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Stuttgart: RIGOLETTO, 10.07.2016

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Rigoletto

copyright: A. T. Schaefer, mit freundlicher Genehmigung Oper Stuttgart

Oper in drei Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Francesco Maria Piave, nach dem Versdrama Le roi s'amuse von Victor Hugo | Uraufführung: 11. März 1851 in Venedig | Aufführungen in Stuttgart: 10.7. | 12.7. | 15.7. | 18.7. | 25.7. | 24.9. | 1.10. | 8.10. | 13.10. | 22.10. | 25.10. | 9.11. | 26.11. | 7.12. | 12.12. | 16.12.2016

Kritik:

Tränen muss man sich nicht aus den Augen wischen am Ende dieser RIGOLETTO-Aufführung der Oper Stuttgart. Der Vater Rigoletto scheint nicht sonderlich überrascht zu sein, seine beinahe leblose Tochter Gilda abgestochen im Sack vorzufinden. Er nimmt sie nicht mehr in die Arme, sondern schleicht sich durch die nackten Kulissenrückwände davon, während der Bühnenprospekt mitsamt Aufhängevorrichtung langsam vom Bühnenhimmel senkt. Hinten sitzen alle Beteiligten stumm und emotionslos im Halbrund. Die Revolution, welche Rigoletto als agent provocateur anzetteln wollte, ist gescheitert, hat ihre eigenen Kinder gefressen. Der Regisseur Jossi Wieler und sein Chefdramaturg Sergio Morabito lassen der Emotionalität wenig Raum und der Sentimentalität schon gar keinen. Als Theater auf dem Theater (der Vorhang und das Silber in den Stühlen und Applikationen zitieren den Stuttgarter Saal) inszenieren sie Verdis Erfolgsoper aus der mittleren Schaffensphase, berufen sich ganz stark auf die Originalvorlage von Victor Hugos lange Zeit verbotenem Drama LE ROI S'AMUSE aus der Zeit der Julirevolution in Frankreich, wo die reaktionären Bourbonen durch den Bürgerkönig Louis Philippe ersetzt wurden. Auf der Drehbühne auf der Bühne werden die ursprünglichen Schauplätze der Verdi-Oper sehr stringent eingehalten. Die kurze Ballszene zu Beginn spielt zwar noch vor dem Rundvorhang, die Höflinge kullern betrunken darunter hervor, machen sich über Monterones hochschwangere Tochter lustig und Rigoletto macht sich sogar über sie her. Die Verwandlung zum zweiten Bild des ersten Aktes verblüfft, denn wir sehen beinahe ein Originalbühnenbild auf der Drehbühne, die einfache Behausung Rigolettos in einer engen Sackgasse (Bühnenbild: Bert Neumann). Nur wenig verändert dient diese Bild auch für den dritten Akt, die Schenke Sparafuciles und Maddalenas am Ufer des Mincio. Den Saal für den zweiten Akt hat man sich wieder gespart, dieser spielt erneut vor dem Rundvorhang der Drehbühne und auf den silbernen Stühlen. Interessant haben die Regisseure die Konstellation Rigoletto-Gilda herausgearbeitet: Er ist nicht nur der überbeschützende Vater, nein, er versucht seine Tochter als Revolutionärin heranzuziehen, steckt sie in Jungenkleider (eine Art Gavroche aus Les Misérables), unterstützt sie beim Druck von Flugblättern (LIBERTÉ, ÉGALITÉ, FRATERNITÉ). Doch als er entdeckt, dass sie sich emanzipieren und als Frau ihr Glück suchen will, ist er zu allem bereit, dies zu verhindern – und es geht gewaltig schief. Dieser Überbau, den die Regisseure über die gewohnte Sichtweise des Werkes stürzen, hat einiges für sich, ist stellenweise ziemlich grotesk, sehr politisch und didaktisch, doch zeigt sie eindringlich das Monströse, welches mit der Pervertierung von Macht im privaten wie im öffentlichen Raum verbunden ist. Dazu passen auch die eher hässlichen, keine genaue zeitliche Fixierung ermöglichenden Kostüme von Nina von Mechow.

Markus Marquardt ist ein eher rau timbrierter und auch grob und unsympathisch agierender Rigoletto. Seine wuchtige Baritonstimme vermag er eher Schaudern erregend als Mitleid heischend einzusetzen, da sind nur noch vereinzelt Belcanto-Anklänge zu hören, das geht schon eher in Richtung Verismo, passt aber hervorragend zur Deutung und auch zu Verdis Ansprüchen an Theaterstoffe. Atalla Ayan schafft das Kunststück, dass man seine Sympathien für einmal dem Herzog zuwendet. Gerade die Szene Ella mi fu rapita, als er entdeckt, dass Gilda ihm geraubt worden war, weil die Höflinge sie für Rigolettos Liebchen gehalten hatten, ist von grosser Klasse. Klug auch, dass dieser Beginn des zweiten Aktes noch kurz im Bühnenbild des ersten gespielt wurde, das macht Sinn. Mit viel Schmelz und Biegsamkeit und einer ausgeprägten Höhensicherheit bewältigt er die tenoralen Hits der Oper, hält wunderbar sauber und effektvoll Fermaten, sonnt sich in den das Ohr schmeichelnden Melodien. Sehr gut auch die Gilda von Mirella Bunoaica, mit schöner Koloratur und jungmädchenhafter Luftigkeit in der Arie Caro nome im ersten und herzergreifend in Tutte le feste im zweiten Akt. Herrlich rauchig die Maddalena von Stine Marie Fischer. Liang Li singt einen rabenschwarzen Sparafucile. Hervorragend die Herren des Staatsopernchores und die Interpretinnen und Interpreten der kleineren Partien. Besonders erwähnen möchte ich die Gräfin Ceprano von Josy Santos und den Monterone von Roland Bracht, der seinen Fluch effektvoll aus der Mittelloge in den Saal schmettert. Giuliano Carella leitet das Staatsorchester Stuttgart mit viel Brio, weiss die Akzente effektvoll zu setzen.

