Zürich: DON CARLO, 21.02.2014
Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Camille du Locle und Josephe Méry, basierend auf Schillers DON KARLOS | Uraufführung: 11. März 1867 in Paris (in französisch) | Uraufführung der vieraktigen, italienischen Fassung: 10. Januar 1884 in Mailand | Aufführungen dieser Wiederaufnahme in Zürich: 15.2. | 21.2. | 23.2. | 26.2. | 1.3.2014
Kritik:
Da soll noch jemand behaupten, die – inzwischen nicht mehr so neue - Intendanz unter der Leitung von Andreas Homoki bringe keine „Weltklasse“-Besetzungen (was immer auch das heissen mag ...) mehr ans Opernhaus Zürich: Diese Aufführung von Verdis DON CARLO straft alle agitatorischen Unkenrufe Lügen.
Für diese Wiederaufnahme versammelte sich ein Ensemble auf der Bühne, welches man sich homogener und glanzvoller kaum vorstellen kann. Zu bejubeln gab es das lang ersehnte Zürcher Debüt des sächsischen Basses und wohl weltweit führenden Interpreten des Filippo II, René Pape. Seine packende, immens subtil und mit einer stimmlichen Gestaltungskunst sondergleichen angelegte Darstellung des einsamen Monarchen verdient allerhöchste Bewunderung! Unbeweglich sitzt er während seiner grossen Szene im dritten Akt (Ella giammai m' amò) auf seinem Stuhl und man hängt gebannt an seinen Lippen, leidet mit dem sonst so unnachgiebigen, gefühlskalten Monarchen mit. Ein grosser Moment dramatischen Musiktheaters, den man nicht so schnell vergessen wird. Als Elisabetta konnte man mit Lianna Haroutounian ein Sopranistin verpflichten, die bereits am Royal Opera House Covent Garden und in Frankfurt Triumphe feiern durfte und von der man hoffentlich in Zürich noch mehr zu hören und zu sehen bekommt. Welch grandiose Stimme, welch tief empfundene Ausdruckskraft vermag sie in die lang gezogenen Kantilenen der einsamen Königin am strengen spanischen Hof zu legen. Fantastisch, wie sich ihre fraulichen Bedürfnisse Bahn brechen, der Himmel sich für sie, die Reine, öffnet. Wie kongenial meistert sie die schwierige Stelle im ersten Akt (Abschied von der verstossenen Hofdame), wunderbar legt sich ihr frei schwebender Sopran über die starken Männerstimmen und den (bestechend singenden) Chor am Ende des Autodafés, wie engelsgleich und doch traurig leuchtend klingt ihre grosse Arie Tu che le vanità im Schlussakt. Dass sie auch noch eine wunderschöne Frau ist und wie selbstverständlich bei all den ihr widerfahrenden Widrigkeiten stets ihre königliche Haltung bewahrt, macht das Ganze noch vollkommen! Fabio Sartori in der Titelrolle habe ich bereits in meiner Premierenkritik vom März 2012 lobend erwähnen dürfen. Er und Sen Guo als wahrlich himmlische Voce dal cielo sind die einzigen, welche von dieser Premierenserie übriggeblieben sind. Sartori hat in der Zwischenzeit nichts von seinem goldenen Timbre, seinem strahlenden Glanz und der absolut souveränen und sauberen Intonation eingebüsst. Mag er auch äusserlich kein Jonas Kaufmann oder José Cura sein, was er mit seinen stupenden stimmlichen Künsten und seinem aus der Nähe betrachtet sehr zurückhaltend aber stimmig eingesetzten Spiel aus der Rolle macht, verdient grössten Respekt. Auch Michael Volle als treuer Freund Rodrigo agiert relativ unaufdringlich, doch die Ausdrucksfülle, die Emphase seines ungemein kraftvoll und doch stets kultiviert strömenden Baritons verleihen der Figur eine bezwingende Präsenz. Mit Veronica Simeoni gilt es auch eine neue Principessa Eboli zu entdecken: Endlich einmal eine Mezzosopranistin, die nicht mit brustigen Orgeltönen versucht, eine Art Xanthippe darzustellen, sondern ein Sängerin, welche sowohl für die filigrane Schleierarie als auch für die hochdramatische Selbstanklage O don fatale die passenden Stimmfarben und Ausdrucksnuancen zur Verfügung hat und eben einfach traumhaft schön singt! Im spannenden Terzett des zweiten Aktes vermag sie neben den durchdringenden Stimmen von Sartori und Volle mühelos zu bestehen und das Quartett im dritten Akt mit ihr (und Pape, Haroutounian und Volle) gerät zu einem der vielen vokalen Höhepunkte der Aufführung. Einen Akzent voller Eindringlichkeit setzt auch Rafal Siwek mit seinem schwarzen und voluminös drohenden Bass als Grossinquisitor und macht zusammen mit René Pape dieses „Duell“ der Bässe zu einem grossen Moment!
