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Zürich, Opernhaus: CLARA, Ballett; 11.10.2024

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Cathy Marston

Copyright aller Bilder des Balletts CLARA: Carlos Quezada, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Uraufführung des neuen Handlungsballetts von Cathy Marston

Musik: Philipp Feeney arrangierte Kompositionen von Clara und Robert Schumann und Johannes Brahms und fügte eigene Originalkompositionen bei; mit Ragna Schirmer konnte eine ausgewiesene Kennerin des Werks von Clara Schumann-Wieck als Pianistin gewonnen werden | Szenarium: Cathy Marston und Edward Kemp | Uraufführung: 11. Oktober 2024 in Zürich | Weitere Aufführungen in Zürich: 15.10. | 20.10. | 27.10. (2 Aufführungen) | 30.10. | 2.11. | 3.11. | 9.11. | 10.11. und 15.11.2024

Kritik:

Zu Beginn ihres zweiten Jahres als Direktorin des Balletts Zürich zeigt Cathy Marston mit CLARA ihre bisher überzeugendste und stringenteste choreografische Arbeit. Das Szenarium, welches sie zusammen mit Edward Kemp für diese Kreation über das Leben von Clara Schumann-Wieck erarbeitet hat, ist von bezwingender Eindringlichkeit. Und es wird gegenüber ATONEMENT vermehrt wirklich getanzt, blosse statische Pantomime hat keinen Platz mehr in diesem Drama um das Wunderkind, die Künstlerin, die Ehefrau, die Mutter, die Pflegerin, die Managerin und die Muse Clara. Der zwei dreiviertel Stunden dauernde Abend (mit zwei Pausen) stellt eine konsequente Fokussierung auf eine Künstlerin dar, die sich zwischen Fesseln der Konvention, der Liebe, der Gehorsamkeit und dem Freiheitsdrang des genialen Künstlertums aufreibt und schliesslich befreit. Cathy Marston hat dazu die Person "Clara" auf sieben Tänzerinnen aufgesplittet, Nebenfiguren nur dort eingesetzt, wo sie zum Verständnis des Geschehens unabdingbar sind (mit Ausnahme des Geigers Joseph Joachim, getanzt von Pablo Octávio, der als einziger etwas amorph bleibt). Auf jeglichen Bühnenfirlefanz wird verzichtet: Ein stilisierter Teil eines Flügels erhebt sich aus dem Bühnenboden (das wunderbare Bühnenbild wurde von Hildegard Bechtler entworfen), dient als Rückzugsort ins Innere, sowohl für Robert als auch für Clara Schumann. Ein weiteres, mobiles Bühnenelement stellt eine Oktave der Klaviertastatur dar, allerdings mit sieben schwarzen Tasten und dient als Ort der Auftritte und der Beobachtung für die sieben Claras (und für einige Nebenfiguren und Statisten). Diese Aufsplittung auf sieben "Claras" (mit ihrer quasi Dauerpräsenz auf der Bühne ähneln sie einem antiken Chor) bewirkt beim Zuschauer eine gewisse intellektuelle Distanzierung; bei "nur" einer Tänzerin hätte die Gefahr einer zu starken Identifizierung bestanden und das Ballett hätte leicht in den Bereich eines Rührstücks abgleiten können. Das war hier nicht der Fall - aber bewegt war man eben trotzdem. Eine starke Kostümdramaturgie (Bregje van Balen) unterstützt dabei den fesselnden Gesamteindruck zusammen mit der (oftmals mit indirektem und Gegenlichtlicht arbeitenden) Lichtgestaltung durch Martin Gebhardt. Bregje van Balen entwarf für die sieben Claras auf den ersten Blick einheitliche Kostüme mit wadenlangem, weissem, plissiertem unteren Teil und schwarz eingefärbtem Bereich um Schulter und Ausschnitt. Erst auf den zweiten Blick erkennt man die Differenzierung der Claras durch subtile Applikationen auf den Kostümen. Die Männer sind mehrheitlich in Anzüge gesteckt, zum Teil mit Frack. Schumann tritt im ersten Akt in Petrol auf, im zweiten in Aubergine, im dritten natürlich in der weissen Kleidung der Irrenanstalt. Um das Ganze besser verstehen zu können, lohnt sich die Lektüre des exzellent auf die Figurenkonstellation eingehenden Programmbuchs, das viel Aufschlussreiches und Lesenwertes über die Familien Wieck und Schumann und über Johannes Brahms zu bieten hat.