Fazit: Ein durchaus interessanter und spannender Opernabend, theatewissenschaftlich bestimmt ausgesprochen fundiert und klug durchdacht. Doch ab und an wollen wir als Zuschauer auch mal wieder emotional berührt und nicht immer nur auf intellektueller Ebene herausgefordert werden ;-).

Inhalt:

Rigoletto ist der scharfzüngige Hofnarr des Herzogs von Mantua, einem „Womanizer“ par excellence. Eines der Opfer des Herzogs war die Tochter des Grafen von Monterone, welcher auf dem Ball des Herzogs auftaucht und den Spötter Rigoletto verflucht. Dieser Fluch lässt den Narren nicht mehr los. Auch er ist (was niemand weiss) Vater einer Tochter, welche er wie in einem Gefängnis hält, damit ihr auch ja nichts zustossen kann. Rigoletto trifft auf den Mörder Sparafucile, der ihm seine Dienste anbietet. Rigoletto hat aber dafür – noch – kein Bedürfnis. Zu Hause angekommen, drängt ihn seine Tochter Gilda, ihr mehr über ihre Herkunft zu berichten. Rigoletto erzählt ihr von der verstorbenen Mutter und bricht dann nochmals auf. Die bestechliche Magd Giovanna lässt unterdessen einen Verehrer Gildas ins Haus, es ist der Herzog, der vorgibt, ein mittelloser Student zu sein. Die Höflinge glauben, Rigoletto habe heimlich eine Geliebte und beschliessen diese zu entführen (mit Hilfe des Vaters, dem sie vorgaukeln, die Gräfin von Ceprano werde für den Herzog „geholt“). Als er Gildas Hilfeschreie hört, wird ihm schlagartig bewusst, was passiert ist. Der Fluch Monterones scheint sich zu erfüllen.

Der Herzog ist verärgert, dass die Höflinge Gilda entführt haben. Als er jedoch erfährt, dass sie bereits in seinem Schlafzimmer ist, eilt er freudig erregt zu ihr. Rigoletto erscheint und versucht in einer berührenden Szene die Höflinge auszuhorchen, um den Aufenthalt seiner Tochter ausfindig zu machen. Dabei schockiert er mit Enthüllung, das sie seine Tochter sei. Rigoletto muss erfahren, dass sich Gilda in den Herzog verliebt hat. Monterone wiederholt auf dem Weg ins Gefängnis seinen Fluch. Rigoletto schwört die Entehrung seiner Tochter zu rächen.

Er sucht Sparafucile auf, welcher mit seiner Schwester Magdalena einen Bordell ähnlichen Betrieb am Flussufer betreibt, in dem auch der Herzog gerne verkehrt. Gemeinsam verabreden sie, die Ermordung des Herzogs. Doch Magdalena setzt sich für ihren leidenschaftlichen Freier ein und überredet ihren Bruder, jemand anders an anstelle des Herzogs umzubringen. Gilda hat die Konversation belauscht und klopft in Männerkleidern während eines Sturms an die Türe. Sie wird von Sparafucile erstochen und in einen Sack gesteckt. Als Rigoletto kommt, um den Leichnam in Empfang zu nehmen, hört er den Herzog ein Liebesliedchen trällern. Er öffnet den Sack – die Welt bricht für den liebenden Vater zusammen. Monterones Fluch hat sich nun tatsächlich erfüllt.

Werk:

Schon Victor Hugos Vorlage war in Paris verboten worden – Majestätsbeleidigung! Der Librettist Verdis, Piave, entschärfte die Vorlage, doch die Zensur schritt auch in Italien ein, so dass erneut Anpassungen gemacht werden mussten, um ja keine Satire auf real existierende Herrscher und Kritik am Gebahren des Adels aus dem Text herauslesen zu können.

Stilistisch hat Verdi gegenüber seinen früheren Werken nochmals an differenzierender Charakterisierungskunst zugelegt. Die sich in himmlische, reine Höhen aufschwingende Gilda, der volkstümlich-ordinär dahinträllernde Herzog und vor allem die empfindsamen - den liebenden Vater, den öffentlichen Spötter und den leicht abergläubischen Mann - treffend veranschaulichenden Kantilenen der Titelfigur verleihen der Oper eine Tiefe, eine direkt ansprechende, dramatische Wucht, welche RIGOLETTO zu einem ersten, ganz grossen Höhepunkt in Verdis Schaffen macht. Damit läutete der Grossmeister der italienischen Oper seine mittlere Schaffensphase ein, welcher unmittelbar darauf IL TROVATORE und LA TRAVIATA folgten.

Musikalische Höhepunkte:

Pari siamo, grosse Szene des Rigoletto, Akt I

Figlia, mio padre, Duett Gilda-Rigoletto, Akt I

Caro nome, Arie der Gilda, Akt I

Ella mi fu rapita..Parmi verder le lagrime, Rezitativ und Arie Herzog, Akt II

Cortiggiani, vil razza dannata, Szene Rigoletto-Höflinge, Akt II

Tutte le feste, Gilda-Rigoletto und Finale Akt II

La donna è mobile, Arie Herzog, Akt III

Bella figlia dell' amore, Quartett Herzog, Maddalena, Gilda, Rigoletto, Akt III

Karten

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