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Zürich, Opernhaus: BRAHMS, DVOŘÁK, 30.10.2021

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Elgar, Brahms; Runnicles, Ax

copyright: Andrin Fretz, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Johannes Brahms: 1. Klavierkonzert in d-Moll, op 15 | Uraufführung: 22. Januar 1859 in Hannover | Antonin Dvořák: 8. Sinfonie in G-Dur, op 88 | Uraufführung: 2. Februar 1890 in Prag | Dieses Konzert in Zürich: 30.10.2021 | in Basel: 31.10.2021 | in Bern: 1.11.2021

Kritik:

Zusammengesunken sitzt der schmächtige Mann am Klavier, die langen strähnigen Haare scheinen noch feucht zu sein und hängen beinahe bis zu den Tasten herunter. Man fürchtet schon, Daniil Trifonov sei eingeschlafen oder befinde sich in Trance in einer anderen Welt, während die Philharmonia Zürich unter der Leitung des neuen GMD Gianandrea Noseda mit hin- und mitreissender Kraft die wuchtigen 90 Takte der grossangelegten orchestralen Einleitung zu Brahms' erstem Klavierkonzert spielt. Doch Trifonov schläft natürlich nicht, er setzt mit präziser Selbstverständlichkeit ein und was sich nun während der nächsten 45 Minuten entwickelt, ist schlicht und ergreifend ereignishaft. Die wuchtigen und gefürchteten Oktavtriller - für Trifonov scheinen sie ein Kinderspiel zu sein. Virtuos umspielt er dieThemen, die das Orchester vorgibt. Packend führt er das wunderschöne F-Dur Seitenthema ein, begeistert mit seinem unnachahmlich zarten, von erhabener Klanglichkeit erfüllten Anschlag. Weich hingetupfte Töne und atemberaubende Trillerkaskaden, Läufe mit überkreuzten Händen und choralartige Akkorde lassen einen vor Ehrfurcht erstarren. Mit sanft strönmender Gelassenheit breiten Noseda und die Philharmonia Zürich im zweiten Satz einen warmstimmenden Streicherteppich aus, mit perfektem Legato und sparsamem Pedaleinsatz setzt Trifonov ein, erneut blitzen brillante Trillerketten auf, sanft verklingt der elegische Satz. Im Finale nun stellt das Klavier das kraftvolle Hauptthema vor, das melodisch und rhythmisch den ungarischen Einfluss erkennen lässt - ein trotziger Tanz. Während das Orchester das Thema übernimmt, versinkt der Pianist wieder in seine auf die Tasten starrende Trance, um mit rasanten Läufen und hochspannendem Dialogisieren mit dem Orchester daraus zu erwachen. Nach der brillanten Kadenz, bei der Trifonov auch mal die linke Faust ballt, während die rechte Hand über die Tasten rast, setzt das Horn mit bestechender Sauberkeit ein. Ein begeisterndes Fugato der Violinen und ein kurze zweite Kadenz des Solisten bringen das Werk mit einem Paukenwirbel (mit dem es zu Beginn des ersten Satzes auch eingeleitet wurde) zum Abschluss. Das Publikum rast. Als Zugabe wählt Trifonov Bach (Eben hat er ein Bach-Doppelalbum veröffentlicht mit Stücken u.a. aus Die Kunst der Fuge). Mit transparent und innig vorgetragener Unaufgeregtheit erdet er uns wieder nach dem aufwühlenden Höhenflug von Brahms' erstem Klavierkonzert.

Nach der Pause dann Dvořáks achte Sinfonie - welch ein Kontrast zur schweren Geburt, welche Dvořáks Freund und Förderer Brahms mit seinem ersten Klavierkonzert (und auch seiner ersten Sinfonie!) hatte. Hier herrscht pure Lebensfreude und Verherrlichung von Natur und Heimat, mit vor Einfallsreichtum reich befrachteter motivischer Fülle. Bei Gianandrea Noseda hat man das Gefühl, dass diese Musik jede Faser seines Körpers erfüllt - er tänzelt auf dem Podest, geht auch mal tief in die Knie und richtet sich wieder auf, wenn ein Thema, eine Phrase das verlangt. Die Philharmonia Zürich begeistert mit hinreissender Spielfreude, glänzt mit singenden Celli, berührt mit elegischen und virtuosen Passagen der Holzbläser im Nocturne - artigen Adagio, in dem die Violinen dann gekonnt Plaudern und Kichern und der Konzertmeister Bartlomiej Niziol ein wunderbares Solo spielt. Mit angebrachter Süsse erklingt der an Tschaikowski gemahnende Walzer des dritten Satzes. Energisch intonieren die Trompeten die Fanfare, welche das Finale einleitet. Und wieder beeindrucken die Celli mit kräftigen, vehementen Bogenstrichen und warmen Kantilenen. Meisterhaft setzt die Soloflöte ein, unerbittlich akzentuiert Noseda das Pochen, welches uns die Ohren von all den Dvořák so unermüdlich eingefallenen Melodien und Themen zu putzen versucht. Eine Entschleunigung setzt nun ein, mit ruhiger Hand lässt Gianandrea Noseda die Verarbeitung des Themenreichtums erklingen, bevor er die Philharmonia Zürich zum keinen Effekt scheuenden, rasanten Furiant-Schluss führt. Der verdiente Jubel des Publikums kennt kaum Grenzen.

