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Zürich: DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL, 26.05.2012

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Die Entführung aus dem Serail

copyright: Suzanne Schwiertz, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Singspiel in drei Akten | Musik: Wolfgang Amadeus Mozart | Libretto: Johann Gottlieb Stephanie d.J. | Uraufführung: 16. Juli 1782 in Wien | Aufführungen in Zürich: 26.5. | 28.5. | 30.5. | 2.6. | 14.6. | 27.6. | 29.6. | 7.7.2012

Kritik:

 

Es war der Abend des Orchesters der Oper Zürich und seines Dirigenten Adam Fischer. Das leicht erhöht platzierte Orchester trumpfte mit einer Farbenpracht sondergleichen auf, überraschte auch das mit Mozarts ENTFÜHRUNG bestens vertraute Ohr mit scheinbar noch nie gehörten Phrasen, präzis gesetzten Akzenten und subtil herausgearbeiteten Nebenstimmen und verblüffte mit atemberaubenden solistischen Einlagen (so die Flötistin mit dem Sopranino). Als besonderes Zuckerl servierte ein herausragendes Bläseroktett vor dem zweiten Akt zwei Harmoniemusiken zu Arien aus der Oper (O wie ängstlich, o wie feurig und Welche Wonne, welche Lust) und verdiente sich dafür zu Recht einen Sonderapplaus.

