Zürich: CAVALLERIA RUSTICANA | PAGLIACCI, 21.01.2022
Cavalleria rusticana: Melodramma in einem Akt | Musik: Pietro Mascagni | Libretto: Giovanni Targioni-Tozzetti/Guido Menasci nach dem Schauspiel und der Novelle von Verga | Uraufführung: 17. Mai 1890 in Rom | I Pagliacci: Drama in zwei Akten und einem Prolog | Musik: Ruggero Leoncavallo | Libretto vom Komponisten | Uraufführung: 21. Mai 1892 in Mailand | Aufführungen in Zürich (Wiederaufnahme): 18.1. | 21.1. | 23.1. | 26.1. | 30.1.2022
Kritik:
Wie soll man als Rezensent einen solchen Opernabend würdigen, bei dem Superlative nicht auszureichen scheinen, um den gewaltigen emotionalen Eindrücken, denen man ausgesetzt war, gerecht zu werden? Von den mit bewegender Sensibilität intonierten Passagen der Streicher in der Introduktion zu Mascagnis CAVALLERIA RUSTICANA bis zur erschütternden Feststellung des Doppelmörders Canio am Ende von PAGLIACCI "La commedia è finita!" war man einem bis ins Knochenmark ergreifenden, ununterbrochenen Gefühlsstrudel ausgesetzt, an einem Abend, bei dem einfach alles passte, szenisch UND musikalisch. Grischa Asagaroffs Inszenierung in der Ausstattung Luigi Peregos hat seit ihrer Premiere vor 13 Jahren nichts an Stimmigkeit verloren, ja eher noch an Intensität dazugewonnen. Die genaue Charakterisierung der Rollen, die detailreiche Führung des Chors und das genaue Setting trugen zur überwältigenden Gesamtwirkung der beiden veristischen Reisser entscheidend bei. (Näheres zur Inszenierung kann man in meinen Berichten zur Premiere von 2009 und den Wiederaufnahmen nachlesen.)
Für diese Wiederaufnahme hatte man ein Ensemble verpflichten können, das nun wirklich keinerlei Wünsche offen liess, mit allerhöchster Gensangs- und Interpretationskunst berührte, bewegte und begeisterte. Die mit dem Titel Österreichische Kammersängerin geehrte Mezzosopranistin Elīna Garanča verkörperte die tragische Figur der exkommunizierten, aus der Dorfgemeinschaft ausgestossenen Santuzza mit grandioser, packender Kraft, exemplarischer Stimmführung, traumhaft schönem Klang in allen Lagen und einer zu Tränen rührenden Subtilität in der Darstellung. Besser und intensiver kann man sich das kaum vorstellen. Das Muttersöhnchen Turiddu wurde von Marcelo Alvarez mit traumhaft schön timbriertem Tenor gesungen, hell und schmachtend in der Siciliana (off stage), dramatisch seinen Standpunkt vertretend in der Auseinandersetzung mit der von ihm geschwängerten und dann zugunsten von Lola verlassenen Santuzza auf den Treppenstufen vor der Kirche: Bada, Santuzza, schiavo non sono! Ergreifend wurde von diesen beiden Ausnahmesängern dann das Duett gestaltet, wo immer wieder Momente der einmal vorhanden gewesenen Zärtlichkeit durchschimmerten. Doch der mit aller Verzweiflung der verstossenen Frau herausgeschleuderte, Gänsehaut erzeugende Fluch Santuzzas A te la mala Pasqua, spergiuro! machte jede Hoffnung auf eine Versöhnung endgültig zunichte und liess das an eine (auch im Bühnenbild angedeutete) archaische griechische Tragödie gemahnende Stück seinem unerbittlichen Ende zustreben. Schuld daran trägt nicht nur untreue Turiddu, auch die frivole, in ihrer Ehe mit dem faschistisch angehauchten Alfio unglückliche und Santuzza kokett verspottende Lola trägt eine Mitverantwortung für die Zuspitzung der Situation im kleinen sizilianischen Dorf. Svetlina Stoyanovo stattet sie mit wunderbar erotisch timbriertem Mezzosopran aus, dem sie gekonnt einen Hauch von ordinärem Klang beizumischen verstand. Ihr Gatte Alfio wurde von George Petean mit autoritärer Souveränität verkörpert. Er gab den zu Geld gekommenen Paten, der