Zürich: ROMEO UND JULIA , 05.06.2016
Ballett in vier Akten | Musik: Sergej Prokofjew | Handlung: Adrian Potrowski, Sergei Radlow, Boris Assafjew, nach Shakespeares Drama | Uraufführung: 30. Dezember 1938 in Brünn | Aufführungen in der Choreographie von Christian Spuck in Zürich: 5.6. | 16.6. | 17.6.2016
Kritik:
Am Ende blieb wohl kaum ein Auge trocken: Die stummen Schreie Julias, der irre Blick, ihr vom Schluchzen erbebender Körper, der verzweifelte Suizid – das ging wahrlich unter die Haut, war von einer bewegenden Emotionalität erfüllt. Giulia Tonelli tanzte in dieser Vorstellung die Julia – und wie! Das war nicht bloss technisch perfekter Tanz (aber das auch!), sondern eine Interpretation, welche alle Facetten dieser Rolle zutiefst berührend zur Geltung brachte. Da stimmte einfach jede Regung, jeder Augenaufschlag, jedes Lächeln. Zu Beginn war sie ganz das kichernde, unschuldige Mädchen, mit einer belasteten Beziehung zur gefühlskalten Mutter (Juliette Brunner war eine hervorragende Gräfin Capulet, welche erst als ihr Geliebter Tybalt erstochen am Boden lag, Emotionen zeigen konnte). Doch da war auch die freundschaftliche, vertraute Beziehung zur Amme (wunderbar komisch und dann doch wieder rührend: Galina Mihaylova). Grandios herausgearbeitet von Giulia Tonelli waren ihre Interaktionen mit den Männern: Ungläubig und entsetzt reagierte sie auf die unbeholfenen und tuntig-affektierten Annäherungen des Grafen Paris (nach seinem Coppelius in DER SANDMANN glänzte Dominik Slavkovský wiederum mit einer umwerfend guten Charakterdarstellung), lächelnd und voller Vertrauen liess sich Giulia Tonelli beim Ball in die Arme ihres besorgten Vaters sinken (sehr elegant: Manuel Renard). Mit quirligen, federleichten Luftsprüngen stellte Giulia Tonelli das junge Mädchen dar, tanzte mit zierlicher Eleganz auf dem Ball im Hause Capulet – und erblickte da ihren Romeo (William Moore), die Magie der Liebe (auf den ersten Blick) war beinahe körperlich spürbar. Zauberhaft zu erleben, wie die beiden sich näher kamen, der grosse Pas de deux der Balkonszene ein Traum mit fantastischen Hebefiguren, getanzt von beiden mit einer herrlichen, noch unbeschwerten Entdeckungsfreude. Schon tragischer dann der zweite grosse Pas de deux, die Abschiedsszene nach der Liebesnacht, begleitet von der ergreifend schön spielenden Viola d'amore aus dem Graben. Mit sauber ausgeführten Drehungen auf der Spitze und schon beinahe ätherischer Leichtigkeit und Fragilität tanzte Giulia Tonelli diese Szene. William Moore war ihr ein hervorragender (und blendend aussehender) Partner. Auch er zeigte eindringlich die Wandlung vom übermütigen, zu jedem (auch handfesteren) Scherz bereiten Jungspund zum verzweifelt Liebenden. Bewegend war die Szene von Mercutios Ermordung: Romeo wollte immer schlichtend eingreifen, doch seine Freunde Mercutio und Benvolio (begeisternd, rasant und präzise tanzend und fechtend: Andrei Cozlac und Benoît Favre) liessen es sich nicht nehmen, den cholerischen Tybalt (mit starker Bühnenpräsenz den leicht reizbaren Macho gebend: Denis Vieira) bis aufs Blut zu provozieren, bis die Situation eben eskalierte und Tybalt den Mercutio erstach. Mit Tränen überströmtem Gesicht griff dann auch Romeo zum Degen und führte den fatalen Stoss gegen Tybalt aus. So nahm die Geschichte die tragische Wendung, begleitet von schmerzerfüllten Dissonanzen aus dem Graben, wo Pavel Baleff und die Philharmonia Zürich die rhythmischen und dynamischen Schwierigkeiten von Prokofiews grandioser Partitur mit Bravour meisterten. Bestens disponiert waren die viel beschäftigten Blechbläser, welche mit gleissender Kraft bedrohlich auftrumpften, oft abgefedert vom nachfolgenden, weichen Streicherklang. Christian Spucks Choreografie, die Kostüme von Emma Ryott und das Bühnenbild von Christian Schmidt habe ich anlässlich der Premiere vom Oktober 2012 bereits besprochen. Nach wie vor entfaltet diese Produktion ihre überwältigende Kraft und Eindringlichkeit (und sorgt für ausverkaufte Vorstellungen), schnell vergisst man die Theater-im Theater-Anlage, wird genau wie die Tänzer unentrinnbar in die Handlung hineingezogen - der dämonische Magier Pater Lorenzo (sehr subtil dargestellt von Filipe Portugal) hat ganze Arbeit geleistet.
