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Zürich: ELEKTRA, 23.01. & 29.01.2010

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Elektra

Emily Magee, Chrysothemis

Tragödie in einem Aufzug

Musik: Richard Strauss

Libretto: Hugo von Hofmannsthal

Uraufführung: 25. Januar 1909 in Dresden

Kritik:

Mangelnde Courage kann man dem neuen Chefdirigenten des Opernhauses Zürich, Daniele Gatti, wahrlich nicht vorwerfen, gab er doch gestern mit einer der gewaltigsten und komplexesten Schöpfungen unter den Opernpartituren, Richard Strauss' ELEKTRA, seinen Einstand am Pult des hervorragenden Orchesters der Oper Zürich. Zudem trat er mutig in die Fussstapfen von Christoph von Dohnányi, welcher mit seiner glutvollen Lesart der Partitur vor sechs Jahren die Premierenserie und die späteren Wiederaufnahmen geprägt hatte.

Zwar mag man es bedauern, dass der neue Chef aus terminlichen Gründen nicht die Zeit für eine neue Produktion eines Werkes hatte und man deshalb dem Premierenpublikum eine Wiederaufnahme ins Abonnement unterjubelte, doch wurde der Hörer mit einer interessanten Auslotung der Strauss'schen Klanmagie belohnt. Gattis zu Beginn eher langsame Tempi mögen Geschmackssache sein, doch ermöglichen sie das Hineinhören in Strukturen, die einem sonst verborgen bleiben. Zudem vermag er durch nachfolgendes Anziehen des Tempos die Sogwirkung dieses einmaligen Werkes zu verstärken. Als Beispiele seine die tonmalerischen Begleitungen in der ersten Chrysothemis-Szene oder die Celli-Figuren beim Auftritt des Orest genannt. Das überragend spielende Orchester folgte den Intentionen seines neuen Chefs sowohl in den ekstatischen Aufschwüngen als auch in den lyrischen Passagen und den bereits an ROSENKAVALIER gemahnenden Walzereinschüben überaus akurat. Einige unterschiedliche Tempoauslegunngen zwischen Bühne und Graben werden bestimmt im Verlaufe der Aufführungsserie behoben werden können.

Die breiten Tempi zu Beginn erfordern natürlich Sängerinnen mit entsprechendem Atem. Und diesen haben sowohl Eva Johansson als erprobte Elektra, als auch Emily Magee in ihrem Rollendebüt als Chrysothemis. Frau Johanssons Stimme scheint über unerschöpfliche Kraftreseven zu verfügen, eine Stimme, welche an bestimmten Stellen durch Mark und Bein geht, aber auch das trotzige, verletzte Kind auszudrücken vermag oder mit beissendem Sarkasmus dem Geliebten ihrer Mutter in die Todesfalle leuchtet. Da verzeiht man ihr auch ein gelegentlich unschönes Hochziehen der Töne oder eine etwas fahlere Mittellage.

Emily Magee fügt (nach der Ariadne, der Kaiserin u.a.) ihrem Strauss-Repertoire mit der Chrysothemis eine weitere Partie hinzu: Ihr kostbares, warmes Timbre, ihre mit leicht abgedunkeltem Silberglanz erfüllte Stimme, welche auch in Fortissimo Ausbrüchen stets rund und sauber geführt bleibt, bildet einen wirkungsvollen Kontrast zur manchmal schneidenden Schärfe ihrer Schwester.

Die dritte grosse Frauenpartie ist die Mutter der beiden, Klytämnestra. Agnes Baltsa ist dem Zürcher Opernhaus seit rund 30 Jahren verbunden, hat hier den BesucherInnen viele grosse, unvergessliche Abende beschert. Noch immer ist Agnes Baltsa eine bildschöne, attraktive Frau. Ab und an findet sie zu Tönen von ungeheurer Ausdruckskraft, doch insgesamt bleibt ihr Auftritt etwas plakativ, zu oberflächlich. Sie vermag die Psyche dieser gehetzten, von Gewissensqualen heimgesuchten Frau nicht mit der geforderten Tiefe auszuloten. Der zum Teil deklamatorische, von unschönen Registerbrüchen gezeichnete Gesang wirkt chargiert und erinnert stellenweise eher an die Hexe in „Hänsel und Gretel“. Da stehen zur Zeit mit Hanna Schwarz oder Jane Henschel mustergültigere Interpretinnen auf den internationalen Bühnen.