Cathy Marston arbeitet im ersten Akt die häuslichen Gegebenheiten bei der Familie Wieck hervorragend heraus. Da ist der gestrenge, ambitionierte Vater Friedrich Wieck (Esteban Berlanga tanzt ihn mit herrlich raumgreifender Attitüde und Eleganz, das ist absolut sehenswert!), daneben die unter dem ehrgeizigen Mann leidende Mutter Mariane Wieck (Shelby Williams setzt ein empathisches Gegengewicht zur Gefühlskälte ihres Gatten), die Wärme und Geborgenheit ausserhalb ihrer Ehe sucht und mit dem Liebhaber Adolph Bargiel (Joel Woellner) die Familie verlässt. Darunter leidet das Wunderkind Clara (Giorgia Giani) gewaltig - der Familienkonflikt spitzt sich zu und die Choreografie Cathy Marstons ist in diesen Momenten ganz besonders stark! Und natürlich ist da noch die Christel (Francesca dell'Aria), in welche sich der bei Wieck Unterricht nehmende, lebenslustige Robert Schumann (Karen Azatyan) auch gleich verguckt und mit ihr im Bett landet. Aber neben der Lebenslust des brünstigen Jünglings (auch in der rasant choreogrfierten Wirtshausszene), werden ab und an eben auch schon die Schwermut Roberts und seine Selbstzweifel offenbar. Karen Azatyan verkörpert diese gespaltene Seele mit eindringlicher Kraft. Spannungsgeladen und verstörend, wie er wie im Wahn einer der Claras habhaft werden will, die ihn wie Furien umkreisen, mit faszinierender Spitzentechnik entschweben, bevor er eine von ihnen richtig zu fassen kriegt. Am Ende dieses Aktes kommt es zur Vereinigung mit der Künstlerin Clara (Ruka Nakagawa), die beiden drehen sich zum Fallen des Vorhangs.

Im zweiten Akt ist Clara (Nancy Osbaldestan) dann die Ehefrau Schumanns geworden. Zur Melodie eines der bekanntesten Lieder Robert Schumanns, Widmung, sind die beiden ein Herz und eine Seele, produzieren ein Kind nach dem anderen (Clara, die Mutter, wird getanzt von Sujung Lim). Aber neben der Idylle der Grossfamilie werden auch die beruflichen Schwierigkeiten Roberts gezeigt: Insbesondere sein Scheitern als Musikdirektor in Düsseldorf. Wie er da mit Leidenschaft seine vierte Sinfonie dirigiert, doch wegen seiner Wesensart keinerlei Respekt bei den Musikern erreicht, ist grandios choreografiert. McKhayla Pettingill zeigt hier Clara als Managerin, welche versucht, die Situation zu retten. Es folgt der Besuch des 20jährigen Johannes Brahms (ganz wunderbar erfrischend getanzt von Chandler Dalton) im Hause Schumann. Brahms findet sofort grossartigen, spielerischen Kontakt zu den Kindern (was Robert eher abgeht), seine Bewunderung für Robert, die schon beinahe homoerotische Züge annimmt und die Verehrung für Clara (die Künstlerin, die Ehefrau, die Mutter) werden von Marston einfühlsam herausgearbeitet. Doch schon bald folgt der Suizidversuch Roberts und seine auf eigene Initiative erfolgte Einweisung in die Nervenheilanstalt.

Im dritten Akt nun tritt die Muse unter den sieben Claras (Max Richter) in den Vordergrund - sie ist die Inspirationsquelle für den Komponisten Brahms und natürlich Anlass für einen sehr schönen Pas de deux. Stark choreografierte Szenen spielen sich zwischen den Ärzten (Marià Huguet und Wei Chen) und Clara und Robert ab. Die Ärzte verwehren nämlich Clara den Besuch ihres Gatten in der Anstalt in Endenich. Beklemmend anzusehen ist der Tanz Claras mit Brahms, beobachtet von Robert, der sich in seinem Wahn auf dem stilisierten Flügel in Qualen windet, heimgesucht von den sieben Erynnien, die einmal mehr auf Spitzen wie hereingeweht daherkommen und Robert gegen Dämonen kämpfen lassen. Ein intensiv getanzter Pas de trois folgt noch, dann stirbt Robert. Die Claras tragen nun Schwarz, ausser Brahms' Muse. Für den Schluss hat Cathy Marston ein ganz berührendes Bild gefunden: Die sieben Claras stehen auf dem Flügel, halten sich an den Händen, blicken dem toten Robert nach, wechseln die Seite, verbeugen sich Richtung Brahms, lassen dann die Hände los und schreiten zu neuen Ufern, während der Horizont sich öffnet. Roberts Tod ist nicht nur wehmütiger Abschied, sondern auch die Chance Claras, sich endlich selbst zu verwirklichen, als Frau, Mutter und Künstlerin!

