St.Gallen: DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL, 13.09.2014
Singspiel in drei Akten | Musik: Wolfgang Amadeus Mozart | Libretto: Johann Gottlieb Stephanie d.J. | Uraufführung: 16. Juli 1782 in Wien | Aufführungen in St.Gallen: 13.09 | 20.09 | 5.10. | 12.10. | 21.10. | 31.10 | 11.11. | 19.11. | 28.11. | 7.12. | 28.12. 2014 | 24.1. | 3.2.2015
Kritik:
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL ossia DIE LEIDEN DES JUNGEN OSMIN – so könnte man die St.Galler Neuproduktion von Mozarts Singspiel untertiteln. Denn mit seinem Hausdebüt in der Rolle des Aufsehers Osmin avanciert der junge Levente Páll zum heimlichen Star der Aufführung, dem die Sympathien des Publikums ganz offensichtlich zufliegen.
Regisseur Johannes Schmid verzichtet in wohltuender Weise sowohl auf harmlose, betulich-biedere Exotik, als auch auf unpassende Aktualisierungen oder vordergründigen Macho-Sexismus, sondern legt die Handlung als Prüfungen der Liebe an. Dazu hat ihm sein Bühnenbildner Michael Kraus (er zeichnet auch für die phantasievollen Kostüme verantwortlich) einen Bühnenraum mit sieben leicht verschiebbaren, filigranen Elementen gebaut, welche perfekt als Projektionsfläche für die bezwingend präzise Lichtdramaturgie von Andreas Enzler dienen. So entsteht ein imaginärer Raum, der viel Platz für Assoziationen offenlässt und ganz offensichtliche Parallelen zu den Prüfungen der Liebenden in Mozarts ZAUBERFLÖTE aufzeigt. Das ernste Paar (Belmonte und Konstanze) hat sich eben verlobt, als schwarze Piraten-Furien die Rokoko-Feier (während der Ouvertüre) stören und die Liebenden voneinander trennen. Konstanze gerät auf die Insel des Bassa Selim und muss dessen Avancen widerstehen, was ihr bis auf einen kleinen Ausrutscher, ziemlich gut gelingt. Dem durch seinen Triebstau offensichtlich zu cholerischen Ausbrüchen neigenden Bassa Selim (Michael Ransburg) bleibt am Ende nur das Teetrinken bevor er auf seinem Podest wieder gen Himmel entschwebt – und man kann nur hoffen, dass es sich um einen Beruhigungstee handelt... .
Jennifer O'Laughlin erfüllt die grossen Arien der Konstanze mit wunderbar empfindsamer Melancholie und wahrhafter Traurigkeit. Ihre herrlich bruchlos geführte, warm gefärbte Stimme berührt in den sanften Kantilenen und stürzt sich dann mit blitzsauberen Attacken in die schnellen Läufe und Koloraturen. Ihrem Verlobten Belmonte werden Prüfungen erotischer Art zwar erspart, doch muss er die nagenden Zweifel der Eifersucht und des Misstrauens in seiner Seele bändigen. Roman Payer singt ihn mit wunderschön timbriertem, ausgezeichnet fokussiertem Tenor. Seine Arie O wie ängstlich, o wie feurig gerät zu einer musikalischen Sternstunde. Das Bangen, das Klopfen des Herzens, die Ungewissheit, die Hoffnung, all diese in seinem Innern aufwallenden Empfindungen vermag Payer mit sanfter und doch kernig grundierter Stimme und wunderschöner Phrasierung nachvollziehbar zu evozieren. Sehr schön der Einfall des Regisseurs dazu Projektionen der Konstanze auf das mit orientalischen azulejos geflieste Bühnenportal zu projizieren. Dass beide, Konstanze und Belmonte, darstellerisch etwas gar steif und zurückhaltend erscheinen, mag an der