Basel: AIDA, 14.09.2010
Oper in vier Akten |
Musik: Giuseppe Verdi |
Libretto: Antonio Ghislanzoni |
Uraufführung: 24. Dezember 1871 in Kairo |
Aufführungen in Basel: 14.9. |18.91. | 26.9. | 5.10. | 9.10 | 13.10. | 16.10. | 22.10. | 25.10. | 28.10. | 7.11. | 12.11. | 15.11. | 20.11. | 23.11. | 27.11. | 5.12. | 11.12. | 28.12. 2010
Kritik:
AIDA ist seit Jahrzehnten die Arena-Oper schlechthin. Was liegt also näher, als sie in einer Arena (hier im Fussballstadion St.Jakob in Basel) spielen zu lassen, und damit den Uralt Trick vom „Theater im Theater“ durch „Stadion im Theater“ leicht zu modifizieren. Wenn der Katalane Calixto Bieito Regie führt, weiss der Zuschauer unterdessen, dass er keine Herz-Schmerz-Romantik und/oder putzige Dekorationen erwarten kann. So auch bei seiner neuesten Arbeit am Theater Basel. Mit nahezu neurotischer Obsession huldigt Bieito in beinahe jeder seiner Inszenierungen der unheiligen Dreifaltigkeit von Blut (Unterdrückung), Sex und Religion – und fand mit AIDA erneut eine Spielwiese, um seine Mission mit dem Vorschlaghammer an die Frauen und Mannen im Zuschauerraum zu bringen. Doch die Schockwirkung bleibt unterdessen aus, zu oft hat man all dies schon gesehen - auf der Bühne, im Fernsehen, im Leben. Kaum jemand verliess nach dem ins Orgiastische gesteigerten Blutrausch des Triumphmarschs die ausverkaufte Vorstellung, am Ende gab es von den eingefleischten Anhängern des Regisseurs lautstarke Bravi, in denen die schüchternen Buhrufe beinahe untergingen.
Auf der Bühne (Rebecca Ringst) also ein Querschnitt durch das Stadion, in der Mitte sitzen die biederen, hemdsärmligen Mannen einer patriotischen Volkspartei, links die eher vornehmer und besser gekleideten Liberalen (Banker und Gemahlinnen) und rechts Schickimickis, die wohl dem Kunst-Daig zugerechnet werden können (Kostüme: Ingo Krügler). Selbstverständlich kann die Vorstellung nicht mit der zarten Ouvertüre beginnen, zuerst muss - das verlangt eine Stadionaufführung - eine Hymne geschmettert werden (hier das Gloria al Egitto, aus dem 2. Akt). Ramfis ist eine Art Schamane, in den Farben der Trikolore, welcher die Menge immer wieder mit archaischen Blutopfern in seinen Bann zieht, der König ein hinkender Diktator in Operettenuniform, Amneris ist der alle überragende blonde Vamp, Radames der schlichte Träumer und Utopist im grauen Strassenanzug und Aida wurde als arabisch gekleidete Nanny aus dem Orient eingeführt; sie darf mit den in Appenzellertrachten gekleideten Kindern zur Radames-Arie Celeste Aida Ball spielen, was die Zuschauer auf der Bühne sehr niedlich finden - die Zuhörer im Saal aber eher weniger. Doch kaum berichtet der Messagero (ein Schweizer Grenzwächter), dass Fremde ins Land eingedrungen seien, ist die Hölle los. Ein katholischer Kaplan und Kinderschänder wiegelt die Menge zusätzlich auf, der kollektive Blutrausch kann beginnen und kennt kein Halten mehr. Die zuvor in den Stadionslogen in Quarantäne gehaltenen Fremdlinge (witzigerweise direkt vor dem RICOLA-Werbebanner), werden nun geschändet, auf bestialische Art entwürdigt und mit faulem Essen beworfen. Ein Pulk aus blutverschmierten Halbnackten bevölkert die Bühne, der Kaplan schnappt sich ein Knäblein, ein Transsexueller stakst verloren auf der Bühne herum (später wird er dann noch mit seinem Lippenstift die Loge verschmieren), die in spanischem Trauerkostüm singende Priesterin besteigt den Grenzwächter, Amneris zieht Aida bis auf die Unterwäsche auf demütigende Art und Weise aus. Das sind zum Teil wirklich starke Bilder – doch unter der Flut an visuellen Eindrücken hat selbst Verdis grandioses Finale keine Chance mehr, die Musik wird zur Nebensache. Im dritten und vierten Akt ändert sich das stellenweise, das Drama wird intimer. Ein einziger, total emotionslos die dramatischen Geschehnisse verfolgender Beobachter im abgefackelten, nackten Stadion ist noch übriggeblieben: Ein alter Mann, der äusserlich sehr viel Ähnlichkeit mit einem vor wenigen Jahren abgewählten Bundesrat einer sich dem Hurra-Patriotismus verschriebenen Volkspartei hat. Hinter ihm wird der Schriftzug: DURCH MEINE SCHULD an die Wände des Stadions geschlagen. Den Verantwortlichen scheint klar geworden zu sein, dass sie mit ihrer Fremdenfeindlichkeit auch das Glück der eigenen Kinder zerstört haben. Nur schade, dass während der hochdramatischen Gerichtsszene dann wieder ein unnötiger Aktionismus einsetzt (Schaufeln des Grabes für Radames), welcher die eindrücklichste Musik der Partitur in den Hintergrund rückt.
