München: ROBERTO DEVEREUX, 20.03.2019
Tragedia lirica in drei Akten | Musik: Gaetano Donizetti | Libretto: Salvatore Cammarano | Uraufführung: 29. Oktober 1837 in Neapel | Aufführungen in München: 17.3. | 20.3. | 23.3. | 27.3. 2019
Kritik:
Ein passender Abschied: Elisabeth I. , Königin von England, war 70 Jahre alt, als sie ihre Regentschaft beendigte. Edita Gruberova, Königin des Belcanto, ist knapp darüber – und wählte die Rolle der Elisabetta in Donizettis meisterhaftem Kammerspiel ROBERTO DEVEREUX für ihren szenischen Abschied von der Opernbühne. Konzerte will sie weiterhin geben, wie die Bayerische Staatsoper mitteilt. Die Rolle der jungfräulichen Königin, die jedoch einen ziemlich großen Verschleiß an Liebhabern und Günstlingen gehabt haben solle, ist der Gruberova wie auf den Leib (und in die Stimme) geschrieben. Und so bietet diese Aufführungsserie von vier Vorstellungen an der Bayerischen Staatsoper nochmals die Gelegenheit, die Gruberova in einer ihrer Paraderollen zu erleben. Da stimmt von der Durchdringung des Charakters her einfach alles, die Mimik, das Aufbäumen in Wut, Rachegefühlen, verschmähter Liebe, das Rationale und das Irrationale des Handelns und auch die schwerfälligen Bewegungen. Da ist Edita Gruberova ganz große Tragödin, im besten Sinne. Und stimmlich gab es sehr vieles, was an diesem Abend eindrucksvoll gelang, das Ansetzen des Tons im Pianissimo in höchster Lage, das An- und Abschwellen, da ist sie dann da, die messa di voce. Natürlich war nicht immer alles purer Schöngesang, gerade in der Kavatine im ersten Akt (A te svelai ... L’amor suo mi fe’ beata) wurde dann schon mal die Schmerzgrenze des Hörers touchiert, brausten Klänge durch Mark und Bein oder brach eine Pianopassage bröselnd ab. Doch das wurde wettgemacht durch eine packende Gestaltung der Rezitative und der Dialoge durch schraubenartige Steigerungswellen, die einfach mitreißend waren– und spätestens ab dem Finale II mit dem herausgeschrienen Va, la morte sul capo ti pende steigerte sich die Gruberova in einen interpretatorischen Rausch, dem man nicht mehr entrinnen konnte. Gekrönt wurde diese Leistung natürlich dann mit der finalen Wahnsinnsszene Vivi ingrato ... quel sangue versato, abgeschlossen mit einem Gändehaut erregenden acuto. Mit Edita Gruberova und Mariella Devia sind nun zwei grandiose Interpretinnen dieser Rolle von der Bühne abgetreten – man darf gespannt sein, wer diese Lücken füllen wird.
Hervorragend besetzt waren an diesem Abend die anderen drei Hauptpartien in diesem fatalen Viereck. Der Titelheld, Roberto Deveureux, Earl of Essex, wurde vom blendend aussehenden Charles Castronovo mit markanter, biegsamer und schön timbrierter Tenorstimme gesungen. Er spielte gekonnt mit seinem Charme, wickelte die ihn umgebenden Damen (und auch die Herren!) um den Finger und nützte sie für seine Zwecke aus. Balsamischer Gesang mit berechnender Absicht, Klasse! Er bewahrte Haltung, selbst als er blutüberströmt und bis auf die Unterhosen erniedrigt seiner Hinrichtung entgegenblicken musste. Silvia Tro Santafé erhielt zu Recht großen Applaus für ihre Gestaltung der Sara, Herzogin von Nottingham: Gefangen in einer langweiligen Ehe, verliebt in den unsteten Roberto, vermochte sie ihre Emotionen mit ausdrucksstarkem Mezzosopran, großem Atem und berückender Phrasierung zu transportieren. Ganz stark! Eine wunderbare Leistung war auch von ihrem Bühnen-Ehemann Vito Priante als Herzog von Nottingham zu erleben: Eine mit kontrollierter Kraft intelligent geführte, charaktervolle Baritonstimme, rasend in Fulminanz und Ausdruck, aber auch berührend in seiner Erkenntnis der Untreue der Gemahlin.
