Zürich: CAVALLERIA RUSTICANA & PAGLIACCI, 09.01.2013
Cavalleria rusticana: Melodramma in einem Akt | Musik: Pietro Mascagni | Libretto: Giovanni Targioni-Tozzetti/Guido Menasci nach dem Schauspiel und der Novelle von Verga | Uraufführung: 17. Mai 1890 in Rom | I Pagliacci: Drama in zwei Akten und einem Prolog | Musik: Ruggero Leoncavallo | Libretto vom Komponisten | Uraufführung: 21. Mai 1892 in Mailand Aufführungen in Zürich: noch am 6.1. | 9.1. | 12.1.2013
Kritik:
Es sind zwei echte Reisser, die beiden Kurzopern Mascagnis und Leoncavallos, welche seinerzeit als Auslöser (und in ihrer Intensität zu kaum mehr erreichten Höhepunkten) der kurz währenden Stilepoche des Verismo auf der Opernbühne galten. Während das sizilianische Bauerndrama CAVALLERIA RUSTICANA emotionaler, rührender und sentimentaler daherkommt und damit unserer heutigen, von nüchterner Analyse geprägten Empfindung vielleicht befremdlicher und distanzierter erscheint, erzielt PAGLIACCI mit seiner evidenten Vulgarität, der manchmal lärmigen Orchestrierung, aber auch der Direktheit des musikalischen Ausdrucks oft grössere Wirkung. So auch gestern Abend im Opernhaus Zürich - und das muss sogar ich als bekennender Fan von Mascagnis schlichteren, berührenderen Kantilenen neidlos eingestehen. Ja, diese Aufführung der PAGLIACCI hat auch mich vom Sessel gerissen. Natürlich liegt das auch an Grischa Asagaroffs (Regie) und Luigi Peregros (Ausstattung) stimmiger Inszenierung, welche seit der Premiere 2009 nichts von ihrer dramatischen, aufwühlenden Wirkung auf das Publikum eingebüsst hat, auch wenn – oder gerade weil (!) – sämtliche Rollen nun neu besetzt sind: Zoran Todorovich läuft in der Rolle des Canio zu ganz grosser Form auf, er bleibt diesem (von Asagaroff als impotentem Trunkenbold gezeichneten) Clown nichts an darstellerischer und stimmlicher Gestaltungskraft schuldig, lässt eine Figur von geradezu Fellinischer Prägung entstehen, bringt das Recitar ... Vesti la giubba zu einem bewegenden Höhepunkt. Grossartig. Neben ihm brilliert Elena Mosuc als Nedda – besser kann man sich eine Interpretation dieser jungen, in ihren Hoffnungen und Erwartungen an das Leben so enttäuschten Frau gar nicht vorstellen. Frau Mosuc bringt Wärme, entfesselte Leidenschaft, durch das Leben auf der Strasse entstandene Robustheit und Durchsetzungsfähigkeit so plastisch zum Ausdruck, dass man ihrem Schicksal mit atemloser Anteilnahme folgt. Lautmalerisch vermag sie das Flattern der Flügel der freiheitsliebenden Vögel mit sauberster Intonation zu evozieren, Wind Sturm und Blitze zu besingen, sich mit Vehemenz gegen die Übergriffe Tonios zu wehren und gleich darauf beseelt in die starken Arme Silvios zu versinken. Eine Sängerin, die mit ihrem zauberhaften Timbre sämtliche Schattierungen des Charakters bruchlos und intelligent auszudrücken vermag. Mit einnehmender Phrasierungskunst wartet Lucio Gallo im Prolog als Tonio auf, wühlt mit warmen Kantilenen in diesem „nido di memorie“ und vermag die Herzen der Zuschauer so zu berühren. Mit wohltuender, nie chargierender Unaufdringlichkeit gestaltet Gallo dann die Rolle des missgestalteten, ständig zurückgewiesenen Tonio/Taddeo. Elliot Madore gibt einen warmstimmigen, edel timbrierten Silvio. Wünschenswert wäre einzig, dass er sich vermehrt auch auf das Spiel konzentrieren könnte; mit seinem permanenten Blick zum Dirigenten und frontal in den Zuschauerraum wirkt er etwas steif. Boguslaw Bidzinski ist der besorgte Peppe und die zugezogenen Artisten sorgen für akrobatische und im wunderschön gestalteten Intermezzo auch für eine sehr poetische Stimmung. Alexander Verdernikov und die Philharmonia Zürich bleiben der farbenreichen Partitur Leoncavallos nichts an durchschlagendem Effekt schuldig.
