Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

St.Gallen: DON CARLO, 27.10.2018

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Don Carlo

copyright: Iko Freese, mit freundlicher Genehmigung Theater St.Gallen

Oper in fünf Akten ( Mailänder Fassung in vier Akten, wird in St.Gallen gespielt) | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Camille du Locle und Josephe Méry, basierend auf Schillers DON KARLOS | Uraufführung: 11. März 1867 in Paris (französische Fassung) | Uraufführung der vieraktigen, italienischen Fassung: 10. Januar 1884 in Mailand | Aufführungen in St.Gallen: 27.10. | 6.11. | 10.11. | 21.11. | 25.11. | 4.12. | 9.12. | 16.12. | 28.12.2018 | 28.2.2019

Kritik:

Man könnte sich kurz fassen: Diese Neuproduktion von Verdis DON CARLO am Theater St.Gallen ist optisch UND musikalisch eine Wucht.

Doch eine Kurzfassung haben die Verantwortlichen auf und hinter der Bühne und im Orchestergraben natürlich nicht verdient. Beginnen wir also mit dem Augenfälligsten, den Kostümen, welche die Modedesignerin Alexandra Facchinetti entworfen hatte (sie arbeitete für Gucci, Valentino, Prada u.a. und führt nun ihr eigenes Designstudio). In ihrer ersten Arbeit für das Theater schuf Alexandra Facchinetti Kostüme von einer Opulenz sondergleichen, mit einer prachtvollen Ästhetik und einem sensationellen Detailreichtum (die fantastischen Samstickereien und Spitzen wurden vom St.Galler Traditionsunternehmen Forster Rohner AG grosszügig unterstützt). Dabei sind diese Kostüme nicht bloss Selbstzweck, sonder zeichnen die Charaktere und ihre Befindlichkeiten sehr präzise. Manche Figuren drohen in ihren Roben beinahe zu ersticken (Elisabetta di Valois). Andere heben sich deutlicher vom strengen Regime ab, erscheinen moderner, bürgerlicher, intellektueller (Don Carlo, Posa) oder farblich und vom Schnitt her ungebundener (Eboli). Stilistisch bewegen sich diese Kostüme in der Entstehungszeit der Oper, dem Second Empire um 1870. Hier hat Regisseur Nicola Berloffa die Inszenierung angesiedelt, in einer absolutistischen Monarchie in ihren letzten Zügen, deren Auf- und Ablösung spürbar wird. Dabei verzichtete er ganz und gar auf Aussenräume, unterstreicht damit den „Gefängnis“- Charakter des Stücks, einem teils goldenen, teils realen Gefängnis, in welchem die Personen gefangen sind. Als Einheitsraum entwarf Fabio Cherstich einen mit roter Tapete ausgeschlagenen, grossen Raum mit riesigen Flügeltüren links und rechts. In diesen Raum hinein wird von oben für gewisse Szenen ein weiterer, kleinerer Raum heruntergelassen, mal hell, mal pechschwarz (für die Gefängnisszene). Auch das Autodafé findet im Inneren dieses Palastes statt. Hier zeigt sich, woher Berloffa eine seiner Inspirationen für die Inszenierung her hatte, vom Gemälde Der Empfang der Gesandten aus Siam in Fontainebleau von Jean-Léon Gérôme von 1865. Auch bei Berloffa sind es nämlich nicht Gesandte aus Flandern, die um Gnade bitten, sonder südostasiatische Männer in traditioneller Tracht (auch hier kostbarste Stoffe vom Allerfeinsten). Das macht insofern Sinn, als im 19. Jahrhundert Frankreich seinen Einflussbereich in Südostasien ausweitete und Teile von an Siam angrenzenden Gebieten kolonialisierte.

