Zürich, Opernhaus: UN BALLO IN MASCHERA; 08.12.2024
Mit Charles Castronovo als Riccardo, Erika Grimaldi als Amelia, George Petean als Renato, Katharina Konradi als Oscar und Agnieszka Rehlis als Ulrica, musikalische Leitung Gianandrea Noseda, Inszenierung: Adele Thomas
Oper in drei Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Antonio Somma, nach Eugène Scribe | Uraufführung: 17. Februar 1859 in Rom | Aufführungen in Zürich: 8.12. | 11.12. | 14.12. | 17.12. | 21.12. | 28.12.2024 | 5.1. | 10.1. | 15.1. | 19.1. 2025
Kritik:
È UN BALLO IN MASCHERA - SPLENDIDISSIMO
Mit diesen Worten überbringt der Page Oscar im dritten Aufzug dem sich mitten in der Ehekrise befindenen Paar Renato und Amelia die Einladung zum Maskenball des Gouverneurs (und - zumindest in der konkreten Handlung, weniger in Gedanken - keuschen Liebhabers Amelias) Riccardo. Damit verspricht der quirlige Page nicht zu viel: Splendidissimo ist nicht nur der finale Maskenball in der berauschenden, an die Pariser Bälle zur Zeit des dritten Napoléon angelehnten Choreografie von Emma Woods geraten, sondern die gesamte Neuproduktion von Verdis meisterhafter Oper UN BALLO IN MASCHERA in der Regie von Adele Thomas am Opernhaus Zürich ist von überragender Grossartigkeit - und Stimmigkeit!
Das Inszenierungsteam der Regisseurin Adele Thomas (die wunderbar träfe Ausstattung entwarf Hannah Clark, Franck Evin steuerte das atmosphärisch passende Lichtdesign bei) verortet die Handlung in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Riccardo ist gerade zum Gouverneur von Boston gewählt worden, die Nutzung der Elektrizität steckt in den Kinderschuhen, oftmals flackern die Lampen (wie ein Art running gag, wenn Unheil droht), einmal werden auch die filmischen Effekte des Zoetrops eingesetzt. Adele Thomas lehnt also die Handlung an die Fassung der römischen Uraufführung des Werks an, in welcher die Oper nicht einen Königsmord auf der Bühnen zeigen durfte und Verdi und sein Librettist Antonio Somma die Geschichte nach Neuengland verlegten. (Scribe hatte ja in seinem ursprünglich für Rossini vorgesehenen Libretto, das vor Verdi bereits von Auber vertont worden war, den Mord am schwedischen König Gustav III. zum Thema gemacht). Hannah Clark hat für diese Zürcher Produktion nun einen runden Pavillon auf die Drehbühne gestellt, der als Operationssaal für die Autopsie des ermordeten Riccardo während der Ouvertüre dient, als Senatssaal für das erste Bild des ersten Aufzugs, als mit grünen Samtvorhängen dekoriertes Zimmer des Okkultismus im zweiten Bild von Akt I. Im zweiten Akt dann bildet die geschlossene Rückwand des Pavillons die Szenerie zur verruchten Gegend am Galgenberg, eine einsame Wandlampe imitiert den Mond, leichte Mädchen, ein Freier und eine Randständige illustrieren die Atmosphäre des leicht Unheimlichen des Bildes. Im ersten Bild des dritten Aktes sind wir im wunderbar stimmig tapezierten und möblierten Salon im Hause Renatos, danach singt Riccardo seine grosse Szene und Arie Ma se m'è forza perderti vor dem geschlossenen, von der Rampe aus von unten beleuchteten roten Vorhang (ganz im Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts). Zum Schluss dann dreht sich der nun wie ein Karussell beleuchtete Pavillon zum fatalen Geschehen während des Maskenballs. Die zehn Tänzerinnen und Tänzer (Jessica Falceri, Sara Peña, Sara Pennella, Noa Joanna Ryff, Chiara Viscido, Cristian Alex Assis, Pietro Cono Genova, Davide Pillera, Daniele Romano, Roberto Tallarigo) in elegantem Frack