Berlin, Deutsche Oper: CAVALLERIA RUSTICANA & PAGLIACCI, 23.03.2016
Cavalleria rusticana: Melodramma in einem Akt | Musik: Pietro Mascagni | Libretto: Giovanni Targioni-Tozzetti/Guido Menasci nach dem Schauspiel und der Novelle von Verga | Uraufführung: 17. Mai 1890 in Rom | I Pagliacci: Drama in zwei Akten und einem Prolog | Musik: Ruggero Leoncavallo | Libretto vom Komponisten | Uraufführung: 21. Mai 1892 in Mailand | Aufführungen dieser Wiederaufnahme in Berlin: 23.3. | 26.3.2016
Kritik:
Seit die beiden getrennt voneinander uraufgeführten „Schlachtrösser“ des Verismo im Jahr 1893 erstmals gemeinsam an einem Abend gespielt wurden, sind sie beinahe unzertrennlich geworden, wie siamesische Zwillinge. Zwar gab es immer wieder Bemühungen (auch der Autoren!), die beiden Kurzopern in neuen Kombinationen zu präsentieren (abenteuerlich eine Kombination SALOME/PAGLIACCI, oder anlässlich der Erstaufführung an der Met in New York: PAGLIACCI/ Glucks ORPHEUS UND EURYDIKE), doch durchgesetzt hat sich eben nur die Kombination von Mascagnis Einakter CAVALLERIA RUSTICANA mit Leoncavallos Drama in einem Prolog und zwei Akten, PAGLIACCI. An der Deutschen Oper Berlin verzahnte Regisseur David Pountney in seiner Inszenierung aus dem Jahr 2005 die beiden Werke gar noch enger. Der Abend beginnt traditionell mit CAVALLERIA RUSTICANA, inszeniert in einem neorealistischen Stil der 50er Jahre, mit sehr genauer Personenführung. Vom pittoresken dörflichen Leben des bäuerlichen Sizilien ist nicht viel übrig geblieben, außer dem Hang zu kitschigen Osterprozessionen und Marienverehrung. Die Schenke von Mamma Lucia besteht nun noch aus einem tristen Imbisswagen an einer Autostrada, welche von einer hässlichen Fußgängerbrücke auf wuchtigen Betonpfeilern überquert wird (Bühne und Kostüme: Robert Innes Hopkins). Von dieser Brücke knallt am Ende der Leichnam Turiddus auf die Bühne, vor die Füße seiner Mutter. Diese Szene nimmt Pountney auch nach der Pause auf: Noch einmal erklingen die letzten, aufpeitschenden Takte von CAVALLERIA RUSTICANA, Mamma Lucia beugt sich über den toten Sohn. Doch mit dem Einsetzen des Vorspiels und des Prologs zu PAGLIACCI dekonstruiert sich die Bühne: Während Tonio über die Absichten des Dichters und das Offenlegen der Wahrheit und der echten Gefühle berichtet, fahren die Betonpfeiler auseinander, wird die Autostrada in ihre Elemente zerlegt, das Licht gespenstisch. Der Chor tritt mit seltsamen Brillen auf, bewegt sich alles andere als realistisch. Canios Komödiantentruppe sieht eher nach Filmstars aus, die zu einer Probe auf der Soundstage der Filmstudios von Cinecittà in ihrer vornehmen Citroën Limousine einfahren. Vieles, zu vieles hat der Regisseur in diese Geschichte gepackt. Warum zum Beispiel wird (bereits am Ende von CAVALLERIA und dann immer wieder in PAGLIACCI) mit dem Filmplakat zu Pasolinis EDIPO RE hantiert? Was haben der archaische, inzestuöse Konflikt des Ödipus oder dessen geniale, vielschichtige filmische Umsetzung durch Pasolini mit der Handlung des BAJAZZO zu tun? Neddas Verehrer Silvio wird bei Pountney zu einem Stalker Neddas (soll sie Silvana Mangano in Pasolinis Filmepos darstellen?), in Sandalen, Wollmütze und Rucksack. Warum singt sie mit diesem Trottel ein Liebesduett? Auch das Ende hat der Regisseur abgeändert. Canio schlitzt zwar Silvio die Kehle auf, doch Nedda ersticht er nicht: Engumschlungen gehen die beiden ab. Der zunehmende Surrealismus bekommt der Oper Leoncavallos nicht – einmal zieht gar Mamma Lucia nochmal mit dem Imbisswagen, in welchem die Leiche des Sohnes aufgebahrt ist, in einer Art Trauerzug vorbei. War man bei CAVALLERIA RUSTICANA noch begeistert und berührt, stellte sich bei PAGLIACCI eine zunehmende Distanzierung ein – und dies widerspricht fundamental der Intention des Verismo. Mag ja sein, dass sich der Regisseur kluge Gedanken zu seiner Inszenierung gemacht hat, doch wenn sich diese einem durchschnittlich intelligenten Zuschauer nicht erschließen, wären zumindest im Programmheft entsprechende Erläuterungen angebracht. Doch die sucht man darin vergeblich.