Stimmlich leider etwas undifferenziert und leicht verquollen war der intrigante Lord Cecil von Francesco Petrozzi, der dies jedoch mit schmierig-brutaler Darstellung wettmachen konnte. Kristof Klorck sang einen soliden Sir Gualtiero Raleigh. Boris Prýgl hat als Page Robertos zwar nicht besonders viel zu singen, doch seine Rolle wurde von Regisseur Christof Loy enorm aufgewertet, er machte aus ihm einen in seinen Meister Roberto Deveureux hoffnungslos verknallten Schwulen. Prýgl spielte das hervorragend, sah sexy aus in der (offenen) Adidas-Jacke und den Sneakers von Puma ... . Überhaupt hat es Loy verstanden, der Story um das Quartett der Protagonisten durch die Nebenhandlung an diesem heutigen „Hof“ zusätzliches Profil zu verleihen und für das Setting in diesem heruntergekommenen Zentrum der Macht Interesse zu wecken. Herbert Murauer hat in seinem Einheitsbühnenbild, das sich nur durch eine transparente Acrylglaswand unterteilen ließ, eine Art Lounge eingerichtet, schmucklos, nüchtern, mit ein paar Ledersesseln ausstaffiert. Die Tapeten sind schon leicht modrig geworden, die grauen Businessanzüge und die strengen Deux-pièces der Damen hingegen sind von eiskaltem Chic. Loy nun lässt auch den jungen Nachfolger Elisabettas auftreten, von Anfang an spielt James I. (Sohn von Elisabettas einstiger Gegenspielerin und Konkurrentin um den englischen Thron, Maria Stuart) mit. Staunend und immer strärker fasziniert betrachtet er die Intrigen am Hof, bis er am Ende dann aktiv eingreift, Sara befreit und es so zur letzten Konfrontation der Rivalinnen um Robertos Liebe kommen lässt, welche schließlich zu Elisabettas Wahnsinn und ihrer Abdankung zu Gunsten von James I. führen. Auch bei James I. entdeckt Loy eine schwule Seite (wie auch bei Lord Cecil, der dem jungen König von Anfang an schmeichelt und ihm das Gesicht streichelt). Wenn James den blutüberströmten Devereux anhimmelt, oder den Tod von dessen Pagen betrauert, ist das dann schon sehr klug und einfühlsam inszeniert – und von Philipp Moschitz ganz vortrefflich gespielt.
Spannend und einfühlsam dirigierte auch Friedrich Haider, holte die Holzbläserstimmen des Bayerischen Staatsorchesters wunderbar hervor und machte das beste aus Donizettis doch eher einfach gestrickten Behandlung des Orchesters.
Natürlich gab es dann Jubel und Blumen (ein riesiger Rosenstrauß wurde aus einer oberen Proszeniumsloge „abgeseilt“) für Edita Gruberova – ein szenischer Abschied für mich (für die Münchner folgen ja noch zwei Vorstellungen) von einer großen Künstlerin, die ich seit Mitte der Achtzigerjahre öfters in Zürich und in Berlin erleben durfte. BRAVA und DANKE, Edita!
Inhalt:
London, 1601
Vorgeschichte: Roberto Devereux, Günstling Königin Elisabeths I. wartet in London auf seinen Prozess wegen Hochverrats, da er auf eigene Faust einen Waffenstillstand mit irischen Aufständischen geschlossen hatte und Adlige in London zum Aufstand angestiftet hatte.
Oper:
Sara, die Herzogin von Nottingham, liebt den engsten Freund ihres Gatten, Roberto Devereux. Königin Elisabeth tritt ein und gesteht Sara, dass sie Roberto in einer Privataudienz empfangen wolle, wenn sie nicht an seiner Treue zu zweifeln habe. Dass sie ihre intimen Gefühle einer Rivalin offenbart, weiss sie natürlich nicht. Jedenfalls weigert sie sich, Robertos Todesurteil zu unterzeichnen. Doch bei der Begegnung mit Roberto verplappert sich dieser und spricht von seiner Liebe zu Sara. Elisabeth ist ausser sich vor Wut. Robertos Todesurteil scheint besiegelt. Der Herzog von Nottingham seinerseits weiss nicht um die Gefühle seiner Frau und erzählt Roberto, dass seine Frau an einem geheimen Kummer dahinwelke. Roberto trifft auf Sara. Er ist enttäuscht, dass sie sich mit Nottingham vermählt hatte. Sara ihrerseits wirft ihm Untreue vor, da er den Günstlingsring der Königin trage. Roberto wirft den Ring auf den Tisch, dafür bekommt er von Sara einen blauen Schal als Liebespfand.
