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Magdeburg: DIE TOTE STADT, 12.02.2016

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Die tote Stadt

copyright: Nilz Böhme, mit freundlicher Genehmigung Theater Magdeburg

Oper in drei Bildern | Musik: Erich Wolfgang Korngold | Libretto: Paul Schott (alias Julius Korngold), nach "Bruges-la Morte" von Georges Rodenbach | Uraufführung: 4. Dezember 1920 gleichzeitig in Köln und Hamburg | Aufführungen in Magdeburg: 30.1. | 12.2. | 27.2. | 3.4. | 15.4.2016

Kritik:

... und der Mord an Marietta war doch kein Traum! Das ziemlich unwahrscheinliche Ende, welches sich Vater Julius (Libretto) und Sohn Erich Wolfgang (Musik) Korngold für das Ende ihrer Oper nach Rodenbachs symbolistischem Meisterwerk BRUGES-LA –MORTE ausgedacht hatten, diese allzu schnell einsetzende kathartische Wirkung eines Traums, widerspricht nicht nur der Romanvorlage, sondern entbehrt auch jeglicher Wahrscheinlichkeit. Denn ein psychisch dermaßen gestörter Mann, wie ihn Paul darstellt, mit seinem Reliquienschrein, seiner „Kirche des Gewesenen“, kann nicht einfach so über Nacht von seinem Wahn geheilt werden. Und dieser so maßlos übertriebenen Trauer um seine verstorbene Gemahlin ist eh nicht ganz zu trauen. Da muss mehr dahinter stecken, tiefer Verborgenes. Genau diesen Fragen spürte Regisseur Jakob Peters-Messer in seiner stringenten, sehr genau gearbeiteten Inszenierung von Korngolds Oper am Theater Magdeburg nach.  Paul ist bei ihm nicht einfach der verzweifelt trauernde Witwer in einer ebenso trostlosen, morbiden Stadt. Hier ist Paul ein zutiefst psychisch kranker Mann mit einem gestörten Frauenbild. Die Ursache darin liegt in seiner eigenen Vergangenheit als katholischer Chorknabe begründet, missbraucht von Priestern.  Die Heilig Blut Prozession des dritten Aktes zeigt in eindringlichen Bildern Pauls schreckliche Erfahrungen als Knabe, die roten, gierigen Hände der Priester beflecken seinen Körper, hinterlassen ihre Spuren. Die Projektion seiner tot daliegenden Frau, mit der Träne im Auge und der sich ausbreitenden Blutlache lässt darauf schließen, dass Paul eben auch seine erste Frau umgebracht, ein gestörtes Frauenbild und ein gestörtes Verhältnis zur Sexualität insgesamt hat.  Daher auch seine unnatürlich heftige Reaktion auf die laszive Pantomime von Mariettas Tanztruppe mit der blasphemischen Nonnenerweckung aus Meyerbeers ROBERT LE DIABLE, seine unverständlichen und übertriebenen Gewissenbisse nach der Liebesnacht mit Marietta. Dieser religiös umnebelte Wahn, verwoben mit der eigenen Missbrauchserfahrung macht ihn zum Mörder – und dies offensichtlich nicht zum ersten Mal. Frank, der hier weniger als Freund denn als Inspektor auftritt, spürt dies und führt Paul am Ende auch den zuständigen Instanzen zu: Der Polizei, dem Arzt, den Pflegern. Mit starrem Blick und irrem Grinsen bleibt Paul dann vor dem sich langsam senkenden schwarzen Vorhang stehen – ein starkes Bild einer unter die Haut gehenden Inszenierung eines Psychodramas, angelehnt auch ein wenig an Hitchcocks VERTIGO, dessen Vorlage ja ebenfalls auf Rodenbachs Roman zurückzuverfolgen ist. Guido Petzold (Bühne und Lichtdesign) und Sven Bindseil (Kostüme) haben zu diesem intensiven Blick in psychische Abgründe den passenden Rahmen (im wortwörtlichen Sinne!) geschaffen. Die durchdachte Farbsymbolik mit vorherrschendem Rot und Schwarz dominiert die Optik, die wenigen Projektionen, die im zweiten Bild hochfahrenden Wände, die gelblich angeleuchteten Schleier evozieren effektvoll die Anklänge an den Mysterythriller. Selbstverständlich bleibt es immer umstritten, ob man als Regisseur Eingriffe in die Partitur vornehmen darf. Hier in Magdeburg wurden (damit das mit dem effektiven Mord an Marietta eben aufgeht) gerade mal vier Zeilen entfernt. (Marietta: „Da bin ich wieder, vergass den Schirm und meine Rosen ...“) Das ist vertret- und verschmerzbar, zumal der dramaturgische Gewinn ungleich höher ist.

