Frankfurt, Oper: AIDA; 17.12.2023
Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Antonio Ghislanzoni | Uraufführung: 24. Dezember 1871 in Kairo | Aufführungen in Frankfurt: 3.12. | 6.12. | 8.12. | 10.12. | 17.12. | 21.12. | 26.12. | 29.12.2023 | 1.1. | 13.1. | 20.1.2024
Kritik:
DIE GRAUSAMKEIT DES KRIEGES, SCHONUNGSLOS AUFGEDECKT
Kaum ein Regisseur/eine Regisseurin wird heutzutage noch eine pompös folkloristische AIDA-Inszenierung ins Auge fassen. So auch Lydia Steier nicht, die für die Oper Frankfurt ihre vor ein paar Jahren für Heidelberg entstandene AIDA auch aus dem Blick auf die aktuellen Kriege und Konflikte neu überarbeitete. Damals, so sagt sie im Programmheft, bestand (zur Zeit des arabischen Frühlings) noch ein Funken Hoffnung für die Welt. Dieser ist nun für sie angesichts der vielen Kriege auf diesem Planeten gänzlich erloschen. Wir befinden uns in einem Bunker in den 30er Jahren, Schimmel überzieht die ehemals weissen Fliesen, es herrscht eine szenische Tristesse, die bedrückend ist - und sich im Verlauf des Abends auch nie aufhellen wird. Denn der praktisch einzige "Schmuck" im Raum sind die Art Deco Wandlampen, die allerdings kaum je brennen, erst zum Ende hin verströmen sie etwas warmes Licht. Einzig die Reflektionen des Wassers im Innenpool lassen im Nilakt etwas Poesie aufschimmern. Das schwermütig stimmende, aber grossartig funktionale und beeindruckende Bühnenbild hat Katharina Schlupf entworfen. In diesem Bunker lebt die "Siegermacht", eine erbärmliche theokratische Gesellschaft aus reich mit Tapferkeitsmedallien dekorierten weissen alten Männern, alle invalid im Rollstuhl oder mit Rollator unterwegs, an Sauerstoffgeräten hängend. Aber immer noch munter "Guerra, Guerra" krakelend. Es ist zum Kotzen. Ihre Frauen sind nicht minder schlimm: In teuren Abendgarderoben kippen sie ausgelassen Sekt über die armen äthiopischen Gefangen, versetzen ihnen Tritte und haben nur überhebliche Verachtung für die Gepeinigten übrig. Man ekelt sich. Siegfried Zoller hat diese operettenhaft lächerlichen, aber überaus treffend zur Gesamtkonzeption passenden Kostüme entworfen. Das fahle Licht konzipierte Joachim Klein, der die Bühne während "eingefrorener" Szene auch mal giftgrün oder pink ausleuchtet. Pink scheint überhaupt eine Lieblingsfarbe von Lydia Steier zu sein. In ihrer INSZENIERUNG der FRAU OHNE SCHATTEN an Ostern in Baden-Baden tauchte diese Farbe ebenfalls sehr dominant auf. Hier sind die äthiopischen Sklavinnen der Amneris, also auch Aida, in rosarote, uniforme Kleider gesteckt, alle tragen als "Haarpracht" schwarze Kurzhaar- Bob-Perücken, denn ihre eigenen Haare wurden ihnen abgeschnitten. Dazu später mehr. Zwischen den Bildern eins und zwei im zweiten Akt, also kurz vor dem Triumphmarsch, schliesst sich der schwarze Zwischen Vorhang, das Licht im Orchestergraben erlischt und aus Lautsprechern ertönt Schlachtengetöse, Granaten explodieren, Maschinengewehr - Salven und Fliegeralarm lassen Ungutes ahnen. Im Parkett schreit ein Herr: DAS IST KEIN VERDI, DAS IST SCHEISSE! Nein, guter Mann, das IST Verdi, denn er hat mit der AIDA eben gerade den Krieg verurteilt, indem er die zerstörerischen Auswirkungen des Krieges auf die Menschen und die Liebe thematisiert hatte. Klar, Lydia Steier zeigt das manchmal mit allzu schonungsloser Drastik. Aber Theater darf und soll auch mal provozieren und aufrütteln. Kulinarisch geniessen und zurücklehnen können wir uns anderswo.
