Zürich: CAVALLERIA RUSTICANA&I PAGLIACCI, 13.06.2011
Melodramma in einem Akt | Musik: Pietro Mascagni | Libretto: Giovanni Targioni-Tozzetti/Guido Menasci nach dem Schauspiel und der Novelle von Verga | Uraufführung: 17. Mai 1890 in Rom | I Pagliacci | Drama in zwei Akten und einem Prolog | Musik: Ruggero Leoncavallo | Libretto vom Komponisten | Uraufführung: 21. Mai 1892 in Mailand
Kritik:
Was für ein Auftritt: Punktgenau auf einen durchdringenden Akkord des Vorspiels taumelt sie auf die Bühne, mit schwerzverzerrtem Gesicht, von Krämpfen geschüttelt - Agnes Baltsa ist auch mit weit über 60 noch immer eine grosse Tragödin, geradezu ein "Bühnentier". Sie durchdringt darstellerisch die Rolle der Santuzza bis in kleinste Regungen und Fasern, sie malt ein Psychogramm dieser aus der katholischen Gemeinschaft ausgestossenen, von ihrem Geliebten verlassenen Frau. Leider bleibt es "nur" bei der Dastellung, denn stimmlich ist sie nur noch ein Abglanz ihrer besten Zeit: Herb, metallisch und rau klingt ihr einst so farbenreicher Mezzo, Registerbrüche werden mehr oder weniger gut kaschiert, der Gesamtklang bekommt oft etwas Keifendes, Unschönes, dazu macht sich auch in den Ensembles eine mangelnde Durchsetzungskraft schmerzlich bemerkbar (Duett mit Alfio, Szene vor der Kirche, in der sie erfolglos gegen den Cho ansingen muss Inneggiamo ...). Man veneigt sich also mehr vor der Vergangenheit der grossen Künstlerin, welche durch ihre Bühnenpräsenz noch immer fasziniert - und fragt sich doch: Warum tut sie sich (und uns) das an. Aus der Premierenbesetzug übrig geblieben sind natürlich José Cura als Turiddu (ziemlich larmoyant klingend und mit nicht unerheblichen Intonationsproblemen im Trinklied), Cheyne Davidson als solider Alfio, dessen Stimme noch immer nicht dunkel genug für die Rolle klingt und Cornelia Kallisch als unvergleichliche Mamma Lucia: Welch intensives Porträt dieser äusserlich harten Mutter. Da passt stimmlich und darstellerisch einfach alles schlichweg überwältigend zusammen. Katharina Peetz gibt eine wunderbar erotisch klingende und mit unbekümmerter Laszivität agierende Lola. Grischa Asagoroffs Inszenierung ist ungemein präzise und stimmig - da hat sich der Eindruck der Premiere mehr als bestätigt. Insbesondere die ausgefeilte Führung des Chores überzeugt restlos. Dies gilt auch für I PAGLIACCI: Hier ist nun José Cura wirklich in einem Element, die Stimme ist jetzt ausgezeichnet fokussiert, die Ausdruckspalette differenziert, die Linie, das dynamische Spektrum fliessen mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit. Cura hat hier die Rolle seines Lebens gefunden, ja er scheint sie sich schon dermassen einverleibt zu haben, dass er ab und an bereits ein wenig übermütig erscheint, die Kurve aber stets rechtzeitig noch kriegt. Mit Myrtò Papatanasiou kommt man in den Genuss einer äusserst attraktiven Nedda. Sie begeistert mit einem dunklen, interessanten Timbre und neckischem Spiel. Die Stimme zeugt von grosser Flexibilität und verliert nur in einigen höheren Regionen wegen zu starken Öffnens der Stimme etwas von der schönen Strahlkraft. Carlo Guelfi (Tonio) vermag wie an der Premiere im Prolog (unausgeglichen, mit leicht quäkendem Klang) weit weniger zu überzeugen als in den folgenden zwei Akten. Sehr klangschön wiederum der weiche Bariton von Gabriel Bermúdez (Silvio) als attraktiver Liebhaber Neddas. Daniele Callegari bevorzugt für beide Werke eine rasante, rhythmisch prägnante Wiedergabe. Obwohl der Dirigent (manchmal zu lautstark) mitsingt, kommt der Chor seinen Vorgaben nicht immer präzise nach, doch versteht es der Maestro, diese Temposchwankungen hervorragend aufzufangen. Selbst in den als Ruhepole angelegten Intermezzi verzichtet er weitgehend auf süssen, sentimentalen Klang. Damit sorgt er für eine packende Wiedergabe dieser beiden Thriller, welche die Zuhörer in einen atemberaubenden Gefühlsstrudel ziehen.
