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Berlin, DOB: DON CARLO, 29.4.2012

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Don Carlo

Photo: Barbara Aumüller im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN

Oper in fünf Akten | in Berlin nun die vieraktige Fassung | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Camille du Locle und Josephe Méry, basierend auf Schillers DON KARLOS | Uraufführung: 11. März 1867 in Paris (in französisch) | Uraufführung der vieraktigen, italienischen Fassung: 10. Januar 1884 in Mailand | Uraufführung der fünfaktigen italienischen Fassung: 29. Dezember 1886 in Modena | Aufführungen in Berlin: 14.4. | 29.4.2012

Kritik: 

Einen gigantischen, innen hohlen, anthrazitfarbenen Kubus hat der Bühnenbildner Marco Arturo Marelli (welcher gleichzeitig auch für das stimmungsvolle Lichtdesign und die Regie verantwortlich zeichnete) auf die Bühne der Deutschen Oper Berlin gestellt. Dieser Kubus ist an seinen Mittelachsen aufgeschnitten. Die so entstehenden Zwischenräume lassen immer wieder unterschiedlich beleuchtet Kreuze - das Joch der Kirche lastet schwer auf den Menschen - aufscheinen, die Eckelemente können in alle Richtungen geschoben und gedreht werden, was unzählige Möglichkeiten der Raumgestaltung eröffnet und damit keine Umbaupausen für die unterschiedlichen Schauplätze notwendig macht, die Szenen vom Kloster zum Garten, zum Arbeits- und Schlafzimmer, zum Platz des Autodafés, zum Kerker und wieder zurück zum Kloster eindrücklich verortet. Die grossen Wände bieten sich dann geradezu für Farbprojektionen an, so dass sie mal nachtblau, mal grau, mal schwarz, mal bronzefarben schimmern und so die Atmosphäre des jeweiligen Handlungsplatzes zusätzlich verstärken können. Genial! Ebenso klar und nachvollziehbar erzählt er mit seiner durchdachten Personenführung den politischen Kern des Dramas, welcher sich auf komplexe Art und Weise mit den persönlichen Schicksalen der Handlungsträger vermischt. Durch das Wegfallen des Fontainebleau-Aktes (und anderer, auch von Verdi selbst vorgenommener, Striche) muss nämlich einiges zusätzlich erklärt werden, und das gelingt Marelli ausgezeichnet, z.B. durch den Schleier, welchen Elisabeth im Kloster verliert, der dann zunächst von Carlo bei seinem Arioso im ersten Bild liebevoll beschnuppert wird, später nimmt ihn Eboli an sich und verwendet ihn zur Täuschung Carlos im Garten-Bild. Einen Garten sehen wir allerdings nicht, denn Leben hat keinen Platz innerhalb dieser kalten, undurchdringlichen Mauern dieses Zirkels der Macht. Nur die verschwommene Projektion eines Baumes ist zu sehen. Dagmar Niefind zeigt mit ihren wunderschön gearbeiteten Kostümen (die Farben Schwarz, Weiss, Grau dominieren) eher die Zeit der Entstehung von Schillers Drama, also die Jahre kurz vor der französischen Revolution von 1789. Aus der strengen schwarz-weiss Farbdramaturgie stechen nur die Eboli (wie eine Madame Pompadour agierend) in ihrem giftgrünen Kleid und der Rothaarperücke und die blutrot gewandeten Geistlichen und ihre brutalen Schergen hervor.

