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Zürich: ANNA BOLENA, 21.05.2011

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Anna Bolena

copyright: Suzanne Schwiertz, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Lyrische Tragödie in zwei Akten | Musik: Gaetano Donizetti | Libretto: Felice Romani | Uraufführung: 26. Dezember 1830 in Mailand| Aufführungen in Zürich: 21.5. | 25.5. | 28.5. | 2.6. (mit Laura Polvinelli als Giovanna)

am 8.6. | 10.6.2011 wird LA BOHÈME gespielt mit Jonas Kaufmann, Inva Mula, Eva Mei (wegen Absage von Elīna Garanča)

Kritik:

Eine wunderbar differenziert gestaltete Ouvertüre, eine kurze Introduktion des Chores – und dann trittt sie auf: Elīna Garanča, die lettische Mezzosopranistin, gefeierter Star in Wien, Barcelona, der Metropolitan Opera New York. In flammend roter Abendrobe singt sie die Auftrittsarie der Giovanna Seymour mit eindringlicher, ja geradezu mitreissender Intensität in Stimme und Phrasierung. Das ist nicht nur blosser Wohlklang (aber der auch!), das ist genau das, was die Faszination der Oper ausmacht: Das Überbringen von Gefühlen mittels stimmlichen Ausdrucks. Elīna Garanča hat schlicht und einfach alles. Sie verfügt (neben der als vorausgesetzt betrachteten exzellenten Technik) über herrliche Stimmfarben, autoritäre Kraft und ein bruchlos einsetzbares dynamisches Spektrum (sie weiss genau, wann sie ihr Volumen zurückzuschrauben hat, um dem Sopran die Vorherrschaft zu überlassen, so im Finale I) – und sie ist eine wunderschöne Frau. So gerät jeder ihrer Auftritte in dieser Donizetti-Oper zum Ereignis, sei es in den musikalisch so ergreifend komponierten und dramatisch zugespitzten Duetten mit der Königin Anna Bolena oder in den Auseinandersetzungen mit Enrico (Heinrich VIII.): Die Gefühlsachterbahn dieser zwar von persönlichem Ehrgeiz getriebenen, aber auch zu mitfühlender Anteilnahme fähigen jungen Frau macht Elīna Garanča aufwühlend nachvollziehbar. Sie kann sowohl bei Enrico einschmeichelnd wie eine Katze schnurren, als auch Anna mit Gänsehaut erzeugender Verzweiflung um Vergebung bitten. Gerade diese Auseinandersetzung zwischen der auf ihre Verurteilung wartenden Königin und ihrer Rivalin und Nachfolgerin gerät zum unbestrittenen Höhepunkt des Abends. Dass Elīna Garanča bei ihrem ersten Auftritt in Zürich triumphieren wird, war vorauszusehen. Dass aber Eva Mei in der Titelrolle verdientermassen einen mindestens ebenbürtigen Triumph erleben wird, war eine wirklich berührende Überraschung. Mit ätherischer Leichtigkeit gestaltet sie die feingesponnen Melismen, sauber und rein erklingen die lyrischen Passagen. Die im beginnenden Delirium gesungenen Verästelungen und zarten Fiorituren der grossen Finalarie berühren mit dem von der Sopranistin ungemein fein gesponnenen Gewebe an kostbaren Tonfolgen. Natürlich und bruchlos dringt sie in tiefere Bereiche ihrer Stimme vor, aber weder dort noch bei den sicher erreichten Spitzentönen muss sie forcieren. Sie zeichnet ein durch und durch anmutiges Porträt dieser Frau, welche von Beginn an weiss, was auf sie zukommen wird. Dass Frau Mei ebenfalls über ein blendendes Aussehen verfügt und die herrlichen, von strahlendem Weiss über sattes Grasgrün zu herbstlichem Braun und winterlichem Grau reichenden Abendroben (Kostüme Maria-Luise Walek) mit Grandezza trägt, darf man natürlich auch noch anmerken.