Die Magdeburger Philharmonie unter der Leitung von Kimbo Ishii blieb der farbenreichen Partitur Korngolds nichts an ausdrucksstarkem spätromantischem Überschwang, an dunkel und geheimnisvoll lodernder Erotik schuldig.  Dabei achtete der Dirigent stets darauf, dass die Musik nicht zu „dick“ aus dem Graben aufstieg, die Stimmen nicht mit allzu üppigem Korngold-Sound zugedeckt wurden. Prominent akzentuierten die Blechbläser ihre grellen Passagen. Ganz hervorragend sang der Opernkinderchor des Konservatoriums „Georg Philipp Telemann“ in der Heilig Blut Prozession.

Die Absage eines Sängers der Hauptrolle in einem (trotz aller Korngold Renaissance) immer noch selten aufgeführten und schwierig zu besetzenden Werk, stellt für des künstlerische Betriebsbüro eines jeden Theaters einen Super GAU dar. Gerade die Tenorpartie des Paul (eine der anspruchsvollsten der Opernliteratur) ist nicht schon grundsätzlich nicht einfach zu be-, geschweige denn kurzfristig zu ersetzen. In Magdeburg musste nun Wolfgang Schwaninger krankheitsbedingt absagen. Eingesprungen ist mit Niclas Oettermann ein erfahrener Interpret der Rolle, ich durfte ihn mehrmals in Bern als Paul erleben. Er hat sich darstellerisch überzeugend in die Inszenierung eingefügt. Mit feinfühlig eingesetztem dynamischem Ausdruck gestaltete er diesen psychisch destabilisierten Charakter. Hervorzuheben sind insbesondere seine tragfähigen Pianophrasen. Einige Vokalverfärbungen und Intonationstrübungen in der Höhe vermochten den positiven Gesamteindruck nicht  groß zu beeinträchtigen. Auch Thomas Florio als Fritz (Pierrot) musste kurzfristig absagen. Hier ist es wohl etwas einfacher einen Ersatz zu finden, insbesondere weil Fritz in dieser Inszenierung nicht auch noch den Frank singen und darstellen muss. Fritz’ Auftritt beschränkt sich also auf die Komödianten Szene des zweiten Aktes und damit natürlich mehr oder weniger auf den Wunschkonzert-Hit der Oper, das Tanzlied Mein Sehnen, mein Wähnen, eine dankbare Aufgabe für jeden Bariton – und der Einspringer Alejandro Larranga-Schleske vom Theater Freiburg eroberte das Publikum mit dem betörenden Schmelz seiner warmen, angenehm timbrierten Stimme im Nu. Noa Danon machte eine ausgezeichnete Figur in der Rolle der selbstbewussten Tänzerin Marietta, warm und verführerisch klang ihre Stimme (auch aus dem Off als mysteriöse Stimme der toten Marie). Besonders im dritten Akt  („... zum Garten jauchzender Lust, errang mir an mich selbst den Glauben ...“) schraubte sich ihre Stimme bewegend ausdrucksstark intonierend hoch. Auch den zweiten Hit der Oper, das Lied mit der Laute „Glück das mir verblieb“ im ersten Akt, gestaltete sie insgesamt sehr gefällig, nur einige leicht gequetschte Töne trübten etwas den positiven Höreindruck. Roland Fenes gab einen markanten Frank und Kammersängerin Undine Dreißig hatte stimmlich und darstellerisch prägnante Auftritte als Brigitta in allen drei Akten. Die Mitglieder von Mariettas schrill-androgyner Komödianten Truppe Irma Mihelic  (Juliette), Jenny Stark (Lucienne), Eric Schubert (Gaston), Manfred Wulfert (Victorin) und Markus Liske (Graf Albert) vervollständigten das überaus intensiv und stimmig agierende Ensemble.

