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Zürich: LE NOZZE DI FIGARO, 19.06.2022

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Le Nozze di Figaro

copyright: Herwig Prammer, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Opera buffa in vier Akten | Musik: Wolfgang Amadeus Mozart | Libretto : Lorenzo da Ponte | Uraufführung: 1. Mai 1786, Burgtheater Wien | Aufführungen in Zürich: 19.6. | 22.6. | 25.6. | 28.6. | 1.7. | 3.7. | 7.7. | 10.7.2022

Kritik:

"La folle journée ou Le mariage de Figaro" betitelte Pierre Augustin Caron de Beaumarchais seine 1776 entstandene Komödie, die als Vorlage für das Libretto Lorenza da Pontes zu Mozarts Meisterwerk LE NOZZE DI FIGARO diente. Das Inszenierungsteam um den Regisseur Jan Philipp Gloger setzte für die Neuinszenierung von Mozarts Oper am Opernhaus Zürich diese "folle journée" mit atemberaubernder Rasanz und Genauigkeit um. Das Adjektiv "fou/folle" hat ja diverse Bedeutungen, das geht von wirr, verrückt, toll, unbändig, überschäumend, vergeblich, unsinnig, wahnsinnig, wild bis zu tuntig oder ausser sich sein. Und all dies erleben wir an diesem Abend, an dem man aus dem Staunen über die szenische Agilität der Darsteller*innen kaum mehr herauskommt. Gloger hat am Opernhaus bereits mit Rossinis IL TURCO IN ITALIA und Vivaldis LA VERITÀ IN CIMENTO brillant und amüsant aktualisierte Inszenierungen von Buffo-Opern auf die Bühne gebracht. Mit diesem FIGARO ist ihm erneut ein szenischer Coup gelungen. Die Inszenierung ist dermassen vielschichtig, dass man sie sich wohl mehrmals ansehen muss, um alle Irrungen und Wirrungen, alle Anspielungen zu durchschauen. Der Regisseur und sein Ausstattungsteam (Bühne: Ben Baur, Kostüme: Karin Jud, Lichtgestaltung: Martin Gebhardt, Video: Tieni Burkhalter) haben die Handlung in die Jetztzeit verlegt. Das funktioniert hervorragend, denn die Themen sind eigentlich damals wie heute aktuell: Sexuelle Übergriffigkeit, Machtgefälle, Intrigen, Geschlechterkampf, Diversität. Zur Ouvertüre sehen wir auf dem Zwischenvorhang die Projektion eines Verhaltenskodex, eines Leitbilds, wie wir es aus Firmen, Schulen etc. kennen: Gleichstellung der Geschlechter, keine Diskriminierung, keine sexuelle Belästigung, Einschreiten bei unangebrachtem Verhalten, "Wir tun, was wir sagen". Der Graf und sein eilfertiger Gehilfe Basilio bringen noch letzte (elektronische) Korrekturen an, dann wird der Code of Conduct vom Hausmeister Antonio am Hauseingang angeschlagen. Selbstverständlich versucht der Graf später, diesen Kodex zu unterlaufen, bringt zu Beginn des zweiten Aktes erneut Korrekturen (zu seinen Gunsten) an, die ihm sexuelle Freiheiten einräumen. Wenn nach dem zweiten und dem dritten Akt die