St.Gallen: ARIADNE AUF NAXOS, 04.05.2013
Oper in einem Aufzug nebst Vorspiel (2.Fassung) | Musik: Richard Strauss | Libretto : Hugo von Hofmannsthal | Uraufführung der 2. Fassung: 04. Oktober 1916 in Wien | Aufführungen in St.Gallen: 4.5. | 7.5. | 18.5. | 22.5. | 26.5. | 31.5. | 2.6. | 4.6.2013
Kritik:
Und wenn die Muse heut,
Des Tanzes freie Göttin und Gesangs,
Ihr altes deutsches Recht, des Reimes Spiel,
Bescheiden wieder fordert – tadelt's nicht!
Ja danket ihr's, daß sie das düstre Bild
Der Wahrheit in das heitre Reich der Kunst
Hinüberspielt, die Täuschung, die sie schafft,
Aufrichtig selbst zerstört und ihren Schein
Der Wahrheit nicht betrüglich unterschiebt;
Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.
(Friedrich Schiller, Prolog zu WALLENSTEIN)
Dass das Ernste und das Heitere nahe beieinander liegen, wussten nicht nur Dichter wie Schiller, Shakespeare und Hofmannsthal, Komponisten wie Verdi, Mozart und Strauss, sondern auch unsere Eltern („us em Lächli gits es Bächli“). Und trotzdem erscheint in ARIADNE AUF NAXOS die Forderung des „reichsten Mannes von Wien“, nämlich das lustige und das traurige Stück gleichzeitig aufzuführen, als beinahe unlösbare Aufgabe. Doch nicht nur Richard Strauss und sein Textdichter Hofmannsthal haben diese Herausforderung auf sublime Art und Weise bewältigt, auch das Inszenierungsteam (Regie: Aron Stiehl, Bühne: Simon Holdsworth, Kostüme: Franziska Jacobsen) der Aufführung von Strauss' Oper in St.Gallen hat eine bestechende Umsetzung des Themas auf die Bühne gestellt: In einer Kunstgalerie (ART GALL) soll in unserer nach Events dürstenden Zeit also anlässlich einer Vernissage auch eine Operninstallation präsentiert werden. Doch da den Geldgebern (sponsored by UBC im bekannten roten Schriftzug – honni soit qui mal y pense ...) das ursprünglich in Auftrag gegebene Stück eben nicht populistisch genug erscheint, wird kurzerhand befohlen, eine umtriebige Komödiantentruppe in die ernste Oper einzubinden, um so den Ansprüchen der Spassgesellschaft gerecht zu werden. Dass dann während der Aufführung die blasierte Kultur-Schickimicki-Cüpli-Gesellschaft pikiert die Nase rümpft, ist nur einer von den vielen herrlich eingebauten sarkastischen Seitenhieben des Regisseurs. Er persifliert dabei das Kulturestablishment (man präsentiert auf der ART BASEL, äh GALL vergoldete Hundehäufchen als grosse Kunst) genauso wie Regiekollegen, indem er die „ernsten“ Teile der Oper im Stil eines Robert Wilson ablaufen lässt (starre, repetitiv-langsame Bewegungen, abgedrehte Hände, rätselhaft bemalte Handflächen, ein roter Ariadne-Faden, welcher an den Schicksalsfaden der Nornen in Wilsons GÖTTERDÄMMERUNG-Inszenierung erinnert). Die Truppe um Zerbinetta (Roman Grübner, der mit warmem Bariton Harlekins Lied Lieben, Hassen, Hoffen, Zagen vorträgt, Nik Kevin Koch als gewinnend agierender und singender Brighella, Wade Kernot als gutmütig-tolpatschiger Truffaldin und Riccardo Botta als liebenswürdig-trotteliger Scaramuccio) lässt er dann gekonnt witzig und mit kindlichem Übermut mit diesen und selbst mitgebrachten Strandferien-Elementen spielen. So wird der rote Faden zum Bondage-Accessoire wenn Zerbinetta von ihrem lustvollen Umgang mit den Männern berichtet (wobei dann auch jeder Peitschenhieb punktgenau auf