Zürich, Opernhaus: ARIADNE AUF NAXOS, 22.09.2024
Intendant Andreas Homoki eröffnet seine letzte Spielzeit mit seiner Neuproduktion von Strauss' Oper mit Daniela Köhler (Primadonna und Ariadne) und John Matthew Myers (Der Tenor und Bacchus), unter der Leitung von Markus Poschner
Oper in einem Aufzug nebst Vorspiel (2.Fassung) | Musik: Richard Strauss | Libretto : Hugo von Hofmannsthal | Uraufführung: 04. Oktober 1916 in Wien | Aufführungen dieser Neuproduktion in Zürich: 22.9. | 25.9. | 28.9. | 3.10. | 6.10. | 10.10. | 13.10. | 18.10. | 22.10.2024
Kritik:
Noch Intendant Andreas Homoki beweist in seiner letzten Saison Mut: Er wagt sich als Regisseur an ARIADNE AUF NAXOS und löst damit die "Kultinszenierung" an diesem Haus aus dem Jahr 2006 von Claus Guth (im Bühnenbild von Christian Schmidt) ab, die sich immerhin 9 Jahre im Repertoire halten konnte (für Zürich eine lange Zeit, die meisten Inszenierungen verschwinden nach ein bis zwei Saisons). Statt des Interieurs der Zürcher "Kronenhalle" sehen wir nun im Bühnenbild von Michael Levine (Kostüme: Hannah Clark, Licht: Franck Evin) in der Oper ein Doppelbett, das auf einem Orientteppich gleich einer schwimmenden Insel im schwarzen Bühnenraum treibt, sich hebt und senkt und dreht. Nachdem sich die Komödianten um Zerbinetta da ausgetobt haben, gleicht es tatsächlich der "wüsten" Insel, von der bereits im Vorspiel die Rede ist. Bacchus, der junge Gott, liegt im vertikal exakt gespiegelt nachgebauten Schlafzimmer auf der Rückwand. Die Pumps Ariadnes, die umgestürzten Nachttische und Lampen, die zerwühlten Kissen, alles gleich. Also zwei einsame Seelen, die auf identischen Flossen aufeinander zutreiben. Das ist ganz wunderbar stimmig gemacht. Homoki erweist sich hier und im turbulenten Vorspiel in der Theatergarderobe als Meister der Personenführung, bringt viel Komik und Tiefgang in die Handlung, verschmilzt mit grosser Einfühlsamkeit das Komische und das Tragische, weiss die Verwandlung mit und in der Liebe genau herauszuarbeiten - und wieder zu brechen. Unaufhörlich laufen und werkeln die Bühnenarbeiter (ein grosses Lob dem Statistenverein am Opernhaus Zürich!) herum, bleiben auch mal andachtsvoll oder amüsiert stehen, lassen sich von Zerbinetta zu witzigen Varieté-Einlagen verführen oder von melodischen Einfällen des Komponisten rühren. Und da die Oper gemäss den Vorgaben des Haushofmeisters (der legendäre Wiener Bass Kurt Rydl füllt diese Sprechrolle grossartig aus) höchstens eine Stunde dauern darf, beginnen die Bühnenarbeiter bereits während des Schlussgesangs Bacchus-Ariadne mit den herrlichen Einwürfen der Najade, Dryade und des Echos (famos gesungen von Yewon Han, Siena Licht Miller und Rebeca Olvera) mit dem Zusammenrollen des Teppichs und dem Abbau des Schlafzimmers. Denn bereits lässt es Markus Poschner mit der Philharmonia Zürich gewaltig krachen im Graben, das Donnern der Pauken kündet das vom Haushofmeister versprochene Feuerwerk an. Herrlich gemacht, wir sollen am Ende lachen und uns des Lebens freu'n und nicht mit verklärtem Blick auf die beiden einsamen Seelen starren, die sich nun gefunden haben.
