Basel: LE NOZZE DI FIGARO, 25.03.2010
Opera buffa in vier Akten
Musik: Wolfgang Amadeus Mozart
Libretto : Lorenzo da Ponte
Uraufführung: 1. Mai 1786, Burgtheater Wien
Aufführungen in Basel 25.3. | 28.3. | 30.3. | 5.4. | 8.4. | 11.4. | 2.5. | 8.5. | 13.5. | 22.5. | 25.5. | 30.5. | 12.6. | 18.6.2010
Kritik:
Die aufgestauten sexuellen Bedürfnisse brodeln ganz beträchtlich unter der Oberfläche in dieser gestylten, kubischen Villa am Mullholland Drive, mit vorgelagertem Kakteengarten und fantastischem Blick auf das Lichtermeer von L.A. (Bühne: Silvia Merlo, Ulf Stengl). Aber erfüllt werden die Begierden und Sehnsüchte nie. Denn kaum möchten sich mal zwei oder mehr Personen körperlich etwas näher kommen, werden sie auch schon wieder durch unerwartet eintretende Störenfriede auseinander getrieben oder lassen - desillusioniert von aufgespürten Lügengebilden - voneinander ab. Regisseur Elmar Goerden versteht es meisterhaft, die Protagonisten zu charakterisieren, ihr falsches Spiel aufzudecken, die Liebenden zu Jägern und die Geliebten zu Getriebenen zu machen, den Blick hinter die Masken zu gestatten. Dabei steht ihm ein darstellerisch mit allen Wassern gewaschenes, junges und extrem spielfreudiges Ensemble zur Verfügung. Ausdrucksstarke, vielsagende Mimik und starkes Körperbewusstsein prägen den Abend, da wird intrigiert und falsch gespielt, dass es eine wahre Freude ist. Streckenweise wähnt man sich in einer amerikansichen Soap im Stile von DYNASTY. Dies mag der Grund dafür sein, dass man sich zwar über beinahe vier Stunden prächtig unterhält, doch echte Anteilnahme oder Sympathie für die Figuren stellen sich nicht ein. Zwar gibt es durchaus Ansätze zur Ernsthaftigkeit, so im ersten Bild, als Figaro und Susanna vom Grafen das nie gebrauchte Kinderzimmer kriegen, welches schon mit Riesenplüschtieren und PopArt Wandbemalung eingerichtet war. Doch die Liebe des Grafen zu seiner Frau ist erkaltet, die Ehe wird kinderlos bleiben. Im zweiten Akt befinden wir uns im Schlafzimmer der Gräfin, mit dem in diesen Gesellschaftsschichten obligaten riesigen Kleiderschrank und dem angrenzenden, ganz in Pink gehaltenen Bad. Die fensterlosen Räume der ersten beiden Akte werden nach der Pause offener, genau wie sich auch die Beziehungen der Paare für neue körperliche Erfahrungen zu öffnen scheinen. Im dritten Akt blickt man durch riesige Terrassentüren hinaus in den „phallischen“ Kakteengarten, im letzten Bild schiesslich sind nur noch diese Phallussymbole zu sehen, die Mauern und Grenzen sind gesprengt, doch die Verletzungsgefahr in dieser neuen Freiheit ist auch nicht unerheblich … . Die Stacheln dieser „bösen“ Pflanzen und die Papierflieger, welche wie Amors Pfeile immer wieder durch den Bühnenraum fliegen, dienen als Running-Gags.