Scott Conner als Frate (Karl V.) sang zu Beginn etwas brüchig, fing sich jedoch bald. Julia Riley war eine wunderbar warmstimmige Hofdame Tebalda (eigentlich ja eine Hosenrolle) und Kristofer Lundin machte mit seinem hellen Tenor als Lerma auf sich aufmerksam. Sehr klangschön sangen die flandrischen Deputierten (Alexei Botnarciuc, Christoph Filler, Alex Lawrence, Roberto Lorenzi, Oleg Loza, Christph Seidl) im Autodafé-Bild.
Fabio Luisi und der Philharmonia Zürich gelang eine wunderbar transparente Interpretation der Partitur. Luisi bevorzugte einen relativ kalten, glasklaren Klang. Dadurch entwickelten aber die wenigen Stellen, an denen das Orchester warm aufblühen konnte, umso stärkere Wirkung. Von traumhafter, kammermusikalischer Intensität geprägt waren die Introduktionen zu den grossen Soloszenen, so zum Beispiel zu Elisabettas oder Filippos Arien. Nicht ganz perfekt gelang den Hörnern die exponierte Einleitung zum ersten Akt.
Zur Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf (im Bühnenbild von Rolf Glittenberg und mit den wirklich herausragend schön gearbeiteten Kostümen von Marianne Glittenberg) verweise ich auf meine Premierenkritik von 2012. Wobei ich insofern ein wenig zu Kreuze kriechen muss, als dass ich nun die Personenführung nicht mehr als dermassen statisch empfunden habe. Das mag an den neuen InterpretInnen liegen – oder daran, dass man beim zweiten Anschauen oft viele Feinheiten entdeckt, die einem beim ersten Mal halt nicht gerade ins Auge stachen. Jedenfalls ist es eine Produktion, die von ihrer strengen Ästhetik lebt, zentriert auf die elementaren Handlungsstränge und die Psychologie der Figuren, eine Inszenierung, die auf jeglichen aufgesetzten Firlefanz oder auf plakative Blutrünstigkeit (Ketzerverbrennung) wohltuend verzichtet. Und das ist heutzutage schon mal sehr wohltuend ;-)
Als bekennender Anhänger der fünfaktigen Modena-Fassung bedaure ich natürlich den Wegfall des Fontainebleau-Aktes. Doch ist es natürlich in Anbetracht von Verdis Streben nach radikaler Konzentration der Ausdrucksmittel durchaus legitim, seine so genannte Mailänder Fassung zu spielen, zumal sie stilistisch zugegebenermassen geschlossener wirkt.