Nach dem Lärm aus den Lautsprechern wird der Triumphmarsch natürlich zum schrecklichen, perversen Spektakel, welches das Schlimmste im Menschen hervorruft: Andere zur eigenen Ergötzung zu demütigen und zu misshandeln. Hier kommen die Elefanten ins Spiel: Eine Tänzerin mit buntem Elefantenkopf tritt auf, die bis auf die Unterwäsche entkleideten Äthiopier kriegen graue Elefantenmützen über den Kopf gestülpt, werden mit Drogen vollgepumpt (einer stirbt gleich an Überdosis). Das alles ist hart an der Grenze des Erträglichen, aber handwerklich sehr versiert inszeniert. Immer wieder bringt Lydia Steier Anspielungen auf die ägyptische Mythologie ins Spiel, der Gott Horus, dieser Falke, tritt in Visionen mit blutigem Schnabel und blutigen Krallen auf, lockt Kinder in sein Nest. Weiteres Kanonenfutter.
DER DROGENSÜCHTIGE RAMFIS
Sehr prominent im Zentrum der Aufführung steht Ramfis, der Oberpriester. In den meisten anderen Produktionen der AIDA, die ich gesehen habe, ist er eine religiös-fanatische Kriegsgurgel. Nicht so hier in Frankfurt: Ramfis ist von Gewissensbissen gepeinigt, hält das ganze Debakel im Bunker nur noch dank der Einnahme von Drogen aus. Zwar spielt er noch die ihm vom debilen König (Kihwan Sim, mit imponierendem Bass) aufoktroyierten Pflichten, allerdings mit grösstem Widerwillen. Wenn ihm alles zuviel wird, knallt er der unerbittlichen Amneris auch schon mal eine. Andreas Bauer Kanabas spielt und singt diesen zutiefst gebrochenen Charakter mit grandiosem Einfühlungsvermögen in die Zerrissenheit seiner Seele.
EINE VOLLKOMMEN DURCHGEKNALLTE "EVA BRAUN" (AMNERIS) IM FÜHRERBUNKER
So kommt einem diese ägyptische Pharaonentochter Amneris vor: Mit platinblonder Perücken ist sie äusserlich ein Vamp, würde der Monroe oder Mae West zur Ehre gereichen, psychisch ist sie ein perverses, despotisches und falsches Weib, ein Wrack. Ihren Sklavinnen lässt sie die Haarpracht abschneiden, dann werden die Haare platinblond gefärbt und zu Perücken verarbeitet. In den Vitrinen stehen schon mehrere Dutzend dieser Perücken auf Kunststoff Köpfen. Wenn eine der Sklavinnen nicht pariert oder einen Fehler macht, wird sie von Amneris kurzerhand mit der Brennschere erstochen. Der Vater, der neben mir sass, musste seiner kleinen Tochter mehrmals die Augen zuhalten. Überhaupt war ich erstaunt, wie viele Kinder in dieser Nachmittagsvorstellung sassen. Informieren sich die Eltern eigentlich nicht mehr, wohin sie die Kinder mitnehmen sollen und wohin eher nicht? Wie dem auch sei, Claudia Mahnke lebt die - so angelegt - noch schwierigere Rolle mit grandioser Durchdringung des abscheulichen Charakters bis in die morbidesten Verästelungen hinein (sie macht sich auch noch an der Leiche Amonasros zu schaffen, warum die Figur nun auch noch nekrophile Lüste zeigte, blieb mir ein Rätsel. Total kaputt eben, nachdem selbst das mit der Liebe nicht geklappt hatte?). Gesanglich gestaltet Frau Mahnke sehr differenziert, mit keiner Spur brustigen Röhrens, wie man es oft serviert bekommt.
AIDA: DIE PUTZFRAU 2.0
Vor 42 Jahren erlebte die Oper Frankfurt mit der letzten Inszenierung dieser Oper einen praktisch weltweit Wellen werfenden "Skandal": Hans Neuenfels' Inszenierung wurde als Paradebeispiel des so genannten Regietheaters kontrovers diskutiert. Er hatte Aida als Putzfrau ( heute Reinigungsfachkraft) auftreten lassen. Als kleine Referenz an ihren Regie-Kollegen schrubbt Aida hier bei Lydia Steier während der Ouvertüre den Folterraum, in dem sie drei Stunden später den Tod finden soll. Sie ist die einzige "normal" empfindende Person der Oper, empathisch, verliebt, aufopferungsbereit. Stimmlich hätte ich gerne noch einen Hauch Wärme vernommen, aber Ekaterina Sannikova (für Guanqun Yu eingesprungen, die sich während der Premiere schwer verletzte) sang sehr sicher, ihr standen in der Nilarie auch zarte Töne zur Verfügung. Von der Lautstärke her konnte sie ausgezeichnet mit Radamès mithalten.
