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Luzern: LUCIA DI LAMMERMOOR, 23.12.2011

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Lucia di Lammermoor

copyright: Toni Suter, mit freundlicher Genehmigung Luzerner Theater

Oper in 3 Akten

Musik: Gaetano Donizetti

Libretto: Salvatore Cammarano

Uraufführung: 26. September 1835 im Teatro San Carlo, Neapel

Aufführungen in Luzern: 23.12. | 29.12.2011 | 6.1. | 8.1. | 14.1. | 21.1. |29.1. | 8.2. | 15.2. | 25.2. | 4.3. | 8.3. | 14.3. | 25.3. | 11.4. | 17.4. | 19.4.2012

Kritik:

Das Luzerner Theater setzt seine Reihe von grossartig produzierten Belcanto-Opern mit einer fesselnden Neuproduktion von Donizettis wohl berühmtester Oper LUCIA DI LAMMERMOOR fort: Nach der albtraumhaften SONNAMBULA und dem bewegend intensiven Kammerspiel ANNA BOLENA folgt nun also die morbid-theatralische Inszenierung eines romantischen Schauerstücks. Das Inszenierungsteam (Regie: Susanne Øglænd, Bühne: Werner Hutterli, Kostüme: Gunna Meyer und Licht: Gérard Cleven) hat sich für seine sehenswerte Arbeit wohl von Gothic-Partys inspirieren lassen. Jedenfalls dominiert die Farbe Schwarz: Der stufenartig ansteigende Bühnenboden, die transparenten Vorhänge, welche für Szenenwechsel und filmisch anmutende Überblendungen eingesetzt werden, die Stühle und Tische, die meisten Kostüme – alles schwarz. Am Bühnenrand hängt zu Beginn das strahlend weisse Hochzeitskleid, welches Lucia später wie eine Zwangsjacke übergestreift werden wird, daneben plumpst ein schwarzer Rabe auf die Bühne und schon sind wir mitten drin, in einem äusserst konzentrierten und gekonnt theatralisch umgesetzten Drama der Schauerromatik. Donizetti und sein Librettist Cammarano haben zwar eine Vorlage aus Schottland, den Roman Sir Walter Scotts, benutzt. Doch entstanden ist ein Werk voll überbordender Italianità. Und genau hier setzt die Regisseurin ein: Es ist ein Theaterspiel, welches hier auf der Theaterbühne abläuft. Alle Protagonisten müssen übertreiben, ja geradezu gewaltig chargieren. Lucias Bruder Enrico beschwört pathetisch die Wichtigkeit der ehelichen Verbindung Lucias mit Arturo, der Pastor Raimondo labert seine Gemeinplätze salbungsvoll, effekthascherisch und bombastisch in den Zuschauerraum, die Liebes- und Treueschwüre, sowie der finale Suizid Edgardos erscheinen unnatürlich, schwülstig, übertrieben. Arturo ist ein schmieriger Möchtegern-Napoleon, Normanno ein Sadist mit faschistischen Zügen, die Zofe Alisa eine übertrieben ernsthafte und gestrengen Begleiterin. Lucia selbst ist eine Protagonisten, welche von Anfang an am Rande des Wahnsinns steht, theatralisch von ihren Angstträumen berichtet, das fantasma gehörig aufbauscht. Nach dem Mord an Arturo sieht sich sich abwechselnd als die Trikolore schwenkende französische Befreierin Marianne oder als Madonna am Abendmahl-Tisch. Die Sänger machen dieses aufgesetzte, theatralisch-fesselnde Spiel mit packender Intensität mit. Und der Zuschauer weiss von Anfang an, hier ist nichts echt, alles ist nur grossartig gespielt.

