Bern: ARIADNE AUF NAXOS, 03.05.2014
Oper in einem Aufzug nebst Vorspiel (2.Fassung) | Musik: Richard Strauss | Libretto : Hugo von Hofmannsthal | Uraufführung: 04. Oktober 1916 in Wien | Aufführungen | Aufführungen in Bern: 19.4. | 26.4. | 29.4. | 3.5. | 10.5. | 13.5. | 18.5. | 25.5.2014
Kritik:
Das Ernste auf die Schippe und das Lustig-Komische ernst zu nehmen – dies ist der Regisseurin Lydia Steier und ihrem Ausstattungsteam (Bühne: Katharina Schlipf, Kostüme: Ursula Kudrna, Licht: Bernhard Bieri) mit der kongenialen Umsetzung von Strauss'/Hofmannsthals ARIADNE AUF NAXOS im Berner Stadttheater wunderbar gelungen. Im Vorspiel taumelt der junge Komponist, erfüllt von jugendlichem Enthusiasmus, auf die leere Bühne. Er kann sein Glück kaum fassen: Seine Oper, sein Erstlingswerk, wird auf dieser Bühne uraufgeführt werden. Sophie Marilley hat den Komponisten an diesem Abend ganz kurzfristig übernommen – und löst die Aufgabe fantastisch! Ihre schlanke Gestalt ist wie geschaffen für die Rolle, sie gibt den jungen Schnösel mit Samtjackett und Elvis-Schmachtlocke mit burschikosem Elan und herrlich satter Stimmgebung. Das Licht im Zuschauerraum bleibt während des Prologs an, wir werden Teil der problematischen Vorbereitungen für den vom „reichsten Manne in Wien“ gesponserten Event. Dieser Mann tritt tatsächlich auf, als Tattergreis im Rollator, die Kaugummi kauende blonde Nutte stets an seiner Seite. Selbstverständlich kommen die beiden dann auch verspätet zur Aufführung der Oper nach der Pause und der Dirigent, Thomas Blunt, muss das Vorspiel unterbrechen und dann nochmals von vorne beginnen. Herrlich! Uwe Schönbeck ist als Haushofmeister das Sprachrohr dieses Greises und erfüllt die Aufgabe mit schmieriger Geschmeidigkeit hervorragend. Kai Wegner, in ausgebeulten Hosen und schlecht sitzendem Sakko wie ein zerstreuter Professor wirkend, steht dem Jungspund-Komponisten mit väterlichem Rat und wohlklingendem Bassbariton zur Seite. Während dieses turbulenten Vorspiels wird die Bühne allmählich hergerichtet – und Lydia Steier und Katharina Schlipf lassen dazu aus zwei gigantischen Containern augenzwinkernd eine Unzahl an Versatzstücken des modernen Regietheaters auffahren: Blinkende Kreuze, ein abgeschnittener Finger, Waschmaschinen, Kühlschrank, ein Klo mit blutverschmiertem Graffiti (Theseus), ein geschächteter Stier, eine Büste Lenins, ein blauer Riesenteddy, ja selbst das obligate Hakenkreuz darf nicht fehlen, wird aber vom Inspizienten schnell wieder weg gewunken. Der Tanzlehrer (umwerfend tuntig Andries Cloete) führt die Truppe Zerbinettas ein, Primadonna und Tenor bekriegen sich aus den Proszeniumslogen. Doch dann ist da plötzlich der intime Moment zwischen dem Komponisten und Zerbinetta, in dem Zerbinetta, die Heitere, ihre Empfindsamkeit offenbart – und die Regisseurin lässt dazu den roten Vorhang schliessen, der Komponist und Zerbinetta (Yun-Jeong Lee) stehen allein davor. Ein zu Tränen rührender Moment, von Yun-Jeong Lee und Sophie Marilley mit viel Empfindungskraft gestaltet.