Nicola Berloffa hat in seiner Arbeit am DON CARLO vieles ausgezeichnet durchdacht und sinnfällig gemacht. Dabei hat er den Schwerpunkt feinfühlig mehr vom Schicksal Don Carlos weg und hin zu Elisabetta verlagert. Das macht nur schon der Beginn deutlich, wo man die beiden Damen Elisabetta und ihre Vertraute, die Contessa D'Aremberg, verängstigt nebeneinander stehen, einander Halt geben sieht. Indem Berloffa die Contessa auch die Gesangspartie des Tebaldo singen lässt, erhält die Figur das notwendige Gewicht, um überhaupt wahrgenommen zu werden (der Tebaldo hat nämlich ausser stimmlichem Kolorit absolut keine Bedeutung für die Handlung), die D'Aremberg hingegen schon, da nur so die Demütigung Elisabettas durch den König verstanden werden kann. Klug auch, dass Elisabetta und ihre Vertrauten (Contessa, Posa) in intimen Szenen und Momenten der Trauer, der Einsamkeit französisch singen, der Muttersprache Elisabettas, und damit die Verlorenheit Elisabettas am fremden Hof zeigen, an den sie durch die politisch motivierte Heirat mit Filippo II. versetzt wurde. Die Personenführung durch den Regisseur ist wohltuend zurückhaltend, manchmal hätte man sich vielleicht eine etwas deutlichere Handschrift gewünscht, um den Rückfall in die traditionelle Operngestik zu vermeiden. Kamen daher am Ende vielleicht die (total unangebrachten) wenigen Buhrufe für das Inszenierungsteam? Interessant war die Ansetzung der Pause nach der Szene mit der Verwechslung im Garten (hier natürlich im grossen Saal und mit der aus der Urfassung übernommenen – wichtigen - Szene des Schleiertauschs), also noch vor dem Autodafé, welches den zweiten Akt beschliesst. Doch auch dies war natürlich wohl durchdacht, denn Berloffa lässt das Autodafé mit der totalen Vereinsamung des Königs enden (die Gesellschaft und die Familie wenden sich vom absolutistischen Herrscher ab) und somit nahtlos in den dritten Akt übergehen, zu Fillippos grosser Szene Ella giammai m'amò. Ab dem Autodafé steigern sich zudem die dramatische Spannung des Werks und der Inszenierung zum bewegenden Drama, und man realisiert einmal mehr, dass DON CARLO zu Recht von vielen Verdi-Verehrern als sein psychologisch stärkstes Werk angesehen wird.

Ein Werk natürlich, das entsprechend starke Interpret*innen verlangt. Die standen in St.Gallen wahrlich zur Verfügung. Tareq Nazmi verkörperte den Filippo II mit unfassbar bassgewaltiger stimmlicher Durchdringung. Die traumhaft schöne, ausgeglichene Farbe seiner Stimme, die tiefgründige Auslotung der seelischen Zustände, dieses Eingesperrtsein in die Rolle und das strenge Zeremoniell des Herrschers, die Enttäuschung über seinen Sohn, das Schwanken zwischen Vaterliebe und religiösen Zwängen und Abhängigkeiten, die Kälte seiner Beziehung, all dies zeigte Tareq Nazmi mit einfühlsamer darstellerischer und stimmlicher Gestaltungskraft. Ein Leistung zum Niederknien. Alex Penda gab eine stimmlich eine starke Elisabetta mit breitem Ausdrucksspektrum, bei dem einzig die etwas zarteren Aspekte fehlten. Beeindruckend hingegen ihr unglaublich starkes tiefes Register und die Sicherheit der Intervallsprünge in ihrer grossen Arie Tu che le vanità im vierten Akt. Mit Anmut und Grandezza trug sie nicht nur ihre wunderschönen Kleider, sondern auch ihr Schicksal. Eduardo Aladrén war dieser schwächliche Sohn, der sich auf Drängen seines Freundes Posa aufmacht, die Enttäuschung über die an seinen Vater verlorenen Frau durch revolutionären Geist wettzumachen. Im ersten Auftritt wirkte er stimmlich noch etwas unausgeglichen, kämpfte im leiseren Bereich mit der Intonation, doch steigerte er sich im Laufe des Abends zusehends, nicht zuletzt weil er sich auf die effektvolle Wirkung und die Höhensicherheit seiner Durchschlagskraft verlassen konnte. Somit verblieb er zwar durchgehend im forte und fortissimo Bereich, dort aber sehr gut aufgehoben. Ganz anders der Marchese di Posa von Nikolay Borchev, der mit der weichen, differenzierten Gestaltung seines Baritons berührte. Genauso subtil wie seine Gesangslinien setzte er seineMimik ein. Nur schon die Blicke, mit denen er die Principessa Eboli tadelte, als sie zu neugierig wurde, sprachen Bände. Alessandra Volpe machte diese Eboli stimmlich zu einem Ereignis, bekundete weder mit den diffizilen Fiorituren der Schleierarie, noch mit den dramatischen Ausbrüchen im Terzett oder in der Bravourarie O don fatale irgendwelche Mühe. Wunderbar konnte sie in dieser Arie von brachialer Wucht zu zarten Tönen im Mittelteil wechseln (o mia regina). Der Grande Inquisitore war hier weder blind noch alt. Im Gegenteil, er liess es sich nicht nehmen, den Posa eigenhändig zu erschiessen (war ja auch seine Idee). Ernesto Morillos Bass verfügte über genau die erforderliche „dreckige“ Schwärze dieses kirchlichen Machtpoitikers, um die Auseinandersetzung mit Filippo im dritten Akt zu einem mitreissenden Wettstreit der beiden Bässe zu machen, einem der vielen meisterlichen kompositorischen Einfälle Verdis. Sheida Damghani war darstellerisch eine rührende Contessa D'Aremberg und bezauberte mit ihrem (von Tebaldo entlehntem) Gesang. Der Conte di Lerma ist eine nicht sehr dankbare Rolle, die von Riccardo Botta ansprechend interpretiert wurde. Kurz ist auch der Auftritt des Araldo reale, Nik Kevin Koch meisterte die nicht zu unterschätzenden a capella Phrase mit bewundernswerter Sicherheit. Sehr einnehmend und präsent sang Tatjana Schneider die Voce dal cielo und Martin Summer beeindruckte einmal mehr mit seinem fantastischen, klangvollen Bass als Frate (und Stimme Kaiser Karls V.) aus dem Off.

