St.Gallen: UN BALLO IN MASCHERA, 28.01.12
Oper in drei Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Antonio Somma, nach Eugène Scribe | Uraufführung: 17. Februar 1859 in Rom | Aufführungen in St.Gallen: 28.1. | 31.1. | 5.2. | 7.2. | 12.2. | 3.3. | 14.3. | 16.3. | 21.3. | 12.4.2012
Kritik:
Kraftvoll, sinnlich und ungemein emotional berührend ist sie, die Musik, welche Giuseppe Verdi zum Drama des der Liebe entsagenden Königs Gustav III. schrieb. Damit macht er es den heutigen Regisseuren nicht einfach, das Werk auf die Bühne zu bringen. Denn eine 1:1 Inszenierung, ein genaues Nacherzählen der tragischen Handlung mit echter Empathie für die unterschiedlichen Dilemmata der Gefühle in opulenten Bildern scheint bei den Intendanten zur Zeit mehrheitlich unerwünscht zu sein. Über Verdis Theaterkönig legt sich auch der Schatten der historischen Figur: War der absolutistische Monarch nun hetero-, homo-, bi- oder gar asexuell? Litt er an ödipalen Komplexen? Zerbrach er innerlich an den Anspruchshaltungen, welche die Öffentlichkeit an einen Würdenträger hegt und diesen dann auch wankelmütig fallen lässt, wenn auch nur Schatten eines Skandals auftauchen? Solche an sich interessante Fragen stellt sich Regisseur Jim Lucassen zu Recht im Programmheft und versucht in seiner Inszenierung die Konstellation analytisch-sezierend zu ergründen. Dazu verlegt er das Geschehen in einen sterilen, drehbaren Hörsaal eines Anatomiegebäudes (diese nackte Bühnenkontruktion, auf deren Rückseite das Ehepaar Anckarström in einem unfertigen Pressspan Häuschen sein Leben darbt, hat der Regisseur selbst entworfen, die dunklen Anzüge der Herren und die mausgrauen Kleider der Damen stammen von Magali Gerberon). Doch zur stringenten Umsetzung dieser bedenkenswerten Ansätze fehlte es dem Regisseur dann irgendwie doch an Mut und Radikalität. So blieb die Inszenierung auf halber Strecke stecken, schnell verlor man trotz abwechslungsreicher und zum Teil wirklich erhellender Personenführung das Interesse an der eigentlichen Handlung und den die Personen bewegenden Gefühlen und konzentrierte sich lieber auf die musikalische Seite. Denn diese bescherte dem Publikum einen Verdi-Genuss allererster Güte! Der zukünftige GMD der Komischen Oper Berlin, Henrik Nánási, und das Sinfonieorchester St.Gallen entlockten Verdis genialer Partitur alles an Farbe, Dramatik und Emotion, was man auf der Bühne so schmerzlich vermisste. Unaufgeregt, nie hastend und doch die aufrüttelnden Akkorde, Crescendi und bedrohlichen Begleitfiguren präzise setzend, erklang aus dem Graben eine packende musikalische Sprache. Hector Sandoval als Gustavo brachte für die Rolle alles Erforderliche mit: Eine sichere, strahlkräftige Höhe, eine differenzierte Gestaltungskraft in den Liebes-, Entsagungs-, Sterbens- und Abschiedsszenen und viel humoristisches Talent in den theatralischen ersten zwei Bildern. Bei der Amelia von Katia Pellegrino mochte man kaum glauben, dass es sich um ein Rollendebüt handelte. Ihre frauliche, körperreiche und fantastisch aufblühende Sopranstimme war ein Ereignis für sich, eine Amelia, wie man sie sich ergreifender kaum vorstellen kann. Bei ihr kam auch die Farbdramaturgie der Kostümierung sehr eindrücklich zur Geltung: Einerseits hob sie sich mit ihrem Rot aus der grauen Masse der Frauen ab, andererseits war das rote Kostüm auf der einen Seite schon angegraut und am Ende trat sie dann auch wie die übrigen Damen in der Farbe auf, in der ihr Leben nun nach dem Tod des Angebeteten sein wird – mausgrau. Sehr schön herausgearbeitet