Philip Feeney hat für seine Ballettpartitur nur Werke von Robert und Clara Schumann und von Johannes Brahms verwendet und eigene Überleitungen und Füller komponiert. Das ist im Grossen und Ganzen gut gelungen, vor allem der dramaturgisch klug durchdachte Einsatz der Werke ist phänomenal. Als Beispiel sei Schumanns Klavierkomposition "Bunte Blätter" erwähnt, welche im zweiten Akt erklingt, daraufhin hören wir die Variationen von Brahms über dieses Schumann-Thema und im dritten Akt dann werden die Variationen aus der Feder Clara Schumanns über dasselbe Thema aus den "Bunten Blättern" gespielt. Den Schluss macht dann das 1. Klavierkonzert von Brahms, bekanntlich eine Zangengeburt, aber es wäre ohne die Muse Claras wohl undenkbar gewesen.

An manchen Stellen war mir die Partitur Feeneys ein wenig zu dick, zu schwulstig instrumentiert und unter der Leitung von Daniel Capps mit der Philharmonia Zürich zu sehr nach breiigem Hollywood-Sound klingend. Denn die allerstärksten Momente in der Choreografie entwickelten sich, wenn die ausgewiesene Clara-Schumann-Spezialistin und exzellente Pianistin Ragna Schirmer am Flügel im Graben solistisch spielte. Vielleicht hätte man ausschliesslich auf Kammermusik aus der Feder der beiden Romantiker Robert Schumann und Johannes Brahms und der Romantikerin Clara Schumann setzen können, um die Intimität dieses Dramas noch zusätzlich zu unterstreichen.

Auch wenn einige Zuschauer*innen das Haus bereits zu den Pausen verlassen haben (für mich nicht nachvollziehbar), war der Applaus für alle Beteiligten am Ende verdientermassen gross.

Werk und Kurzbiografie von Clara Schumann-Wieck:

In ihrer neuesten Ballettkreation für das Ballett Zürich spürt Cathy Marston dem Zwiespalt zwischen Künstlertum und der Realität des alltäglichen Lebens nach und wählte dafür als Inspirations- und Ausgangspunkt die Biografie von Clara Schumann-Wieck.