glaubt, alles und alle zu besitzen. Auch Turiddus Mutter, Mamma Lucia, ist nicht ganz unschuldig, zu lange will sie die Augen vor den menschlichen Untaten ihres Sohnes verschliessen. Irène Friedli zeichnete (erneut!) ein einfühlsames Rollenporträt dieser am Ende ihres Sohnes beraubten Mutter. Kalt und ziemlich abweisend in der ersten Szene mit Santuzza, sich von der von Elīna Garanča grossartig gesungen Romanze der Santuzza (Voi lo sapete, o mamma) dann doch etwas erweichen lassend. Nach dem von Marcelo Alvarez fulminant vorgetragenen Trinklied, berührte die Bitte des Sohnes um den Segen der Mutter ungemein, das bange Warten um den Ausgang des Duells war kaum auszuhalten, und als dann der Ruf aus dem Off ertönte Han ammazzato compare Turiddu konnte man die Erschütterung der beiden im Schmerz verbunden Frauen, Lucia und Santuzza, beinahe physisch spüren. Doch nicht nur da flossen beim Rezensenten (und bestimmt bei vielen anderen im Publikum) die Tränen, auch beim grossen Gebet der Santuzza mit Chor Inneggiamo, Il Signor non è morto!, bei welchem die Stimme von Frau Garanča mit phänomenaler Ausdrucksstärke über dem wunderbar klangprächtig intonierenden Chor und Zusatzchor der Oper Zürich schwebte, wurde man durchgeschüttelt. Und natürlich erst recht beim Intermezzo sinfonico, das von der Philharmonia Zürich unter der so wundersam transparent und gefühlvoll disponierenden Leitung von Paolo Carignani mit glutvoller Intensität gespielt wurde.
Nach der Pause dann PAGLIACCI: Gleiche Bühne, durch die Kostüme ca. 30 Jahre später, also Mitte der 50er Jahre des vergangen Jahrhunderts angesiedelt. Erneut war man einem ungemein emotionalen Sog ausgesetzt, wurde in das Drama des diffizilen Beziehungskomos innerhalb einer um die Existenz kämpfenden Artistentruppe hineingezogen. Grischa Asagaroff hat dieses Beziehungsgeflecht sowohl mit wunderbarer Poesie (Szene Nedda-Silvio und Intermezzo), als auch mit drastischer szenischer Kraft im Stil des italienischen Neorealismus auf die Bühne gebracht. George Petean als Tonio stimmte das Publikum mit zutiefst bewegender Sangeskunst auf das zu erwartende lebensechte Drama ein. So phänomenal interpretiert habe ich diesen Prolog noch nie live gehört. Das war allerhöchste Klasse der Interpretationskunst. Marcelo Alvarez lief als von Eifersucht getriebener, alkoholabhängiger Canio ebenfalls zu grandioser Form auf, Un tal gioco und Vesti la giubba - ridi Pagliaccio fuhren gewaltig ein, gingen durch Mark und Bein. Ekaterina Bakanova gestaltete eine selbsbewusste Nedda, überzeugte mit schöner Stimmführung und Leichtigkeit sowohl in der Arie Stridono lassù, als auch im von ihr und Xiaomeng Zhang als Silvio so einnehmend gestalteten Duett. Den wunderschön weich fliessenden Bariton des jungen Xiaomeng Zhang muss man unbedingt im Auge behalten! Andrew Owens als Beppe (Arlecchino) war der einzige der Artistengruppe, der immer wieder an die Vernunft appellierte. Seine Serenade im zweiten Akt intonierte er mit überzeugender Stimmschönheit. Paolo Carignani und die Philharmonia Zürich leuchteten Leoncavallos meisterhaft orchestrierte Partitur mit viel Klangsinnlichkeit aus und der Chor, Kinder - und Zusatzchor der Oper Zürich glänzte stimmlich und darstellerisch mit Akkuratesse, genauso wie die grossartigen, mit zirzensischer Kunst aufwartenden Akrobaten Steven Forster, Philip Kupper, Amir Modai, Janik Schärer, Andreas Schwarzer und Rico Trevisan.
Ich gebe es ohne Scham zu: So viele Tränen habe ich noch nie während einer Opernvorstellung vergossen, die Kraft der Musik dieser beiden ebenbürtigen Werke ist ohnegleichen!
