Berlin, KOB: RIGOLETTO, 14.10.2009
So hat man Verdis Schauerdrama noch nie gesehen - dermassen beängstigend und schauerlich wird man es so bald nicht wieder sehen wie in dieser Inszenierung von Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin. Der Regisseur vermischt geschickt Albtraum und Wirklichkeit: Die Figuren der Handlung sind anscheinend Kopfgeburten des geistig kranken Rigoletto, eine nach der anderen schlüpfen sie unter seinem riesigen Reifrock im ersten Bild hervor. Und doch weiss man nicht genau, wieviel sich nur in Rigolettos verstörtem Hirn abspielt und was denn doch Wirklichkeit ist/war. Rigoletto trägt zunehmend Alltagskleider, am Schluss erscheint er nur noch im Trainingsanzug. Seine Tochter hat er wie ein Entfesselungskünstler (Houdini) in eine Kiste eingesperrt, hat sie von der Welt dermassen abgeschirmt, dass ihr eine normale Persönlichkeitsentwicklung versagt geblieben ist. So zwängt sie sich in lächerliche Kleinmädchenkleider, wirft sich dem erstbesten Mann an den Hals (Herzog) der ihr begegnet. Genial dann der Einfall, Gilda als Schwangere im letzten Bild auftreten zu lassen. So ist es verständlich, dass sie von diesem Mann nicht ablassen will/kann. Als Rigoletto ihre Leiche entdeckt, versagen auch seine Zauberkünste. Da schlägt die Realität dann auf brutalst mögliche Art zu. In Erstaunen versetzt, wie raffiniert und mit welcher Perfektion das skurrile Geschehen in Szene gesetzt wird. Die (wunderbar singenden) Choristen tauchen lautlos auf und verschwinden wieder, alles passt wunderbar zu Verdis zum Teil wirklich gekonnt grotesker Musik.
In der von mir besuchten Vorstellung sang Bruno Caproni den Rigoletto. Nach etwas verhaltenem Beginn (vielleicht fühlte er sich in seinem an LA CAGE AUX FOLLES erinnernden Kostüm doch etwas unwohl) steigerte er sich in der grossen Szene mit den Höflingen im zweiten Akt und dem ergreifend gestalteten Schluss zu einem grossartigen Interpreten der Tiltelrolle. Seine Tochter Gilda wurde von Brigitte Geller mit schön klingender Mittellage gesungen. Mit den Spitzentönen und den Koloraturen der grossen Arie Gualtier Maldè - Teurer Name tat sie sich etwas schwer. Sehr berührend dann im zweiten Akt aber Wenn ich an Festtagen. Timothy Richards sang den wollüstig barbarischen Herzog mit gut sitzender, angenehm männlich und trotzdem weich fliessender Stimme und zeigte seinen abstossenden Charakter ebenso überzeugend. Den Gassenhauer La donna è mobile durfte er dann italienisch singen und tat das mit viel Schmelz. Caren van Oijen stellte mit substanzreichem Mezzo gleich vier Rollen dar, alle individuell charakterisiert: Maddalena, Giovanna, Gräfin von Ceprano und Page. Eine Top Leistung! Tilman Rönnebeck überzeugte als schmieriger Sparafucile mehr als als Monterone. Für die wichtigen Verfluchungen fehlte ihm das bedrohliche Volumen in der Stimme.
Patrick Lange am Pult stellte zwar das Grelle der Partitur in den Vordergrund, das Orchester wusste aber auch mit weich gezeichneten Kantilenen zu gefallen.
Bettina Bartz und Werner Hintze haben eine neue deutsche Übertragung erstellt, an welche ich mich erst gewöhnen musste, da ich mit der deutsch gesungenen Einspielung mit Fischer-Dieskau und Ernst Kozub unter Horst Stein gross geworden bin.
Die neue Bestuhlung in der Komischen Oper mit den in die Sitzlehen integrierten Displays ist sehr bequem.