Kopenhagen: LA BOHÈME, 08.03.2022
Oper in vier Bildern | Musik: Giacomo Puccini | Libretto: Luigi Illica und Giuseppe Giacosa | Uraufführung: 1. Februar 1896 im Teatro Regio, Turin | Aufführungen in Kopenhagen: 2.3. | 8.3. | 12.3. | 16.3. | 18.3. | 22.3. | 29.3. | 7.4.2022
Kritik:
Dass sich Puccinis Meisterwerk LA BOHÈME seit der Uraufführung vor 126 Jahren ungebrochener Beliebtheit erfreut, zeigt ein Blick auf die im Programmheft der Königlichen Oper Kopenhagen vermerkten Aufführungszahlen: Allein in der dänischen Hauptstadt kommt LA BOHÈME in dieser Zeitspanne auf rund 630 Vorstellungen. Und tatsächlich, auch wenn man diese Oper schon zigmal gesehen hat, wird man ihrer nie überdrüssig, ist gerührt wie beim ersten Mal - vor allem wenn die Inszenierung stimmt! Das tat sie hier zu 100%. Elisabeth Linton hat das Werk vor sechs Jahren am königlichen Theater inszeniert, nun wurde die Produktion wieder aufgenommen. Im wunderbar atmosphärisch stimmigen Bühnenbild von Astrid Lynge Ottosen, mit den Kostümen von Magdalena Stenbeck und der Lichtgestaltung von Ulrik Gad gelang dem Team eine überaus genaue Milieustudie über den Reifeprozess von sechs jungen Menschen, mit ihren Träumen, ihrer jugendlichen Unbeschwertheit, aus der sie durch den tragischen Tod Mimìs brutal gerissen werden. Faszinierend werden die szenischen Verwandlungen geschafft: Die kalte Mansarde des ersten Bildes dekonstruiert sich gegen Ende des Liebesduetts zwischen Mimi und Rodolfo - das Universum scheint ihnen offen zu stehen, sie begeben sich quasi auf einen Höhenflug. Der setzt sich im zweiten Bild fort, das Café Momus ist hier eine schicke Bar in einem Luxuskaufhaus à la Galleries Lafayette. Im dritten Bild hat der Rausch dann bereits ein Ende. In der kalten Februarnacht an der Zollschranke müssen die Gefühle erst mal neu sortiert werden. Genial ist das Schlussbild konzipiert: Der Frühling ist da (eine einsame Kamilie in einer Vase), die vier Freunde haben die Mansarde verlassen und verbringen den Tag an der wärmenden Frühlingssonne, haben freien Blick über die Dächer der Stadt Paris und ihre Monumente.
Die Sänger*innen agieren mit jugendlicher Leidenschaft, sind verspielt und am Ende zutiefst erschüttert und betroffen, genau wie wir im Publikum. Yana Kleyn singt eine ausdrucksstarke, einnehmende Mimì. Im Verlauf des Abends wird ihre Stimme immer wärmer, rührt am Ende zu Tränen. Der Rodolfo von Matteo Lippi ist eine wahre Offenbarung: Ein Timbre und eine Strahlkraft zum Dahinschmelzen. Mit großartiger stimmlicher und darstellerischer Gewandtheit gibt der Bariton Luthando Qave den Maler Marcello. Seine Eifersucht trifft die umwerfende Musetta von Clara Cecilie Thomsen, welche so herrlich kokett sein kann im Momus-Bild, wo sie den Walzer mit überschäumender Verve singt, keifend und selbstbewusst im Streit mit Marcello im dritten und anrührend im Gebet und im Mitleid im Schlussbild. Simon Duus gestaltet einen warmstimmigen Schaunard und Kyungil Ko nimmt mit philosophischer Tiefe als Colline Abschied von seinem Mantel. In den kleineren -aber nicht unwichtigen - Partien überzeugen Simon Schelling als Benoît, Lars Bo Ravnbak als Parpignol und Steffen Bruun als Alcindoro.
Im Orchestergraben lassen Paolo Carignani und Det Kongelige Kapel Puccinis Partitur in dynamisch differenziert ausgestalteter Klangqualität erstrahlen. Der Maestro trägt die Sänger*innen mit faszinierender Sensibilität auf Händen. Ein wunderbarer Opernabend!