seelischen und erotischen Verwirrungen immer komplexer werden, bringt es Cherubino zu Beginn des letzten Aktes auf den Punkt, in dem er mit seinem Tablet in den elektronischen Kodex eingreift und die Worte seiner ersten Arie in Endlosschlaufe einfügt: Non so più cosa son, cosa faccio. Denn tatsächlich weiss gegen Ende dieses ver-rückten Tages niemand mehr so genau wo er/sie steht oder man kann es auch so sehen: Jede*r hat etwas über sich selbst und seine wahren Gefühle gelernt: Die Gräfin und Susanna fühlen sich gegenseitig an- und zu Cherubino hingezogen, bleiben aber vorerst beim Grafen, respektive bei Figaro, Marcellina kann dem wilden Langhaar-Rocker-Charme des Hausmeisters Antonio nicht widerstehen, und die füllige Edeltunte Bartolo entdeckt seine Gefühle für den esoterischen Yoga Hipster Basilio, der sich am Ende im John Lennon Look (in seiner Hippie-Phase) sieht. Dies alles setzt Jan Philipp Gloger mit seinem extrem spielfreudigen Ensemble mit Witz, augenzwinkernder Komik, verblüffender Leichtigkeit und Subtilität um. Das Bühnenbild (man nennt dies anscheinend Hyper Realismus) ist von stimmiger Detailgenauigkeit geprägt: Im ersten Akt befinden wir uns im Hinterhof der gräflichen Villa, die Möbel für die gemeinsame Dienstwohnung von Figaro und Susanna werden angeliefert, die Mülltonne bietet Cherubino ein stinkendes Versteck, in der ersten Etage sieht man die erleuchteten Räume des gräflichen Paares. Im zweiten Akt liefert ein Ankleide- und Aufenthaltsraum der Dienstboten die passenden Verstecke für das irrwitzige, schwankhafte Versteckspiel (inklusive abgegriffener, verschmutzter Kühlschranktür), der dritte Akt spielt im vornehm eingerichteten Salon (mit Kamin, Ölporträt des Vorfahren und dem bei den Reichen so angesagten Stilmix von antiken und modernen Designmöbeln). Für die erotischen Verstrickungen des Finalaktes ziehen sich die Protagonisten in den verstaubten Estrich zurück, der Schränke und eine alte Matratze als Spielorte für Sex bereit hat. Es geht da dann auch ziemlich handfest zur Sache. Geradezu genial war die Interpretation der Barbarina-Arie durch den Regisseur: Ihr "L'ho perduta" bezog sich hier nicht auf die Nadel, die sie Susanna bringen sollte, sondern auf ihre Jungfräulichkeit, die sie soeben beim Geschlechtskakt mit einem derben Hausangestellten verloren hatte. Und selbst der nachfolgende Dialog ging punktgenau auf, da sie die Nadel als Notlüge erwähnte, als Figaro und Marcellina sie nach dem Grund ihrer Trauer fragten. Diese Art von klugen Interpretationen des Textes gab es in dieser subtilen Inszenierung haufenweise zu erleben, und wie gesagt, man möchte sie gerne ein zweites oder drittes Mal sehen, um alles erfassen zu können.