die Musik gesetzt ist). Grossartig auch der erste Auftritt Zerbinettas, als sie Warhols Marilyn an der Wand erblickt: Sie stellt sich kurzerhand auf den Lüftungsschacht und wirft sich in die bekannte Pose der Filmgöttin in Billy Wilders THE SEVEN YEAR ITCH. Die Genauigkeit der Personenführung zieht sich durch den ganzen Abend und beschränkt sich nicht auf die Protagonisten. Auch die Statisten des Theaters St.Gallen erhalten dankbare Aufgaben, welche sie mit bravouröser Darstellungskunst ausfüllen. Das Vorspiel kam einem noch selten so kurzweilig vor. Romeo Meyer ist ein wunderbar pressierter, hochnäsiger Haushofmeister, welcher die dubiosen Anweisungen seines Herrn über SMS empfängt und mit blasierter Herablassung den Künstlern übermittelt. David Maze als Musiklehrer vermittelt erfolgreich und mit schöner Sonorität zwischen Primadonnen, Startenören, dem Tanzmeister (mit klarem, hellem Tenor: Riccardo Botta) und natürlich der wichtigsten Person des Vorspiels, dem Komponisten. Katja Starke verleiht dieser Figur eine natürlich empfundene darstellerische Tiefe und hüllt die herrlichen Ariosi mit ihrer ausdrucksstarken, charaktervollen Stimme in prächtigsten Strauss'schen Silberklang. Über ihr „Daran wird er zum Gott“ und „Musik ist eine heilige Kunst“ vermag sie einen zutiefst berührenden, schimmernden Glanz zu legen. Diese musikalischen Offenbarungen erfreuen nicht nur uns Zuhörer, sondern bewegen auch Zerbinetta: Noch selten hat man in einer Inszenierung die Beziehung zwischen dem Komponisten und Zerbinetta so intensiv mitbekommen, wie dies Aron Stiehl gelungen ist. Genau da schafft er eben wieder die Verschmelzung von Heiterem und Ernstem, deckt auf, welch empfindsames Wesen unter der quirligen Oberfläche der Komödiantin liegt. Lenneke Ruiten zeigt diese beiden Seiten auf äusserst einnehmende Art, da ist nichts chargiert. Genauso wie ihre Koloraturen weich perlend und fantastisch sicher blitzen, mit wunderbaren crescendi in den höchsten Höhen, vermag sie Lebenslust und Tiefsinn zu vereinen, Einblicke in des Wesen Frau zu geben, welche auch die schwermütige Ariadne aufhorchen lassen. Gerade noch wollte sich die Primadonna, aus dem Wilson'schen Korsett fallend, entrüstet vom Acker machen, da erreichen sie die Lebensweisheiten Zerbinettas und sie kehrt auf die Bühne zurück – zum Glück für uns, denn Katrin Adel verfügt neben ihrem differenziert geführten, wunderbar reif gestaltenden Sopran (Es gibt ein Reich) auch über grossartige schauspielerische Fähigkeiten: Von der zickigen, aufgeblasenen Primadonna im Vorspiel mit Schosshündchen und weissem Pelzmantel wandelt sie sich zur sich selbst bemitleidenden, todessüchtigen Ariadne und am Ende zur aufs Neue auf die Liebe hoffenden Frau. So vereinigt sich die grosse, warme Stimme von Frau Adel mit dem heldisch stählern strahlenden, die hohe Tessitura mit luzidem, virilem Timbre und trotzdem biegsamer Stimmführung bewältigenden Tenor des Bacchus von Arnold Rawls zu einem der erhabensten Duette der Opernliteratur. Und dazu kommt man am Ende noch einmal in den Genuss der drei so wundervoll harmonierenden Stimmen von Fiqerete Ymeraj, Susanne Gritschneder (ihr satter Mezzosopran, lässt mehr als aufhorchen!) und Simone Riksman als Najade, Dryade und Echo - ... uns entzücken solche Lieder!
