. | 5.4.2019

Kritik:

Man könnte sich mal wieder kurz fassen und schreiben: Schön laut war's, das Publikum war begeistert und feierte die Ausführenden frenetisch. Doch wollen wir es dabei nicht belassen und etwas Differenzierung hereinbringen, Differenzierung, die bei dieser Wiederaufnahme eindeutig fehlte. Sicher, eine TANNHÄUSER-Aufführung im Dauerforte verfehlt den Effekt nicht, vermag aber weder zu bewegen noch in die Tiefe der Charaktere einzudringen, sondern ermüdet zusehends Ohr und Gemüt. Das beginnt schon im Graben, wo der Philharmonia Zürich vom Dirigenten Axel Kober keinerlei Zurückhaltung auferlegt wurde. Immerhin spielt und bläst das Blech sauber, deckt jedoch meistens alle anderen Orchesterstimmen zu – und oft auch die aussergewöhnlich stimmstarken Sängerinnen und Sänger auf der Bühne. Axel Kober bevorzugt ziemlich zügige Tempi, was per se der Oper gar nicht mal so schlecht bekommt. Aber wie erwähnt leidet darunter die Differenzierung, die dynamische Abstufung. Nur selten hält man bei einer gehaltvollen Phrase der Celli inne, ansonsten wird vorwärtsgedrängt, in stürmischer Lautstärke. Für die Titelrolle wurde DER Wagner Heldentenor unserer Tage aufgeboten, Stephen Gould. Er hat mit der anforderungsreichen Partie natürlich keine Schwierigkeiten, seine Stimme scheint punkto Volumen und Kondition keinerlei Begrenzungen zu kennen. Da sind manchmal hammermässige Phrasen zu hören, die einen vor Ehrfurcht niederknien lassen, so z.B. das Allmächt'ger dir sei Preis! Hehr sind die Wunder deiner Gnade nach der Verwandlung im ersten Akt, oder die berührend gestaltete Begegnung mit Elisabeth in der Wartburghalle (hier ein TV Studio für die Casting Show "Thüringen sucht den Super-Minnesänger"). Und natürlich muss man keinen Moment bangen, dass Gould für die Romerzählung nicht genügend Reserven hätte, die ist überaus packend gestaltet. Dazwischen gab es aber auch bei ihm viel Kraftprotzerei, manchmal auch mit leichter Trübung der Intonation. Lise Davidsen debütierte in der Rolle der Elisabeth. Vielleicht mag (neben dem Dirigat) auch eine gewisse Nervosität daran schuld gewesen sein, dass sowohl die Hallenarie als auch das Gebet im dritten Akt viel zu laut gesungen wurden. Vor allem der Beginn des Gebets war kein Flehen mehr, sondern ein wutentbrannter Aufschrei gegen die heilige Jungfrau. Kann man natürlich machen, aber passt das auch zur Rolle? Jedenfalls musste ich mir zu Hause auf youtube gleich mal Grümmer, Janowitz, Jessye Norman und Birgit Nilsson anhören, um mich davon zu überzeugen, dass all diese Interpretinnen das Gebet mit in sich ruhender Empfindsamkeit eröffneten. Bei der Hallenarie kann man die stimmliche Exaltiertheit noch eher entschuldigen, auch wenn sie für meinen Geschmack zu herausgebrüllt erklang. Allerdings, und das muss man Lise Davidsen zugute halten, macht ihre Stimme dies alles problemlos mit, zeigt keinerlei Brüche – und tatsächlich findet sie (zu selten) auch zu berückenden Piani. Herrlich schwingt sich ihre Stimme im Finale II über die Männer, doch leider decken Kober und die Philharmonia Zürich auch diesen tollen Effekt beinahe zu. Als einer der wenigen an diesem Abend versuchte Stephan Genz als Wolfram von Eschenbach etwas liedhafte Gestaltung in den Gesang zu bringen. Leider machte seine Stimme das alles nicht mit, bröselte in den Piani weg, wurde in der Höhe dünn und farblos. Die Erklärung dafür folgte zu Beginn des Schlussaktes, als er sich wegen einer Pollenallergie ansagen lassen musste. Dankenswerterweise hielt er den dritten Akt tapfer durch und man möchte ihn gerne mal mit dem O du mein holder Abendstern im Vollbesitz seiner Kräfte hören. Tanja Ariane Baumgartner bestritt mit der Venus ein Rollen- und Hausdebüt. Endlich, muss man sagen, denn diese Mezzosopranistin begeistert restlos mit ihrer fulminant geführten Stimme, samten und erotisch schmeichelnd, dann wieder trotzig Tannhäusers Wunsch nach Befreiung aus den erotischen Fesseln des Venusbergs widersprechend und wunderbar mit grossem Atem auftrumpfend in Nur Helden öffnet sich mein Reich und am Ende des dritten Aktes mit Zu mir! O komm! Auf ewig sei nun mein! Hoffentlich wird man diese wunderbare Interpretin vermehrt in Zürich erleben dürfen. Herausragend gestaltet Mika Kares den Landgrafen, balsamisch strömt sein herrlich timbrierter Bass, exemplarisch in Diktion und Phrasierung. Seine einfühlsamen Worte an die Tochter Noch bleibe denn unausgesprochen – zum Dahinschmelzen. Die Minnesänger wurden von Iain Milne (Walther von der Vogelweide, für ihn wurde in die Tannhäuser-Fassung von 1875 noch das Lied im zweiten Akt eingeschoben), Ruben Drole (Biterolf), Martin Zysset (Heinrich der Schreiber) und Stanislav Vorobyov (Reinmar von Zweter) sehr solide interpretiert. Sen Guo sang den jungen Hirten (hier eine Krankenschwester) mit wunderbar lichtem Sopran, auf der Bühne von einer zweiten Krankenschwester traumhaft schön begleitet, nämlich von Risa Soejima mit dem Englischhorn.