Fazit: Hingehen und sich berühren lassen. Herausragende Interpret*innen. Nur noch wenige Vorstellungen, morgen Sonntag gar zum halben Preis (!), Robert Watson wird dann anstelle von Marcelo Alvarez den Turiddu und den Canio interpretieren.
Werke:
Wohl wurden (auch in Zürich) immer wieder Versuche unternommen, die beiden veristischen Paradepferde zu trennen und mit anderen Einaktern zusammenzuführen, doch die Kombination der beiden Kurzopern hat sich als erfolgreichste Paarung erwiesen.
Mascagni hatte sein Werk anlässlich eines Preisausschreibens des Verlegers Sonzogno eingereicht, gewann den ersten Preis und wurde dank der gekonnten Vermarktung durch den Verleger mit einem Schlag weltberühmt. Der Siegeszug dieses sizilianischen Eifersuchtsdramas ist bis heute ungebrochen. Glühende, mitreissende Melodik, gekonnte Aufeinanderfolge von dramatisch erregten Szenen und Ruhepunkten, sowie die konsequente Einhaltung der Einheit von Ort, Zeit und Handlung prägen dieses leidenschaftliche Meisterwerk.
Auch Leoncavallo hatte sich mit seinen PAGLIACCI an diesem Preisausschreiben beteiligt, das Werk wurde jedoch aus formalen Gründen zurückgewiesen, da es sich nicht um einen Einakter handelte. Sonzogno setzte sich aber trotzdem für das Werk ein und ein ebenso erfolgreicher Siegeszug über alle bedeutenden Bühnen der Welt begann. Carusos Einspielung aus dem Jahre 1902 von Ridi, Pagliaccio war die erste Schallplatte, von der mehr als eine Million Stück verkauft wurden. Leoncavallo schildert das herbe Los des Künstlers, das Drama hinter der Maske. Genial ist der Einfall, das tragische Geschehen dem heiteren Spiel auf der Bühne gegenüberzustellen, um dann die Heiterkeit kippen zu lassen. Die musikalischen Qualitäten des BAJAZZO werden von vielen Kennern noch höher eingestuft als jene der CAVALLERIA.
Inhalt:
CAVALLERIA RUSTICANA
Frau (Santuzza) liebt jungen Mann (Turiddu) und erwartet von ihm ein uneheliches Kind. Mann aber hat Affäre mit verheirateter Frau (Lola). Santuzza rächt sich, indem sie dem Ehemann Lolas (Alfio) die Wahrheit über das Liebesleben seiner Frau enthüllt. Alfio fühlt sich in seiner Bauernehre verletzt und fordert Turiddu zum Messerduell. Turiddu stirbt.
Inhalt:
I PAGLIACCI
Eine Schauspieltruppe (mit Canio, Nedda, Tonio, Peppe) macht halt auf dem Dorfplatz: Tonio liebt Canios Frau Nedda, wird von der aber schroff zurückgewiesen und schwört Rache. Nedda trifft sich heimlich mit dem Bauern Silvio, dabei wird sie von Tonio beobachtet. Der erzählt alles brühwarm dem eifersüchtigen Ehemann Canio. Verzweiflung pur. Das Spiel auf der Bühne beginnt. Aus dem heiteren Eifersuchtsdrama des Spiels wird bitterer Ernst. Canio fällt aus seiner Rolle, er verlangt von Nedda den Namen ihres Liebhabers. Canio sticht Nedda nieder, Silvio will ihr zu Hilfe eilen, entlarvt sich damit selbst und wird von Canio ebenfalls getötet. Völlig gebrochen lässt sich Canio festnehmen.
Musikalische Höhepunkte:
CAVALLERIA RUSTICANA
Il cavallo scalpita, Arie des Alfio
Voi lo sapete, o mamma, Santuzza
Regina coeli …. Inneggiamo, Osterprozession, Santuzza und Chor
Tu qui Santuzza, Szene Turiddu-Santuzza
Intermezzo sinfonico
Viva il vino, Trinklied des Turiddu
I PAGLIACCI
Si può, Prolog, Tonio
Qual fiamma avea, Nedda
Recitar - Vesti la giubba, Canio
Intermezzo sinfonico