Modestas Pitrenas dirigierte Verdis dramatische Partitur mit kräftigen, aber nie schmetternden Akzenten, vorwärtsdrängend und auf Durchhörbarkeit angelegt. Wunderschöne Einzelleistungen des Sinfonieorchesters St.Gallen stiegen aus dem Graben auf, so z.B. das Solocello in Filippos grosser Szene. Die Hörner intonierten das diffizile Vorspiel mit einer grandiosen Sicherheit und Sauberkeit, die man nur selten so hört. Wie immer glänzten der von Michael Vogel einstudierte Chor und der Opernchor St.Gallen mit einer stimmschön austarierten Leistung.

So richtig Gänsehaut gab es dann am Ende des letzten Aktes, als Don Carlo zuerst auf den Grossinquisitor losging und dann an der Spitze des Trauerzugs (Posa wird zu Grabe getragen) der hoffentlich lichteren Zukunft entgegenschreitet, während die Figuren des Ancien Régime gebrochen zurückbleiben. Stark – wie der ganze Abend!

Werk:

Verdi hatte bereits bei drei anderen Opern Dramenstoffe von Schiller verwendet, nämlich bei GIOVANNA D'ARCO, I MASNADIERI und LUISA MILLER. Doch bei diesen Frühwerken handelte es sich zum Teil um recht grobe, unausgegorene Adaptionen der Vorlagen. Nicht so bei DON CARLO – diese ist nicht nur Verdis längste Oper (inklusive der Ballettmusik und der schon vor der Uraufführung gestrichenen Szenen kommt sie auf eine Spieldauer von weit über vier Stunden), sondern auch seine politischste und in ihrer Enstehungs- und Bearbeitungsgeschichte komplexeste. Nachdem DON CARLO in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts wenig, und wenn, dann in der Mailänderfassung gespielt wurde, setzten sich die Dirigenten Sir Georg Solti und Carlo Maria Giulini für die fünaktige Fassung ein und spielten sie auch auf Schallplatte ein. Von Claudio Abbado, Antonio Pappano und Bertrand de Billy liegen zudem komplette Einspielungen der fünfaktigen französichen Urfassung vor, unter der Leitung von James Levine ist eine DVD mit der fünfaktigen Modena Fassung erhältlich.

Verdi komponierte die Oper als Auftragswerk für Paris. Die Tradition der Grand Opéra verlangte natürlich auch nach einer Balletteinlage. Verdi konnte sich mit dieser französischen Tradition nie recht anfreunden, so wurde das Ballett dann auch schon zusammen mit einigen anderen – wichtigen! - Szenen vor der Uraufführung gestrichen.

Verdis DON CARLO stellt einen Höhepunkt in seinem reichhaltigen Schaffen dar, eine Oper, bei der das Politische auf unausweichliche Art mit dem persönlichen Schicksal der Betroffenen verstrickt ist. In grossangelegten Szenen gelingt es dem Meister, tief in die Seelen und Charaktere der Protagonisten einzudringen, was zu erschütternden, aufrüttelnden musikalischen Momenten und tief bewegender Anteilnahme am tragischen Schicksal aller Involvierten führt. Herausragend sind die psychologisch spannend gebauten, reigenartigen Duette (Elisabeth-Carlo, Carlo-Rodrigo, Rodrigo-Philipp, Philipp-Grossinquisitor). Wie Schiller ging es Verdi nicht um historische Genauigkeit sondern um beispielhafte Schilderung menschlicher und politischer Konflikte. Verdi hat es einmal treffend so formulierte: „Die Wahrheit nachbilden mag gut sein, aber die Wahrheit erfinden ist besser, viel besser.“

Inhalt:

(Vorgeschichte: Prinzessin Elisabeth von Valois trifft im Wald von Fontainebleau auf hungernde Holzfäller. Sie darf verkünden, dass durch die Unterzeichnung des Ehevertrags mit dem spanischen Infanten Don Carlo ein Frieden mit Spanien besiegelt werden soll. Don Carlo befindet sich inkognito in Frankreich um seine Zukünftige kennen zu lernen. Die beiden verlieben sich ineinander. Da erscheint Graf Lerma und verkündet, dass der Friedensvertrag nur unterzeichnet werden könne, wenn Elisabeth Carlos Vater, Philipp II. Von Spanien, heirate. (Elisabeth wurde dadurch nach Maria von Portugal, Cousine des Königs und Mutter von Carlo und der englischen Königen Maria I, genannt Bloody Mary [eine Tante Philipps], zur dritten Gemahlin des spanischen Herrschers.) Leidend willigt Elisabeth in dieses politische Ränkespiel ein.)