Verdientermassen hat Otto Tausk seine Musikerinnen und Musiker des Sinfonieorchesters St.Gallen zum Schlussapplaus auf die Bühne gebeten. Denn aus dem Graben erklingt den ganzen Abend hindurch ein Klangbild von einzigartiger kammermusikalischer Transparenz. Tausk und dem (gegenüber Strauss' Hauptwerken ELEKTRA oder ROSENKAVALIER) um zwei Drittel reduzierten Orchester gelingen Miniaturen von fein ziselierter Zartheit (Streicher!), durchmischt mit warm aufblühenden Kantilenen, subtilen Untermalungen der Bläser und präzisen Akzenten von Schlagwerk, Flügel, Celesta, Harmonium. Dass der Sog und der Bogen trotz dieser Kleingliedrigkeit der motivischen Arbeit nicht abbrechen, ist das grosse Verdienst des Dirigenten.
„Das Herz muss in Harmonie und Ruhe sein, dann wird es heiter“ hat der chinesiche Philosph Lü Buwei einmal gesagt – die Oper ARIADNE AUF NAXOS in St.Gallen verlässt man mit heiterem Herzen.
Fazit: Ein Abend, der gleich wieder von vorne hätte beginnen können, mit einem Werk, in welchem man immer mehr Suchtpotential entdeckt, je öfter man es hört und sieht.
Inhalt:
Vorspiel: Im Hause des „reichsten Mannes von Wien“ sind die Vorbereitungen zur Uraufführung der OperAriadne auf Naxos im Gange. Doch auf Anordnung des unsichtbar bleibenden Mäzens soll die tragische Handlung mit einer Tanzmaskerade von Zerbinettas Truppe verschmolzen werden. Der Komponist ist entsetzt und bricht – trotz eines Liebesintermezzos mit Zerbinetta – zusammen. Doch die Truppe macht sich für die Aufführung bereit.
Oper: Ariadne befindet sich alleine und verlassen auf einer wüsten Insel und trauert ihrer grossen Liebe Theseus nach. Sie sehnt den Tod herbei.
Zerbinetta feuert ein Bekenntnis zur freien Liebe ab – umsonst. Da erscheint der junge Gott Bacchus. Ariadne hält ihn für den Todesboten, er sie für die Zaubererin Circe. Gegenseitiges Verkennen – gegenseitige Verwandlung – Verschmelzung der Seelen.
Zerbinetta kommentiert: „…hingegeben sind wir stumm.“
Werk:
ARIADNE AUF NAXOS ist nach ELEKTRA und DER ROSENKAVALIER die dritte gemeinsame Arbeit des Gespanns Strauss/Hofmannsthal. Ursprünglich war das Werk als Einlage für Hofmannsthals Bearbeitung von Molières Komödie DER BÜRGER ALS EDELMANN gedacht. In dieser Form wurde es auch am 25. Oktober 1912 in Stuttgart uraufgeführt. Die Oper von Strauss wurde also in das Schauspiel eingebettet und ohne das später komponierte Vorspiel gegeben. Doch diese Kombination von Schauspiel und Oper setzte sich nicht durch. Also machten sich Strauss und Hofmannsthal an eine Überarbeitung: Nun wurde dem Einakter ein Vorspiel vorangestellt, der Komponist erhielt eine herrliche Gesangspartie. Die Urfassung mit ihrer langen (und z.T. unendlich geschwätzigen) Spieldauer erscheint nur noch selten auf den Spielplänen, zuletzt 2012 in Salzburg. Die Zweitfassung mit ihrer kammermusikalischen Transparenz hingegen erfreut sich – vor allem unter Strauss-Liebhabern – grosser Popularität. In den Phrasen des Komponisten, dem Leiden der Ariadne, dem Schlussduett und natürlich den mit Schwierigkeiten gespickten, ausgedehnten Koloraturen der Zerbinetta darf man quasi Strauss at his best erleben!
Musikalische Höhepunkte:
Ariosi des Komponisten im Vorspiel
Ariadnes grosse Arien; Ein Schönes war und
Es gibt ein Reich
Zerbinettas Koloraturarie Grossmächtige Prinzessin
Schlussduett Ariadne-Bacchus