Nach der Pause dann die Oper: Ariadne gleicht Bette Davis in Whatever happend with Baby Jane, ein Frau, die sich vom Schicksal gezeichnet besäuft und in die Rolle des kleinen Mädchens flüchtet, übermässig geschminkt, in Puppenkleidern. Bettina Jensen hält fast bis zum Schluss beharrlich an dieser Regieanweisung fest, singt mit wunderbar zarter Tongebung ihre grosse Szene, baut die Höhepunkte dynamisch klug auf. Doch trotz Harlequins Mitleid (sehr schön gesungen von Wolfgang Resch) stülpt sich die Szenerie von LA CAGE AUX FOLLES (oder eben DIE UNGETREUE ZERBINETTA) über die Trümmer des unsinnigen Regietheaters und die Zerbinetta schwebt im Goldregen in einem goldenen Bauer vom Bühnenhimmel und hat als androgyne Varieté-Chefin ihren grossen Auftritt – und was für einen! Mit stupender Intonationssicherheit turnt Yun-Jeong Lee virtuos und glockenrein durch die Koloraturen. Fantastisch! Während des wunderschönen nachfolgenden Quintetts der Varieté-Truppe (neben Yun-Jeong Lee und Wolfgang Resch stöckeln Andries Cloete, Michael Feyfar und Pavel Shmulevich gekonnt in Highheels als schrille Transvestiten über die Bühne) zieht sich Ariadne Zeitung lesend aufs Klo zurück, reisst dem Teddy schon mal ein Ohr ab und wartet auf den Auftritt Bacchus' aus dem Kühlschrank. Michael Putschs Circe Rufe erschallen aus dem Off noch etwas wackelig, sobald er jedoch auf der Bühne steht, glänzt er in der diffizilen Tessitura mit sicher und kräftig erreichten Höhen, die auf solidem, baritonal gefärbtem Fundament aufbauen. Lange Zeit haben Najade, Echo und Dryade (Ani Taniguchi, Camille Butcher und Nonoslava Jaksic) in Puppenkostümen und mit Wischmopps regietheatermässig sinnlos die Bühne gefegt, doch mit dem Auftritt des Bacchus verändert sich alles: Die betörende Musik des Komponisten entfaltet ihre Macht, die Perücken und die unsäglich doofen Kostüme werden abgelegt, der sinnentleerte Regietheatermüll wird in die Container verpackt, die Glitzervorhänge niedergerissen. Wir befinden uns wieder auf der leeren Bühne. Die Stimmen der Ariadne und des Bacchus blühen wunderbar auf in ihrem Schlussduett – es gibt ein „Hinüber“, wir sind ergriffen, dazu bedarf es weder des Baldachins noch des Sternenhimmels, es reicht die tröstende Kraft der so fein ziselierten Musik, welche von den Musikerinnen und Musikern des Berner Symphonieorchesters unter der einfühlsamen Leitung von Thomas Blunt aus dem Graben erklingt. Der Komponist stürmt wieder auf die leere Bühne. War es am Ende gar bloss ein Traum?
Fazit:
Wunderbar witzig, ein bisschen böse - und intelligent!
Doch warum ist ARIADNE AUF NAXOS Kassengift? Das Haus war an diesem Samstagabend kaum zur Hälfte besetzt ... ein ähnliches Schicksal war schon den ebenfalls sehr gelungenen Produktionen in St.Gallen, Freiburg und z.T. selbst den starbesetzten Aufführungen in Zürich beschieden.
Inhalt:
Vorspiel: Im Hause des „reichsten Mannes von Wien“ sind die Vorbereitungen zur Uraufführung der OperAriadne auf Naxos im Gange. Doch auf Anordnung des unsichtbar bleibenden Mäzens soll die tragische Handlung mit einer Tanzmaskerade von Zerbinettas Truppe verschmolzen werden. Der Komponist ist entsetzt und bricht – trotz eines Liebesintermezzos mit Zerbinetta – zusammen. Doch die Truppe macht sich für die Aufführung bereit.
Oper: Ariadne befindet sich alleine und verlassen auf einer wüsten Insel und trauert ihrer grossen Liebe Theseus nach. Sie sehnt den Tod herbei.
Zerbinetta feuert ein Bekenntnis zur freien Liebe ab – umsonst. Da erscheint der junge Gott Bacchus. Ariadne hält ihn für den Todesboten, er sie für die Zaubererin Circe. Gegenseitiges Verkennen – gegenseitige Verwandlung – Verschmelzung der Seelen.
Zerbinetta kommentiert: „…hingegeben sind wir stumm.“
Werk:
ARIADNE AUF NAXOS ist nach ELEKTRA und DER ROSENKAVALIER die dritte gemeinsame Arbeit des Gespanns Strauss/Hofmannsthal. Ursprünglich war das Werk als Einlage für Hofmannsthals Bearbeitung von Molières Komödie DER BÜRGER ALS EDELMANN gedacht. In dieser Form wurde es auch am 25. Oktober 1912 in Stuttgart uraufgeführt. Die Oper von Strauss wurde also in das Schauspiel eingebettet und ohne das später komponierte Vorspiel gegeben. Doch diese Kombination von Schauspiel und Oper setzte sich nicht durch. Also machten sich Strauss und Hofmannsthal an eine Überarbeitung: Nun wurde dem Einakter ein Vorspiel vorangestellt, der Komponist erhielt eine herrliche Gesangspartie. Die Urfassung mit ihrer langen (und z.T. unendlich geschwätzigen) Spieldauer erscheint nur noch selten auf den Spielplänen, zuletzt 2012 in Salzburg. Die Zweitfassung mit ihrer kammermusikalischen Transparenz hingegen erfreut sich – vor allem unter Strauss-Liebhabern – grosser Popularität. In den Phrasen des Komponisten, dem Leiden der Ariadne, dem Schlussduett und natürlich den mit Schwierigkeiten gespickten, ausgedehnten Koloraturen der Zerbinetta darf man quasi Strauss at his best erleben!
Musikalische Höhepunkte: Ariosi des Komponisten im Vorspiel, Ariadnes grosse Arien "Ein Schönes war's" und „Es gibt ein Reich“, Zerbinettas Koloraturarie „Grossmächtige Prinzessin“, Schlussduett Ariadne-Bacchus