                                                                                                                        

Inhalt:

Pauls Frau Marie ist tot, doch er kann ihr Ableben nicht akzeptieren. In Brügge hat er in seinem Zimmer ein Art Schrein zum Gedenken an seine Frau errichtet, hier frönt er seiner Depression und badet in seiner Trauer, seinem Selbstmitleid. Seine Haushälterin Brigitta und sein Freund Frank sind besorgt. Auf einem seiner seltenen Spaziergänge hat Paul eine Frau erblickt, welche seiner Marie verblüffend ähnlich sieht. Er lädt sie zu sich ein. Es ist die Tänzerin Marietta. Paul schlägt alle Warnungen in den Wind und vermeint, eine Reinkarnation Maries vor sich zu haben, das Glück der Gemeinsamkeit erneut zu finden. Doch Marietta entschwindet wieder mit ihrer Tanztruppe, Paul versinkt in Visionen. Er stöbert Marietta auf, schleppt sie in seine Wohnung und verbringt die Nacht mit ihr. Paul quälen Gewissensbisse, er begibt sich frühmorgens aus dem Haus. Marietta durchstöbert den "heiligen Schrein", Paul ertappt sie dabei, stürzt sich auf sie, erkennt in ihr eine billige Nutte und erwürgt sie, während draussen die Heilig-Blut-Prozession vorbeizieht.

Paul erwacht aus seinem Traum. Marietta kehrt zurück und holt ihren Schirm (oder je nach Inszenierung auch den Schal). Paul beschliesst die Stadt der Toten, Brügge, zu verlassen.

Werk:

Erich Wolfgang Korngold war ein Wunderkind, verblüffte bereits als Neunjähriger die Musikwelt mit ausgefeilten Partituren. Die Oper DIE TOTE STADT, welche er als 23-jähriger geschrieben hatte, wurde zu einem Grosserfolg. Die Partitur dieser morbiden, typischen fin de siècle Erzählung weist eine Qualität auf, welche auch bekanntere Werke von Richard Strauss oder Puccini nicht immer erreichen. Nach der Annexion Österreichs durch Nazideutschland blieb der Jude Korngold im Exil in Kalifornien, wurde dort ein bedeutender Komponist für Filmmusik und gewann sogar zwei Oscars. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden seine Opern nicht mehr sehr hoch geschätzt, gerieten beinahe in Vergessenheit. Sie galten als rückschrittlich. Doch dank einer grandiosen Einstudierung in New York 1975 wurde die Musikwelt  wieder auf Korngolds wunderbare Schöpfungen aufmerksam. Seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts taucht insbesondere DIE TOTE STADT wieder öfters auf den Spielplänen auf. Seine Oper DAS WUNDER DER HELIANE war vor einiger Zeit in Kaiserslautern und in den 80er Jahren in Bielefeld zu erleben gewesen.

Die Partie des Paul gehört wegen ihrer hohen Lage und der zweistündigen Dauerpräsenz auf der Bühne zu den anspruchsvollsten und gefürchtetsten Tenorpartien.

Musikalische Höhepunkte:

Glück, das mir verblieb, Marietta-Paul, Bild I

Mein Sehnen, mein Wähnen, Pierrot-Fritz, Bild II

Karten

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