Berlin, Staatsoper: TANNHÄUSER, 20.04.2014
Romantische Oper in drei Akten | Musik: Richard Wagner | Text vom Komponisten Uraufführung: 19. Oktober 1845 in Dresden | „Pariser Fassung“: 13. März 1861 in Paris | Aufführungen in Berlin: 12.4. | 16.4. | 20.4. | 27.4.2014
Kritik:
„Versungen und vertan“ konstatieren die Meistersinger am Ende des ersten Aktes von Wagners DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – „vertanzt und vertan“ ist man am Ende dieser von der Choreographin Sasha Waltz in Szene gesetzten TANNHÄUSER Inszenierung geneigt zu rufen. Die Tanzeinlagen, welche beim Bacchanale (gespielt wurde die so genannte Dresdner Fassung unter Einbezug des Bacchanales für die erste Szene im Venusberg, welche Wagner für die Aufführung in Paris 1861 komponiert hatte) noch einigermassen Sinn machten, entwickelten sich im Verlauf der Oper zu (ver)störenden, unnötigen und ja, auch ärgerlichen Ablenkungen. Wenn die eher zierlichen Tänzer wie Kobolde um die gross gewachsenen Männer der gräflichen Jagdgesellschaft herumwirbeln und ihre Borsalino-Hüte in die Luft werfen, sich als spastisch tanzende Paare unter die Gäste der Wartburg mischen oder die Pilger in Qigong-Manier begleiten, macht dies einfach keinen Sinn und wirkt bloss lächerlich und störend. Ganz schlimm dann das hysterische Gehopse neben dem Trauerzug mit Elisabeths Leichnam im dritten Akt. Weder wurden durch diese Tänze eine Art Subtext oder Alternativhandlung evoziert, noch wurde das Bühnengeschehen auf witzige Art konterkariert. Das Ballett (das Wagner ja gehasst hatte) einfach als Verdoppelung der Bewegungen des Chores einzusetzen, ist dann doch allzu simpel. Immerhin schleichen sich unter die Gäste im zweiten Akt auch ein putziges schwules Pärchen und ein Frauenpaar. Die LGBT-Community wird erleichtert aufatmen, dass die Vielfalt der Lebensformen auch am Hof des Landgrafen von Thüringen möglich geworden ist. Im ersten Akt, welcher im Venusberg spielt, purzeln die Tänzer aus einer Öffnung in eine Art Trichter und winden sich da drin halbnackt in fleischfarbener Unterwäsche in erotischen Verrenkungen. Immer wieder versuchen sie die Wände des Trichters zu überwinden, wie Insekten, welche in einer fleischfressenden Pflanze gefangen sind. Dass ihre Füsse dabei die Venusbergmusik mit quietschenden Geräuschen begleiten, ist wohl nicht zu vermeiden. Immerhin, diese Szene hat was. Wenn dann auch noch die massige, weissgewandete Gestalt von Peter Seiffert als Tannhäuser in den Trichter steigt, und Marina Prudenskaya als ebenfalls weissgewandete, elegant agierende Liebesgöttin den ungetreuen Mann zu halten versucht, wirkt das sogar leicht komisch. Streckenweise erweist sich dieser Trichter dann allerdings als akustisch äusserst problematisch, etwa wenn die zweite Strophe von Seifferts Lied von der Lobpreisung der Venus (und seine Bitte, ihn ziehen zu lassen) wie elektronisch verstärkt wirkt - und damit das Ohr gewaltig schmerzt - und Venus Erwiderung einen unnatürlichen Hall erhält. Dominiert im ersten Akt also dieser gigantische Trichter (Linse, Uterus?) die Bühne, so sind es im zweiten Akt bronzefarbene Röhren, welche gekonnt die Wandverkleidung des Schillertheaters aufnehmen und so die Wartburghalle zu einem gigantischen Saal werden lassen. Der dritte Akte spielt dann in leerer Weite. Das sehr adäquat gestaltete Bühnenbild stammt von Pia Maier-Schriever und Sasha Waltz selbst, die durchwegs eleganten Kostüme die so rund in der Zeit um 1930 - 1950 einzuordnen sind, entwarf Bernd Skodzig. Ausdrücklich hervorzuheben ist das wunderschöne und sehr stimmige Lichtdesigen von David Finn. Da die Tänzerinnen und Tänzer (neben dem mächtig singenden Chor) natürlich auch ihren Platz brauchen, sind die Protagonisten oft in eher konventioneller Manier geführt an der Rampe anzutreffen und klingen dementsprechend vordergründig und laut.