und dezent pastellfarbenen Cul-de-Paris-Roben begeistern mit akrobatischen Can-Can-Einlagen. Der Can-Can feiert bereits im ersten Bild Urständ: Wenn die politische Entourage Riccardos beschliesst, der Wahrsagerin Ulrica einen Besuch abzustatten und in ein grotesk-komisches Finale einstimmt. Das ist ungeheuer genau passend zu der Musik Verdis umgesetzt, die immer wieder in hüpfende, punktierte Komik an der Grenze zur Groteske umschlägt. Mit stupender Genauigkeit der Personenführung setzt die Regisseurin Adele Thomas auch die Szene bei der Wahrsagerin um: Die zur Hysterie neigenden Damen der damaligen Aristokratie scharen sich rund um den Tisch mit der grünen Decke und der Kristallkugel darauf, das mockierende Gebaren der als Seeleute verkleideten Politiker mit Riccardo, das alles ist von bestechender Lebendigkeit erfüllt. Um diese Lebendigkeit zu erreichen, braucht es natürlich Sängerdarsteller*innen, welche nicht nur ihre stimmlichen Schönheiten präsentieren wollen, sondern sich auch auf das zum Teil turbulente Spiel einzulassen vermögen. Der Riccardo von Charles Castronovo macht das mit herausragender Glaubwürdigkeit: Ein blendend aussehender, aufstrebender Politiker (Adele Thomas erwähnt im Programmheft die Kennedys) mit durchaus lebenslustigen Seiten. Sein angenehm dem Ohr schmeichelnd und warm timbrierter, ganz leicht eingedunkelter Tenor meistert die Partie mit Bravour. Der Sänger glänzt mit jugendlich-erfrischendem, burschikosem Spiel (ganz herrlich in der Szene bei Ulrica) und eindringlicher Mimik. Erika Grimaldi gelingt ein fabelhaftes Rollendebüt als Amelia: Ihr leuchtender Spinto-Sopran setzt Glanzlichter in der Höhe (manchmal - wohl sicherheitshalber - etwas zu laut) und berührt mit bewegend geäusserten Zweifeln, emotionaler Verwirrung und - vor allem in der Arie im dritten Akt Morrò, ma prima in grazia - mit bewegender Eindringlichkeit. Das grosse Liebesduett im zweiten Akt zwischen Charles Castronovo und Erika Grimaldi schraubt sich in begeisternder, Gänsehaut erregender Emphase hoch. WOW! George Petean zeigt in der Rolle des Renato erneut, dass er derzeit zu den führenden Baritonen im italienischen Repertoire des 19. Jahrhunderts zählt. Seine Stimme strömt mit warmer, aber zu eindringlichen dramatischen Akzenten fähiger Tongebung, von seiner den Gouverneur lobpreisenden Auftrittsarie im ersten Akt Alla vita che t'arride bis zur seiner bitteren Enttäuschung über ebendiesen Freund bewegend Ausdruck verleihenden Arie Eri tu che macchiavi quell'anima. Grandios! Katharina Konradi gestaltet die Hosenrolle des quirlig-naiven Oscars mit erfrischender Agilität, glockenreinem Ziergesang, Spritzigkeit und lebhafter, szenischer Präsenz. Wunderbar! Agnieszka Rehlis, die in Adele Thomas' Inszenierung von IL TROVATORE bereits als Azucena begeistert hatte, gelingt mit ihrer Interpretation der Ulrica mit ihren düsteren Prophezeiungen und den Anrufungen der dunklen Mächte ein unter die Haut gehendes musikalisches Erleben der Faszination des Okkulten. Die beiden Verschwörer Samuel und Tom werden von Brent Michael Smith und Stanislav Vorobyov mit augenzwinkernden, parodistischen Akzenten versehen - genau so, wie Verdi sie musikalisch gezeichnet hat. Steffan Lloyd Owen singt einen auch stimmlich muskulösen Silvano im Ulrica-Bild und Martin Zysset gestaltet eine gelungene Karikatur des rassistischen, konservativen Richters - von deren Sorte es auch heute noch einige gibt. Gianandrea Noseda entlockt in seinem Dirigat der wunderbar spritzig aufspielenden