war von der Regie her auch die Projektion ihrer Liebe zu Gustavo auf ihren Sohn, den sie immer gleich eingekleidet haben wollte wie den König. Oscar war hier für einmal kein androgyner Page, sondern eine resolute Sekretärin, natürlich im grauen Hosenanzug. Unter diesem Outfit versteckte sich jedoch eine quicklebendige, zu allerlei Spässen (Schiesserei mit Spielzeugwaffen) aufgelegte Dame, welche gar mit akrobatischen Einlagen (Rad schlagen) brillieren konnte: Alison Trainer sang sie mit kokett perlender Stimme. Mit hell und doch markant männlich timbriertem Bariton und fantastischer Phrasierung gestaltete Luca Grassi den Ehemann Amelias, Renato, welcher vom engsten Freund des Königs zum hasserfüllten Rächer wird. In seiner grossen Arie Eri tu gelang es ihm alle Emotionen der verlorenen Freundschaft und des Verlustes an Vertrauen zu durchschreiten, auch hier unterstützt von der wunderbar einfühlsam austarierten Begleitung durch den Dirigenten und das Orchester. Die Wahrsagerin Ulrica (stimmlich hervorragend Liuba Sokolova mit ihrem bedrohlich dunklen Timbre und der sauberen Linienführung, welche ohne brustiges Pressen und Röhren auskam) durfte quasi als spiritus rector in samtenem Aubergine durch die Aufführung geistern: Im ersten Bild schob sie den mental ramponierten König auf dem Seziertisch in den Hörsaal und warf ihn den steifen Studenten zum Frass vor, im zweiten Bild richtete sie die Männer der mausgrauen Damen zu gefügigen Hündchen ab und im zweiten Akt drapierte sie Amelias fatalen Schleier über eine Stuhllehne. Auch hier wurde nicht ganz schlüssig, was das denn soll: Das Übersinnliche als Teil der Wissenschaft? Die Verschwörer Horn und Ribbing bekamen von der Regie her wenig Profil, hoben sich wohl absichtlich kaum heraus aus der grauen Masse. Wade Kernot und Andrzej Hutnik vermochten dagegen stimmlich sehr zu gefallen, genauso wie David Maze als zunächst an den Rollstuhl gefesselter Christiano.
Der abschliessende Maskenball konnte in diesem Bühnenbild natürlich nicht stattfinden. Die Studenten setzten sich bloss goldene Masken des Sonnengottes auf, die Frauen einen Brautschleier. Lustlos, beinahe spastisch bewegte sich der sehr prägnant singende Chor des Theaters St.Gallen – und doch bekam man Gänsehaut, nämlich durch die sich himmlisch zum C aufschwingende und alle überstrahlende finale Phrase der Amelia von Katia Pellegrino. Ein versöhnlicher Abschluss eines überaus zwiespältigen Abends.
Im Verlauf der Aufführungsserie werden auch Katja Starke (Ulrica), Angela Fout (Amelia), Paolo Gavanelli (Renato), Simone Riksman (Oscar), Derek Taylor (Gustavo) und Jeremy Carnall (Dirigat) zu erleben sein.
Werk:
UN BALLO IN MASCHERA stellt den Höhepunkt von Verdis mittlerer Schaffensperiode dar, welche mit der Trias RIGOLETTO/TRAVIATA/TROVATORE begonnen hatte. Zum letzten Mal musste sich Verdi im Entstehungsprozess mit der Zensurbehörde herumschlagen. Neapel, das damals noch von den Bourbonen regiert wurde, lehnte das Werk in dieser Form ab, da ein Königsmord auf offener Bühne unvorstellbar war. Verdi akzeptierte die entstellenden Auflagen nicht und schwor, nie wieder eine Oper für Neapel zu schreiben. Rom nahm zwar die Aufführung an, verlangte aber eine Verlegung der Handlung. So wurde aus dem schwedischen König ein Gouverneur in Boston. Erst im 20.Jahrhundert setzte sich die Gepflogenheit durch, das ursprünglich vorgesehene, historische Personal zu verwenden, also König Gustav III. von Schweden, Graf Anckarström als Freund und Mörder des Königs und die Verschwörer Horn und Ribbing.