Clara Wieck kam im Herbst 1819 als Tochter des Theologen, Klavierlehrers, Klavierfabrikanten und Musikalienhändlers Friedrich Wieck und seiner Gattin Mariane Wieck zur Welt. Mariane erhielt Klavierunterricht bei ihrem späteren Ehemann und war danach als Pianistin und Sängerin aktiv. Die Ehe wurde 1825 geschieden, Clara blieb kurze Zeit bei der Mutter und deren Eltern in Plauen, danach kam sie zusammen mit anderen Geschwistern zurück zum Vater nach Leipzig, während die Mutter mit dem neuen Ehemann nach Berlin zog. Im Alter von fünf Jahren erhielt Clara bereits Klavierunterricht beim Vater, erstellte eigene Accomagnements zu Tänzen und erwies sich als äusserst gelehrige und talentierte Schülerin. Der ambitionierte Vater trieb die musikalische Entwicklung seiner Tochter konsequent voran; sie sollte das Aushängeschild seiner Musikpädagogik werden, von der u.a. später auch Robert Schumann und Hans von Bülow profitierten. Im Alter von nur 9 Jahren trat sie erstmals im Leipziger Gewandhaus auf. Ab dann folgte eine steile Karriere als Konzertpianistin unter der stark fordernden Hand des autoritären Vaters (auch im hohen Alter noch lobte Clara die Methoden ihres Vaters, die jedoch kaum kindgerecht gewesen sein mussten). Clara lernte Goethe kennen, spielte vor und befreundete sich mit Chopin, Paganini, Liszt und Mendelssohn und durfte selbst vor dem Kaiser Ferdinand I. von Österreich spielen. Im Alter von knapp 9 Jahren begegnete sie erstmals Robert Schumann, der bei ihrem Vater Klavierunterricht bekam und ein Jahr lang auch im Hause Wiecks lebte. Wirklich nahe kamen sich Clara und der neun Jahre ältere Robert 1835. Es kam zum ersten Kuss. Der alte Wieck war alles andere als begeistert, verbot Clara den Umgang mit Robert und arrangierte Konzerttourneen, um die beiden von einander fern zu halten. Die beiden konnten sich jedoch heimlich verloben. Ferdinand Wieck lehte den Heiratsantrag Robert Schumanns jedoch entschieden ab, woraufhin Robert beim Gericht Klage einrichte. Trotz Verzögerungstaktiken von Seiten Wiecks gab das Gericht schliesslich Robert Schumann recht und die beiden heirateten am 12. September 1840. Das Eheleben hatte für Clara - trotz ihrer immensen Liebe zu Robert - etwas Desillusionierendes. Er sah es nicht gern, dass sie an ihrer Pianistenkarriere weiterarbeitete. Ihr oblag die Führung des Haushalts und die Erziehung der Kinder. Immerhin hatte sie etwas Zeit, die während der Ausbildung zur Klaviervirtuosin vernachlässigte Bildung nachzuholen. Bald schon jedoch erwies es sich als nützlich, dass sie ihre Konzertauftritte wieder aufnahm, um das bescheidene Haushaltsbudget aufzubessern. Gemeinsam unternahmen die beiden viele Konzertreisen, bis nach St.Petersburg und Moskau. Dabei stand Robert deutlich im Schatten seiner Frau, zumal er an einer Lähmung des Mittelfingers litt. Es folgten Umzüge, zuerst nach Dresden, dann nach Düsseldorf. Weitere Geburten und Fehlgeburten folgten. Trotzdem trat Clara immer wieder auf, unterstützte ihren zunehmend kränklicher (Folgen einer Syphilis) und schwermütiger werdenden Mann wo sie nur konnte. 1853 besuchte der 20jährige Johannes Brahms erstmals das Ehepaar Schumann und spielte ihnen seine Werke vor. Die Schumanns waren hingerissen vom jungen Komponisten - und Brahms von Clara! Robert Schumann wurde 1854 nach einem Suizidversuch in eine Nervenheilanstalt eingeliefert (auf eigenen Wunsch). Clara wurden Besuche untersagt, Brahms und der Geigenvirtuose Joseph Joachim besuchten ihn ein paar Male und berichteten von ganz unterschiedlichen Gemütsverfassungen. Ab 1856 verweigerte Schumann zunehmend die Essensaufnahme. Clara erhielt nun, da das Ende abzusehen war, von den Ärzten die Erlaubnis, Robert zu besuchen. Das war am 27. Juli 1856. Zwei Tage später starb Robert Schumann in der Nervenheilanstalt, ohne dass jemand anwesend gewesen wäre. 

Schon bald nach Roberts Tod siedelte Clara nach Berlin um, die Kinder wurden in Internaten betreut. Sie nahm auch ihre Konzerttätigkeit wieder auf. 1863 siedelte sie nach Baden-Baden um. Dort ging sie eine Beziehung zum Komponisten Theodor Kirchner ein; diese schlug fehl, da Kirchner spielsüchtig war. Clara beendete diese “ungewöhnliche” Freundschaft. Zur selben Zeit musste ihr Sohn Ludwig in eine Irrenanstalt eingeliefert werden. Ludwig war seit seiner Geburt geistig und körperlich zurückgeblieben gewesen. Clara siedelte erneut nach Berlin um. Wegen einer vorübergehenden Lähmung in den Armen, konnte sie einige Zeit nicht konzertieren. In Berlin fühlte sie sich nicht mehr wohl. Da kam eine Anstellung ans Konservatorium in Frankfurt am Main gerade recht. Daneben betreute sie intensiv die Herausgabe der Werke Robert Schumanns, veröffentlichte dessen Schriften und gab Konzerte. Ihr letztes im Alter von 71 Jahren. Danach machte sich zunehmend ein Gehörleiden bemerkbar. Der Kontakt zu Johannes Brahms blieb - mit kurzen Unterbrechungen - auch nach dem Tod Robert Schumanns bestehen, was durch einen ausführlichen Briefwechsel bestätigt ist. 1896 erlitt Clara Schumann-Wieck einen ersten Schlaganfall. Der zweite Schlaganfall wenige Wochen später führt zu ihrem Tod am 20. Mai 1896.

Clara hinterliess zahlreiche eigene Kompositionen, die jedoch vor Robert Schumanns Tod entstanden waren. Danach folgten nur noch ein Weihnachtslied und einige Kadenzen zu Klavierkonzerten von Mozart und Beethoven. Erhalten geblieben sind 23 Werke mit Opuszahl, wobei das Klavierkonzert in a-Moll, op. 7, sicher das bekannteste geblieben ist, sowie ca. 50 zum grossen Teil verschollene Kompositionen ohne Opuszahl.

Karten

 

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