Philharmonia Zürich genau diesen für den BALLO IN MASCHERA so typischen Mischklang aus karikierender Groteske und empathischer Opern-Romantik. Da wird das fugiert-komische Verschwörermotiv genauso sorgfältig herausgearbeitet wie die Emphase in den Arien und dem grossen Duett, und der so herrlich aufblühende Kulminationspunkt im Finale Cor si grande e generoso, mit der über dem stimmstarken Chor der Oper Zürich (Einstudierung: Janko Kastelic) und den Männerstimmen aufblühenden Kantilene der Amelia gerät zum Weinen schön. Auch in diesem Schlussbild zeigt sich, wie genau Adele Thomas mit den Protagonisten gearbeitet hat: Der Blick, den Amelia ihrem mörderischen Gemahl Renato zuwirft, nachdem in der Hand des sterbenden Gouverneurs das Beweisstück entdeckt worden ist, dass die Liebe zwischen ihr und Riccardo keusch war und auch so bleiben sollte, wird für immer im Gedächtnis haften bleiben. Die Sorgfalt, mit der Adele Thomas den Text interpretiert hat, ist wirklich bestechend. Ich bin wahrlich kein Freund von bebilderten Ouvertüren, aber wie Adele Thomas die Autopsie des Ermordeten so punktgenau auf die Musik umgesetzt hat, wie der Eröffnungschor mit den Worten Posa in pace, a' bei sogni ristora quasi ein Requiem intoniert (obwohl es ja Morgen ist und alle auf den Grafen warten) und wie dann mit Oscars S'avanza il Conte! der Ermordete sich vom OP-Tisch erhebt und die eigentliche Opernhandlung beginnnt, das hat schon was! Wahrlich meisterhaft, wie makabere Komik, Satire und tiefe Gefühle unter einen Hut gebracht werden. Man kann sich gut vorstellen, dass Verdi und Somma nach dem ganzen Theater mit der neapolitanischen und der römischen Zensur zu diesem grossen Abend des Opernhauses Zürich wohl im Himmel verschmitzt schmunzeln!
Wer sich vertieft mit Verdis Kampf mit der Zensur beschäftigen möchte, dem empfehle ich die lohnenswerte Lektüre des informativen Essays EINE FRAGE DER SOUVERÄNITÄT von Herbert Büttiker auf roccosound.ch/www.roccosound.ch/Startseite.html
Da kann man diesen informativen Text als PDF herunterladen!
Werk:
UN BALLO IN MASCHERA stellt den Höhepunkt von Verdis mittlerer Schaffensperiode dar, welche mit der Trias RIGOLETTO/TRAVIATA/TROVATORE begonnen hatte. Zum letzten Mal musste sich Verdi im Entstehungsprozess mit der Zensurbehörde herumschlagen. Neapel, das damals noch von den Bourbonen regiert wurde, lehnte das Werk in dieser Form ab, da ein Königsmord auf offener Bühne unvorstellbar war. Verdi akzeptierte die entstellenden Auflagen nicht und schwor, nie wieder eine Oper für Neapel zu schreiben. Rom nahm zwar die Aufführung an, verlangte aber eine Verlegung der Handlung. So wurde aus dem schwedischen König ein Gouverneur in Boston. Erst im 20. Jahrhundert setzte sich die Gepflogenheit durch, das ursprünglich vorgesehene, historische Personal zu verwenden, also König Gustav III. von Schweden, Graf Anckarström als Freund und Mörder des Königs und die Verschwörer Horn und Ribbing.
Musikalisch verharrt Verdi zwar noch bei der traditionellen Nummernoper, doch sind die einzelnen Szenen erfüllt mit musikdramaturgischem Sinn, raffinierten tonartlichen Bezügen und begleitet von Erinnerungsmotiven mit grossem Wiedererkennungswert (Liebes-, Verschwörer-, Todesmotiv). Verdis Orchestersatz steuert mit subtil gesetzten Phrasen, dem Hervorheben von einzelnen Instrumenten (Celli, Englischhorn) und klanglicher Pracht zum gewinnenden und berührenden Gesamteindruck der Oper bei. Vor Verdi vertonten bereits Auber und Mercadante den Stoff.