Fazit: Kurz und bündig - WOW!

Werke:

Die Enstehungsgeschichte von Johannes Brahms' (1833-1897) erstem Klavierkonzert in d-Moll, op. 15 stellt einen langen Leidensweg dar. Brahms war mit den Schumanns (Robert und Clara) eng befreundet, Schumann widmete dem jungen Mann auch eine seiner letzten Kompositionen, das Konzert-Allegro für Klavier und Orchester in d-Moll, op. 134. Daher ist es kaum ein Zufall, dass auch Brahms sein erstes Klavierkonzert in dieser Tonart schrieb. Brahms Idee war allerdings, zuerst ein Konzerstück für zwei Klaviere zu schreiben, die Flut an Material sprengte allerdings bald diesen Rahmen. Danach wollte Brahms die Themen zu einer Sinfonie ausarbeiten, wich aber bald wieder von diesen Plänen ab und schrieb schliesslich eben dieses erste von seinen beiden Klavierkonzerten (das zweite folgte erst rund 25 Jahre später). Der Kopfsatz (Maestoso) überrascht mit einer überlangen Orchestereinleitung. Erst nach 91 Takten setzt das Klavier ein. Brahms gelingt in diesem Satz eine spannungsvolle Verarbeitung des von unterschiedlichen Stimmungen geprägten motivischen Materials. Der 2. Satz (Adagio) scheint eine Liebeserklärung an die von Brahm verehrte (anghimmelte?) Clara Schumann zu sein, welche während der Entstehungzeit von Brahms' Klavierkonzert Witwe geworden war. Sie blieb dem jungen Komponisten zwar stets freundschaftlich verbunden, doch mehr war da leider (aus Brahms' Sicht) nicht. Im finalen Rondo schliesslich stellt das Klavier das Hauptthema vor, welches vom Orchester aufgenommen wird. Zwei Kadenzen gegen das Ende hin führen zum triumphalen Abschluss dieses mit seinen rund 50 Minuten Spieldauer in jeglicher Hinsicht beachtenswerten und bedeutenden Werkes der Hochromantik.

Leider geht gerne vergessen, dass Antonin Dvořák (1841-1904) im Schatten der überpopulären 9. Sinfonie "Aus der neuen Welt" noch acht weitere Sinfonien hinterlassen hat, die es mehr als wert sind entdeckt und geschätzt zu werden. Gerade die Achte stellt einen Meilenstein und eine Wendung in der kompositorischen Reife des böhmischen Meisters dar. "Mein Kopf ist voller Ideen, wenn man sie nur sofort niederschreiben könnt3", schrieb er 1889 an einen Freund. Nach der Arbeit an den dreizehn Klavierstücken, op. 85 machte er sich daran, die Vielzahl der Ideen in einer Sinfonie zu verarbeiten. Formal entspricht sie zwar mit ihren vier Sätzen der traditionellen sinfonischen Grossform. doch die Verarbeitung des reichen motivischen Materials ist von einer nie erlahmenden, beinahe improvisierenden Schaffenslust geprägt. Dabei nimmt er die poetische Grundstimmung der dreizehn Klavierstücke auf, die wie eine Studie zur 8. Sinfonie wirken können. Auf den schnellen Kopfsatz in Sonatenform folgt ein serenadenhaftes Adagio, in dem sich Hell und Dunkel abwechseln. Der dritte Satz, ein graziles, walzerartiges Scherzo, scheint eine Referenz an Tschaikowski darzustellen. Mit Fanfarenstössen der Trompeten wird der kraftvolle Finalsatz eingeleitet. Variationen prägen die musikalische Struktur. Dvořák lässt ihn mit einer triumphalen Coda enden.

Wegen (finanziellen) Streitigkeiten mit seinem bisherigen Verleger Simrock liess Dvořák die Sinfonie bei Novello in London herausgeben. Dieser Umstand und der damit verbundene Erfolg, den Dvořák mit der Sinfonie in England hatte, brachten der Achten den Beinamen "Die Englische" ein.

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