VOM POOLBOY ZUM HEERFÜHRER
Dieser Radamès ist eigentlich ein netter, aber etwas unbedarfter Kerl. Er betätigt sich als "Mann für alles" in dieser dekadenten Gesellschaft, verlegt zum Beispiel die Fliesen rund um den Indoorpool. Noch glaubt er an den Endsieg, ja träumt gar davon Heerführer zu werden in dieser letzten Schlacht, die angeblich geschlagen werden muss. Als er dann auserkoren wird, freut er sich wie ein Kind auf die neue, massgeschneiderte Uniform - und kassiert dafür vom Ramfis prompt eine Ohrfeige. Der Messagero leidet an Drogenentzug, kann seine Botschaft kaum mehr artikulieren. Einer der alten Männer übersetzt, aber wahrscheinlich nicht die originale Nachricht (Kudaibergen Abildin singt die kurze Phrase toll), dann wird der Messagero flugs vom harlekinartigen Henker/Folterknecht mittels Todesspritze/Überdosis ins Jenseits befördert. Auch Radamès braucht nach seinem erfolgreichen Feldzug erst mal eine Dosis Aufputschmittel, um das Grauen des Krieges zu ertragen. Das macht ihn nicht nur fidel, sondern auch mutig. Er setzt sich für die Gefangenen ein, reisst ihnen die dämlichen Elefantenmützen vom Kopf, gibt ihnen ein wenig Würde zurück. Stefano La Colla verströmt sicher intonierten Wohllaut mit seiner voluminösen Stimme, attackiert und erreicht mühelos die strahlenden Spitzentöne, bei "Celeste Aida" halt im Fortissimo. Er klingt klar und sauber, ohne jegliche Ermüdungserscheinungen im Schlussduett mit Aida in der Folterkammer. Eine kerngesunde Stimme, der man gerne zuhört und ein überzeugender Darsteller, gerade auch in der Rolle des naiven Hausmeisters zu Beginn.
EREIGNISHAFT: AMONASRO
Als Adidas Vater Amonasro trumpft Nicholas Brownlee ganz gross auf. Was für eine gewaltige Baritonstimme ist da zu erleben, voluminöser und restlos begeisternder Wohlklang von packender Wucht. Am Ende des dritten Aktes wird er von Radamès erschossen und muss nun während des gesamten vierten Aktes im seichten Pool liegen. Hoffentlich erkältet er sich nicht, das wäre ein zu hoher Preis nur um Amneris' morbiden Lüsten zu genügen.
Erik Nielsen am Pult des sehr farbenreich spielenden Frankfurter Opern- und Museums Orchesters leitet die Aufführung mit grosser Umsicht und achtet auf die klangliche Balance. Das ist nie allzu reisserisch, sondern stets von ausgewogener Transparenz. Stimmig! Der Chor und der Extrachor der Oper Frankfurt leisten klanglich und darstellerisch Überwältigendes.
Nachdem sich Ramfis bereits im ersten Akt die Ohren während des scheinheilig verklärenden Gesangs der Priesterin zugehalten hatte (Monika Buczkowska, die gestern noch die Martha sang, intonierte das hinreissend aus dem Off) und er zur Einleitung des Nilaktes gar in einer Vision eine Art Marienerscheinung hatte, brachte er die geistig nun völlig abgedriftete Amneris mit einer Überdosis um. Knapp konnte die noch das "Pace t'imploro" hauchen, dann verstarb sie. Zum Fallen des Vorhangs hält sich Ramfis die Pistole an die Schläfe .... .
Lydia Steier hat einen spannenden, kontroverse Reaktionen hervorrufenden Opernabend gestaltet. An manchen Stellen für meinen Geschmack vielleicht etwas zu dick oder zu verrätselt aufgetragen. Ein Regisseur/eine Regisseurin sollte sich immer vor Augen halten, dass das Publikum nicht die vollständige Konzeption kennen kann und eventuell auch das informative Programmheft nicht vor der Vorstellung zu lesen gewillt ist. Um Rätsel entwirren zu müssen, ist AIDA zu schade. Aber das nur am Rande. Als Gesamterlebnis fand ich's hoch interessant.