Um die musikalische Seite zu würdigen, muss ich mich von meinen bisherigen Hörgewohnheiten trennen, die Schallplatten-Aufnahmen und Live-Aufführungen vergessen, die mich auf meinem den musikalischen Geschmack prägenden Lebensweg begleitet haben (z.B. meine Lieblingsaufnahme dirigiert von Erich Kleiber mit Cesare Siepi, Hilde Gueden, Lisa della Casa). Die Verve und das unerschrockene Feuer, das Stefano Montanari mit der hochgefahrenen Philharmonia Zürich versprühte, hat nichts mehr mit dem gediegenen Mozart-Klang der 50er und 60er Jahre zu tun, wirkte noch wilder und unerschrockener als Harnoncourts Zugang zu Mozarts Partituren, die man ab den späten 80er Jahren in Zürich erleben durfte. Stefano Montanari forderte zum Teil atemberaubende Tempi, das war wirklich "fou" und verlangte so von den Sänger*innen alles an Technik ab. Plötzliche (aber stimmige) Ralentandi liessen aufhorchen, ungewohnte Verzierungen erklangen. Äusserst spannend waren die Secco Rezitative begleitet: Montanari spielte selbst am Cembalo (dabei steckte er sich den Taktstock in den Nacken), Claudius Hermann spielte mit grosser Virtuosität das Continuo am Solocello. Manchmal klang das alles wie improvisiert, modern und zum Teil auch "schräg", aber irgendwie faszinierend. Das gesamte Ensemble, der Chor, die Statisten und das Tango-Tanzpaar leisteten einen darstellerischen Effort der Extraklasse. Im Mittelpunkt stand natürlich die quicklebendige Susanna von Louise Alder: Eine wunderschön timbrierte, differenziert geführte Stimme, die in den Ensembles und in ihren Arien wichtige Akzente setzte. Morgan Pearse evozierte die wandelnden Gefühlslagen von Figaro mit einnehmender und amüsanter Genauigkeit, Daniel Okulitch war der übergriffige, ständig geile Graf, der seinen imposanten Bariton gewinnbringend (und manchmal sogar anrührend) einzusetzen wusste. Denn das ist sowohl Mozart als auch dem Regisseur Gloger gelungen: Keine der Figuren wird der Lächerlichkeit oder gar der Häme preisgegeben. Die Gräfin Rosina wurde von Anita Hartig sehr geerdet gesungen. Da war nichts von der vornehmen Distanziertheit und dem schwebend-melancholischen Klang von Sängerinnen aus früheren Epochen zu vernehmen. Aber, ich muss es zugeben, dieser Interpretationsansatz ist durchaus attraktiv, vor allem weil der Klang von Frau Hartigs rundem Sopran etwas verführerisch Erotisches hat. Vom Publikum ganz speziell ins Herz geschlossen wurde Lea Desandre als Cherubino: Wie sie diesen androgyn daherkommenden Jüngling mit stupender stimmlicher und physischer Agilität sang und spielte, lohnt allein schon den Besuch der Aufführung. Das jahrelange Ensemblemitglied Malin Hartelius kehrte ans Opernhaus zurück und sang die Marzellina. Das war umwerfende Schauspielkunst vom Allerfeinsten, stimmlich versah sie die Partie mit einer gewissen, nicht unpassenden Schärfe im Klang. Das Rollendebüt als Marzelline ist nun nach Barbarina, Susanna und der Gräfin bereits die vierte Partie, die sie im Verlauf ihrer grossen Karriere in LE NOZZE DI FIGARO interpretiert. Yorck Felix Speer war der sich gerne grosskotzig gebende Bartolo - herrlich seine Vendetta-Arie - der spät seine homosexuell empfindende Seite an sich entdeckt. Ein wahre Freude ist es immer wieder, das Ensemblemitglied Spencer Lang auf der Zürcher Bühne erleben zu dürfen: Es soll nicht despektierlich klingen, aber er ist eine echte Rampensau. Wie er in verschiedene Rollen schlüpfen kann und dabei ein Kabinettstück nach dem andern abliefert ohne je zu chargieren, ist einfach unglaublich. So auch gestern Abend als Basilio; die Nebenrolle wurde durch ihn enorm aufgewertet und hochinteressant gemacht. Schade nur, dass man ihm seine einzige Arie (Nr. 26, In quegli anni in cui val poco) gestrichen hatte. Gerade jungen Sängern sollte man doch die Möglichkeit geben, auch ihr sängerisches Können mit einer Arie zu präsentieren. Auf die drei Minuten zusätzliche Spieldauer kommt es bei einem so langen Opernabend dann auch nicht mehr an. Mit heller, sehr einnehmender Stimme sang die talentierte Ziyi Dai die Barbarina und Christophe Mortagne stotterte gekonnt als Don Curzio. Erstaunlich war, dass man dem verdienten Ensemblemitglied Ruben Drole "bloss" die musikalisch nicht sehr ergiebige Rolle des Antonio anvertraute (er sang hier am Haus immerhin den Figaro, den Leporello, den Guglielmo in den Mozart/da Ponte Opern, auch immer wieder den Papageno). Zum Glück wurde der Antonio durch den Regisseur Jan Philipp Gloger szenisch etwas aufgewertet, so dass Drole wenigstens seine immer wieder faszinierende Bühnenpräsenz zur Schau stellen konnte.