Ein grosser Gewinn für diese musikalische Neueinstudierung ist Martin Gantners Rollendebüt als Orest. Seine beispielhafte Diktion, die Phrasierungskunst und die sicher geführte, warme, kernige Baritonstimme erfüllen die Partie aufs Wunderbarste. Rudolf Schasching verleiht dem Aegisth die geforderte Schmierigkeit und Memmenhaftigkeit.

Ganz vortrefflich besetzt sind die kleineren Rollen, vom Quintett der Mägde (Wiebke Lehmkuhl, Katharina Peetz, Irène Friedli, Liuba Chuchrova und Sen Guo) über den Pfleger (Davide Fersini) zum jungen Diener (in seinem kurzen Auftritt ganz toll: Peter Sonn). Einzig Margaret Chalker als Aufseherin mangelt es etwas an bedrohlicher Bühnenpräsenz.

Die sechs Jahre alte Inszenierung von Martin Kušej im Bühnenbild von Rolf Glittenberg ist noch immer von bezwingender Intensität. Der sich nach hinten stark verengende schwarze Korridor mit den weissen Türen, welche immer wieder geöffnet und erschrocken zugeschlagen werden, bietet eine eindrucksvolle Spielfläche für Einblicke in die Psyche von Menschen in Extremsituationen, in eine Kammer des Schreckens, aus der man, trotz Verdrängungsversuchen in Form sexueller Orgien, nicht entfliehen kann. Einzig der Auftritt der stampfenden brasilianischen Sambatruppe am Schluss wirkt auf mich immer noch nicht einleuchtend. Die Musik ist doch in Elektras Kopf, sie erklingt so aufwühlend aus dem Orchestergraben, da brauchts dieses aufdringliche Bild nicht dazu.

Nachtrag: Vorstellung vom 29.1.2010

Der Eindruck der Premiere hat sich bestätigt: Frau Johansson hatte zwar einen ziemlich verhaltenen und leicht intonationsgetrübten ersten Auftritt (Allein! Weh ganz allein!), doch steigerte sie sich im Veraluf dieser anspruchsvollen Partie grandios, die Erkennungsszene geriet zart, verletzlich, der Schluss trotzig triumphierend. Herrlich wieder ihr Sarkasmus in den Szenen mit Klytämnestra und Aegisth. Die geschlossensten Leistung zeigten wieder Emily Magee und Martin Gantner. An Frau Baltsas etwas eigentümlich gestaltete Klytämnestra hat sich das Ohr unterdessen gewöhnt, die fast zärtliche Annäherung an ihre Tochter hatte etwas durchaus Berührendes, der Auftritt insgesamt erschien mir überzeugender als in der Premiere. Das Orchester der Oper Zürich spielte unter Daniele Gatti einmal mehr ganz vortrefflich, auch wenn einzelne Passagen wegen der eher langsamen Tempi etwas an Spannungskraft einbüssten. Als zweite Magd sang Sabrina Kögel.

Fazit:

Über weite Strecken gelungener Einstand des neuen Chefdirigenten, hervorragendes Orchester, überzeugende Rollendebüts (Magee und Gantner), stimmgewaltige Elektra, starke Bilder.

Inhalt der Oper:

Elektra lebt als Verstossene und Aussenseiterin bei den Hunden im Hof des Palastes von Mykene. Nur der Gedanke, die Ermordung ihres Vaters Agamemnon durch ihre Mutter Klytämnestra und deren Geliebten Aegisth zu rächen, erhält sie am Leben. Sie hofft auf die Rückkehr ihres Bruders Orest, um ihren mörderischen Plan zu verwirklichen. Ihre Schwester Chrysothemis, welche vor der schrecklichen Vergangenheit die Augen verschliessen möchte und sich nach einem normalen „Weiberschicksal“ sehnt, ist ihr keine Hilfe.

Klytämnestra wird von Gewissensbissen heimgesucht, sie hat „keine guten Nächte“. Sie begibt sich zu Elektra, sucht die Nähe ihrer Tochter und Hilfe zur Vertreibung der Dämonen durch Elektras Heilkünste, doch wird sie von Elektra verspottet und gedemütigt. Als Klytämnestra die Nachricht des - vermeintlichen - Todes von Orest ans Ohr dringt, lacht sie erleichtert auf. Elektra ist verstört. Selbst als Orest, welcher absichtlich die Nachricht seines Todes verbreiten liess, erscheint, erkennt ihn die eigene Schwester vorerst nicht. Orest dringt in den Palast ein und erschlägt seine Mutter. Elektra leuchtet Aegisth den Weg in den Palast, wo er ebenfalls von Orest ermordet wird. Chrysothemis meldet den Tod des usurpatorischen Herrscherpaares und die Rückkehr des tot geglaubten Bruders. Elektra beginnt einen ekstatischen Tanz des Triumphes auf dessen Höhepunkt sie tot zusammenbricht. Chrysothemis ruft nach Orest.