Peter Seiffert bewältigt die immense Partie des Tannhäuser mit nie nachlassender Intensität. Seine Stimme spricht durchgehend problemlos an, die Lautstärke verharrt allerdings allzu oft im forte und fortissimo Bereich, die Höhen erreicht er ohne Mühe und bruchlos. Doch schleicht sich ab und an doch ein unschönes Vibrato bei lang gehaltenen Tönen ein. Ganz hervorragend klingt Peter Mattei als Wolfram: Seinen Bariton zeichnet ein leicht aufgerauter Kern aus, er vermag die langsamen Tempovorgaben von Daniel Barenboim am Pult der Staatskapelle Berlin mit Leichtigkeit und ohne Spannungsabbruch zu übernehmen. Marina Prudenskaya ist eine grossartige Venus, elegant und verführerisch in der Erscheinung, ihre satte Stimme mit einer genau dosierten Prise Erotik färbend. Klasse! Ann Petersen als Elisabeth geht die Hallenarie mit etwas viel Nachdrücken auf gehaltenen Tönen im forte-Bereich an, jedoch gelingt ihr ein sehr schönes und differenziert gestaltetes Gebet im dritten Akt mit einigen zauberhaften Piani. Erstaunlicherweise mangelt es René Pape an diesem Abend als Landgraf an ein paar Stellen etwas an sonorer Tiefe, ansonsten ist bei ihm nichts zu bemängeln. Tobias Schabel singt den Biterolf mit beispielhafter Legatokultur, Peter Sonn phrasiert mit seinem hell und klangschön timbrierten Tenor gekonnt das Lied Walthers von der Vogelweide.
Daniel Barenboim, der Vielbeschäftigte während dieser Festtage, entlockt der Staatskapelle Berlin einen klangsatten Wagner, wuchtig, zum Teil die Nebenstimmen zu stark herausstreichend (Streicherfiguren zum Pilgermotiv des Blechs). Während man die Tempowahl im ersten Akt noch als ideal empfindet, dehnt er im zweiten und dritten Akt die Tempi zum Teil extrem. Töne und Phrasen der Holzbläser erhalten durch diese Dehnungen ein übermässiges Gewicht, vieles wirkt so langfädig gezogen, Wolframs hehere Verherrlichung der platonischen Liebe bekommt durch diese Langsamkeit etwas Hohles. Architektonisch trefflich aufgebaut hingegen das Concertato und das Finale des zweiten Aktes.
Am Ende dieser Vorstellung brach im Publikum ein unbeschreiblicher, zwanzigminütiger Jubel aus, der alle Beteiligten miteinbezog, die Tänzer der Truppe von Sasha Waltz wurden mit geradezu hysterischem Kreischen gefeiert – und so schweigt nun Beckmesser.
Inhalt:
Die Oper zeigt die innere Zerrissenheit eines Künstlers zwischen profaner Fleischeslust und deren vergeistigter Sublimierung.