LUCIA DI LAMMERMOOR wird oft einfach als Vehikel für eine Primadonna auf die Bühne gebracht. Hier in Luzern sind die Drahtzieher, die Männer, welche mit Lucia wie mit einer Marionette spielen, genau so wichtig – und mit hauseigenen Kräften hervorragend besetzt. Carlo Jung-Heyk Cho besticht mit einer perfekt sitzenden Stimme. Sein Tenor drückt Schmerz, Enttäuschung, Wut und natürlich Liebe mit farbenreichem, wunderschönem stimmlichen Schmelz aus. Todd Boyce gibt dessen smarten Gegenspieler Enrico mit herrlich strömendem, virilem Bariton, mag bereits in der Auftrittsarie Cruda funesta smania und der anschliessenden Cabaletta ausserordentlich zu gefallen und lässt die Auseinandersetzungen mit seiner Schwester und Edgardo zu vokalen Ereignissen werden. Patrick Zielke ist ein darstellerisch und stimmlich überragender Raimondo. Dieser junge Bass verströmt puren Wohllaut, imposant präsentiert er seine sonor und kraftvoll strömende, sauber geführte Stimme. Der Arturo ist mit dem stets betörend eindringlich singenden Utku Kuzuluk geradezu luxuriös besetzt. Robert Maszl vermag selbst der kleinen Rolle des Normanno gewichtiges Profil zu verleihen, als Mann fürs Grobe für seinen Kumpel Enrico. Caroline Vitale beglückt mit warmem Timbre als fürsorglich-strenge Alisa. Und last but not least ist da noch die tragische Titelheldin. Khori Dastoor spielt diese quer in der sie umgebenden faschistoiden (Enrico, Normanno, Raimondo) oder verstört pseudo-romantischen (Edgardo) Männerwelt stehende Frau, welche sich nur durch einen Mord und den eigenen Tod daraus befreien kann, mit beklemmender Intensität. Wie sie sich mechanisch wie eine aufgezogene Puppe bewegt oder sich in irrem Wahn als Freiheitsheldin sieht, ist ganz grosse Darstellungskunst. Ihr stimmliches Timbre passt dazu hervorragend: Bein ersten Anhören mag es gewöhnungsbedürftig sein und Stimmfetischisten leicht befremden – und doch hat es etwas Geheimnisvolles und Berührendes. Technisch meistert sie die Schwierigkeiten souverän, beweist in den Koloraturen der Wahnsinnsarie im Duett mit der Flöte einfühlsame Flexibilität und attackiert die Höhen mit Verve. Und mit ebensolcher Inbrunst leitet James Gaffigan das Luzerner Sinfonieorchester, welches, abgesehen von einem verwackelten Beginn im Larghetto des Vorspiels, eine solide Leistung zeigt. Erwähnenswert ist vor allem das dynamisch genau der Partitur folgende Spiel der Harfe vor Lucias erstem Auftritt. Das hat man mit solcher Expressivität noch selten so leidenschaftlich-fiebrig gehört. Gaffigans gekonnt zuspitzendes, auch grelle Schärfen nicht vermeidendes, vorwärtsdrängendes Dirigat unterstützt auf erregende Art und Weise das unaufhaltsam auf das tragische Finale zusteuernde dramatische Geschehen auf der Bühne.

Werk:

Lucia di Lammermoor ist das Prunkstück der italienischen Opernromantik. Ein überragendes, unglaublich zeitüberdauerndes Libretto inspirierte Donizetti zu seinen wohl schönsten musikalischen Eingebungen. Lucia ist ganz im wörtlichen Sinne eine Lichtgestalt der Opernwelt, die unbefleckte Mörderin. Die Popularität dieser Oper hat auch in der Literatur ihre Spuren hinterlassen, von Flauberts Madame Bovary über Tolstois Anna Karenina bis zu Lampedusas Gattopardo, in welchem das Tenorfinale aus Lucia di Lammmermoor den inneren Monolog des Don Fabrizio begleitet.

Dieses Tenorfinale stellt einen formgeschichtlichen Geniestreich dar, steht doch – im Gegensatz etwa zu Bellinis Hauptwerken – für einmal nicht die Primadonna mit einem Bravourstück am Ende einer Belkanto Oper, sondern der Primo Uomo in einer Szene, welche den Lebenspessimismus, der dieses Werk prägt, so berührend vermittelt.

Inhalt:

Höchst brisant und leider immer noch aktuell:

Verfeindete Familien, Zwangsheirat, Unterdrückung der Selbstbestimmung der Frau, Zwielichtige Rolle der kirchlichen Würdenträger ...

Lucia Ashton liebt Edgardo Ravenswood, den Todfeind ihres Bruders Enrico.

Edgardo muss aus politischen Gründen fliehen, doch die beiden Liebenden schwören sich beim letzten heimlichen Rendez-vous ewige Treue.

Enrico fängt sämtliche Briefe Edgardos an Lucia ab, ja er fälscht sogar Briefe, um Lucia von der Untreue ihres Geliebten zu überzeugen. Mit Hilfe des Priesters Raimondo zwingt er Lucia zur Heirat mit Arturo Talbot, von dem er sich politische Unterstützung erhofft.

Mitten in die Hochzeitszeremonie platzt Edgardo und überhäuft Lucia mit Vorwürfen des Verrats und der Untreue.

Lucia hat in der Hochzeitsnacht in zunehmender geistiger Umnachtung Arturo erstochen.

Enrico fordert Edgardo zum Duell bei den Gräbern der Ravenswoods. Edgardo erfährt von Lucias Tat und ihrem Wahnsinn. Die Totenglocke erklingt. Edgardo folgt der Geliebten durch Selbsttötung in den Tod.

Musikalische Höhepunkte:

Cruda funesta smania, Kavatine des Enrico, Akt I

Regnava nel silenzio, Auftrittsarie der Lucia, Akt I

Sulla tomba che rinserra ... Verranno a te, Duett Lucia-Edgardo, Akt I

Se tradirmi tu potrai, Duett Lucia-Enrico, Akt II

Chi mi frena in tal momento, Sextett, Finale Akt II

Il dolce suono ... Ardon gli incensi, Wahnsinnsszene der Lucia, Akt III

Tombe degli ave miei ... Tu che a dio spiegasti l'ali, grosses Tenorfinale des Edgardo, Akt III

Karten

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