Don Carlo verzweifelt an den unsäglichen Zuständen am spanischen Hof: Nach wie vor liebt er seine Stiefmutter. Sein Freund Rodrigo, der Marquis von Posa, schlägt ihm vor, als Ablenkung von seinen persönlichen Sorgen, nach Flandern zu reisen, um den dort Unterdrückten beizustehen. Die beiden schwören sich ewige Freundschaft.

Rodrigo fädelt ein heimliches Treffen von Carlos mit Elisabeth ein. Carlos gesteht Elisabeth seine Liebe, doch sie kann nicht aus ihrer Haut als Königin schlüpfen. König Philipp erscheint und ist erbost, die Königin ohne Hofstaat vorzufinden. Als Bestrafung wird die Vertraute Elisabeths nach Frankreich zurückgeschickt. Davon profitiert die in Carlo verliebte Prinzessin Eboli, welche nun näher zu Elisabeth rücken kann. Sie tauscht mit Elisabeth die Maske, um sich dem Trubel um Krönungsfeierlichkeiten zu entziehen. Davon kreigt Carlo nichts mit und gesteht der vermeintlichen Stiefmutter erneut seine Liebe. Eboli will ihn dennunzieren, doch Rodrigo erscheint und hält Eboli in Schach. Carlo händigt Rodrigo (welcher auch die Bewunderung und das Vertrauen des Königs besitzt) verräterische Papiere zum Aufstand in Flandern aus.

Anlässlich eines von der Inquisition anberaumten Autodafés werden Ketzer verbrannt. Falndrische Gesandte bitten um Gnade für ihr Land, werden von Carlo unterstützt. Als Philippp ablehtn, zückt Carlo das Schwert gegen seinen Vater. Rodrigo entwaffnet ihn, Carlos wird verhaftet.

Philipp muss sich eingestehen, dass er ein einsamer alter Mann geworden ist, mit einer Frau an seiner Seite, die ihn nie geliebt hat. Der Grossinquisitor fordert vom König, den allzu liberal gesinnten Rodrigo der Inquisition zu übergeben. Philipp will nicht auch noch seinen letzten Vertrauten verlieren und weigert sich. Der Grossinquisitor droht mit dem langen Arm der Kirche.

Elisabeths Schmuckschatulle ist gestohlen worden. Sie wurde Philipp von Eboli zugespielt, darin befindet sich ein Porträt von Carlos. Philipp verflucht seine Frau. Eboli tritt hinzu und erkennt ihre Schuld (und gibt auch zu, die Mätresse des Königs zu sein). Sie wird von der Königin in ein Kloster verbannt. Doch vorher will sie noch Carlo retten.

Rodrigo wird während eines Besuchs bei Carlo im Gefängnis aus dem Hinterhalt erschossen. Das Volk verlangt vor den Toren, angestachetl von Eboli, die Freilassung des Infanten. Nur dank der Autorität des Grossinquisitors kann ein Aufstand vermieden werden.

Sterbend hat Rodrigo Carlo noch eine Nachricht von Elisabeth überbracht. Sie wartet im Kloster San Juste vor dem Grab Karls V. auf ihn. Die beiden werden vom König und vom Grossinquisitor bei ihrem Date überrascht. Doch da erscheint ein alter Mönch und zieht Don Carlo in das Innere des Klosters. War der Mönch Karl V.?

Musikalische Höhepunkte:

 

Dio, che nell'alma infonde, Duett Rodrigo-Carlo, Akt I

Nel giardin -del bello Saracin, Schleierarie der Eboli, Akt I

Ed io, che tremava al suo aspetto, Terzett Eboli-Carlo-Rodrigo, Akt II

Autodafé, Akt II, mit der wunderbaren Stimme von oben

Ella giammai mi amò, Arie Philipp Akt III

Nell' ispano suo, Szene Philipp-Grossinquisitor, Akt III

O don fatale, Arie der Eboli, Akt III

Per me giunto, Arie und Szene Rodrigo-Carlo, Akt IV

Tu che le vanità, Arie der Elisabeth, Akt IV

Karten

Zurück