Und damit wären wir bei der Inszenierung durch Harry Kupfer, die vor acht Jahren Premiere gefeiert hatte – und in den ersten beiden Akten immer noch nicht überzeugt. Das Hantieren der Minnesänger mit den E-Gitarren auf dem Golfplatz war geradezu peinlich und lächerlich – eine Altherren Rockband, die nochmals zusammen finden soll oder was? Näheres kann man bei meiner Besprechung von 2011 nachlesen .Sehr gelungen jedoch die Führung des exzellent singenden Chors und Zusatzchors, sowie der SoprAlti der Oper Zürich (Einstudierung: Ernst Raffelsberger). Zum Glück gibt es dann ja noch den dritten Akt. Und hie rüberzeugtt das Bühnenbild von Hans Schavernoch restlos. Diese Bahnhofshalle ist der ideale Ort für die Rückkehr der Pilger, das vergebliche Warten Elisabeths auf Tannhäuser, das Defilé der Geistlichen mit dem Papst und seinem ergrünenden Stab, das Ende Wolfgangs im Stroboskop-Gewitter, die Gitarre Tannhäusers an sich pressend. Das ist wirklich Klasse gemacht. Immerhin ein versöhnliches Ende eines überlauten Abends. Aber wie erwähnt, das Publikum tobte vor Begeisterung ... .

Inhalt:

Die Oper zeigt die innere Zerrissenheit eines Künstlers zwischen profaner Fleischeslust und deren vergeistigter Sublimierung.

Tannhäuser hat sich von den strengen, sittsamen Regeln des höfischen Lebens abgewandt und sich im Venusberg sinnlichen Freuden hingegeben. Doch gerät er hier in eine Art erotischer Überforderung, fühlt sich wohl auch geistig nicht entsprechend ausgefüllt und will die Liebesgöttin verlassen. Diese versucht ihn mit allen Mitteln zurückzuhalten, doch durch die Anrufung der heiligen Jungfrau Maria verschwindet der Zauber des Venusbergs und Tannhäuser findet sich im friedlichen Wartburgtal wieder. Er wird mit einigen Vorbehalten erneut in den Kreis der Sänger aufgenommen, seine Liebe zur Nichte des Landgrafen, Elisabeth, entflammt wieder. Anlässlich eines Sängerwettstreits aber lässt sich Tannhäuser dummerweise von der heuchlerischen Doppelmoral eines Walther von der Vogelweide oder eines Wolfram von Eschenbach provozieren und preist die freie Liebe im Venusberg. Entsetzen pur bei den Anwesenden. Tannhäuser muss als Wiedergutmachung eine Pilgerreise nach Rom unternehmen, um die Vergebung des Papstes zu erlangen. Elisabeth erwartet vergeblich seine Rückkehr, Wolfram ist erfüllt von Todesahnungen. Tannhäuser naht. In einer aufwühlendem Bericht schildert er seine katastrophalen Erfahrungen im Vatikan. Vergebung hat er nicht erlangt. Deshalb will er zurück zu Venus, ruft die Liebesgöttin an. Wolfram kann ihn nur mit dem Bericht, dass Elisabeth sich für ihn und sein Seelenheil geopfert habe, von diesem Schritt zurückhalten. Tannhäuser ist am Ende seiner Kräfte angelangt. Mit den Worten „Heilige Elisabeth, bete für mich“ auf den Lippen stirbt er. Pilger bringen den ergrünten Pilgerstab als Zeichen dafür, dass dem Sünder Erlösung gewährt wurde.