Kommen wir zu den Ausführenden dieser 33. Vorstellung des veristischen Doppelpacks. Elena Zhidkova sang eine ausgezeichnete Santuzza, ihr schlank und bruchlos geführter Mezzosopran glänzte mit warmer, gerundeter Tiefe und gesunder, gut gestützter und leuchtender Höhe. Sie war auch eine hervorragende Darstellerin, transportierte die widersprüchlichen Gefühle dieser enttäuschten Frau, die sich aus Eifersucht zur Rächerin wandelt, mit einer bewegenden Mimik und Gestik, ohne theatralisch zu übertreiben. Grandios! Der Turiddu gehört wahrlich nicht zu den sympathischsten Operngestalten unter den Tenören. Jorge de León zeichnete ihn mit Nonchalance – und etwas wenig Feuer in der Auseinandersetzung mit Santuzza. Hingegen sang er eine wunderbare Siciliana aus dem Off und ein Trinklied voller Schmelz und Wohlklang. Rührend dann seine „Mamma“- Rufe mit der anschließenden Bitte um den Segen der Mutter. Diese wurde von Ronnita Miller mit stupender Bühnenpräsenz und satter, fantastisch fokussierter Altstimme verkörpert. Aufhorchen ließ auch der warme Mezzosopran von Stephanie Lauricella als kokett agierender Lola. Mark Delavan sang einen soliden, vielleicht etwas zu nasal klingenden, Alfio, der sein Auftrittslied (Il cavallo scalpita) natürlich nicht an ein Pferdefuhrwerk, sondern an seinen dreirädrigen TEMPO-Kleinlaster richten musste. John Fiore entlockte dem Orchester der Deutschen Oper Berlin wunderschöne, zarte Klänge, stimmte mit eher getragenen Tempi auf die Osterprozession ein. Das Regina coeli entfaltete wegen der langen Wege, welche die Chorgruppen (Einstudierung: William Spaulding) zurückzulegen hatten, erst nach und nach seine ganze, homogene Wirkung, kulminierte dann aber im ergreifenden Ineggiam’ al Signor.
Für PAGLIACCI hatte man an der Deutschen Oper Berlin DEN Interpreten des Canio der letzten zwanzig Jahre engagiert: José Cura. Und er zeigte sich in herausragender stimmlicher Verfassung (trotz der gleichzeitig laufenden Osterfestspiele in Salzburg, wo er Verdis Otello, seine zweite Paraderolle, singt). Markant, leicht baritonal gefärbt die Mittellage, ungefährdet und mühelos ansprechend seine Höhe, subtil sein Spiel. Bereits sein Auftrittslied (Un tal gioco, credetemi) war von einer psychologisch einfühlsamen Durchdringung des Textes gezeichnet. Die große Szene Vesti la giubba – ridi Pagliaccio geriet zu einem unbestrittenen Höhepunkt des Abends. An seiner Seite spielte und sang Carmen Gianattasio eine mondäne, divenhafte Nedda. Dem „Vogellied“ Stridono lassù fehlte es noch etwas an der geforderten soubrettenhaften Leichtigkeit, es wurde mit zwar beeindruckender, aber zu schwerer Stimme angegangen. Sie sang die Szene mit Silvio dann aber mit bewegender Emphase und hatte für die an Couperin erinnernde Klangsprache in der Komödie des zweiten Aktes plötzlich die notwendige Leichtigkeit des koketten Tons gefunden. Etwas blass und konturenarm blieb Mark Delevans Tonio sowohl im Prolog als auch während der Oper. Sehr gut besetzt war John Chest als warmstimmiger „Stalker“ Silvio. Alvaro Zambrano überzeugte mit seinem hellen Tenor als Beppo. Noch nicht ganz ohne Pannen erklang Leoncavallos feinsinnig konzipierte Partitur aus dem Orchestergraben, wofür der Dirigent John Fiore von einigen Zuschauern am Schluss abgestraft wurde.
