Zürich: ROBERTO DEVEREUX, 28.09.2012
Tragedia lirica in drei Akten | Musik: Gaetano Donizetti | Libretto: Salvatore Cammarano | Uraufführung: 29. Oktober 1837 in Neapel | Aufführungen in Zürich: 28.9. | 9.10. | 14.10. | 19.10.2012
Kritik:
IL RITORNO (TRIONFALE) D'EDITA IN PATRIA
Lange, viel zu lange, war sie abwesend von der Bühne, die quasi vor ihrer Haustür liegt und auf der sie enorme Triumphe feiern durfte und das Publikum mit jedem ihrer Auftritte aufs Reichhaltigste mit ihrer stupenden Kunst beschenkt und in Erstaunen versetzt hatte. Nun feierte Edita Gruberova also gestern Abend in einer ihrer Paraderollen (Elisabetta aus ROBERTO DEVEREUX) eine triumphale szenische Rückkehr auf die Bühne des Opernhauses Zürich. Von der Auftrittskavatine bis zur finalen Bravourarie lauscht man gebannt und fasziniert dieser Stimme voller Ausdruckskraft, der schlicht perfekten Beherrschung des messa di voce, den wie selbstverständlich eingefügten kunstvollen Appogiaturen und Fiorituren, den wunderbaren Legati und der phänomenalen Höhensicherheit. Dabei vergisst sie nie, dass Donizetti die Elisabetta nicht bloss als Vehikel für eine stimmgewaltige Primadonna angelegt hatte, sondern in die Gesangslinie eine tief empfundene Gefühlslage und -verwirrung hineinkomponiert hatte. Frau Gruberova macht daraus ein packendes, atemberaubendes Drama, zeigt die Tragödie einer grossen Herrscherin, die eigentlich nur selten auch „Frau“ sein durfte. Da ist ein zärtlich hingehauchtes Roberto bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Devereux von genau so bewegender Intensität erfüllt wie das Hineinsteigern in eine furchterregende Rage bei der Entdeckung von Robertos Untreue. Sie schreckt auch vor kalten, fahlen und von Trauer umflorten Tönen (einmalig das Quel sangue versato) nicht zurück, kann die Stimme schneidend scharf crescendieren lassen nur um empfundene Bruchteile von Sekunden später mit warmen Piani das Publikum zu berücken. Höhepunkt ist natürlich das aufrüttelnde Finale: Widerstreitende Gefühle von Hoffnung, Trauer, Wut, Beschwörung des Jüngsten Gerichts, Resignation und Thronverzicht verschmelzen in einer der ergreifendsten Schlussszenen der Operngeschichte zu einem theatralischen Coup, welchen Edita Gruberova – die eben gerade in dieser Inszenierung auch eine grossartige Tragödin ist – durch ihre einmalige Gesangskunst mit überwältigender Stimmigkeit ausfüllt.
Dass neben dieser Diva - die sich wohlverstanden nicht als solche gebärdet - die restlichen Hauptpartien nicht zu Comprimari degradiert werden, ist ein weiterer Glücksfall dieser Wiederaufnahme der Produktion Giancarlo del Monacos aus dem Jahr 1997. Veronica Simeoni (Sara), John Osborn (Roberto) und Alexey Markov (Nottingham) beeindrucken mit überaus gelungenen Rollendebüts. Frau Simeoni singt eine jugendlich-kraftvolle Sara mit wunderschön satt timbriertem Mezzosopran, herrlich bruchlos geführt. Genauso wie Frau Gruberova vermag sie die Statik des Inszenierungskorsetts durch eine intensive Rollengestaltung grossartig zu überwinden. Ihr Gemahl, der Herzog von Nottingham, wird von Alexey Markov mit kernig viril und trotzdem warm klingendem Bariton gesungen. Hier präsentiert sich ein Sänger, dem man zum Glück in naher Zukunft auf der Bühne des Opernhauses öfter begegnen wird (LUCIA DI LAMMERMOOR, UN BALLO IN MASCHERA). John Osborn wirkt zwar darstellerisch zu Beginn etwas steif als jugendlicher Held Roberto zwischen den beiden starken Frauen. Doch seine Stimme bezaubert mit wunderbar akurater Phrasierung. Im Verlauf des Abends steigert er sich von Szene zu Szene, befreit sich von leichten Verhärtungen der Stimme in den forte-Passagen, wird flexibler und zunehmend leidenschaftlicher. Mit der Sara von Veronica Simeoni singt er ein geradezu rasendes Duett am Ende des ersten Aktes und seine grosse Kerkerszene im dritten Akt lässt an Eindringlichkeit und Fulminanz im Schlussteil der Arie nichts zu wünschen übrig.
Andriy Yurkevich führt die Philharmonia Zürich mit Sensibilität und Verve durch den Abend, wunderschöne Kantilenen von Soloinstrumenten blühen auf, dramatische Akzente werden effektvoll gesetzt und beim spannenden Vorspiel zur Kerkerszene hört man deutlich, dass Giuseppe Verdi den ROBERTO DEVEREUX sehr gut gekannt haben muss ... .
Inhalt:
London, 1601
Vorgeschichte: Roberto Devereux, Günstling Königin Elisabeths I. wartet in London auf seinen Prozess wegen Hochverrats, da er auf eigene Faust einen Waffenstillstand mit irischen Aufständischen geschlossen hatte und Adlige in London zum Aufstand angestiftet hatte.