Werk:

Wagner gehörte zweifelsohne zu den belesensten Künstlern des 19. Jahrhunderts. Für seinen TANNHÄUSER hielt er sich an Quellen Brentanos,E.T.A. Hoffmanns, Heines, der Gebrüder Grimm und an mittelalterliche Dichtungen. Die musikalische Form ist gegenüber dem FLIEGENDEN HOLLÄNDER noch weiter in Richtung Musikdrama verfeinert. Zwar sind noch Reste der alten Nummernoper hörbar (Elisabeths „Hallenarie“, Wolframs „Lied an den Abendstern“, der Einzug der Gäste auf der Wartburg), doch sind die Formen in grosse, geschlossene Szenen eingearbeitet. Die Romerzählung Tannhäusers gilt hingegen als eigentlicher musikalischer Durchbruch im Hinblick auf die Entwicklung Wagners vom romantischen Komponisten hin zum Musikdramatiker.

Noch kurz vor seinem Tod schrieb Wagner in einem Tagebucheintrag, der Welt noch einen TANNHÄUSER schuldig zu sein. Er hat das Werk mehrmals überarbeitet, eine definitive Fassung wie bei seinen nachfolgenden Musikdramen aber nie erreicht. In Zürich wird nun die so genannte Pariser Fassung gespielt, welche beinahe 20 Jahre nach der Uraufführung entstand und hauptsächlich Änderungen im ersten Akt beinhaltet. So ist hier de Rolle der Venus aufgewertet, die ganze erste Szene durch ein Bacchanal ergänzt. Darin hat Wagner in Musik ausgedrückt (nämlich das immense Drängen des Fleisches nach sexueller Befriedigung) was er sich in Worten nicht getraute. Diese chromatisch-sinnliche Musik führte dann auch zu einem der ganz grossen Theaterskandale: Nach nur drei Aufführungen wurde das Werk in Paris nach unvorstellbaren Tumulten im Zuschauerraum abgesetzt. Und doch begründeten diese Aufführungen den wagnérisme in Frankreich, welcher in Künstlerkreisen zunehmend Anhänger fand. Puristen bemängeln die Uneinheitlichkeit der Werkteile, wenn die Pariser Fassung gespielt wird, doch ist sie für das Verständnis des Werks und die psychologische Charakterisierung des „Titelhelden“ eindeutig zu bevorzugen.

Musikalische Höhepunkte:

Ouvertüre

Bacchanale, Akt I

Dir töne Lob! Die Wunder sei'n gepriesen, Tannhäusers Lied an Venus, Akt I

Zieh hin, Wahnsinniger, Venus-Tannhäuser, Akt I

Als du in kühnem Sange, Finale Akt I

Dich teure, Halle, Elisabeth, Akt II

Freudig begrüssen wir die edle Halle, Einzug der Gäste, Akt II

Versammelt sind aus meinen Landen, Finale Akt II

Allmächt'ge Jungrau, Gebet der Elisabeth, Akt III

Wie Todesahnung Dämmrung deckt die Lande, Wolfram Akt III

Inbrunst im Herzen, Romerzählung Tannhäusers, Akt III

Willkommen ungetreuer Mann, Venus-Tannhäuser-Wolfram, Akt III

Karten

 

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