Inhalt:
Die Tragödie spielt in der italienischen Stadt Verona und handelt von der Liebe Romeos und Julias, die zwei verfeindeten Familien angehören, den Montagues (Romeo) bzw. den Capulets (Julia). Die Fehde geht so weit, dass sich die Beteiligten regelmäßig zu Beleidigungen und blutigen Degenkämpfen hinreißen lassen, sobald sie in der Stadt aufeinander treffen. Deshalb halten Romeo und Julia ihre Liebesbeziehung vor ihren Eltern verborgen. Ohne deren Wissen lassen sie sich vom Pater Lorenzo trauen, der insgeheim hofft, auf diese Weise einen ersten Schritt zur Lösung des Konflikts beitragen zu können.
Trotzdem kommt es zwischen Romeo und Tybalt, einem Capulet und Cousin Julias, zum Kampf, in dessen Verlauf dieser von Romeo getötet wird. Romeo wird aus Verona verbannt und muss nach Mantua fliehen. Julia, die nach dem Willen ihrer Eltern in aller Eile mit einem gewissen Paris verheiratet werden soll, bittet erneut Pater Lorenzo um Hilfe. Dieser überredet sie, einen Schlaftrunk zu sich zu nehmen, der sie für 40 Stunden in einen todesähnlichen Zustand versetzen werde, um so der Hochzeit zu entrinnen. Romeo soll durch einen Brief, der ihn allerdings wegen eines Missgeschicks nie erreicht, von diesem Plan in Kenntnis gesetzt werden. In der Zwischenzeit sieht ein Freund Romeos die mittlerweile beigesetzte Julia in ihrer Familiengruft liegen, eilt zu Romeo und berichtet ihm vom angeblichen Tod seiner Liebsten. Romeo eilt nach Verona zum Grab seiner Frau, um sie noch ein letztes Mal zu sehen. In der Familiengruft der Capulets trifft er auf den Grafen Paris. Romeo ersticht ihn. Dann stösst er sich selbst den Dolch ins Herz. Julia erwacht, sieht den toten Romeo und sieht als Ausweg nur noch den Suizid, da sie ohne Romeo nicht mehr leben kann und will. (Quelle: Wikipedia und Programmheft Staatsballett Berlin)
Werk:
Der Stoff inspirierte eine ganze Reihe von Komponisten zu Opern, Balletten oder Schauspielmusiken, so Gounod, Zandonai, Bellini, Sutermeister, Berlioz, Tschaikovsky oder Bernstein.
ROMEO UND JULIA stellt Prokofjews wohl bekannteste und farbenreichste Komposition dar. Obwohl nach der Rückkehr des Komponisten in die Sowjetunion vom Kirov Ballett in Auftrag gegeben, fand die Uraufführung im tschechischen Brünn statt. Nach den Vorwürfen gegen Schostakowitsch in der Prawda waren die Komponisten vorsichtig geworden. Zudem bekam Prokofjew auch vom Bolschoi Ballett den Bescheid, das Stück sei untanzbar (zu komplexe Rhythmen). Dabei machen gerade die rythmische Vielfältigkeit und die eingängige, doch stets äusserst geschmackvolle und variantenreiche melodische Verarbeitung der Themen den Reiz dieser kostbaren Partitur aus.
Erst im Januar 1940 präsentierte das Kirov Ballett eine revidierte Version (diesmal mit dem shakespearschen tragischen Schluss) und das Ballett trat seinen bis heute ungebrochenen Siegeszug durch die bedeutendsten Tanzstätten der Welt an. Berühmt wurden die Choreographien von John Cranko für das Stuttgarter Ballett (mit Marcia Haydée und Richard Cragun) und von Kenneth MacMillan für das Royal Ballet (mit Margot Fonteyn und Rudolf Nureyev).