Den Ausführenden wird immenser Körpereinsatz abverlangt, sie identifizieren sich voll und überzeugend mit ihren Rollen. Angeles Blancas ist eine selbstbewusste Aida, auch stimmlich ist da nichts von unterwürfiger Sklavin zu hören, metallisch grell, manchmal fast schmerzlich schrill, klingt die Stimme im forte, sehr schöne piani und eine gewisse Kurzatmigkeit prägen ihre Arien. (Dies wiederum ist aber auch darauf zurückzuführen, dass der Dirigent Maurizio Barbacini keine Schlampereien und Sängerunarten wie überlange Fermaten und ungenaue Notenwerte duldet). Michelle De Young als Pharaonentochter Amneris ist geradezu ideal besetzt, ihr warm timbrierter Mezzo vermag alle Facetten der dankbaren Rolle auszuloten, von Schmeicheleien und Falschheiten, zu strahlkräftigen, triumphierenden Gesängen und darauf folgenden Tränen der Verzweiflung. Umwerfend dann auch ihre Bauchtanzversuche zusammen mit den Damen des Chores: Biedere westliche Ehefrauen machen zum Gaudi ihrer primitiven, schenkelklopfenden Männer mal ein bisschen auf Orientalismus, während im Hintergrund Kinder an Nähmaschinen im Akkord europäische Flaggen nähen müssen. Wenigstens wurde so das Problem der Balletteinlagen souverän gelöst ;-)
Sergej Khomov ist der von beiden Damen umworbene Radames, kein strahlender Feldherr, eher eine graue Maus, der aber stimmlich durch sehr gepflegtes Singen zu berühren weiss. Immerhin schafft er es, das hohe B am Ende von Celeste Aida einigermassen zurückgenommen zu singen, so wie Verdi es vorgeschrieben hat. Als Amonasro begeistert Alfred Walker mit seiner kernigen Baritonstimme; auch er ist ein sich brutal rächender Machtmensch (kein Wunder, wurde er doch in einem Affenkäfig hereingeführt und vom Grenzwächter mit Bier übergossen), doch findet Alfred Walker im Duett mit seiner Tochter auch zu herzerwärmendem Wohlklang. Das ständige Wühlen in tierischen Eingeweiden hält Daniel Golossov (Ramfis) nicht davon ab, seinen einschmeichelnden, verführerischen Bass eindrücklich strömen zu lassen. Andrew Murphy ist der König, Karl-Heinz Brandt wertet die Rolle des Messagero ungemein auf und Rena Harms mag als Sacerdotessa zu gefallen. Beeindruckend stimmschön singen der Chor und der Extrachor (vor allem die hemdsärmligen Männer) des Theaters Basel. Einige Koordinationsprobleme auf der chaotischen Bühne im Finale des zweiten Akts werden sich wohl schnell beheben lassen. Dem Orchester fiel es schwer, sich gegenüber dem umtriebig-brutalen Geschehen auf der Bühne zu behaupten, wahrlich eine undankbare Aufgabe.
Fazit:
Leider unterliegen Verdi und seine AIDA trotz engagierter SängerInnen im Duell mit einem streckenweise überbordenden Aktionismus auf der Bühne.