„La commedia è finita“ – der ursprünglich Tonio zugeteilte Schlusssatz wurde in dieser Aufführung auf Canio und Tonio aufgeteilt. Und tatsächlich verließ man die Deutsche Oper Berlin nach diesen PAGLIACCI etwas desillusioniert... .
Werke:
Wohl wurden immer wieder Versuche unternommen, die beiden veristischen Paradepferde zu trennen und mit anderen Einaktern zusammenzuführen, doch die Kombination der beiden Kurzopern hat sich als erfolgreichste Paarung erwiesen.
Mascagni hatte sein Werk anlässlich eines Preisausschreibens des Verlegers Sonzogno eingereicht, gewann den ersten Preis und wurde dank der gekonnten Vermarktung durch den Verleger mit einem Schlag weltberühmt. Der Siegeszug dieses sizilianischen Eifersuchtsdramas ist bis heute ungebrochen. Glühende, mitreissende Melodik, gekonnte Aufeinanderfolge von dramatisch erregten Szenen und Ruhepunkten, sowie die konsequente Einhaltung der Einheit von Ort, Zeit und Handlung prägen dieses leidenschaftliche Meisterwerk.
Auch Leoncavallo hatte sich mit seinen PAGLIACCI an diesem Preisausschreiben beteiligt, das Werk wurde jedoch aus formalen Gründen zurückgewiesen, da es sich nicht um einen Einakter handelte. Sonzogno setzte sich aber trotzdem für das Werk ein und ein ebenso erfolgreicher Siegeszug über alle bedeutenden Bühnen der Welt begann. Carusos Einspielung aus dem Jahre 1902 von Ridi, Pagliaccio war die erste Schallplatte, von der mehr als eine Million Stück verkauft wurden. Leoncavallo schildert das herbe Los des Künstlers, das Drama hinter der Maske. Genial ist der Einfall, das tragische Geschehen dem heiteren Spiel auf der Bühne gegenüberzustellen, um dann die Heiterkeit kippen zu lassen. Die musikalischen Qualitäten des BAJAZZO werden von vielen Kennern noch höher eingestuft als jene der CAVALLERIA.
Inhalt:
CAVALLERIA RUSTICANA
Frau (Santuzza) liebt jungen Mann (Turiddu) und erwartet von ihm ein uneheliches Kind. Turiddu aber hat Affäre mit verheirateter Frau (Lola). Santuzza rächt sich, indem sie dem Ehemann Lolas (Alfio) die Wahrheit über das Liebesleben seiner Frau enthüllt. Alfio fühlt sich in seiner Bauernehre verletzt und fordert Turiddu zum Messerduell. Turiddu stirbt.
Inhalt:
I PAGLIACCI
Eine Schauspieltruppe (mit Canio, Nedda, Tonio, Peppe) macht halt auf dem Dorfplatz: Tonio liebt Canios Frau Nedda, wird von der aber schroff zurückgewiesen und schwört Rache. Nedda trifft sich heimlich mit dem Bauern Silvio, dabei wird sie von Tonio beobachtet. Der erzählt alles brühwarm dem eifersüchtigen Ehemann Canio. Verzweiflung pur. Das Spiel auf der Bühne beginnt. Aus dem heiteren Eifersuchtsdrama des Spiels wird bitterer Ernst. Canio fällt aus seiner Rolle, er verlangt von Nedda den Namen ihres Liebhabers. Canio sticht sie nieder, Silvio will ihr zu Hilfe eilen, entlarvt sich damit selbst und wird von Canio ebenfalls getötet. Völlig gebrochen lässt sich Canio festnehmen.
Musikalische Höhepunkte:
CAVALLERIA RUSTICANA
Il cavallo scalpita, Arie des Alfio
Voi lo sapete, o mamma, Santuzza
Regina coeli …. Inneggiamo, Osterprozession, Santuzza und Chor
Tu qui Santuzza, Szene Turiddu-Santuzza
Intermezzo sinfonico
Viva il vino, Trinklied des Turiddu
I PAGLIACCI
Si può, Prolog, Tonio
Qual fiamma avea, Nedda
Recitar - Vesti la giubba, Canio
Intermezzo sinfonico