Tannhäuser hat sich von den strengen, sittsamen Regeln des höfischen Lebens abgewandt und sich im Venusberg sinnlichen Freuden hingegeben. Doch gerät er hier in eine Art erotischer Überforderung, fühlt sich wohl auch geistig nicht entsprechend ausgefüllt und will die Liebesgöttin verlassen. Diese versucht ihn mit allen Mitteln zurückzuhalten, doch durch die Anrufung der heiligen Jungfrau Maria verschwindet der Zauber des Venusbergs und Tannhäuser findet sich im friedlichen Wartburgtal wieder. Er wird mit einigen Vorbehalten erneut in den Kreis der Sänger aufgenommen, seine Liebe zur Nichte des Landgrafen, Elisabeth, entflammt wieder. Anlässlich eines Sängerwettstreits aber lässt sich Tannhäuser dummerweise von der heuchlerischen Doppelmoral eines Walther von der Vogelweide oder eines Wolfram von Eschenbach provozieren und preist die freie Liebe im Venusberg. Entsetzen pur bei den Anwesenden. Tannhäuser muss als Wiedergutmachung eine Pilgerreise nach Rom unternehmen, um die Vergebung des Papstes zu erlangen. Elisabeth erwartet vergeblich seine Rückkehr, Wolfram ist erfüllt von Todesahnungen. Tannhäuser naht. In einer aufwühlendem Bericht schildert er seine katastrophalen Erfahrungen im Vatikan. Vergebung hat er nicht erlangt. Deshalb will er zurück zu Venus, ruft die Liebesgöttin an. Wolfram kann ihn nur mit dem Bericht, dass Elisabeth sich für ihn und sein Seelenheil geopfert habe, von diesem Schritt zurückhalten. Tannhäuser ist am Ende seiner Kräfte angelangt. Mit den Worten „Heilige Elisabeth, bete für mich“ auf den Lippen stirbt er. Pilger bringen den ergrünten Pilgerstab als Zeichen dafür, dass dem Sünder Erlösung gewährt wurde.
Werk:
Wagner gehörte zweifelsohne zu den belesensten Künstlern des 19. Jahrhunderts. Für seinen TANNHÄUSER hielt er sich an Quellen Brentanos,E.T.A. Hoffmanns, Heines, der Gebrüder Grimm und an mittelalterliche Dichtungen. Die musikalische Form ist gegenüber dem FLIEGENDEN HOLLÄNDER noch weiter in Richtung Musikdrama verfeinert. Zwar sind noch Reste der alten Nummernoper hörbar (Elisabeths „Hallenarie“, Wolframs „Lied an den Abendstern“, der Einzug der Gäste auf der Wartburg), doch sind die Formen in grosse, geschlossene Szenen eingearbeitet. Die Romerzählung Tannhäusers gilt hingegen als eigentlicher musikalischer Durchbruch im Hinblick auf die Entwicklung Wagners vom romantischen Komponisten hin zum Musikdramatiker.
Noch kurz vor seinem Tod schrieb Wagner in einem Tagebucheintrag, der Welt noch einen TANNHÄUSER schuldig zu sein. Er hat das Werk mehrmals überarbeitet, eine definitive Fassung wie bei seinen nachfolgenden Musikdramen aber nie erreicht. In Zürich wird nun die so genannte Pariser Fassung gespielt, welche beinahe 20 Jahre nach der Uraufführung entstand und hauptsächlich Änderungen im ersten Akt beinhaltet. So ist hier de Rolle der Venus aufgewertet, die ganze erste Szene durch ein Bacchanal ergänzt. Darin hat Wagner in Musik ausgedrückt (nämlich das immense Drängen des Fleisches nach sexueller Befriedigung) was er sich in Worten nicht getraute. Diese chromatisch-sinnliche Musik führte dann auch zu einem der ganz grossen Theaterskandale: Nach nur drei Aufführungen wurde das Werk in Paris nach unvorstellbaren Tumulten im Zuschauerraum abgesetzt. Und doch begründeten diese Aufführungen den wagnérisme in Frankreich, welcher in Künstlerkreisen zunehmend Anhänger fand. Puristen bemängeln die Uneinheitlichkeit der Werkteile, wenn die Pariser Fassung gespielt wird, doch ist sie für das Verständnis des Werks und die psychologische Charakterisierung des „Titelhelden“ eindeutig zu bevorzugen.
Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre
Bacchanale, Akt I
Dir töne Lob! Die Wunder sei'n gepriesen, Tannhäusers Lied an Venus, Akt I
Zieh hin, Wahnsinniger, Venus-Tannhäuser, Akt I
Als du in kühnem Sange, Finale Akt I
Dich teure, Halle, Elisabeth, Akt II
Freudig begrüssen wir die edle Halle, Einzug der Gäste, Akt II
Versammelt sind aus meinen Landen, Finale Akt II
Allmächt'ge Jungrau, Gebet der Elisabeth, Akt III
Wie Todesahnung Dämmrung deckt die Lande, Wolfram Akt III
Inbrunst im Herzen, Romerzählung Tannhäusers, Akt III
Willkommen ungetreuer Mann, Venus-Tannhäuser-Wolfram, Akt III