Werk:
Verdi hatte bereits bei drei anderen Opern Dramenstoffe von Schiller verwendet, nämlich bei GIOVANNA D'ARCO, I MASNADIERI und LUISA MILLER. Doch bei diesen Frühwerken handelte es sich zum Teil um recht grobe, unausgegorene Adaptionen der Vorlagen. Nicht so bei DON CARLO – diese ist nicht nur Verdis längste Oper (inklusive der Ballettmusik und der schon vor der Uraufführung gestrichenen Szenen kommt sie auf eine Spieldauer von weit über vier Stunden), sondern auch seine politischste und in ihrer Enstehungs- und Bearbeitungsgeschichte komplexeste. Nachdem DON CARLO in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts wenig, und wenn, dann in der Mailänderfassung gespielt wurde, setzten sich die Dirigenten Sir Georg Solti und Carlo Maria Giulini für die fünaktige Fassung ein und spielten sie auch auf Schallplatte ein. Von Claudio Abbado, Antonio Pappano und Bertrand de Billy liegen zudem komplette Einspielungen der fünfaktigen französichen Urfassung vor, unter der Leitung von James Levine ist eine DVD mit der fünfaktigen Modena Fassung erhältlich.
Verdi komponierte die Oper als Auftragswerk für Paris. Die Tradition der Grand Opéra verlangte natürlich auch nach einer Balletteinlage. Verdi konnte sich mit dieser französischen Tradition nie recht anfreunden, so wurde das Ballett dann auch schon zusammen mit einigen anderen – wichtigen! - Szenen vor der Uraufführung gestrichen.
Um die Oper auf eine in Italien akzeptierte Spieldauer zu bringen (und ihn nicht den so schmerzlichen Vorwürfen des Wagnerianismus auszusetzen), revidierte Verdi seine Partitur und strich den ersten Akt komplett. Diese vieraktige Version (bekannt als Mailänder Fassung) wurde 1884 an der Scala uraufgeführt und wird heutzutage am häufigsten gespielt.
Verdis DON CARLO stellt einen Höhepunkt in seinem reichhaltigen Schaffen dar, eine Oper, bei der das Politische auf unausweichliche Art mit dem persönlichen Schicksal der Betroffenen verstrickt ist. In grossangelegten Szenen gelingt es dem Meister, tief in die Seelen und Charaktere der Protagonisten einzudringen, was zu erschütternden, aufrüttelnden musikalischen Momenten und tief bewegender Anteilnahme am tragischen Schicksal aller Involvierten führt. Herausragend sind die psychologisch spannend gebauten, reigenartigen Duette (Elisabeth-Carlo, Carlo-Rodrigo, Rodrigo-Philipp, Philipp-Grossinquisitor). Wie Schiller ging es Verdi nicht um historische Genauigkeit sondern um beispielhafte Schilderung menschlicher und politischer Konflikte. Verdi hat es einmal treffend so formulierte: „Die Wahrheit nachbilden mag gut sein, aber die Wahrheit erfinden ist besser, viel besser.“
Inhalt:
Prinzessin Elisabeth von Valois trifft im Wald von Fontainebleau auf hungernde Holzfäller. Sie darf verkünden, dass durch die Unterzeichnung des Ehevertrags mit dem spanischen Infanten Don Carlo ein Frieden mit Spanien besiegelt werden soll. Don Carlo befindet sich inkognito in Frankreich um seine Zukünftige kennen zu lernen. Die beiden verlieben sich ineinander. Da erscheint Graf Lerma und verkündet, dass der Friedensvertrag nur unterzeichnet werden könne, wenn Elisabeth Carlos Vater, Philipp II. Von Spanien, heirate. (Elisabeth wurde dadurch nach Maria von Portugal, Cousine des Königs und Mutter von Carlo und der englischen Königen Maria I, genannt Bloody Mary [eine Tante Philipps], zur dritten Gemahlin des spanischen Herrschers.) Leidend willigt Elisabeth in dieses politische Ränkespiel ein.