Inhalt:
Riccardo, Gouverneur in Boston plant einen Maskenball. Sein Page Oscar überreicht ihm die Liste der Gäste. Riccardo entdeckt darauf auch seine heimliche Geliebte Amelia, die Frau seines treuesten Freundes Renato. Dieser warnt Gustav vor Verschwörern des Adels. Ein Richter tritt ein und verlangt die Verurteilung einer Wahrsagerin (Ulrica), welche vor der Stadt ihre Hexenkünste vollführe. Oscar setzt sich für sie ein. Ricardo beschliesst, als Fischer verkleidet das Tun der Dame zu überprüfen.
Amelia tritt auf. Sie sucht Hilfe zur Überwindung ihrer Gefühle für Gustav, da ihre puritanische Einstellung den Ehebruch nicht zulässt. Ulrica empfiehlt ihr (belauscht von Riccardo), Kräuter um Mitternacht auf dem Galgenberg zu pflücken. Gustav lässt sich die Zukunft voraussagen. Nach einigem Zögern verkündet ihm Ulrica seine baldige Ermordung durch denjenigen, der ihm als nächster die Hand reichen wird. Es ist dies Renato. Ulrica wird verspottet, da sich niemand vorstellen kann, dass ausgerechnet der treueste der Treuen seinen Herrn ermorden wird.
Um Mitternacht trifft Gustav Amelia auf dem Galgenberg. Sie gestehen sich ihre Liebe. Da tritt Rento hinzu. Riccrdo verschwindet. Amelia verhüllt sich, doch als sie und ihr Gatte den Verschwörern Horn und Ribbing begegnen, fällt ihr Schleier. Renato fühlt sich von Gustav betrogen und schwört Rache. Er schliesst sich den Verschwörern an, wird auserkoren, den Anschlag zu verüben. Riccardo will Amelia entsagen und die Eheleute Amelia und Renato nach England schicken. Rento entlockt Oscar die Verkleidung des Königs beim bevorstehenden Maskenball. Der Anschlag gelingt. Sterbend zeigt der Gouerneur seinem Mörder den Erlass und verzeiht ihm. Ulricas Prophezeiung hat sich erfüllt.
Musikalische Höhepunkte:
La rivedro nell'estasi, Riccardo, Akt I/1
Volta la terrea, Oscar, Akt I/1
Re dell'abisso, Ulrica, Akt I/2
Di'tu se fedele, Riccardo Akt I/2
Ecco l'orrido campo, Amelia, Akt II
M'ami,m'ami, Duett Riccardo-Amelia, Akt II
Morrò, ma prima in grazia, Amelia, Akt III
Eri tu, Renato, Akt III
Ma se m'è forza perderti, Riccardo, Akt III
Saper vorreste, Oscar, Akt III
Ella è pura, Finale Akt III
Meine bisher besuchten Aufführungen von UN BALLO IN MASCHERA am Opernhaus Zürich:
1972
ML: Santi Nello, Inszenierung: Kelch Werner; Amelia: Illes Eva, Riccardo: Peterson Glade, Renato: Nurmela Kari. Ulrica: Smith Carol, Oscar: Koromantzou Maria Despina
1973
Santi/Kelch; Amelia: Sgourda Antigone, Riccardo: Morel Barry, Renato: Nurmela Kari, Ulrica: Vernon Lyn, Oscar: Koromantzou Maria Despina
22.3.1989
ML: Weikert Ralf, Inszenierung: Hampe Michael; Amelia: Guleghina Maria, Riccardo: Araiza Francisco, Renato: Agache Alexandru, Ulrica: Gijevang Anne, Oscar: Margaret Chalker
8.12.1989
Weikert/Hampe; Amelia: Kazarnovskaya Lyubow, Riccardo: Bello Vincenzo, Renato: di Marco Mario, Ulrica: Gjevang Anne, Oscar: Chalker Margaret
25.4.2011
ML: Santi Nello, Inszenierung: Pountney David; Amelia: Cedolins Fiorenza, Riccardo: Beczala Piotr, Renato: Stoyanov Vladimir, Ulrica: Naef Yvonne, Oscar: Guo Sen
8.12.2012
Santi/Pountney; Amelia: Serjan Tatjana, Riccardo: Vargas Ramon, Renato: Markov Alexey, Ulrica: Naef Yvonne, Oscar: Guo Sen