Grundkonstellation des Stücks liegen. Doch dieses kleine Manko machen die beiden Sänger mit ihrer Gesangskunst mehr als wett. Und da ist ja dann auch noch das „niedere“ Paar, Blonde und Pedrillo, welche die dankbareren darstellerischen Aufgaben haben: Sie, die kecke, auch sexuell emanzipierte Dienerin, welch fesch mit den sie begehrenden Männern spielt, sich das holt, wonach ihr die Libido steht – und er, der etwas trottelige, aber liebevolle Jungspund, der zeitweise nicht so ganz mitkriegt, welch durchtriebenes Weibsstück er sich da geangelt hat. Alison Trainer und Nik Kevin Koch erweisen sich als echte Komödianten, agieren mit Lust und Schalk – ohne zu chargieren. Putzmunter und sehr geerdet bringt Alison Trainer in ihrer Arie Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln Osmin das Wesen der fraulichen Bedürfnisse näher, singt quicklebendig in den Duetten und Ensembles. Nick Kevin Koch ist ein ebenso munterer Pedrillo, zeigt sein komödiantisches Talent in vielen, beinahe slapstickartigen Aktionen. Mit Vehemenz und deutlicher Artikulation stürzt er sich in die Arie Frisch zum Kampfe, frisch zum Streite, findet in der Romanze Im Mohrenland gefangen war zu zärtlich schmeichelnden Tönen und bereichert die Ensembles mit seinem hellen Tenor.
Otto Tausk leitet die Aufführung mit sicherer Hand und einem einfühlsamen Gespür für auf die Möglichkeiten der Solisten angepasste Tempi. An vielen Stellen entlockt er dem Sinfonieorchester St.Gallen bestechend vielfältig oszillierende Farben (z.B. Einleitung zur Martern-Arie) und sorgt für ein lichtes, unaufdringliches Klangbild aus dem Graben. Ein Lob gebührt auch dem Chor des Theaters St.Gallen (Einstudierung Michael Vogel) für die gelungenen Janitscharen-Chöre.
Doch halt, da war doch noch einer: OSMIN. Der junge ungarische Bass Levente Páll singt und spielt sich mit seinem Liebesleiden und mit seiner fantastisch wohlklingenden Bassstimme von Anfang an in die Herzen des Publikums. Er kann rasen (Erst geköpft, dann gehangen), triumphieren, sich nach Liebe verzehren (wunderbar sein weicher Ansatz beim Trallalera und das Vivat Bachus Duett mit Pedrillo). Fesch sieht er aus, in der krachledernen kurzen Hose und dem Turban auf dem Kopf. Kein Wunder, dass sich Blonde nicht nur ein wenig in den an einem Pumps-Fetisch leidenden jungen Muslim verguckt und ihrem Pedrillo ganz offensichtlich untreu wird. Doch im Gegensatz zu Werthers Leiden bekommt Osmin ein Happyend zugesprochen: Blonde zieht ihn kurzerhand mit, weg von Bassa Selims gläsernem Palast, hinein in eine ménage à trois mit Pedrillo. Gegönnt sei's ihnen!!!
Inhalt:
Der spanische Edelmann Belmonte sucht seine Verlobte Konstanze, welche zusammen mit ihrer Zofe Blonde und dem Diener Pedrillo von Piraten auf einen Sklavenmarkt verschleppt und dort an Bassa Selim verkauft wurden. Ein Schreiben Pedrillos hat Belmonte auf die richtige Spur gebracht. Osmin, der Diener des Bassa, verweigert Belmonte aber jegliche Auskunft und schickt ihn zum Teufel. Belmonte trifft jedoch auf Pedrillo und gemeinsam planen sie die Entführung ihrer beiden Herzdamen Konstanze und Blonde. Bassa Selim wirbt indes um Konstanzes Liebe. Die aber will ihrem Belmonte treu bleiben.