Musikalisch verharrt Verdi zwar noch bei der traditionellen Nummernoper, doch sind die einzelnen Szenen erfüllt mit musikdramaturgischem Sinn, raffinierten tonartlichen Bezügen und begleitet von Erinnerungsmotiven mit grossem Wiedererkennungswert (Liebes-, Verschwörer-, Todesmotiv). Verdis Orchestersatz steuert mit subtil gesetzten Phrasen, dem Hervorheben von einzelnen Instrumenten (Celli, Englischhorn) und klanglicher Pracht zum gewinnenden und berührenden Gesamteindruck der Oper bei.
Vor Verdi vertonten bereits Auber und Mercadante den Stoff.
Inhalt:
König Gustav plant einen Maskenball. Sein Page Oscar überreicht ihm die Liste der Gäste. Gustav entdeckt darauf auch seine heimliche Geliebte Amelia, die Frau seines treuesten Freundes Anckarström. Dieser warnt Gustav vor Verschwörern des Adels. Ein Richter tritt ein und verlangt die Verurteilung einer Wahrsagerin (Ulrica), welche vor der Stadt ihre Hexenkünste vollführe. Oscar setzt sich für sie ein. Gustav beschliesst, als Fischer verkleidet das Tun der Dame zu überprüfen.
Amelia tritt auf. Sie sucht Hilfe zur Überwindung ihrer Gefühle für Gustav, da ihre puritanische Einstellung den Ehebruch nicht zulässt. Ulrica empfiehlt ihr (belauscht von Gustav), Kräuter um Mitternacht auf dem Galgenberg zu pflücken. Gustav lässt sich die Zukunft voraussagen. Nach einigem Zögern verkündet ihm Ulrica seine baldige Ermordung durch denjenigen, der ihm als nächster die Hand reichen wird. Es ist dies Anckarström. Ulrica wird verspottet, da sich niemand vorstellen kann, dass ausgerechnet der treueste der Treuen seinen Herrn ermorden wird.
Um Mitternacht trifft Gustav Amelia auf dem Galgenberg. Sie gestehen sich ihre Liebe. Da tritt Anckarström hinzu. Gustav verschwindet. Amelia verhüllt sich, doch als sie und ihr Gatte den Verschwörern Horn und Ribbing begegnen, fällt ihr Schleier. Anckarström fühlt sich von Gustav betrogen und schwört Rache. Er schliesst sich den Verschwörern an, wird auserkoren, den Anschlag zu verüben. Gustav will Amelia entsagen und die Eheleute Anckarström nach England schicken. Anckarström entlockt von Oscar die Verkleidung des Königs beim bevorstehenden Maskenball. Der Anschlag gelingt. Sterbend zeigt der König seinem Mörder den Erlass und verzeiht ihm. Ulricas Prophezeiung hat sich erfüllt.
Musikalische Höhepunkte:
La rivedro nell'estasi, Gustav, Akt I/1
Volta la terrea, Oscar, Akt I/1
Re dell'abisso, Ulrica, Akt I/2
Di'tu se fedele, Riccardo Akt I/2
Ecco l'orrido campo, Amelia, Akt II
M'ami,m'ami, Duett Gustav-Amelia, Akt II
Morrò, ma prima in grazia, Amelia, Akt III
Eri tu, Anckarström, Akt III
Ma se m'è forza perderti, Gustav, Akt III
Saper vorreste, Oscar, Akt III
Ella è pura, Finale Akt III