Inhalt:
In einer Mansarde im Quartier Latin hausen die vier (Lebens-)Künstler Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline. Ihre Armut meistern sie mit zum Teil bissigem Humor. Es ist Weihnachtsabend. Der Musiker Schaunard ist zu etwas Geld gekommen und lädt seine Freunde ins Café Momus ein. Rodolfo, der Dichter, will noch schnell einen Artikel beenden und verspricht, den Freunden gleich zu folgen. Da klopft seine Nachbarin Mimi an der Tür und bittet um Feuer. Als Mimi in der Dunkelheit auch noch ihren Schlüssel verliert, nutzt Rodolfo die Gelegenheit und nähert sich ihr sachte an. (Wie eiskalt ist dies Händchen...). In einem leidenschaftlichen Duett spürt man das Aufflammen ihrer Liebe. Sie folgen den Freundin ins Café. Da herrscht eine ausgelassene Stimmung. Marcellas frühere Geliebte Musetta taucht mit einem älteren Verehrer auf. Marcello reagiert eifersüchtig. Musetta spielt mit diesen Gefühlen, wird den Alten los, wirft sich Marcello wieder in die Arme und lässt den Alten am Ende gar noch die Rechnung der Künstler bezahlen. Einige Zeit später, nach wechselhaften Wochen für die beiden Paare, befinden wir uns vor einem Gasthaus an der Zollschranke. Mimis Krankheit hat sich verstärkt, Rodolfo hat sich von ihr getrennt, was sie sich nicht erklären kann. Mimi sucht den Rat von Marcello. Als Rodolfo auftaucht, versteckt sie sich und belauscht die beiden Freunde. Da erfährt sie, dass nicht eigentlich die Eifersucht Rodolfos der Trennungsgrund war, sondern seine Hilflosigkeit gegenüber ihrer Krankheit. Mimis Husten verrät ihr Versteck. Die beiden schliessen sich erneut in die Arme, beschliessen jedoch, sich erst im Frühling zu trennen, da der Winter zur Einsamkeit nicht tauge. Marcello und Musetta streiten sich mal wieder im Hintergrund.
Im letzten Bild befinden wir uns wieder in der Mansarde des Anfangs und treffen auf die in Liebesdingen so unglücklichen Freunde Rodolfo und Marcello. Bei einem bescheidenen Mahle dominiert trotz aller Sorgen die Heiterkeit. Doch mit dem Auftauchen Musettas ändert sich alles dramatisch. Musetta bringt die todkranke, schwache Mimi mit. Alle kümmern sich rührend um sie, der Philosoph Colline nimmt gar Abschied von seinem geliebten Mantel und will ihn im Leihhaus versetzen, um Geld für den Arzt zu bekommen. Alle gehen raus, um Geld zu besorgen, Mimi und Rodolfo bleiben allein und versichern sich gegenseitig ihrer Liebe. Musetta und die anderen kommen zurück, Mimi erhält einen Muff, um ihre kalten Hände zu wärmen. Sie verstirbt - Rodolfo realisiert dies als Letzter. Mit seinen durchdringenden Schreien der Verzweiflung endet die Oper.
Werk:
In eindringlichen, atmosphärisch dichten Bildern zeichnen Puccini und seine Librettisten Szenen aus dem Leben junger Menschen. Diese träumen von Freiheit und Selbstverwirklichung, sie lieben und sie streiten sich, sie kämpfen mit Humor ums Überleben. Doch als eine von ihnen tödlich erkrankt, wird aus dem sorglosen Leben bitterer, tragischer Ernst.
Puccini hat dazu eine seiner farbenprächtigsten Partituren komponiert, lyrisch-sentimentale Stellen verschmelzen mit humorvoll kontrastierenden Passagen, die Personen sind überaus stimmig in kurzen, prägnanten Ariosi charakterisiert. Im letzten Bild verschmelzen all diese Leit- und Erinnerungmotive, der Orchesterklang wird aber zugleich dünner und führt so zum ergreifenden Schluss.
Puccinis "Rivale" Leoncavallo hat den Stoff von Murger Scènes de la vie de bohème ebenfalls vertont. Sein Werk erschien ein Jahr nach Puccini auf der Bühne, erreichte jedoch nie die Popularität von Puccinis Werk, obwohl er an sich näher bei der Vorlage blieb und seine Oper weniger von Sentimentalität gezeichnet ist.
Die Uraufführung unter der Leitung von Arturo Toscanini war kein besonderer Erfolg, die Kritik bezeichnete die Musik als oberflächlich. Erst nach der Aufführung in Palermo, im April 1896, setzte das dem Verismo nahestehende Werk zu seinem bis heute ungebrochenen Siegeszug über die Bühnen der Welt an.
Die Diskographie umfasst über hundert Einspielungen auf Schalplatte, CD und DVD. Allein die berühmtesten Interpreten der Mimi (Mirella Freni) und des Rodolfo (Luciano Pavarotti) haben das Werk über zwölf Mal mit verschiedenen PartnerInnen eingespielt. Referenzaufnahmen sind die Einspielungen unter Herbert von Karajan von 1972 (Freni/Pavarotti) und unter Thomas Beecham (de los Angeles/Björling).
Musikalische Höhepunkte:
Che gelida manina, Arie des Rodolfo, Bild I
Si, mi chiamano Mimì, Arie der Mimi, Bild I
O soave fanciulla, Duett Mimì-Rodolfo, Bild I
Quando m’en vo, Walzer der Musetta, Bild II
Addio dolce svegliare, Duett Mimì-Rodolfo mit Hintergrundgezänk Marcello-Musetta, Bild III
Vecchio zimarra, senti, Arie des Colline, Bild IV
O Mimì, tu più non torni, Arioso des Rodolfo, Bild IV