Blonde sieht sich Anzüglichkeiten Osmins ausgesetzt. Der muss jedoch von der energischen Blonde ablassen. Auch Bassa wird Konstanze gegenüber immer zudringlicher, die aber bleibt standhaft (Marternarie). Pedrillo unterrichtet seine Blonde über die Entführungspläne. Osmin wird von Pedrillo so betrunken gemacht, dass er seine Bewachungsaufgaben des Serails vernachlässigt. Die beiden Paare finden sich und machen sich bereit zur Flucht.
Belmonte und Konstanze gelingt dies vorerst auch, doch Pedrillo und Blonde werden vom aus seiner Trunkenheit erwachten Osmin festgehalten. Nun werden auch Belmonte und Konstanze gefasst. Bassa Selim erkennt in Belmonte den Sohn seines Todfeindes und will sich durch die Hinrichtung Belmontes an diesem rächen. Im letzten Moment erkennt Bassa Selim in der Mildtätigkeit ein weitaus grösseres Glücksgefühl als in der Rache. Einzig Osmin ist mit dem glücklichen Ausgang alles andere als zufrieden („Erst geköpft, dann gehangen ...“ hätte er vorgezogen.)
Werk:
Der 25jährige Mozart hatte seinen Brotherrn, den konservativ-autoritären Erzbischof von Salzburg, endgültig satt und begab sich an den Hof des reformfreudigeren Kaisers Josef II. nach Wien. Dort erhielt er bald einen Kompositionsauftrag für ein Singspiel, welches den vorherrschenden italienischen Opern Paroli bieten sollte. Mozart standen mit dem beinahe 40köpfigen Hoforchester, erstklassigen Solisten und dem Chor Mittel zur Verfügung, die damals als luxuriös galten. Da sich so genannte „Türkenstücke“ mit ihrem auch die erotische Fantasie anregenden exotischen Kolorit besonderer Beliebtheit erfreuten (auch Rossini hat erfolgreiche Opern mit diesem Sujet komponiert, z.B. L'ITALIANA IN ALGERI), machte sich Mozart voller Enthusiasmus an die Komposition. Dank Mozarts genialer musikalischer Charakterisierungskunst entstanden Figuren jenseits aller Schablonenhaftigkeit der barocken Ära, Menschen eben aus Fleisch und Blut. Carl Maria von Weber (der Komponist des FREISCHÜTZ) schrieb über DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL: „Meinem persönlichen Künstlergefühle ist diese heitere, in vollster Jugendkraft lodernde, jungfräulich zart empfindende Schöpfung besonders lieb ... .“
Die Uraufführung war für Mozart ein enormer Erfolg, er hatte das erste ernstzunehmende Meisterwerk der Gattung „deutsches Singspiel“ geschaffen. Der Kaiser meinte allerdings: „Zu schön für unsere Ohren und gewaltig viel Noten, lieber Mozart!“, worauf Mozart erwiderte: „Gerade so viel, Eure Majestät, als nötig ist.“
Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre, mit ihrer „Türkenmusik“
Hier soll ich dich denn sehen, Arie des Belmonte, Akt I
Wer ein Liebchen hat gefunden, Arie des Osmin, Akt I
Konstanze ... O wie ängstlich, o wie feurig, Arie des Belmonte, Akt I
Ach ich liebte, Arie der Konstanze, Akt I
Marsch, trollt euch fort, Terzett Osmin, Belmonte, Pedrillo, Akt I
Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln, Arie der Blonde, Akt II
Traurigkeit ward mir zum Lose ... Martern aller Arten, grosse Szene mit Arie der Konstanze, Akt II
Welche Wonne, welche Lust, Arie der Blonde, Akt II
Vivat Bacchus, Bacchus lebe, Duett Pedrillo-Osmin, Akt II
Ach Belmonte, Ach mein Leben, Quartett Konstanze, Blonde, Belmonte, Pedrillo, Akt II
Ich baue ganz auf deine Stärke, Romanze des Belmonte, Akt III
In Mohrenland gefangen, Arie des Pedrillo, Akt III
Ha, wie will ich triumphieren, Arie des Osmin, Akt III
Finale: Nie werd' ich deine Huld verkennen, Akt III