Aus der Premierenserie sind Eboli und Don Carlo übriggeblieben: Massimo Giordano ist von seiner Gestalt her ein geradezu idealer Infant, schlank, verträumt, nach der ihm vom Vater genommen Liebe nach einem Lebenssinn suchend. Suchend nach der richtigen gesanglichen Linie war er auch noch im ersten Bild, die Stimme sprach nur auf Drücken an, wirkte noch nicht ganz fokussiert. Doch zum Glück legten sich diese Schwierigkeiten rasch und ab dem zweiten Bild gab er einen wunderbar ausdrucksstark phrasierenden Carlo und fand in den letzten Szenen mit dem sterbenden Posa und dann mit seiner Stiefmutter (und verlorenen Liebe) zu berückend ergreifenden Phrasen. Auch Anna Smirnova als Eboli fand erst im Terzett der Gartenszene zur Hochform, dann allerdings mit einer Fulminanz sondergleichen. War die Schleierarie noch etwas bellend und eigenwillig gestaltet, liess die Bravourarie O don fatale keine Wünsche mehr offen und brauchte keine Vergleiche zu scheuen. Als Elisabeth war Meagan Miller zu erleben. Die bildschöne Amerikanerin besitzt einen interessant dunkel timbrierten Sopran, welcher dieser eher tief liegenden Verdi-Partie sehr entgegenkommt. Schade nur, dass sie an einigen Stellen in der Höhe unnötigerweise zu stark öffnete und damit der sauberen Linie eine etwas schrille Klangfarbe beimischte. Sehr schön jedoch ihre verzweifelten Einwürfe im concertato des vierten Aktes. Ihr strenger Gemahl Philipp II. wurde von Alastair Miles mit einzigartiger Druchdringung des Textes und herrlich kernig strömendem Bass gesungen, ein hagerer, alle mitfühlenden Regungen unterdrückender Mann, ein Gefangener seiner Politik und der unerbittlichen Macht der Kirche. Diese wird durch den Grossinquisitor verkörpert und ehrlich gesagt, einen unheimlicheren, bezwingenderen und fieseren Interpreten dieser Rolle habe ich noch nie auf einer Bühne erlebt: Kirstinn Sigmundsson (äusserlich an Charles Laughton erinnernd) sang ihn mit gekonnt dreckig-schwarzer Stimme. Welch ein Gegensatz zum makellos schön und warm timbrierten Bariton von Markus Brück, welcher den Posa als steifen Intellektuellen gab, ein Mann, der eben auch seine Gefühle (seine Liebe zum Infanten) durch revolutionäre Aktivitäten sublimieren muss, auch er ein Opfer des diktatorischen Regimes von Kirche und Staat. Martina Welschenbach gab einen burschikosen, silbrig-timbrierten Tebaldo (Lustsklave der Eboli?) und Kathryn Lewek sorgte im Autodafé für einen bewegenden Höhepunkt: Die Stimme kam für einmal nicht als göttliches Zeichen von oben sondern war, ganz im Sinne Dostojewskis ( „in jedem Mensch ein Funke Gottes“) als Frau aus dem Volk gezeigt, eine Art Muttergottes mit Kind, welche die ergreifenden Klänge sang. Selbstverständlich wurde sie gleich verhaftet, das Kind wurde ihr von den Kirchendienern entrissen und wahrscheinlich wurde sie als Ketzerin gleich mit auf dem „Hügel von Golgatha“ verbrannt, wo schon drei Gekreuzigte in Flammen loderten, wobei als Brandbeschleuniger beschlagnahmte Bücher dienten. Selbst vor den Klostermauern machte die Inquisition nicht halt. Elisabeth führte am Ende die flandrischen Gesandten und Don Carlo zusammen, Carlo wurde zwar vom Tod in Mönchskutte entführt (erlöst?), doch die Flandern wurden gnadenlos hingerichtet. Ein unerbittliches, nachdenklich stimmendes Ende eines bewegenden Abends, an welchem auch das mitreissende, klug disponierende Dirigat von Donald Runnicles entscheidenden Anteil hatte.

Werk:

Verdi hatte bereits bei drei anderen Opern Dramenstoffe von Schiller verwendet, nämlich bei GIOVANNA D'ARCO, I MASNADIERI und LUISA MILLER. Doch bei diesen Frühwerken handelte es sich zum Teil um recht grobe, unausgegorene Adaptionen der Vorlagen. Nicht so bei DON CARLO – diese ist nicht nur Verdis längste Oper (inklusive der Ballettmusik und der schon vor der Uraufführung gestrichenen Szenen kommt sie auf eine Spieldauer von weit über vier Stunden), sondern auch seine politischste und in ihrer Enstehungs- und Bearbeitungsgeschichte komplexeste. Nachdem DON CARLO in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts wenig, und wenn, dann in der Mailänderfassung gespielt wurde, setzten sich die Dirigenten Sir Georg Solti und Carlo Maria Giulini für die fünaktige Fassung ein und spielten sie auch auf Schallplatte ein. Von Claudio Abbado, Antonio Pappano und Bertrand de Billy liegen zudem komplette Einspielungen der fünfaktigen französichen Urfassung vor, unter der Leitung von James Levine ist eine DVD mit der fünfaktigen Modena Fassung erhältlich (inklusive des Holzfällerchores, welcher nun auch in Zürich zu erleben war).

Verdi komponierte die Oper als Auftragswerk für Paris. Die Tradition der Grand Opéra verlangte natürlich auch nach einer Balletteinlage. Verdi konnte sich mit dieser französischen Tradition nie recht anfreunden, so wurde das Ballett dann auch schon zusammen mit einigen anderen – wichtigen! - Szenen vor der Uraufführung gestrichen.

Verdis DON CARLO stellt einen Höhepunkt in seinem reichhaltigen Schaffen dar, eine Oper, bei der das Politische auf unausweichliche Art mit dem persönlichen Schicksal der Betroffenen verstrickt ist. In grossangelegten Szenen gelingt es dem Meister, tief in die Seelen und Charaktere der Protagonisten einzudringen, was zu erschütternden, aufrüttelnden musikalischen Momenten und tief bewegender Anteilnahme am tragischen Schicksal aller Involvierten führt. Herausragend sind die psychologisch spannend gebauten, reigenartigen Duette (Elisabeth-Carlo, Carlo-Rodrigo, Rodrigo-Philipp, Philipp-Grossinquisitor). Wie Schiller ging es Verdi nicht um historische Genauigkeit sondern um beispielhafte Schilderung menschlicher und politischer Konflikte. Verdi hat es einmal treffend so formulierte: „Die Wahrheit nachbilden mag gut sein, aber die Wahrheit erfinden ist besser, viel besser.“

Inhalt:

(Vorgeschichte: Prinzessin Elisabeth von Valois trifft im Wald von Fontainebleau auf hungernde Holzfäller. Sie darf verkünden, dass durch die Unterzeichnung des Ehevertrags mit dem spanischen Infanten Don Carlo ein Frieden mit Spanien besiegelt werden soll. Don Carlo befindet sich inkognito in Frankreich um seine Zukünftige kennen zu lernen. Die beiden verlieben sich ineinander. Da erscheint Graf Lerma und verkündet, dass der Friedensvertrag nur unterzeichnet werden könne, wenn Elisabeth Carlos Vater, Philipp II. Von Spanien, heirate. (Elisabeth wurde dadurch nach Maria von Portugal, Cousine des Königs und Mutter von Carlo und der englischen Königen Maria I, genannt Bloody Mary [eine Tante Philipps], zur dritten Gemahlin des spanischen Herrschers.) Leidend willigt Elisabeth in dieses politische Ränkespiel ein.)

Don Carlo verzweifelt an den unsäglichen Zuständen am spanischen Hof: Nach wie vor liebt er seine Stiefmutter. Sein Freund Rodrigo, der Marquis von Posa, schlägt ihm vor, als Ablenkung von seinen persönlichen Sorgen, nach Flandern zu reisen, um den dort Unterdrückten beizustehen. Die beiden schwören sich ewige Freundschaft.

Rodrigo fädelt ein heimliches Treffen von Carlos mit Elisabeth ein. Carlos gesteht Elisabeth seine Liebe, doch sie kann nicht aus ihrer Haut als Königin schlüpfen. König Philipp erscheint und ist erbost, die Königin ohne Hofstaat vorzufinden. Als Bestrafung wird die Vertraute Elisabeths nach Frankreich zurückgeschickt. Davon profitiert die in Carlo verliebte Prinzessin Eboli, welche nun näher zu Elisabeth rücken kann. Sie tauscht mit Elisabeth die Maske, um sich dem Trubel um Krönungsfeierlichkeiten zu entziehen. Davon kreigt Carlo nichts mit und gesteht der vermeintlichen Stiefmutter erneut seine Liebe. Eboli will ihn dennunzieren, doch Rodrigo erscheint und hält Eboli in Schach. Carlo händigt Rodrigo (welcher auch die Bewunderung und das Vertrauen des Königs besitzt) verräterische Papiere zum Aufstand in Flandern aus.

Anlässlich eines von der Inquisition anberaumten Autodafés werden Ketzer verbrannt. Falndrische Gesandte bitten um Gnade für ihr Land, werden von Carlo unterstützt. Als Philippp ablehtn, zückt Carlo das Schwert gegen seinen Vater. Rodrigo entwaffnet ihn, Carlos wird verhaftet.

Philipp muss sich eingestehen, dass er ein einsamer alter Mann geworden ist, mit einer Frau an seiner Seite, die ihn nie geliebt hat. Der Grossinquisitor fordert vom König, den allzu liberal gesinnten Rodrigo der Inquisition zu übergeben. Philipp will nicht auch noch seinen letzten Vertrauten verlieren und weigert sich. Der Grossinquisitor droht mit dem langen Arm der Kirche.

Elisabeths Schmuckschatulle ist gestohlen worden. Sie wurde Philipp von Eboli zugespielt, darin befindet sich ein Porträt von Carlos. Philipp verflucht seine Frau. Eboli tritt hinzu und erkennt ihre Schuld (und gibt auch zu, die Mätresse des Königs zu sein). Sie wird von der Königin in ein Kloster verbannt. Doch vorher will sie noch Carlo retten.

Rodrigo wird während eines Besuchs bei Carlo im Gefängnis aus dem Hinterhalt erschossen. Das Volk verlangt vor den Toren, angestachetl von Eboli, die Freilassung des Infanten. Nur dank der Autorität des Grossinquisitors kann ein Aufstand vermieden werden.

Sterbend hat Rodrigo Carlo noch eine Nachricht von Elisabeth überbracht. Sie wartet im Kloster San Juste vor dem Grab Karls V. auf ihn. Die beiden werden vom König und vom Grossinquisitor bei ihrem Date überrascht. Doch da erscheint ein alter Mönch und zieht Don Carlo in das Innere des Klosters. War der Mönch Karl V.?

Musikalische Höhepunkte:

(Di qual amor, Duett Elisabeth-Carlo, Akt I in Berlin nicht zu hören)

Dio, che nell'alma infonde, Duett Rodrigo-Carlo, Akt II

Nel giardin -del bello Saracin, Schleierarie der Eboli, Akt II

Ed io, che tremava al suo aspetto, Terzett Eboli-Carlo-Rodrigo, Akt III

Autodafé, Akt III, mit der wunderbaren Stimme von oben

Ella giammai mi amò, Arie Philipp Akt III

Nell' ispano suo, Szene Philipp-Grossinquisitor, Akt III

O don fatale, Arie der Eboli, Akt III

Per me giunto, Arie und Szene Rodrigo-Carlo, Akt IV

Tu che le vanità, Arie der Elisabeth, Akt V

Applaus, Video

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