Werk:
Wohl wurden (auch in Zürich) immer wieder Versuche unternommen, die beiden veristischen Paradepferde zu trennen und mit anderen Einaktern zusammenzuführen, doch die Kombination der beiden Kurzopern hat sich als erfolgreichste Paarung erwiesen.
Mascagni hatte sein Werk anlässlich eines Preisausschreibens des Verlegers Sonzogno eingereicht, gewann den ersten Preis und wurde dank der gekonnten Vermarktung durch den Verleger mit einem Schlag weltberühmt. Der Siegeszug dieses sizilianischen Eifersuchtsdramas ist bis heute ungebrochen. Glühende, mitreissende Melodik, gekonnte Aufeinanderfolge von dramatisch erregten Szenen und Ruhepunkten, sowie die konsequente Einhaltung der Einheit von Ort, Zeit und Handlung prägen dieses leidenschaftliche Meisterwerk.
Auch Leoncavallo hatte sich mit seinen PAGLIACCI an diesem Preisausschreiben beteiligt, das Werk wurde jedoch aus formalen Gründen zurückgewiesen, da es sich nicht um einen Einakter handelte. Sonzogno setzte sich aber trotzdem für das Werk ein und ein ebenso erfolgreicher Siegeszug über alle bedeutenden Bühnen der Welt begann. Carusos Einspielung aus dem Jahre 1902 von Ridi, Pagliaccio war die erste Schallplatte, von der mehr als eine Million Stück verkauft wurden. Leoncavallo schildert das herbe Los des Künstlers, das Drama hinter der Maske. Genial ist der Einfall, das tragische Geschehen dem heiteren Spiel auf der Bühne gegenüberzustellen, um dann die Heiterkeit kippen zu lassen. Die musikalischen Qualitäten des BAJAZZO werden von vielen Kennern noch höher eingestuft als jene der CAVALLERIA.
Inhalt:
CAVALLERIA RUSTICANA
Frau (Santuzza) liebt jungen Mann (Turiddu) und erwartet von ihm ein uneheliches Kind. Turiddu aber hat Affäre mit verheirateter Frau (Lola). Santuzza rächt sich, indem sie dem Ehemann Lolas (Alfio) die Wahrheit über das Liebesleben seiner Frau enthüllt. Alfio fühlt sich in seiner Bauernehre verletzt und fordert Turiddu zum Messerduell. Turiddu stirbt.
Inhalt:
I PAGLIACCI
Schauspieltruppe macht halt auf dem Dorfplatz. Tonio liebt Canios Frau Nedda, wird von der aber schroff zurückgewiesen und schwört Rache. Nedda trifft sich heimlich mit dem Bauern Silvio, dabei wird sie von Tonio beobachtet. Der erzählt alles brühwarm dem eifersüchtigen Ehemann Canio. Verzweiflung pur. Das Spiel auf der Bühne beginnt. Aus dem heiteren Eifersuchtsdrama des Spiels wird bitterer Ernst. Canio fällt aus seiner Rolle, er verlangt von Nedda den Namen ihres Liebhabers. Canio sticht sie nieder, Silvio will ihr zu Hilfe eilen, entlarvt sich damit selbst und wird von Canio ebenfalls getötet. Völlig gebrochen lässt sich Canio festnehmen.
Musikalische Höhepunkte:
CAVALLERIA RUSTICANA
Il cavallo scalpita, Arie des Alfio
Voi lo sapete, o mamma, Santuzza
Regina coeli …. Inneggiamo, Osterprozession, Santuzza und Chor
Tu qui Santuzza, Szene Turiddu-Santuzza
Intermezzo sinfonico
Viva il vino, Trinklied des Turiddu
I PAGLIACCI
Si può, Prolog, Tonio
Qual fiamma avea, Nedda
Recitar - Vesti la giubba, Canio
Intermezzo sinfonico
Letzte Vorstellung am 19. Juni 2011: Karten