Musikalische Höhepunkte:

Allein! Weh, ganz allein!, Monolog der Elektra

Ich kann nicht sitzen und ins Dunkel starren, Chrysothemis-Elektra

Ich habe keine guten Nächte, Szene Klytämnestra-Elektra

Orest, Erkennungsszene Elektra-Orest

Ob ich nicht höre – Schweig und tanze, Schlussszene Elektra-Chrysothemis

Werk:

Mit ELEKTRA ging der Klangmagier Richard Strauss noch einen Schritt weiter als mit der vorangehenden SALOME: Der Orchesterapparat ist gigantisch (111 MusikerInnen werden gefordert), die Leitmotive werden zu dichten Blöcken gefügt, die Grenzen der Tonalität immer wieder getestet und zum Teil gesprengt. Strauss schaffte es, mit dem Riesenapparat eine geradezu elektrisch aufgeladene Spannung zu erzeugen, welche an Intensität bis zum erlösenden, ekstatischen Schlusstanz in triumphierendem C-Dur ständig zulegt. Die an kompositorischem Raffinement kaum zu überbietende Partitur lebt vom Kontrast des Kammerspiels mit einem immer wieder quasi entfesselt auftrumpfenden Orchester. Süssliche Klänge (Walzer der Chrysothemis), tonmalerische Klänge und extreme dynamische Steigerungen (Elektra) wechseln mit herben Dissonanzen und Bitonalität (Klytämnestra). An die drei Frauenpartien werden höchste Anforderungen gestellt.

Berühmte Interpretinnen der Titelpartie waren: Anny Konetzni, Erna Schlüter, Inge Borkh, Astrid Varnay, Christel Goltz, Birgit Nilsson, Ingrid Bjoner, Dame Gwyneth Jones (unvergessen ihre Auftritte in Genf), Deborah Polaski (auch in Zürich in der Berghaus- Inszenierung zu erleben) und Pauline Tinsley.

Der Fluch der Atriden

In Mykene lebten zwei königliche Brüder, Atreus und Thyestes. Thyestes schlief mit Atreus Gemahlin. Nach Entdeckung des Seitensprungs seiner Gemahlin setzte Atreus die aus der ausserehelichen Beziehung entsprungenen Söhne seiner Frau und seinem Bruder zum Frass vor und vertrieb Thyestes. Als Strafe verhängten die Götter dem Reich des Atreus eine Dürreperiode, die erst zu Ende ginge, wenn Atreus seinen Bruder zurückkehren liesse. Unterdessen hatte Thyestes aber mit seiner eigenen Tochter einen „Rächer“ gezeugt, den Aigisth, der unerkannt am Hofe des Atreus aufwuchs und eigentlich von Atreus dazu ausersehen war, den Thyestes nach dessen Rückkehr zu ermorden. Stattdessen erschlug Aigisth seinen Onkel Atreus.
Die Söhne des Atreus, Agamemnon und Menelaos, mussten bald darauf in den Trojanischen Krieg ziehen, um die Gattin des Menelaos, Helena, zu befreien. Um günstigen Wind für seine Flotte zu erhalten, opferte Agamemnon seine Tochter Iphigenie, zum Entsetzen seiner Gemahlin Klytämnestra. Aus Trauer, Wut und Rache über den (vermeintlichen) Opfertod ihrer Tochter gab sich Klytämnestra Agamemnons Erzfeind Aigisth hin. Nach Agamemnons Rückkehr aus Troja (mit der Seherin Cassandra) wurde dieser von seiner Frau und Aigisth im Bade ermordet. Elektra, die Tochter Agamemnons und Klytämnestras, schwor Rache. Ihr Bruder Orest wurde von ihr angefeuert, die Mutter und deren Liebhaber umzubringen.
Die Erinnyen (Rachegöttinnen) verfolgten den Muttermörder. Orest konnte sich vom Fluch, der auf seinem Geschlecht lag, nur durch einen Diebstahl, den er im Tempel von Tauris begehen sollte, befreien. Dort traf er auf seine tot geglaubte Schwester Iphigenie, die jeden ankommenden Fremdling ermorden musste. Noch rechtzeitig erkannte Iphigenie in dem Fremden ihren Bruder und gemeinsam gelang ihnen die glückliche Rückkehr nach Griechenland.

Aufführungen in Zürich: 23.1. | 26.1. | 29.1. | 31.1. | 5.2. | 7.2. | 10.2. | 14.2.2010

Karten und weitere Informationen

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