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Berlin, DOB: LUCIA DI LAMMERMOOR, 01.02.2015

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Lucia di Lammermoor

© Bettina Stöß, mit freundlicher Genehmigung Deutsche Oper Berlin

Oper in 3 Akten | Musik: Gaetano Donizetti | Libretto: Salvatore Cammarano | Uraufführung: 26. September 1835 im Teatro San Carlo, Neapel | Aufführungen in Berlin: 1.2. | 6.2.2015

Kritik:

„Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten steigt dieses (…) Bild zu mir“, singt der Holländer in Wagners Oper. Und wie ein Relikt aus längst vergangenen Tage ragt dieses 34 Jahre alte „Gesamtkunstwerk“ der LUCIA DI LAMMERMOOR von Filippo Sanjust (Inszenierung, Bühne und Kostüme) mit seinen gemalten Vorhängen und Prospekten, den perspektivischen Täuschungen und den schweren Kostümen in die Jetztzeit des so genannten Regietheaters (und dessen Exzessen). So stellt man sich Opernaufführungen zur Zeit unserer Großeltern vor – und kann sie kaum mehr goutieren. Wenn wenigstens noch ein Hauch von Charakterisierung und szenischer Rollengestaltung übriggeblieben wäre, doch weit gefehlt. Die Sängerinnen und Sänger blieben sich selbst überlassen und sie taten, was sie in solchen Momenten meistens tun: An der Rampe stehen, starrer Blick zum Dirigenten (oder zum Souffleurkasten?) und Zuflucht zu konventionellen Operngesten – Arme ausbreiten, hochrecken, Collier- oder Schwertgriff. Einzig Pretty Yende in der Titelpartie spielte ihre Rolle auch überzeugend: Sie war das verliebte, leicht abergläubische und naive junge Mädchen, das sich von den Ränken ihres Bruders um ihre Liebe betrügen ließ, durchlebte ihre Zwangsvermählung wie einen bösen Traum, aus dem sie auch in der Wahnsinnsszene nicht erwachte. Diese spielte sie ohne jegliches Chargieren und sang dazu mit engelsgleicher Reinheit der Intonation. Ihre Stimme spricht mit wunderbarer Leichtigkeit an, verfügt über ein traumhaftes Piano. In den Läufen reihen sich die Töne wie glänzende Perlen fein abgesetzt aneinander, sie setzt zarte Triller, fein hingetupfte Fiorituren und vermag mit ihrer Stimme feinfühlig mit dem schönen Harfenspiel von Virginie Gout-Zschäbitz (2. Bild) und der virtuosen Flöte von Robert Lerch (5. Bild) zu vereinen. Kein Verschmieren oder Forcieren stört die Gesangslinie: Pretty Yende ist eine aufstrebende Sängerin, deren Entwicklung man gespannt verfolgen wird. Der Tenorstar in ihrer Seite war Joseph Calleja: Szenisch blieb er zwar ziemlich unauffällig, doch machte er mit seinem biegsamen und hervorragend fokussierten Tenor, den er mit subtil abgestufter Dynamik einsetzte, eine ausgezeichnete Figur. Auch er kam ohne jegliche Schluchzer und Drücker aus, legte gekonnt aparte Vibrati und Schattierungen über seine traumhaft schöne Stimme und charakterisierte so wenigstens akustisch die Rolle des Edgardo. In der fantastisch komponierten Schlussszene, die nicht der Primadonna, sondern dem primo uomo gehört, vermochte Calleja durch die stimmliche Gestaltung echte Rührung zu erzeugen, bedeutend unterstützt auch vom wunderbar spielenden Orchester der Deutschen Oper Berlin, aus dem in dieser Szene besonders die traurigen Kantilenen der Celli und die sauber spielenden Hörner herausragten. Die beiden anderen Hauptpartien waren Simone Piazzola (als Lucias Bruder Enrico) und Simon Lim (Pater Raimondo) anvertraut. Simone Piazzola verfügt über einen weich und nobel timbrierten, Kavalierbariton, den er an diesem Abend zwar durchaus schön aber auch etwas eindimensional und emotionslos erklingen ließ. Szenisch blieb er überaus blass und steif. Da die Szene Raimondo-Lucia (ebenso wie die Turmszene Enrico-Edgardo!) in dieser Aufführung leider gestrichen wurde, war der Beichtvater zu einer Randfigur degradiert, die nur ab und an mit hoch erhobenen Armen wie eine Karikatur eines hilflosen Geistlichen über die Szene huschte. Schade, denn sein kerniger Bass war als durch und durch solide wahrzunehmen. Jörg Schörner als Normanno gelang es, einen fiesen Unterton in die Rolle des servilen Handlangers Enricos zu legen und Ronnita Miller überzeugte als besorgte Vertraute Alice. Matthew Newlin (Arturo) machte das Beste aus der undankbaren Rolle von Lucias Zwangsgemahl und trug auch zum musikalischen Gelingen des großartig aufgebauten Sextetts im Hochzeitsbild bei. Ivan Repušić räumte den Sängerinnen und Sängern, dem Chor und dem Orchester genügend Zeit für das Auskosten von Donizettis wunderschönen Phrasen ein und führte das Ensemble feinfühlig und unaufgeregt durch den Abend.