Sara, die Herzogin von Nottingham, liebt den engsten Freund ihres Gatten, Roberto Devereux. Königin Elisabeth tritt ein und gesteht Sara, dass sie Roberto in einer Privataudienz empfangen wolle, wenn sie nicht an seiner Treue zu zweifeln habe. Dass sie ihre intimen Gefühle einer Rivalin offenbart, weiss sie natürlich nicht. Jedenfalls weigert sie sich, Robertos Todesurteil zu unterzeichnen. Doch bei der Begegnung mit Roberto verplappert sich dieser und spricht von seiner Liebe zu Sara. Elisabeth ist ausser sich vor Wut. Robertos Todesurteil scheint besiegelt. Der Herzog von Nottingham seinerseits weiss nicht um die Gefühle seiner Frau und erzählt Roberto, dass seine Frau an einem geheimen Kummer dahinwelke. Roberto trifft auf Sara. Er ist enttäuscht, dass sie sich mit Nottingham vermählt hatte. Sara ihrerseits wirft ihm Untreue vor, da er den Günstlingsring der Königin trage. Roberto wirft den Ring auf den Tisch, dafür bekommt er von Sara einen blauen Schal als Liebespfand.
Der Secretary of State, Lord Cecil, verkündet Robertos Todesurteil. Bei der Verhaftung Robertos findet man einen blauen Schal. Die Königin konfrontiert Roberto mit dem blauen Schal. Nottingham ist ebenfalls zugegen, erkennt den Schal seiner Gemahlin und stürzt sich auf Roberto. Die Königin unterzeichnet das Todesurteil. Roberto Devereux schweigt.
In einem letzten Brief an Sara bittet Roberto sie, der Königin den Günstlingsring zu bringen und damit sein Leben zu retten. Nottingham entreisst Sara den Brief und sperrt sie ein, bis das Urteil gegen Roberto vollstreckt sei. Roberto hofft im Gefängnis auf Saras Mission. Er wird jedoch von den Wächtern zum Richtblock geführt. Sara gelingt es doch noch, zur Königin vorzudringen, gibt ihr den Ring und gesteht, die Rivalin der Königin zu sein. Elisabeth ordnet einen Aufschub der Hinrichtung an – zu spät. Nottingham triumphiert darüber, dass der Liebhaber seiner Gemahlin tot sei. Elisabeth lässt beide abführen. Sie ist allein. In einer Schreckensvision erscheint ihr der enthauptete Roberto. Sie erklärt ihren Verzicht auf den Thron, übergibt die Insignien der Macht ihrem Neffen James, König von Schottland, und bricht, Robertos Ring an die Lippen gepresst, ohnmächtig zusammen.
Werk:
Unter allerschwersten persönlichen Umständen komponierte Donizetti seine (je nach Zählweise) ungefähr 57. Oper: Seine Eltern waren ein Jahr zuvor gestorben, seine Frau brachte ein totes Kind zur Welt, ein weiteres starb bei der Geburt und schliesslich starb auch seine junge Gemahlin drei Monate vor der Uraufführung der Oper. Der Librettist Cammarano sah sich zudem Plagiatsvorwürfen ausgesetzt, da Felice Romani ein Libretto über den CONTE D'ESSEX für Mercadante geschrieben hatte und Cammarano diesem anscheinend sehr genau folgte. ROBERTO DEVEREUX gilt als Musterbeispiel einer italienischen historischen Oper. Donizetti hatte zuvor schon zwei vom Inhalt und Ablauf her ähnliche Königinnen—Tragödien komponiert, nämlich ANNA BOLENA und MARIA STUARDA. Er konzentrierte sich dabei ganz auf das Aufeinanderprallen der Charaktere und die Ausrichtung der Konflikte der vier Protagonisten untereinander (äusserst anspruchsvolle Partien für Elisabeth, Sara, Nottingham und Roberto) und verzichtete auf „romantische“ Stimmungsschilderungen. Der Chor ist ganz auf passive Kommentierung reduziert, die Nebenfiguren dürfen Stichworte zur Erklärung der Handlung liefern. Die beiden Szenen am Ende des dritten Aktes gehören zu Donizettis eindringlichsten Kompositionen: Robertos flehende Kerkerszene und Elisabeths virtuose Schlussarie mit der halsbrecherischen Cabaletta, welche von einem hoch spannenden und expressiven Lamento eingeleitet wird.
Mit dieser quasi historisierenden Kammeroper war es Donizetti gelungen, ein Werk zu schreiben, welches den später von Verdi erhobenen Anspruch, nämlich die „musikalische ausgedrückte Wahrheit des Gefühls“, auf geradezu überwältigende Art vorwegnahm.
Musikalische Höhepunkte:
All'afflitto è doce il pianto, Romanze der Sara, Akt I
L'amor suo m fe'beata – Ah!ritorna, Cavatine und Arie der Elisabetta, Akt I
Donna reale, Duett Roberto-Elisabetta, Akt I
Da che tornasti, Duett Roberto-Sara, Akt I
Ecco l'indegno, Terzett und Finale Elisabetta-Roberto-Nottingham, Akt II
A te dirò...Bagnato il sen di lagrime, Arie des Roberto, Akt III
Vivi, ingrato ... Quel sangue versato, Aria finale, Akt III