Gian-Carlo del Monaco hatte die Trilogie der Tudor-Königinnen-Opern Donizettis (ROBERTO DEVEUREUX, MARIA STUARDA und eben ANNA BOLENA) in Zürich im Einheitsbühnenbild von Mark Väisänen spielen lassen: Eine Art metallischer Gruft, in welcher sich die Protagonisten in ihren royalen Intrigen und Ränkespielen aufreiben, beobachtet von einem kommentierenden Chor aus Opernbesuchern, welche ihre Einwürfe von einer sich bei Bedarf öffnenden Galerie singen. Dazu kommen bei ANNA BOLENA die durch die Kostüme (sie reichen von der Renaissance bis zu den italienischen Faschisten) und Bäume angedeuteten Jahreszeiten ins Spiel, acht Spiegel, welche den Frauenverschleiss des Königs andeuten, eine einfache Parkbank, dekorative Ketten für die Kerkerszene und Bücher für Annas Flucht vor der Realität. Anna Bolena wird stets von ihrer Tochter begleitet (der späteren Königin Elisabeth I.). Diese trägt bei jedem Auftritt eine Puppe mit sich, welche immer auch die jeweiligen Kleider ihrer Mutter trägt. Am Ende reisst das Kind der Puppe den Kopf ab und wirft ihn auf die Bühne. So wird das Todesurteil für Anna, welches eigentlich hinter der Bühne gefällt wird, mitgeteilt. Leider wusste der Regisseur mit den Männern wenig anzufangen. Dies hat sich auch durch die jetzige Neueinstudierung nicht geändert: Die Figuren bleiben mehr als blass, von einer stringenten Personenführung ist rein gar nichts zu spüren. Vieles ist nachgerade von peinlicher Unbeholfenheit. (z.B. das Ende, wenn sich Enrico auf die unsägliche Pferdestatue schwingt und Giovanna die Zügel in die Hand nimmt). Der junge Regisseur Tobias Kratzer hatte am Luzerner Theater in dieser Saison auf bemerkenswerte Art gezeigt, was in dem Stück eigentlich steckt. In Zürich sieht man zwar sehr dekoratives, aber sich an der auf Hochglanz polierten ästhetischen Oberfläche dahinschleppendes, Ausstattungstheater. Während die Damen (zu denen sich auch noch die mit ausserordentlicher Anmut singende Judith Schmid in der Hosenrolle des Smeton gesellt) sowohl sängerisch wie darstellerisch zu begeistern vermögen, bleiben bei den Herren doch einige Wünsche offen. In der schwierigen Tenorrolle des Percy debütiert Gergely Németi. Seine Stimme verfügt über einen wunderbar einschmeichelnden Schmelz und herrliche Legati, doch fehlt ihm (noch) die mutige Attacke und die Kraft für die Spitzentöne. (Weshalb der für die Rolle vorgesehene Celso Albelo nicht sang, erfuhr man leider nicht.) Carlo Colombara als Enrico (eingekleidet wie ein Mafioso aus dem Bilderbuch) setzt seine mächtige Bassstimme sehr effektvoll (wenn auch ab und an zu polternd und mit leichten Intonationstrübungen) ein. Luxuriös besetzt ist die kleine Rolle von Annas Bruder (Lord Rochefort) mit Massimo Cavalletti. Doch bleibt er in der Verstrickung in die hässliche Intrige ebenso steif und konturlos wie der noch farbloser gezeichneten Hervey (Miroslav Christoff).

Maestro Massimo Zanetti und das klangschön und wunderbar ausbalanciert spielende Orchester der Oper Zürich überzeugen mit einer die abrupten Stimmungswechsel wunderbar auslotenden Interpretation der Ouverüre und präzise gestalteten Begleitfiguren für die grossen Arien und Ensembles.

Fazit:

Elīna Garanča und Eva Mei begeistern in Donizettis romantisch-tragischem Drama und liefern sich einen wahrhaft königlichen Belcanto-Wettstreit.