Im Opernhaus-Magazin wurde Hausherr Andreas Homoki gefragt, was ein FIGARO brauche, um zu gelingen. Seine Antwort war: "Er muss lustig sein. Wenn er das nicht ist, hat die Inszenierung schon verloren." Nun, diese Neuinszenierung war nicht bloss lustig, sie war auch intelligent und subtil. Auftrag also mehr als erfüllt! Erstaunlich, dass der Applaus des Premierenpublikums zwar freundlich, aber durchaus endenwollend war. Vielleicht lag es an den schwülen Aussentemperaturen ... .

Von mir besuchte Aufführungen von LE NOZZE DI FIGARO im Opernhaus Zürich:

Anfang 1970er Jahre: ML: Ferdinand Leitner, Inszenierung: Leopold Lindtberg, Gräfin: Marilyn Zschau, Susanna: Renate Lenhart, Figaro: Jozsef Dene, Cherubino: Charlotte Berthold, Graf: Kari Nurmela, Marcellina: Erika Wien

28.2.1989 ML: Nikolaus Harnoncourt, I: Jean-Pierre Ponnelle, Gräfin: Roberta Alexander, Susanna: Barbara Bonney, Cherubino: Cecilia Bartoli, Figaro: Anton Scharinger, Graf: Hakan Hagegard, Marcellina: Stefania Kaluza

16.3.1990 Wie oben, Graf: Rodney Gilfry, Cherubino: Gabriele Sima

5.4. 1998 ML: Nikolaus Harnoncourt, I. Jürgen Flimm, Gräfin: Eva Mei, Susanna: Dorothee Röschmann, Figaro: Carlos Chausson, Graf: Oliver Widmer, Cherubino: Liliana Nikiteanu, Marcellina: Elisabeth von Magnus

11.3.2007: ML: Franz Welser-Möst, I: Sven-Eric Bechtolf, Gräfin: Malin Hartelius, Susanna: Martina Jankova, Figaro: Erwin Schrott, Graf: Michael Volle, Cherubino: Judith Schmid, Marcellina: Irène Friedli

20.11.2007 wie oben, Figaro: Ruben Drole

Inhalt der Oper:

„Figaros Hochzeit“ ist die Fortsetzung des „Barbiers von Sevilla“.

Die Handlung spielt an einem einzigen Tag.

Graf Almaviva ist mit Rosina verheiratet, aber seine Gefühle für die Gräfin sind erkaltet. Er stellt der Zofe Susanna nach, die sich jedoch mitten in den Hochzeitsvorbereitungen mit Figaro, Almavivas Kammerdiener, befindet. Zwar hat der Graf auf das adlige „Recht auf die erste Nacht“ verzichtet, nimmt sein Versprechen jedoch nicht sehr ernst. Figaro seinerseits hat die Ehe Marcellina versprochen. Nach einigen turbulenten Szenen, die geprägt sind vom ständigen Auftauchen des jungen Heisssporns Cherubino, von Eifersucht, Rache, Verwechslungen, Intrigen und Lust, stellt sich heraus, dass Marcellina Figaros Mutter ist, Bartolo sein Vater und weder Susanna noch die Gräfin untreu waren.

Auf Knien muss der Graf seine Gräfin um Verzeihung bitten. Doch ist die Welt nun wieder in Ordnung, sind die Wunden verheilt?

Werk:

Stilistisch zwar noch eine typische opera buffa, zeigt Mozarts NOZZE DI FIGARO den Meister auf dem Höhepunkt seines Opernschaffens: Wie kein anderer seiner Zeitgenossen verstand er es, seine Protagonisten mit Leben zu erfüllen, Stimmungsumschwünge gekonnt in die konventionellen Formen der Arien und Cavatinen einzubauen, Ensembles von vitaler Kraft und Lebendigkeit zu komponieren.

Obwohl das Stück von Beaumarchais mit einem Aufführungsverbot belegt war (Kritik an der Feudalherrschaft), durfte die Oper Mozarts und da Pontes unbeanstandet von der Zensur gespielt werden. Nach einer eher reservierten Aufnahme durch das adlige Wiener Publikum setzte sich der FIGARO erst nach den erfolgreichen Aufführungen in Prag durch.

Musikalische Höhepunkte:

Viele bekannte und wunderschöne Arien und Ensembleszenen, so die beiden Arien der Gräfin „Porgi amor“ und „Dove sono i bei momenti“, Cherubinos „Non so più“ und „Voi che sapete“, Susannas „Deh vieni, non tardar“ im vierten Akt, Figaros „Aprite un po´ quel´occhi“…
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