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Zürich: LUCIA DI LAMMERMOOR, 06.04.2015

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Lucia di Lammermoor

copyright: Suzanne Schwiertz, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Oper in 3 Akten | Musik: Gaetano Donizetti | Libretto: Salvatore Cammarano | Uraufführung: 26. September 1835 im Teatro San Carlo, Neapel | Aufführungen in Zürich (Wiederaufnahme): 6.4. | 11.4. | 16.4. | 19.4. | 22.4. | 25.4.2015

Kritik: SENSATIONELL! Eine von A-Z packende, ja mitreissende Aufführung mit Publikumsliebling und Altmeister Maestro Santi als Spiritus Rector. Der Superlative werden kaum genug sein ... verdiente Standing Ovation.

 

Mit solch uneingeschränktem Enthusiasmus wie die Begrüssung für Maestro Nello Santi ausfällt, wird im Zürcher Musikleben kein anderer Künstler empfangen. Seit 1958 ist er dem Opernhaus treu verbunden und zu einem veritablen Publikumsliebling avanciert. Seine Auftritte am Pult der Philharmonia Zürich sind zwar in den letzten Jahren seltener geworden – doch noch immer strahlen sie eine Aura des Besonderen, des Festlichen aus. Und tatsächlich: Diese Wiederaufnahme von Donizettis LUCIA DI LAMMERMOOR geriet zu einem triumphalen Opernerlebnis. Maestro Santis Gespür für die Disposition des Klangs, für das Timing, für die glutvolle Emphase, für federnde Dynamik und last but not least für Effekte ist beinahe unübertroffen. Zudem können sich bei ihm die Sängerinnen und Sänger stets wie auf sicherem Fundament fühlen, er weiss genau, wo ihre Möglichkeiten liegen, führt und trägt sie mit klarer Zeichengebung und seinem untrüglichen Gespür für Phrasierung und Italianità. Dazu kommt bei ihm natürlich eine neben seinem grossartigen stilistischen Empfinden eine perfekte Kenntnis der Partituren (er hat sie alle im Kopf), sowie der Aufführungspraxis und der Rezeptionsgeschichte. Santi wurde am Ende beinahe orkanartig gefeiert und er durfte zusammen mit den Sängerinnen und Sängern die in Zürich so selten gewordenen Standing Ovations entgegennehmen.

Diese hatten das gesamte Ensemble (inklusive des wunderbar singenden Chors der Oper Zürich und der mit dynamischem Schmiss aufspielenden Phliharmonia Zürich) auch restlos verdient. Die Interpretin der Titelpartie, die junge Amerikanerin Nadine Sierra, gab ihren Einstand in Zürich gleich mit einem Rollendebüt – und was für einem! Weich im Tonansatz, sauber in allen Läufen, virtuos in den Koloraturen und Verzierungen (ab und an vielleicht noch mit etwas wenig Kern in der Stimme und leicht verengter Höhe, das kann aber auch der Nervosität des Debüts geschuldet sein) und mutig die Cabaletten und Aktfinale mit hohen Tönen beendend, begeisterte sie mit ihrer aparten Erscheinung (grossgewachsen und gertenschlank) das Publikum. Ihr Spiel zeichnete sich durch Empfindsamkeit und Fragilität aus, mit jeder Geste zeigte sie die rührende Tragik, welche diese junge Frau durchleben muss und durch die Intrigen ihres Bruders (unter Beihilfe des Priesters) in den Wahnsinn und den Suizid getrieben wird. Dieser aus politischen Gründen so verzweifelt hinterhältig agierende Bruder, Enrico, wurde von Artur Ruciński mit prachtvoll strömendem Bariton gesungen, kernig und doch geschmeidig, mit unglaublich grossem Atem für lange und effektvoll gehaltene Fermaten. Eine Stimme von der Qualität eines Giorgio Zancanaro in seinen besten Tagen. Wenwei Zhang als Priester Raimondo zeigte in Zürich mit diesem Rollendebüt einmal mehr seine herausragenden Qualitäten: Dieser klangschöne, profunde Bass verfügt über eine beachtliche Geschmeidigkeit, vielfältige Möglichkeiten an Ausdrucksnuancen und eine grandiose Artikulationskunst. Als Gegenspieler Enricos und Verlobter Lucias machte Ismael Jordi eine hervorragende Figur, jedenfalls um Welten besser als kürzlich in ANNA BOLENA neben der Netrebko an diesem Haus. Mit seinem hellen, durchschlagskräftigen Tenor sang er die Partie nun mit bezwingender Sicherheit der Intonation, vielleicht manchmal eine Spur zu stark im fortissimo hängen bleibend, doch das passte dann auch wieder zum jugendlich feurigen Rebellen, den er überzeugend verkörperte. Geradezu sensationell gut waren die drei kleineren Rollen besetzt: Benjamin Bernheim sang die kleine, ziemlich undankbare Rolle des Mordopfers Arturo mit strahlender Kraft und grossartiger Darstellungskunst: Seine Arroganz, sein herablassendes Auftreten waren umwerfend gut gespielt. Über seine ausserordentlichen stimmlichen Fähigkeiten habe ich an dieser Stelle schon oft geschrieben – in der nächsten Saison wird er endlich einmal mit einer Hauptpartie betreut werden, dem Rodolfo in der Neuproduktion von LA BOHÈME (wenn auch nur für zwei Vorstellungen ...). Ein stimmliches Ereignis war auch der satte Alt von Judit Kutasi als Alisa, welcher herrlich mit der leichteren Stimme von Nadine Sierras Lucia kontrastierte. Airam Hernandez schliesslich sang den Normanno mit schönem Schmelz. Dankbar war man auch, dass in dieser LUCIA DI LAMMERMOOR sowohl die Turmszene (Enrico-Edgardo) als auch die Szene Lucia-Raimondo im zweiten Akte erhalten blieben (im Gegensatz zu der verstümmelten Aufführung, welche ich kürzlich an der Detuschen Oper Berlin erleben musste).