Don Carlo verzweifelt an den unsäglichen Zuständen am spanischen Hof: Nach wie vor liebt er seine Stiefmutter. Sein Freund Rodrigo, der Marquis von Posa, schlägt ihm vor, als Ablenkung von seinen persönlichen Sorgen, nach Flandern zu reisen, um den dort Unterdrückten beizustehen. Die beiden schwören sich ewige Freundschaft.
Rodrigo fädelt ein heimliches Treffen von Carlos mit Elisabeth ein. Carlos gesteht Elisabeth seine Liebe, doch sie kann nicht aus ihrer Haut als Königin schlüpfen. König Philipp erscheint und ist erbost, die Königin ohne Hofstaat vorzufinden. Als Bestrafung wird die Vertraute Elisabeths nach Frankreich zurückgeschickt. Davon profitiert die in Carlo verliebte Prinzessin Eboli, welche nun näher zu Elisabeth rücken kann. Sie tauscht mit Elisabeth die Maske, um sich dem Trubel um Krönungsfeierlichkeiten zu entziehen. Davon kreigt Carlo nichts mit und gesteht der vermeintlichen Stiefmutter erneut seine Liebe. Eboli will ihn dennunzieren, doch Rodrigo erscheint und hält Eboli in Schach. Carlo händigt Rodrigo (welcher auch die Bewunderung und das Vertrauen des Königs besitzt) verräterische Papiere zum Aufstand in Flandern aus.
Anlässlich eines von der Inquisition anberaumten Autodafés werden Ketzer verbrannt. Falndrische Gesandte bitten um Gnade für ihr Land, werden von Carlo unterstützt. Als Philippp ablehtn, zückt Carlo das Schwert gegen seinen Vater. Rodrigo entwaffnet ihn, Carlos wird verhaftet.
Philipp muss sich eingestehen, dass er ein einsamer alter Mann geworden ist, mit einer Frau an seiner Seite, die ihn nie geliebt hat. Der Grossinquisitor fordert vom König, den allzu liberal gesinnten Rodrigo der Inquisition zu übergeben. Philipp will nicht auch noch seinen letzten Vertrauten verlieren und weigert sich. Der Grossinquisitor droht mit dem langen Arm der Kirche.
Elisabeths Schmuckschatulle ist gestohlen worden. Sie wurde Philipp von Eboli zugespielt, darin befindet sich ein Porträt von Carlos. Philipp verflucht seine Frau. Eboli tritt hinzu und erkennt ihre Schuld (und gibt auch zu, die Mätresse des Königs zu sein). Sie wird von der Königin in ein Kloster verbannt. Doch vorher will sie noch Carlo retten.
Rodrigo wird während eines Besuchs bei Carlo im Gefängnis aus dem Hinterhalt erschossen. Das Volk verlangt vor den Toren, angestachetl von Eboli, die Freilassung des Infanten. Nur dank der Autorität des Grossinquisitors kann ein Aufstand vermieden werden.
Sterbend hat Rodrigo Carlo noch eine Nachricht von Elisabeth überbracht. Sie wartet im Kloster San Juste vor dem Grab Karls V. auf ihn. Die beiden werden vom König und vom Grossinquisitor bei ihrem Date überrascht. Doch da erscheint ein alter Mönch und zieht Don Carlo in das Innere des Klosters. War der Mönch Karl V.?
Musikalische Höhepunkte:
Dio, che nell'alma infonde, Duett Rodrigo-Carlo, Akt I
Nel giardin -del bello Saracin, Schleierarie der Eboli, Akt I
Ed io, che tremava al suo aspetto, Terzett Eboli-Carlo-Rodrigo, Akt II
Autodafé, Akt II, mit der wunderbaren Stimme von oben
Ella giammai mi amò, Arie Philipp Akt III
Nell' ispano suo, Szene Philipp-Grossinquisitor, Akt III
O don fatale, Arie der Eboli, Akt III
Per me giunto, Arie und Szene Rodrigo-Carlo, Akt III
Tu che le vanità, Arie der Elisabeth, Akt IV