ARIADNE AUF NAXOS ist eine Ensembleoper, gerade auch im ersten Teil ein Konversationsstück mit Dialogen und kurzen Ariosi, die mit dem nötigen Witz und mit Spielfreude und selbstredend mit Schöngesang gefüllt werden müssen, um keine Langeweile zu erzeugen. Das alles ist in dieser Zürcher Neuproduktion hervorragend gelungen, das Vorspiel verging wie im Flug und auch in der Oper empfand man keine Note als "zuviel", dank des engagierten Agierens des Ensembles. Beginnen wir mit der Würdigung der kleineren Partien: Da sind manche Stimmen zu vernehmen (von Mitgliedern des IOS), die regelrecht aufhorchen lassen: So der Lakai von Maximilian Bell und der Offizier von Tomislav Jukic. Überragend (einmal mehr) ist Nathan Haller als Tanzmeister! Andreas Homoki hat grosses Gewicht auf die Figur des Komponisten gelegt, die diversen Aggregatszustände von dessen Seele von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt in der Rolle herausgearbeitet, das Entdecken der Liebe (zu Zerbinetta) zum eindringlichen Thema gemacht. Lauren Fagan (Rollendebüt) gestaltet und singt den Komponisten mit der schönen herb-warmen Intensität ihres Mezzosoprans, ist auch die gesamte Oper über auf der Bühne präsent, verfolgt - teils mit Entsetzen - was aus seiner "ernsten" Oper durch das befohlene Eingreifen der Komödiantentruppe geworden ist. Aber Homoki gönnt dem Komponisten ein persönliches Happyend: Während in der Vorgängerinszenierung der Komponist am Ende mit durchgeschnittener Kehle über die Bühne geisterte, nimmt ihn hier Zerbinetta an der Hand und die beiden entschwinden zu viel Triangelgeklingel und Celestaklängen wie weiland Octavian und Sophie im ROSENKAVALIER ab zum erfüllenden Liebesglück. Diese Zerbinetta von Ziyi Dai ist ein Wunder an Koloraturfähigkeit und zirzensischer Spielfreude (die Nummer mit den Bühnenarbeitern zu "Noch glaub' ich, dem einen ganz mich gehörend" war hammermässig in Gesang und Agieren). Das Haus tobte minutenlang vor Begeisterung nach der Arie! Die Noten zur Arie hat ihr der Musiklehrer direkt vor ihrem Auftritt persönlich überreicht. Auch hier nimmt Homoki die Handlung sehr ernst, denn das Ganze musste ja wegen der "vom reichsten Mann in Wien" angeordneten gleichzeitig stattzufinden habenden Aufführung des komischen und des tragischen Stücks kurzfristig in Noten gefasst werden. Martin Gantner ist ein ganz wunderbarer Musiklehrer, mit perfekter Diktion und viel mitmenschlicher Wärme in seinem Verhältnis zu seinem Schüler, dem Komponisten. Die quirlige Komödiantentruppe ist ebenfalls bestens besetzt, herrlich agil im Spiel (wie ihre Hände hinterm Bett Ariadnes auftauchen, das ist Inszenierungskunst auf höchstem Niveau!). Andrew Owens (Brighella) hatte leider seine Stimme verloren, konnte aber glücklicherweise spielen und formte perfekte, stumme Mundbewegungen zum wunderbaren Gesang des kurzfristigen Einspringers Manuel Günther, der von der Seite eine aufhorchen lassende Leistung offenbarte. Yannick Debus als stimmstarker Harlekin, Hubert Kowalczyk als Truffaldin und Daniel Norman als Scaramuccio vervollständigen das exzellente Quartett der Komödianten aufs Wunderbarste. Ihre Parodie des Auftritts der Brautjungfern (Dryade, Najade und Echo) ist umwerfend komisch. Für einmal funktioniert Travestie hier aufs Unterhaltsamste! John Matthew Myers als Tenor/Bacchus sprang kurzfristig für den erkrankten Brandon Jovanovich ein. Seine Leistung kann man nicht genug würdigen, hatte er doch bloss eine Durchlaufprobe zur Verfügung, um sich in die Inszenierung einzuarbeiten. Sein Tenor spricht leicht an, ist absolut höhensicher und Myers singt die unangenehm hoch liegende Tessitura mit bestechender Souveränität. Bravo! Für Daniela Köhler (sie sang in Zürich bereits die Sieglinde im RING DES NIBELUNGEN und ich durfte sie in Leipzig als grossartige Brünnhilde in SIEGFRIED erleben), ist die Ariadne ein Rollendebüt. Noch wird sie der berührenden Zerbrechlichkeit der Figur nicht ganz gerecht; für meinen Geschmack ist das oftmals zu laut gesungen, mit einem Übermass an Schärfe im Klang, zu hart erkämpft, es fehlt die Rundung im Strauss'schen Silberklang. Hoffentlich legt sich die Premierennervosität in den Folgevorstellungen. Ein Rollendebüt in einer solch exponierten Partie ist ja bestimmt auch eine grosse nervliche Belastung, und da setzt man wahrscheinlich eher auf Sicherheit im Fortebereich. Denn mit den ganz grossen, raumgreifenden Tönen kann Daniela Köhler ja klar punkten.
Markus Poschner ist ein Glücksfall als musikalischer Leiter der Aufführung. Das Orchester ist zwar leicht grösser besetzt, als man es auf früheren Aufführungen in Erinnerung hat (eher 50 statt 37 Musiker), aber Poschner arbeitet mit der hervorragend spielenden Philharmonia Zürich wunderbar die kammermusikalischen Feinheiten heraus - und lässt es ab und an auch zünftig krachen.