Werk:
Trotz aller Arenatauglichkeit ist Verdis drittletzte Oper weniger ein Massenspektakel, eher ein intimes Kammerspiel mit einigen effektreichen Massenszenen (der gewaltige Triumphmarsch am Ende des zweiten Aktes mit seiner Zusammenführung der im Verlauf des Werks leitmotivartig verarbeiteten Themen). Pikante Kolorierungen exotischen Einschlags und Versuche, ein durchkomponiertes Musikdrama zu schaffen, vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es sich bei AIDA um eine durch und durch italienische Nummern-Oper handelt. Verdi hat dem Orchester allerdings eine wichtige Aufgabe zugeschrieben, gegenüber früheren Werken ist die Eigenständigkeit des Orchesterparts gewaltig gesteigert und unterstützt so die Singstimmen in ihrer Darstellung der Gefühle und Leidenschaften und malt eindrucksvolle Stimmungsbilder (z. B. als Einleitung zur Nilarie).
AIDA war weder die Eröffnungsoper der Kairoer Oper (das war RIGOLETTO) noch wurde sie zur Eröffnung des Suez-Kanals (1869) gespielt, wie oft fälschlicherweise kolportiert wird. Sie war jedoch ein Auftragswerk des Opernenthusiasten Ismail Pascha, Khedive von Ägypten. Verdi begeisterte sich schnell für das exotische Sujet und kam auch dem Wunsch des ägyptischen Vizekönigs nach, die Uraufführung (gegen eine exorbitante Gage notabene) in Kairo stattfinden zu lassen. Diese musste jedoch wegen der Wirren des Deutsch-Französischen Krieges um beinahe ein Jahr verschoben werden. AIDA gehört seither ununterbrochen zu den Stützen des Repertoires und ist ein Garant für volle Kassen. Die Oper bietet zudem dankbare Paraderollen für Soprane und Mezzosoprane. Bekannte Interpretinnen der Aida wurden u.a. Maria Chiara, Maria Callas, Leontyne Price, Montserrat Caballé, Birgit Nilsson; die Rolle der Amneris wurde durch Grace Bumbry, Elena Obratzsova, Fiorenza Cossotto, Fedora Barbieri, Giulietta Simionato u.a. exemplarisch geprägt.
Inhalt:
Aida lebt als Sklavin des äthiopischen Königs am Hof der ägyptischen Pharaonen. Doch ist dort ihre königliche Abstammung nicht bekannt. Sie hat ein inniges Liebesverhältnis mit dem ägyptischen Feldherrn Radames. Durch einen fiesen Schachzug kommt die Pharaonentochter Amneris hinter das Geheimnis. Da sie ebenfalls in Radames verliebt ist, bricht die Rivalität zwischen den beiden offen aus. Radames kommt erfolgreich aus einem Feldzug gegen die Äthiopier zurück. Unter den Gefangenen befindet sich auch Aidas Vater Amonasro. Er verlangt von Aida, dass sie Radames strategische Geheimnisse entlocke. Nach einigem Zögern willigt Aida ein. Als Radames seinen Vaterlandsverrat erkennt, ist es bereits zu spät. Amneris und der Hohepriester Ramphis überraschen die drei. Aida kann noch fliehen, Amonasro fällt. Radames wird verhaftet und des Hochverrats angeklagt. Er wird nach dem Prozess lebendig begraben. Aida hat sich in sein Grab geschmuggelt. Gemeinsam nehmen sie Abschied von der Welt. Amneris betet über dem Grab zu Isis, Radames' Seele möge in Frieden ruhen.
Musikalische Höhepunkte:
Celeste Aida, Arie des Radames, Akt I (mit dem gefürchteten, pianissimo zu singenden hohen B am Ende)
Ritorna vincitor, Arie der Aida, Akt I
Vieni, sul crin ti poivano …, Amneris-Aida, Akt II
Gloria al Egitto, Triumphmarsch und Finale Akt II
O patria mia, Arie der Aida, Akt III (Nilarie)
Gerichtsszene, Amneris-Radames-Ramfis-Priester, Akt IV
O terra, addio, Duett Aida-Radames, mit Gebet der Amneris Akt IV