Werk:
Lucia di Lammermoor ist das Prunkstück der italienischen Opernromantik. Ein überragendes, unglaublich zeitüberdauerndes Libretto inspirierte Donizetti zu seinen wohl schönsten musikalischen Eingebungen. Lucia ist ganz im wörtlichen Sinne eine Lichtgestalt der Opernwelt, die unbefleckte Mörderin. Die Popularität dieser Oper hat auch in der Literatur ihre Spuren hinterlassen, von Flauberts Madame Bovary über Tolstois Anna Karenina bis zu Lampedusas Gattopardo, in welchem das Tenorfinale aus Lucia di Lammmermoor den inneren Monolog des Don Fabrizio begleitet.
Dieses Tenorfinale stellt einen formgeschichtlichen Geniestreich dar, steht doch – im Gegensatz etwa zu Bellinis Hauptwerken – für einmal nicht die Primadonna mit einem Bravourstück am Ende einer Belkanto Oper, sondern der Primo Uomo in einer Szene, welche den Lebenspessimismus, der dieses Werk prägt, so berührend vermittelt.

Inhalt:
Höchst brisant und leider immer noch aktuell:
Verfeindete Familien, Zwangsheirat, Unterdrückung der Selbstbestimmung der Frau, zwielichtige Rolle der kirchlichen Würdenträger …
Lucia Ashton liebt Edgardo Ravenswood, den Todfeind ihres Bruders Enrico.
Edgardo muss aus politischen Gründen fliehen, doch die beiden Liebenden schwören sich beim letzten heimlichen Rendez-vous ewige Treue.
Enrico fängt sämtliche Briefe Edgardos an Lucia ab, ja er fälscht sogar Briefe, um Lucia von der Untreue ihres Geliebten zu überzeugen. Mit Hilfe des Priesters Raimondo zwingt er Lucia zur Heirat mit Arturo Talbot, von dem er sich politische Unterstützung erhofft.
Mitten in die Hochzeitszeremonie platzt Edgardo und überhäuft Lucia mit Vorwürfen des Verrats und der Untreue.
Lucia hat in der Hochzeitsnacht in zunehmender geistiger Umnachtung Arturo erstochen.
Enrico fordert Edgardo zum Duell bei den Gräbern der Ravenswoods. Edgardo erfährt von Lucias Tat und ihrem Wahnsinn. Die Totenglocke erklingt. Edgardo folgt der Geliebten durch Selbsttötung in den Tod.

Musikalische Höhepunkte:
Cruda funesta smania, Kavatine des Enrico, Akt I
Regnava nel silenzio, Auftrittsarie der Lucia, Akt I
Sulla tomba che rinserra … Verranno a te, Duett Lucia-Edgardo, Akt I
Se tradirmi tu potrai, Duett Lucia-Enrico, Akt II
Chi mi frena in tal momento, Sextett, Finale Akt II
Il dolce suono … Ardon gli incensi, Wahnsinnsszene der Lucia, Akt III
Tombe degli ave miei … Tu che a dio spiegasti l’ali, grosses Tenorfinale des Edgardo, Akt III

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