Diese Neuproduktion schien in der Vorbereitungsphase nicht gerade vom Glück gesegnet zu sein: Erst verstarb im vergangenen Februar der ursprünglich vorgesehene Regisseur Thomas Langhoff. Adrian Marthaler, welcher verdankenswerterweise die Inszenierung übernahm, stürzte eine Woche vor der Premiere so unglücklich, dass er mit gebrochenem Fuss hospitalisiert werden musste. Und zu (un)guter Letzt gab Malin Hartelius noch vor der Generalprobe die Rolle der Konstanze zurück. Die dem Opernhaus seit Jahren verbundene Sopranistin Eva Mei sprang ein – und durfte einen grossen Erfolg in der Rolle verbuchen, welche ihr in jungen Jahren den Catarina-Cavalieri Preis beim Mozart Wettbewerb in Wien eingetragen und mit der sie 1990 auch in der Wiener Staatsoper debütiert hatte. Frau Meis Stimme bezauberte auch gestern Abend erneut durch ihr wunderschön ausgeglichenes Timbre, die perlende Leichtigkeit der Koloraturen (sowohl in der schwierigen Martern-Arie als auch in der Auftrittsarie Ach ich liebte.., die empfindsame Phrasierung, die tragfähigen Piani und die insgesamt sehr einfühlsame Gestaltung der Partie (voller Innigkeit die grossen Traurigkeits-Arie) – eine durch und durch anmutige, reizvolle Konstanze. Im Belmonte von Javier Camarena hatte sie einen vortrefflichen Partner. Camarena liess seine traumhaft schöne Stimme wunderbar strömen, zeichnete sich durch fantastische Agilität aus, beglückte mit seiner goldenen Stimmfarbe in den Arien und Ensembles. Ausdrucksstark setzte er die Staccati in der Arie O wie ängstlich ..., welche sein Herzklopfen in musikalische Sprache umsetzen, fantastisch zart schmachtend setzte er zu seinen die Arie einleitenden Konstanze-Rufen an. Regisseur Adrian Marthaler hat es durch eine vortreffliche, sehr natürlich wirkende Personenführung verstanden aus den Figuren Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen herauszukristallisieren: Belmonte und Pedrillo zeigen das Macho-Gehabe der männlichen Psyche mit ihren Untreue-Unterstellungen an ihre Angebeteten (im Quartett am Ende des zweiten Aktes), Konstanze fühlt sich zu Bassa erheblich mehr als nur zu einem väterlichen Freund hingezogen und man merkt ihr an, dass sie bei der ersten Begegnung mit Belmonte doch von Gewissensbissen gequält wird. Auch Osmin ist hier nicht bloss der polternde Primitivling aus der fremden Kultur, sondern ein sich nach Liebe sehnender Mann, herausgefordert, provoziert und zugleich fasziniert von der emanzipierten Art der Blonde. Alfred Muff zeichnete diesen Osmin als durch und durch sympathischen Gockel, liess seinen profunden Bass mit herrlicher Geschmeidigkeit und Beweglichkeit strömen – ein rundum geglücktes Porträt. Das quicklebendige„Dienerpaar“ war mit Rebeca Olvera und Michael Laurenz sehr rollendeckend besetzt. Rebeca Olvera betörte mit ihrem hellen Sopran in der Zärtlichkeits-Arie, geriet jedoch etwas ausser Atem, wenn Adam Fischer das rasante Tempo für Welche Wonne, welches Lust vorgab. Michael Laurenz liegt seine Romanze im dritten Akt (Im Morgenland gefangen war) weit besser als die zu exaltiert angegangene Arie des zweiten Aktes (Auf zum Kampfe). Da wäre etwas weniger stimmliche Protzerei mehr gewesen. Bleibt die Sprechrolle des Bassa Selim, die man wiederum einem der ganz Grossen des Theaters anvertraut hat, Michael Maertens. Er gab diesen aus seiner Heimat Vertriebenen als kunstsinnigen Feingeist (in extravagant modischer Kleidung), wirkte in der Sprache oft beinahe unbeteiligt oberflächlich, doch seine Körperhaltung, sein Agieren drückten eine tiefe innere Verletzlichkeit und Weichheit aus.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL hat sich in jüngster Rezeptionsgeschichte mancherlei mehr oder weniger gelungenen Inszenierungsansätzen unterwerfen müssen. Diese Neuproduktion gehört eindeutig zu den gelungeneren (nach der vom Publikum so deutlich abgelehnten Inszenierung durch Jonathan Miller an diesem Haus im Jahre 2003). Florence von Gerkan hat die Personen in unaufdringlich wirkende, dezent südländisch angehauchte Kostüme gekleidet und Jörg Zielinski hat ein die Handlung treffend verortendes Bühnenbild geschaffen (atmosphärisch akzentuiert durch Möwengekreisch, das Zirpen der Grillen und das Heulen eines Käuzchens): Einen vermüllten Strand für den ersten Akt, die Zinnen eines orientalischen Landhauses für den zweiten und einen Ausstellungsraum voller Spiegel für den dritten Akt. Hier können die Protagonisten zwar zunächst ihrer Eitelkeit frönen, die Spiegel bewirken aber vor allem eine Selbsterkenntnis. Bassa Selim verschliesst sich am Ende durch das Abdecken der Spiegel mit schwarzen Tüchern der unausweichlichen Realität des Verlassenwerdens und zeigt so eindringlich die Tragik dieser zerrissenen Figur.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL ist eben nicht bloss ein oberflächlich-unterhaltsames, putziges Singspiel sondern wühlt durch Mozarts Musik tief in den menschlichen Seelen – und gerade diese humanen Aspekte vermochten Adam Fischer und Adrian Marthaler auf eindringliche Art offenzulegen.

Inhalt:

Der spanische Edelmann Belmonte sucht seine Verlobte Konstanze, welche zusammen mit ihrer Zofe Blonde und dem Diener Pedrillo von Piraten auf einen Sklavenmarkt verschleppt und dort an Bassa Selim verkauft wurden. Ein Schreiben Pedrillos hat Belmonte auf die richtige Spur gebracht. Osmin, der Diener des Bassa, verweigert Belmonte aber jegliche Auskunft und schickt ihn zum Teufel. Belmonte trifft jedoch auf Pedrillo und gemeinsam planen sie die Entführung ihrer beiden Herzdamen Konstanze und Blonde. Bassa Selim wirbt indes um Konstanzes Liebe. Die aber will ihrem Belmonte treu bleiben.