Wie üblich geht den PAGLIACCI Mascagnis CAVALLERIA RUSTICANA voran: Zoran Todorovich und Lucio Gallo traten hier als Turiddu, respektive Alfio auf – blieben jedoch in diesem Stück darstellerisch (nicht aber stimmlich!) blasser als in PAGLIACCI. Kein Wunder, denn zur Eröffnung dieses insgesamt hochkarätig besetzten Abends hatte man mit Waltraud Meier eine der faszinierendsten Persönlichkeiten des Musiktheaters der Gegenwart verpflichten können. Ihre Darstellung der Santuzza war schlicht überragend. Da wurde jede Regung, jedes Zusammenknicken des Körpers, jeder vernichtende oder verzweifelte Blick aus einer subtil-intelligenten Durchdringung des Charakters dieser Ausgestossenen heraus entwickelt. Keine noch so kleine Geste wirkte künstlich, klischiert oder aufgesetzt – welch überragende Bühnenpräsenz. Wenn sie am Ende dann mit leerem Blick taumelnd und wie entrückt zur Rampe wankt, kann man nicht anders als tiefes Mitleid mit dieser Frau zu empfinden, welche durch ihre Eifersucht praktisch ein ganzes Dorf ins Elend gestürzt hat. Frau Meiers Stimme wies zu Beginn zwar noch kleinere Unebenheiten auf, steigerte sich aber bereits im himmlisch schönen Gebet zu strahlend-schlichter Erhabenheit. Ihre Szene mit der von Irène Friedli so feinfühlig charakterisierten Mamma Lucia geriet zu einem genauso bewegenden Höhepunkt wie ihre im Racheschwur kulminierende Auseinandersetzung mit ihrem ungetreuen Liebhaber Turiddu. Irène Friedli und Zoran Todorovich gestalteten die Abschieds- und Segnungsszene ausserordentlich berührend: Sie die gestrenge Mutter, die um die charakterlichen Schwächen ihres erwachsenen Sohnes weiss und ihn trotzdem mit hingebungsvoller Mutterliebe umsorgt, er der unreife Macho, welcher unter dem Einfluss des Alkohols sentimental wird. Seine neue (alte) Angebetete Lola wurde von Anna Stéphany mit leicht lasziv eingefärbter, warmer Mezzosopranstimme gesungen. Auch bei CAVALLERIA RUSTICANA vermochte die Philharmonia Zürich mit berückendem Spiel unter der glutvollen und vorwärtsdrängenden Leitung von Alexander Vedernikov zu begeistern. Am Ende gabs eine standing ovation für Waltraud Meier, welche an ihrem Geburtstag das Zürcher Publikum mit einer unter die Haut gehenden Darstellung der Santuzza beschenkt hatte.
Besprechung der letzten Wiederaufnahme mit Agnes Baltsa (2011) lesen Sie bitte hier
Werk:
Wohl wurden (auch in Zürich) immer wieder Versuche unternommen, die beiden veristischen Paradepferde zu trennen und mit anderen Einaktern zusammenzuführen, doch die Kombination der beiden Kurzopern hat sich als erfolgreichste Paarung erwiesen.
Mascagni hatte sein Werk anlässlich eines Preisausschreibens des Verlegers Sonzogno eingereicht, gewann den ersten Preis und wurde dank der gekonnten Vermarktung durch den Verleger mit einem Schlag weltberühmt. Der Siegeszug dieses sizilianischen Eifersuchtsdramas ist bis heute ungebrochen. Glühende, mitreissende Melodik, gekonnte Aufeinanderfolge von dramatisch erregten Szenen und Ruhepunkten, sowie die konsequente Einhaltung der Einheit von Ort, Zeit und Handlung prägen dieses leidenschaftliche Meisterwerk.
Auch Leoncavallo hatte sich mit seinen PAGLIACCI an diesem Preisausschreiben beteiligt, das Werk wurde jedoch aus formalen Gründen zurückgewiesen, da es sich nicht um einen Einakter handelte. Sonzogno setzte sich aber trotzdem für das Werk ein und ein ebenso erfolgreicher Siegeszug über alle bedeutenden Bühnen der Welt begann. Carusos Einspielung aus dem Jahre 1902 von Ridi, Pagliaccio war die erste Schallplatte, von der mehr als eine Million Stück verkauft wurden. Leoncavallo schildert das herbe Los des Künstlers, das Drama hinter der Maske. Genial ist der Einfall, das tragische Geschehen dem heiteren Spiel auf der Bühne gegenüberzustellen, um dann die Heiterkeit kippen zu lassen. Die musikalischen Qualitäten des BAJAZZO werden von vielen Kennern noch höher eingestuft als jene der CAVALLERIA.
Inhalt:
CAVALLERIA RUSTICANA
Frau (Santuzza) liebt jungen Mann (Turiddu) und erwartet von ihm ein uneheliches Kind. Turiddu aber hat Affäre mit verheirateter Frau (Lola). Santuzza rächt sich, indem sie dem Ehemann Lolas (Alfio) die Wahrheit über das Liebesleben seiner Frau enthüllt. Alfio fühlt sich in seiner Bauernehre verletzt und fordert Turiddu zum Messerduell. Turiddu stirbt.
Inhalt:
I PAGLIACCI
Eine Schauspieltruppe (mit Canio, Nedda, Tonio, Peppe) macht halt auf dem Dorfplatz: Tonio liebt Canios Frau Nedda, wird von der aber schroff zurückgewiesen und schwört Rache. Nedda trifft sich heimlich mit dem Bauern Silvio, dabei wird sie von Tonio beobachtet. Der erzählt alles brühwarm dem eifersüchtigen Ehemann Canio. Verzweiflung pur. Das Spiel auf der Bühne beginnt. Aus dem heiteren Eifersuchtsdrama des Spiels wird bitterer Ernst. Canio fällt aus seiner Rolle, er verlangt von Nedda den Namen ihres Liebhabers. Canio sticht sie nieder, Silvio will ihr zu Hilfe eilen, entlarvt sich damit selbst und wird von Canio ebenfalls getötet. Völlig gebrochen lässt sich Canio festnehmen.
Musikalische Höhepunkte:
CAVALLERIA RUSTICANA
Il cavallo scalpita, Arie des Alfio
Voi lo sapete, o mamma, Santuzza
Regina coeli …. Inneggiamo, Osterprozession, Santuzza und Chor
Tu qui Santuzza, Szene Turiddu-Santuzza
Intermezzo sinfonico
Viva il vino, Trinklied des Turiddu
I PAGLIACCI
Si può, Prolog, Tonio
Qual fiamma avea, Nedda
Recitar - Vesti la giubba, Canio
Intermezzo sinfonico
Applaus, Videoclip