Werk:
Trotz aller Arenatauglichkeit ist Verdis drittletzte Oper weniger ein Massenspektakel, eher ein intimes Kammerspiel mit einigen effektreichen Massenszenen (der gewaltige Triumphmarsch am Ende des zweiten Aktes mit seiner Zusammenführung der im Verlauf des Werks leitmotivartig verarbeiteten Themen). Pikante Kolorierungen exotischen Einschlags und Versuche, ein durchkomponiertes Musikdrama zu schaffen, vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es sich bei AIDA um eine durch und durch italienische Nummern-Oper handelt. Verdi hat dem Orchester allerdings eine wichtige Aufgabe zugeschrieben, gegenüber früheren Werken ist die Eigenständigkeit des Orchesterparts gewaltig gesteigert und unterstützt so die Singstimmen in ihrer Darstellung der Gefühle und Leidenschaften und malt eindrucksvolle Stimmungsbilder (z. B. als Einleitung zur Nilarie).
AIDA war weder die Eröffnungsoper der Kairoer Oper (das war RIGOLETTO) noch wurde sie zur Eröffnung des Suez-Kanals (1869) gespielt, wie oft fälschlicherweise kolportiert wird. Sie war jedoch ein Auftragswerk des Opernenthusiasten Ismail Pascha, Khedive von Ägypten. Verdi begeisterte sich schnell für das exotische Sujet und kam auch dem Wunsch des ägyptischen Vizekönigs nach, die Uraufführung (gegen eine exorbitante Gage notabene) in Kairo stattfinden zu lassen. Diese musste jedoch wegen der Wirren des Deutsch-Französischen Krieges um beinahe ein Jahr verschoben werden. AIDA gehört seither ununterbrochen zu den Stützen des Repertoires und ist ein Garant für volle Kassen. Die Oper bietet zudem dankbare Paraderollen für Soprane und Mezzosoprane. Bekannte Interpretinnen der Aida wurden u.a. Maria Chiara, Maria Callas, Leontyne Price, Montserrat Caballé, Birgit Nilsson; die Rolle der Amneris wurde durch Grace Bumbry, Elena Obratzsova, Fiorenza Cossotto, Fedora Barbieri, Giulietta Simionato u.a. exemplarisch geprägt.
Inhalt:
Aida lebt als Sklavin des äthiopischen Königs am Hof der ägyptischen Pharaonen. Doch ist dort ihre königliche Abstammung nicht bekannt. Sie hat ein inniges Liebesverhältnis mit dem ägyptischen Feldherrn Radames. Durch einen fiesen Schachzug kommt die Pharaonentochter Amneris hinter das Geheimnis. Da sie ebenfalls in Radames verliebt ist, bricht die Rivalität zwischen den beiden offen aus. Radames kommt erfolgreich aus einem Feldzug gegen die Äthiopier zurück. Unter den Gefangenen befindet sich auch Aidas Vater Amonasro. Er verlangt von Aida, dass sie Radames strategische Geheimnisse entlocke. Nach einigem Zögern willigt Aida ein. Als Radames seinen Vaterlandsverrat erkennt, ist es bereits zu spät. Amneris und der Hohepriester Ramphis überraschen die drei. Aida kann noch fliehen, Amonasro fällt. Radames wird verhaftet und des Hochverrats angeklagt. Er wird nach dem Prozess lebendig begraben. Aida hat sich in sein Grab geschmuggelt. Gemeinsam nehmen sie Abschied von der Welt. Amneris betet über dem Grab zu Isis, Radames' Seele möge in Frieden ruhen.
Musikalische Höhepunkte:
Celeste Aida, Arie des Radames, Akt I (mit dem gefürchtenten, pianissimo zu singenden hohen B am Ende)
Ritorna vincitor, Arie der Aida, Akt I
Vieni, sul crin ti poivano …, Amneris-Aida, Akt II
Gloria al Egitto, Triumphmarsch und Finale Akt II
O patria mia, Arie der Aida, Akt III (Nilarie)
Gerichtsszene, Amneris-Radames-Ramfis-Priester, Akt IV
O terra, addio, Duett Aida-Radames, mit Gebet der Amneris Akt IV
Videotrailer mit Interview Bieito und Bildern der Inszenierung
AIDA aus Basel im Fernsehen
Nach den preisgekrönten Produktionen «La Traviata am Hauptbahnhof» und «La Bohème im Hochhaus» inszeniert das Schweizer Fernsehen als Abschluss der Trilogie noch einmal eine Oper vor ungewöhnlicher Szenerie. Schauplatz von «Aida am Rhein» ist das Basler Rheinufer rund um die Mittlere Brücke und das Grand Hotel Les Trois Rois in Basel. Das Ensemble des Theater Basel mit dem Sinfonieorchester Basel lassen «Aida» aus einem völlig neuen Blickwinkel entstehen. Sandra Studer führt am Freitag, 1. Oktober 2010, um 20.05 Uhr auf SF 1 und HD suisse durch die Sendung. (Text SF)