Winterthur, Stadthaus: MOZART, RACHMANINOW, ELGAR; 11.12.2024
Yulianna Avdeeva spielt Rachmaninows geniale Rhapsodie über ein Thema von Paganini, Roberto González-Monjas leitet das Musikkollegium Winterthur
Werke: Wolfgang Amadeus Mozart: Adagio und Fuge in c-Moll, KV 546 | Komposition abgeschlossen am 26. Juni 1788 | Sergej Rachmaninow: Rhapsodie über ein Thema von Paganini in a-Moll, op. 43| Uraufführung: 7. November 1934 in Baltimore unter der Leitung von Leopold Stokowski, mit dem Komponisten am Klavier | Edward Elgar: Enigma Variationen, op. 36 | Uraufführung: 19. Juni 1899 in London | Dieses Konzert in Winterthur: 11. und 12.12.2024
Kritik:
Faszinierender Reichtum an Variationen
Gleich in allen drei der an diesem Abend gespielten Werke führten uns deren Komponisten durch eine mal amüsante, dann wieder rätselhafte, mal kopflastig-akademische , dann wieder hochromatisch bewegende, mal verspielt jazzige, dann wieder klassisch strenge Welt an Variationen, wobei nur bei Elgar der Begriff "Variationen" im Titel explizit vorkommt. Aber auch eine kunstvoll gearbeitete Fuge mit ihren Umkehrungen und Spiegelungen des Themas ist ja eine Art Variation und eine Rhapsodie über ein vorgegebenes Thema natürlich sowieso.
Am Anfang des Konzerts erklang Mozarts Zweisätzer ADAGIO UND FUGE, KV 546, ein ebenso faszinierendes wie ungewöhnliches Werk und eine relativ selten in der orchestrierten Fassung erklingende Komposition. Roberto González-Monjas am Pult des ausserordentlich konzentriert spielenden Musikkollegiums Winterthur ging die Agagio-Einleitung mit bezwingender Dramatik an, die Musik verharrte im Tragischen. Die unmittelbar anschliessende Fuge, dieses kontrapunktische Meisterwerk Mozarts, wirkte ausserordentlich lebhaft und der Streicherklang blieb trotz klanglicher Massierung überaus transparent. Um alle Fallen und Feinheiten von Mozarts Auslegung des strengen Regelwerks der Fuge herauszuhören, ist es lohnend, sich diese kurze Komposition mehrmals anzuhören.
Die 24 Variationen über ein Thema von Paganini, welche seine Rhapsodie bilden, sind schlicht von überwältigender Eindringlichkeit, hintergründig, kunst- und lustvoll und von unfassbarer Virtuosität. Yulianna Avdeeva war die wunderbare Solistin am Flügel und wurde allen Aspekten dieses fantastischen Werks gerecht. Mal knallig die Akkorde anschlagend (Assoziationen an Mussorgskys "Das grosse Tor von Kiew" tauchen vor dem inneren Ohr auf), dann wieder sich wie verträumt in sanft perlenden Passagen wiegend. Hymnische Erhabenheit wechselte mit kadenzartiger Rasanz, leidvoll klagte die Solovioline dazwischen, spätromantische Atmosphäre wurde beschworen, dann knallte und ratterte es wieder im Stil der Zeitgenossen Rachmaninows der 1930er Jahre. Nervöse Mechanik wurde von Beckenschlägen zum Stillstand gebracht und mit emphatischen Steigerungen und einem kleinen Witz am Schluss endete das fulminant gespielte Werk. Roberto González-Monjas und das Musikkollegium Winterthur schafften es trotz aller klanglichen Dichte, immer wieder das Paganini - Thema durchschimmern zu lassen. Yulianna Avdeeva spielte ein ruhiges, sanft und herrlich perlend intoniertes Stück von Chopin als heftig applaudierte Zugabe.
Elgars "Enigma" Variationen über ein eigenes Thema folgten nach der Pause. Roberto González-Monjas gelang es wunderbar, diesen so typischen Streicherklang Elgars herauszuarbeiten. Er liess den Bratschen in der ersten Variation z. B. viel Zeit zum Ausschwingenlassen des Klangs. Der ohne Partitur dirigierende Chefdirigent des Musikkollegiums entwickelte mit seinem hervorragend spielenden Orchester eine klangliche Faszination, die zu berühren und zu begeistern vermochte, regelrecht in Bann zog. Ich habe die Enigma Variationen schon oft im Konzertsaal und auf Einspielungen gehört. Aber so konzentriert und gefesselt von dieser wunderbaren Musik war ich noch selten! Das war ein erhebendes Schwelgen in Elgars Klangmagie und Roberto González-Monjas und das Musikkollegium Winterthur evozierten diesen warmen Streicherklang, diese luftig wirkenden Einwürfe der Holzbläser und die gewichtigen Passagen des Blechs aufs Allerschönste. Als dann das Orchester so feinfühlig in die 9. Variation einstieg (Nimrod), den Kulminationspunkt mittels dynamisch klug austarierter Steigerung erklomm und danach die Musik sanft verhallen liess, wäre man vor Rührung und Dankbarkeit am liebsten niedergekniet. Doch noch folgten fünf weitere Variationen, z. T. fein hingetupft, dann wieder vor Lebendigkeit sprühend und am Ende die unterschiedlichen Stimmungen triumphal vereinend, auch das Pathos durchaus artikulierend, dann durch ein leichtes accelerando vorwärts drängend, um am Ende geradezu zu explodieren. Sie Edward Elgars Musik (und auch die seines Zeitgenossen Ralph Vaughn Williams) verdient unbedingt hierzulande vermehrt in die Programmierung von Konzerten miteinbezogen zu werden! Riesiger Applaus für ein wahrlich ausserordentliches Konzert!