Ich weiss, über die Inszenierung Damiano Michielettos anlässlich der Premiere dieser Produktion im Jahre 2008 hatte ich damals wenig lobende Worte gefunden. Sie kam mir diesmal jedoch stringenter und genauer geprobt vor (Szenische Einstudierung Ulrich Senn). Nach wie vor kann ich mich mit dem unsäglichen, von einem Terroranschlag zerstörten Wolkenkratzer (9/11) nicht anfreunden, und empfinde den Anachronismus der Kostüme als störend. Doch an der Personenführung und der damit verbundenen Charakterisierung der Protagonisten gab es nichts zu mäkeln – und so verfehlte Donizettis beliebteste Oper ihre berührende Wirkung nicht.


Fazit: Musikalisch fulminante Aufführung – nicht verpassen!


Persönliche Bemerkung: Nach beinahe 2000 Opernbesuchen sollte mich eigentlich nichts mehr erschüttern, was das Verhalten gewisser BesucherInnen anbelangt. Doch wenn sich die Sitznachbarin ausgerechnet während des herrlichen Sextetts im zweiten Akt die Fingernägel feilt, bleibt sogar mir die Sprache weg!

Das Werk:
Lucia di Lammermoor ist das Prunkstück der italienischen Opernromantik. Ein überragendes, unglaublich zeitüberdauerndes Libretto inspirierte Donizetti zu seinen wohl schönsten musikalischen Eingebungen. Lucia ist ganz im wörtlichen Sinne eine Lichtgestalt der Opernwelt, die unbefleckte Mörderin. Die Popularität dieser Oper hat auch in der Literatur ihre Spuren hinterlassen, von Flauberts Madame Bovary über Tolstois Anna Karenina bis zu Lampedusas Gattopardo, in welchem das Tenorfinale aus Lucia di Lammmermoor den inneren Monolog des Don Fabrizio begleitet.
Dieses Tenorfinale stellt einen formgeschichtlichen Geniestreich dar, steht doch – im Gegensatz etwa zu Bellinis Hauptwerken – für einmal nicht die Primadonna mit einem Bravourstück am Ende einer Belkanto Oper, sondern der Primo Uomo in einer Szene, welche den Lebenspessimismus, der dieses Werk prägt, so berührend vermittelt.

Inhalt:
Höchst brisant und leider immer noch aktuell:
Verfeindete Familien, Zwangsheirat, Unterdrückung der Selbstbestimmung der Frau, zwielichtige Rolle der kirchlichen Würdenträger …
Lucia Ashton liebt Edgardo Ravenswood, den Todfeind ihres Bruders Enrico.
Edgardo muss aus politischen Gründen fliehen, doch die beiden Liebenden schwören sich beim letzten heimlichen Rendez-vous ewige Treue.
Enrico fängt sämtliche Briefe Edgardos an Lucia ab, ja er fälscht sogar Briefe, um Lucia von der Untreue ihres Geliebten zu überzeugen. Mit Hilfe des Priesters Raimondo zwingt er Lucia zur Heirat mit Arturo Talbot, von dem er sich politische Unterstützung erhofft.
Mitten in die Hochzeitszeremonie platzt Edgardo und überhäuft Lucia mit Vorwürfen des Verrats und der Untreue.
Lucia hat in der Hochzeitsnacht in zunehmender geistiger Umnachtung Arturo erstochen.
Enrico fordert Edgardo zum Duell bei den Gräbern der Ravenswoods. Edgardo erfährt von Lucias Tat und ihrem Wahnsinn. Die Totenglocke erklingt. Edgardo folgt der Geliebten durch Selbsttötung in den Tod.

Musikalische Höhepunkte:
Cruda funesta smania, Kavatine des Enrico, Akt I
Regnava nel silenzio, Auftrittsarie der Lucia, Akt I
Sulla tomba che rinserra … Verranno a te, Duett Lucia-Edgardo, Akt I
Se tradirmi tu potrai, Duett Lucia-Enrico, Akt II
Chi mi frena in tal momento, Sextett, Finale Akt II
Il dolce suono … Ardon gli incensi, Wahnsinnsszene der Lucia, Akt III
Tombe degli ave miei … Tu che a dio spiegasti l’ali, grosses Tenorfinale des Edgardo, Akt III

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