Sängerisch bleiben kaum Wünsche offen, die Protagonisten vereinen lebhafte, glaubwürdige Darstellung und kultivierten Mozart Gesang mit erstaunlicher Frische und Präzision. Eung Kwang Lee in seinen gelben Turnschuhen und dem schwarzen Anzug (Kostüme: Lydia Kichleitner) begeistert als Figaro mit runder Tongebung, Maya Boog ist die praktisch denkende und zu jedem Spass aufgelegte Susanna, welche mit einer wunderschön gesungenen Rosenarie im vierten Akt glänzt und den Ensembles mit ihrem strahlenden Sopran Glanzpunkte aufsetzt. In der Canzonetta Sull'aria vereinigt sich ihre silbern glänzende Stimme mit derjenigen der Gräfin (Jacquelyn Wagner) zu perfekter Harmonie. Frau Wagner klingt in der schwierigen Auftrittsarie der Gräfin Porgi amor noch leicht angestrengt und überspielt die Nervosität mit etwas zuviel forte und Druck in der Stimme. (Mozart hat mit diesem diffizilen Auftritt der Gräfin aber auch wirklich ein Ei gelegt!) Doch danach zeichnete Frau Wagner sowohl stimmlich (ein unglaublich schön und zart intoniertes Dove sono) als auch darstellerisch ein differenziertes Profil dieser jungen Frau, welche zwar mit einem eifersüchtigen, sexbesessenen Gatten (Eugen Chan gestaltet ihn rollendeckend, wenn auch in seiner grossen Arie im dritten Akt etwas unausgeglichen singend) gesegnet ist, deren Bedürfnisse aber offensichtlich zu kurz kommen. Eine Entdeckung ist Franziska Gottwald in der Hosenrolle des Cherubino: Sie singt mit beinahe überirdischer Delikatesse - warm, feinfühlig und unheimlich erotisch. Marcellinas Arie hat man in Basel leider gestrichen, Rita Ahonen hätte man sie gegönnt. Ein wunderbar witziges Porträt dieser "Dame" wurde von Frau Ahnonen da gezeichnet. Ebenso brillant Karl-Heinz Brandt als Basilio (seine Arie fiel ebenfalls den Strichen zum Opfer): Mit Schmachtlocke, Lederjacke und Jeans gab er den unwürdig gealterten Altrocker und schleimigen Intriganten. Von Andrew Murphy als Bartolo hätte man sich eine noch etwas schwärzere Stimmfärbung und profunderes Volumen für seine Vendetta Arie gewünscht. Hervorragend Jeanine de Bique als Barbarina: In ihrer Arie über die verlorene Nadel klang trotz aller Naivität die Verletzlichkeit der vom Grafen missbrauchten Minderjährigen berührend an.
Dirigent Mario Venzago hatte die Oper vor 32 Jahren letztmals dirigiert und seine Partitur bereits an seinem Sohn verschenkt. Nun musste er sie von diesem wieder zurückverlangen.Ein Glück, dass man ihm den FIGARO nochmals anvertraut hat: Er versteht es, tief in die Musik hineinzuhorchen, Schichten freizulegen und die Sängerinnen und Sänger mit dem präzise und doch so leicht und luftig spielenden Sinfonieorchester Basel zu behutsam zu tragen. Ein besonderes Lob verdient die Flöte, welche sich im wunderbaren Zwiegesang mit Susanna in der Rosenarie so herrlich entfalten konnte.
Fazit:
Ungestilltes sexuelles Begehren auf amüsante, wenn auch etwas oberflächlich gestylte Art dargeboten, musikalisch aber mit grossem Tiefgang. Geniale Bühnenarchitektur!
Inhalt der Oper:
„Figaros Hochzeit“ ist die Fortsetzung des „Barbiers von Sevilla“.
Die Handlung spielt an einem einzigen Tag.
Graf Almaviva ist mit Rosina verheiratet, aber seine Gefühle für die Gräfin sind erkaltet. Er stellt der Zofe Susanna nach, die sich jedoch mitten in den Hochzeitsvorbereitungen mit Figaro, Almavivas Kammerdiener, befindet. Zwar hat der Graf auf das adlige „Recht auf die erste Nacht“ verzichtet, nimmt sein Versprechen jedoch nicht sehr ernst. Figaro seinerseits hat die Ehe Marcellina versprochen. Nach einigen turbulenten Szenen, die geprägt sind vom ständigen Auftauchen des jungen Heisssporns Cherubino, von Eifersucht, Rache, Verwechslungen, Intrigen und Lust, stellt sich heraus, dass Marcellina Figaros Mutter ist, Bartolo sein Vater und weder Susanna noch die Gräfin untreu waren.
Auf Knien muss der Graf seine Gräfin um Verzeihung bitten. Doch ist die Welt nun wieder in Ordnung, sind die Wunden verheilt?
Werk:
Stilistisch zwar noch eine typische opera buffa, zeigt Mozarts NOZZE DI FIGARO den Meister auf dem Höhepunkt seines Opernschaffens: Wie kein anderer seiner Zeitgenossen verstand er es, seine Protagonisten mit Leben zu erfüllen, Stimmungsumschwünge gekonnt in die konventionellen Formen der Arien und Cavatinen einzubauen, Ensembles von vitaler Kraft und Lebendigkeit zu komponieren.
Obwohl das Stück von Beaumarchais mit einem Aufführungsverbot belegt war (Kritik an der Feudalherrschaft), durfte die Oper Mozarts und da Pontes unbeanstandet von der Zensur gespielt werden. Nach einer eher reservierten Aufnahme durch das adlige Wiener Publikum setzte sich der FIGARO erst nach den erfolgreichen Aufführungen in Prag durch.
Musikalische Höhepunkte:
Viele bekannte und wunderschöne Arien und Ensembleszenen, so die beiden Arien der Gräfin „Porgi amor“ und „Dove sono i bei momenti“, Cherubinos „Non so più“ und „Voi che sapete“, Susannas „Deh vieni, non tardar“ im vierten Akt, Figaros „Aprite un po´ quel´occhi“…