Inhalt:

König Heinrich der VIII. von England liebt seine 2. Ehefrau Anne Boleyn nicht mehr. Er hat ein Auge auf die Hofdame seiner Gattin, Jane Seymour, geworfen. Anne ahnt zwar, dass ihr der König nicht mehr treu ist, kennt jedoch den Namen seiner Geliebten nicht. Einst gab sie ihren Geliebten, Lord Percy, auf, um an Heinrichs Seite Königin zu werden. Sie warnt Jane, sich nicht vom Glanz des Throns verführen zu lassen. Jane wird von Gewissensbissen gequält. Heinrich will sich Annes entledigen, um Jane ehelichen zu können: Dafür holt er Percy aus der Verbannung zurück, um seine Gattin so des Ehebruchs zu überführen. Annes Bruder Rochefort soll im Auftrag des Königs für ein heimliches Treffen Annes mit Percy sorgen. Der in Anne verknallte Page Smeton beobachtet das Treffen Annes mit Percy und überrascht die beiden, da er glaubt, Percy wolle seiner geliebten Königin zu nahe treten. Der König tritt just in diesem Moment dazu und lässt alle drei festnehmen, da bei Smeteon auch noch ein Bild Annes gefunden wird.

Jane besucht Anne und rät ihr, sich schuldig zu bekennen. Da wird Anne klar, dass Jane ihre Rivalin ist. Doch ihre Wut wandelt sich schnell in Mitleid für Jane. Jane bricht zusammen. Vor dem Tribunal bekennt sich Smeton schuldig, auch Anne und Percy treten trotzig auf und bekennen sich ihrer Liebe zueinander. Trotz der Fürbitte Janes bleibt Heinrich hart und lässt Anne Boleyn zum Tode verurteilen. Im Kerker erinnert sie sich ihrer ersten grossen Liebe. Von Ferne vernimmt sie die Böllerschüsse, welche die Hochzeit des Königs mit Jane verkünden. Sie bittet Gott noch um Vergebung für das sündige Paar, dann werden die drei Verurteilten zum Henker geführt.

Werk:

Gaetano Donizetti (1797-1848) war zweifellos der fleissigste Komponist von Belcanto-Opern. Sein Oeuvre umfasst über 60 Opern. ANNA BOLENA ist seine dreissigste. Sie wurde in der selben Saison uraufgeführt wie Bellinis SONNAMBULA und von den selben Interpreten, Giuditta Pasta und Giovanni Rubini. Mit dieser Oper erzielte Donizetti seinen ersten nationalen und internationalen Erfolg. Zwar vermochte er noch immer nicht die langen, innigen Melodien eines Bellini zu schreiben, dafür war er seinem „Rivalen“ an dramatischer Ausdruckskraft überlegen, welche sich vor allem in den gekonnt angelegten Ensembles und Duetten niederschlägt. Wie damals üblich entnahm er für ANNA BOLENA einige Nummern oder Teile davon früheren Werken. Nach 1880 gerieten die Werke des Belcanto eher etwas in Vergessenheit, wurden als minderwertig abgestempelt. Erst die durch den Dirigenten Tullio Serafin an der Scala herausgebrachten Premieren (ANNA BOLENA z.B. mit Maria Callas als Interpretin und Luchino Visconti als Regisseur) führten zu einer Renaissance dieser Werke, welche bis heute anhält. In der Nachfolge der Callas profilierten sich u.a. Montserrat Caballé, Leyla Gencer, Renata Scotto, Joan Sutherland und Edita Gruberova in der Rolle von Donizettis Tudor-Königin.

Musikalische Höhepunkte:

Ella, di me, Giovanna, Akt I

Deh, non voler costringere, Smeton-Anna, Akt I

Io sentii sulla mia mano, Quintett, Akt I

Tace ognuno, Enrico, Anna, Smeton, Percy, Giovanna, Rochefort, Finale Akt I

Dio che mi vedi in cuore, Duett Anna-Giovanna, Akt II

Al dolce guidami castel natio, Anna Akt II

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