Der Secretary of State, Lord Cecil, verkündet Robertos Todesurteil. Bei der Verhaftung Robertos findet man einen blauen Schal. Die Königin konfrontiert Roberto mit dem blauen Schal. Nottingham ist ebenfalls zugegen, erkennt den Schal seiner Gemahlin und stürzt sich auf Roberto. Die Königin unterzeichnet das Todesurteil. Roberto Devereux schweigt.
In einem letzten Brief an Sara bittet Roberto sie, der Königin den Günstlingsring zu bringen und damit sein Leben zu retten. Nottingham entreisst Sara den Brief und sperrt sie ein, bis das Urteil gegen Roberto vollstreckt sei. Roberto hofft im Gefängnis auf Saras Mission. Er wird jedoch von den Wächtern zum Richtblock geführt. Sara gelingt es doch noch, zur Königin vorzudringen, gibt ihr den Ring und gesteht, die Rivalin der Königin zu sein. Elisabeth ordnet einen Aufschub der Hinrichtung an – zu spät. Nottingham triumphiert darüber, dass der Liebhaber seiner Gemahlin tot sei. Elisabeth lässt beide abführen. Sie ist allein. In einer Schreckensvision erscheint ihr der enthauptete Roberto. Sie erklärt ihren Verzicht auf den Thron, übergibt die Insignien der Macht ihrem Neffen James, König von Schottland, und bricht, Robertos Ring an die Lippen gepresst, ohnmächtig zusammen.
Werk:
Unter allerschwersten persönlichen Umständen komponierte Donizetti seine (je nach Zählweise) ungefähr 57. Oper: Seine Eltern waren ein Jahr zuvor gestorben, seine Frau brachte ein totes Kind zur Welt, ein weiteres starb bei der Geburt und schliesslich starb auch seine junge Gemahlin drei Monate vor der Uraufführung der Oper. Der Librettist Cammarano sah sich zudem Plagiatsvorwürfen ausgesetzt, da Felice Romani ein Libretto über den CONTE D'ESSEX für Mercadante geschrieben hatte und Cammarano diesem anscheinend sehr genau folgte. ROBERTO DEVEREUX gilt als Musterbeispiel einer italienischen historischen Oper. Donizetti hatte zuvor schon zwei vom Inhalt und Ablauf her ähnliche Königinnen—Tragödien komponiert, nämlich ANNA BOLENA und MARIA STUARDA. Er konzentrierte sich dabei ganz auf das Aufeinanderprallen der Charaktere und die Ausrichtung der Konflikte der vier Protagonisten untereinander (äusserst anspruchsvolle Partien für Elisabeth, Sara, Nottingham und Roberto) und verzichtete auf „romantische“ Stimmungsschilderungen. Der Chor ist ganz auf passive Kommentierung reduziert, die Nebenfiguren dürfen Stichworte zur Erklärung der Handlung liefern. Die beiden Szenen am Ende des dritten Aktes gehören zu Donizettis eindringlichsten Kompositionen: Robertos flehende Kerkerszene und Elisabeths virtuose Schlussarie mit der halsbrecherischen Cabaletta, welche von einem hoch spannenden und expressiven Lamento eingeleitet wird.
Mit dieser quasi historisierenden Kammeroper war es Donizetti gelungen, ein Werk zu schreiben, welches den später von Verdi erhobenen Anspruch, nämlich die „musikalische ausgedrückte Wahrheit des Gefühls“, auf geradezu überwältigende Art vorwegnahm.
Musikalische Höhepunkte:
All'afflitto è doce il pianto, Romanze der Sara, Akt I
L'amor suo m fe'beata – Ah!ritorna, Cavatine und Arie der Elisabetta, Akt I
Donna reale, Duett Roberto-Elisabetta, Akt I
Da che tornasti, Duett Roberto-Sara, Akt I
Ecco l'indegno, Terzett und Finale Elisabetta-Roberto-Nottingham, Akt II
A te dirò...Bagnato il sen di lagrime, Arie des Roberto, Akt III
Vivi, ingrato ... Quel sangue versato, Aria finale, Akt III