Blonde sieht sich Anzüglichkeiten Osmins ausgesetzt. Der muss jedoch von der energischen Blonde ablassen. Auch Bassa wird Konstanze gegenüber immer zudringlicher, die aber bleibt standhaft (Marternarie). Pedrillo unterrichtet seine Blonde über die Entführungspläne. Osmin wird von Pedrillo so betrunken gemacht, dass er seine Bewachungsaufgaben des Serails vernachlässigt. Die beiden Paare finden sich und machen sich bereit zur Flucht.

Belmonte und Konstanze gelingt dies vorerst auch, doch Pedrillo und Blonde werden vom aus seiner Trunkenheit erwachten Osmin festgehalten. Nun werden auch Belmonte und Konstanze gefasst. Bassa Selim erkennt in Belmonte den Sohn seines Todfeindes und will sich durch die Hinrichtung Belmontes an diesem rächen. Im letzten Moment erkennt Bassa Selim in der Mildtätigkeit ein weitaus grösseres Glücksgefühl als in der Rache. Einzig Osmin ist mit dem glücklichen Ausgang alles andere als zufrieden („Erst geköpft, dann gehangen ...“ hätte er vorgezogen.)

Werk:

Der 25jährige Mozart hatte seinen Brotherrn, den konservativ-autoritären Erzbischof von Salzburg, endgültig satt und begab sich an den Hof des reformfreudigeren Kaisers Josef II. nach Wien. Dort erhielt er bald einen Kompositionsauftrag für ein Singspiel, welches den vorherrschenden italienischen Opern Paroli bieten sollte. Mozart standen mit dem beinahe 40köpfigen Hoforchester, erstklassigen Solisten und dem Chor Mittel zur Verfügung, die damals als luxuriös galten. Da sich so genannte „Türkenstücke“ mit ihrem auch die erotische Fantasie anregenden exotischen Kolorit besonderer Beliebtheit erfreuten (auch Rossini hat erfolgreiche Opern mit diesem Sujet komponiert, z.B. L'ITALIANA IN ALGERI), machte sich Mozart voller Enthusiasmus an die Komposition. Dank Mozarts genialer musikalischer Charakterisierungskunst entstanden Figuren jenseits aller Schablonenhaftigkeit der barocken Ära, Menschen eben aus Fleisch und Blut. Carl Maria von Weber (der Komponist des FREISCHÜTZ) schrieb über DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL: „Meinem persönlichen Künstlergefühle ist diese heitere, in vollster Jugendkraft lodernde, jungfräulich zart empfindende Schöpfung besonders lieb ... .“

Die Uraufführung war für Mozart ein enormer Erfolg, er hatte das erste ernstzunehmende Meisterwerk der Gattung „deutsches Singspiel“ geschaffen. Der Kaiser meinte allerdings: „Zu schön für unsere Ohren und gewaltig viel Noten, lieber Mozart!“, worauf Mozart erwiderte: „Gerade so viel, Eure Majestät, als nötig ist.“

Musikalische Höhepunkte:

Ouvertüre, mit ihrer „Türkenmusik“

Hier soll ich dich denn sehen, Arie des Belmonte, Akt I

Wer ein Liebchen hat gefunden, Arie des Osmin, Akt I

Konstanze ... O wie ängstlich, o wie feurig, Arie des Belmonte, Akt I

Ach ich liebte, Arie der Konstanze, Akt I

Marsch, trollt euch fort, Terzett Osmin, Belmonte, Pedrillo, Akt I

Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln, Arie der Blonde, Akt II

Traurigkeit ward mir zum Lose ... Martern aller Arten, grosse Szene mit Arie der Konstanze, Akt II

Welche Wonne, welche Lust, Arie der Blonde, Akt II

Vivat Bacchus, Bacchus lebe, Duett Pedrillo-Osmin, Akt II

Ach Belmonte, Ach mein Leben, Quartett Konstanze, Blonde, Belmonte, Pedrillo, Akt II

Ich baue ganz auf deine Stärke, Romanze des Belmonte, Akt III

In Mohrenland gefangen, Arie des Pedrillo, Akt III

Ha, wie will ich triumphieren, Arie des Osmin, Akt III

Finale: Nie werd' ich deine Huld verkennen, Akt III

Karten

Applaus

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