Übrigens hat 1934 kein Geringerer als Fritz Busch die allererste Aufführung der ENIGMA VARIATIONEN mit dem Musikkollegium Winterthur dirigiert!
Werke:
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) lernte durch den Diplomaten und Musikfreund Baron Gottfried van Zwieten, der eine umfangreiche Notenbibliothek besass, die Werke Händes und Johann Sebastian Bachs und seiner Söhne kennen. so eignete er sich die poyphone Technik der Barockmusik an. Bereits 1783 entstand so die Fuge für zwei Klaviere KV 426. Fünf Jahre später hat er diese Komposition für Streicher bearbeitet und der Fuge ein gewichtiges Adagio vorangestellt, das in der Art einer französischen Ouvertüre daherkommt. In der Fuge dann geht Mozart virtuos mit dem Regelwerk der Fuge um, stellt Spiegelungen und Umkehrungen eng geführt übereinander, das ist von einer genuinen Meisterschaft geprägt, die einen erstaunen lässt, alles dabei regelgerecht eingebettet in das Pathos, das der Tonart c-Moll zugeschrieben wird. Beethoven soll sich sogar diese Fuge zu Studienzwecken abgschrieben haben.
Die 24 Variationen über ein Thema von Paganini (dessen berühmtes Caprice in a-Moll, das auch Brahms und Liszt zum Komponieren von Variationen inspiriert hatte) zählen zu Sergej Rachmaninows (1873-1943) reifsten Werken und sind sehr diffizil zu spielen. Die 24 Variationen können in drei grosse Abschnitte unterteilt werden und gleichen somit einem Sonatensatz. Die erste Variation erklingt noch vor dem Thema und wird somit zu einer Art Passacaglia. Die folgenden 9 Variationen bilden quasi die Exposition des Sontensatzes. In der 7. Variation schimmert das von Rachmaninow in vielen seiner Werke verwendete Dies-Irae-Motiv auf. Danach folgt mit der 11. Variation der Übergang zur Durchführung. Mit der 19. Variation wird wieder die Gundtonart erreicht und so die Reprise als letzter Abschnitt aufgebaut. Ganz am Ende taucht im Blech nochmals das Dies Irae auf. Michail Fokine wllte dieses Opus Rachmaninows geren als Ballett bearbeiten. Daraufhin gab ihm der Komponist einige inhlatliche Hinweise: Paganini (das Hauptthema) geht mit den Mächten der Finsternis (Dies Irae) ein Bündnis ein, das ihm virtuose Vollkommenheit (19. Variation) und Erfüllung in der Liebe (Menuett-Variation) garantiert.
Seinen Durchbruch als einer der meist verehrten Komponisten Grossbritanniens verdankte Sir Edward Elgar (1857-1934) den Enigma Variationen, op 36, deren Komposition er im Jahr 1899 abschloss. Angeblich basieren die 14 Variations on an original theme auf einer von Elgar zufällig gespielten Melodie, welche seiner Frau sehr gut gefiel. Die einzelnen Variationen lassen sich aufgrund der von Elgar angefügten Initialen engen Freunden des Komponisten zuordnen. Das Rätsel um das Hauptthema ist jedoch noch nicht restlos geklärt, da es im Stück nicht explizit vorkommt. Elgar nahm zu all den Spekulationen um das Hauptthema nie Stellung. Viele Musikwissenschaftler weltweit stellten Theorien dazu auf, doch Elgar nahm sein Geheimnis wohl mit ins Grab. Wie dem auch sei, das Werk gehört zu den Klassikern der Orchesterliteratur und erfreut sich auch ausserhalb der Konzertsäle grosser Beliebtheit. Manch eine der Variationen wurde als Filmmusik "missbraucht", besonders die Variation Nr. 9 mit dem Untertitel Nimrod bot sich wegen ihrer berückenden, erhabenen Schönheit dazu an.