Fazit: Eine vom Premierenpublikum stark applaudierte Aufführung, die man sich gerne nochmals ansieht und anhört! Jedenfalls hat sie eine grössere Auslastung verdient, als dies anlässlich der Premiere der Fall war. (War die Rad-WM schuld?) Oder steht ARIADNE AUF NAXOS schlicht nicht (mehr) auf dem Radar des breiten Publikumsgeschmacks?
Inhalt:
Vorspiel: Im Hause des „reichsten Mannes von Wien“ sind die Vorbereitungen zur Uraufführung der Oper Ariadne auf Naxos im Gange. Doch auf Anordnung des unsichtbar bleibenden Mäzens soll die tragische Handlung mit einer Tanzmaskerade von Zerbinettas Truppe verschmolzen werden. Der Komponist ist entsetzt und bricht – trotz eines Liebesintermezzos mit Zerbinetta – zusammen. Doch die Truppe macht sich für die Aufführung bereit.
Oper: Ariadne befindet sich alleine und verlassen auf einer wüsten Insel und trauert ihrer grossen Liebe Theseus nach. Sie sehnt den Tod herbei.
Zerbinetta feuert ein Bekenntnis zur freien Liebe ab – umsonst. Da erscheint der junge Gott Bacchus. Ariadne hält ihn für den Todesboten, er sie für die Zaubererin Circe. Gegenseitiges Verkennen – gegenseitige Verwandlung – Verschmelzung der Seelen.
Zerbinetta kommentiert: „…hingegeben sind wir stumm.“
Werk:
ARIADNE AUF NAXOS ist nach ELEKTRA und DER ROSENKAVALIER die dritte gemeinsame Arbeit des Gespanns Strauss/Hofmannsthal. Ursprünglich war das Werk als Einlage für Hofmannsthals Bearbeitung von Molières Komödie DER BÜRGER ALS EDELMANN gedacht. In dieser Form wurde es auch am 25. Oktober 1912 in Stuttgart uraufgeführt. Die Oper von Strauss wurde also in das Schauspiel eingebettet und ohne das später komponierte Vorspiel gegeben. Doch diese Kombination von Schauspiel und Oper setzte sich nicht durch. Also machten sich Strauss und Hofmannsthal an eine Überarbeitung: Nun wurde dem Einakter ein Vorspiel vorangestellt, der Komponist erhielt eine herrliche Gesangspartie. Die Urfassung mit ihrer langen (und z.T. unendlich geschwätzigen) Spieldauer erscheint nur noch selten auf den Spielplänen, zuletzt 2012 in Salzburg. Die Zweitfassung mit ihrer kammermusikalischen Transparenz hingegen erfreut sich – vor allem unter Strauss-Liebhabern – grosser Popularität. In den Phrasen des Komponisten, dem Leiden der Ariadne, dem Schlussduett und natürlich den mit Schwierigkeiten gespickten, ausgedehnten Koloraturen der Zerbinetta darf man quasi Strauss at his best erleben!
Musikalische Höhepunkte: Ariosi des Komponisten im Vorspiel, Ariadnes grosse Arie „Es gibt ein Reich“, Zerbinettas Koloraturarie „Grossmächtige Prinzessin“, Schlussduett Ariadne-Bacchus
Von mir besuchte Aufführungen von ARIADNE AUF NAXOS im Opernhaus Zürich:
27.12.1978
ML: Ferdinand Leitner/I: Göran Järvefeldt
A: Anna Tomowa-Sintow, B: Matti Kastu, Z: Edita Gruberova, K: Trudeliese Schmidt
16.4.1994
ML: Raphael Frühbeck de Burgos/I: Cesare Lievi
A: Gabriela Benackova-Cap, B: Norbert Orth, Z: Elena Mosuc, K: Dagmar Peckova
ab 16.12. 2006 folgte die legendäre Inszenierung (in der “Kronenhalle” verortet) von Claus Guth
ML: Christoph von Dohnányi
A: Emily Magee, B: Roberto Saccà, Z: Elena Mosuc, K: Michelle Breedt
26.12.2006
identische Besetzung
7.6.2009
ML: Peter Schneider
identische Besetzung
9.3.2010
ML: Mark Elder
A: Deborah Voigt, B: Michael König, Z: Sen Guo, K: Michelle Breedt
14.3.2010
identische Besetzung
12.2.2012
ML: Peter Schneider
A: Ricarda Merbeth, B: Michael König, Z: Elena Mosuc, K: Michelle Breedt
15.2.2012
identisch ausser A: Nina Stemme
19.2.2012
Besetzung wie 15.2.
18.2.2015
ML: Fabio Luisi
A: Michaela Kaune, B: Roberto Saccà, Z: Olga Pudova, K: Stéphanie Houtzeel