Kino: BECOMING GIULIA, 20.03.2023
Regie: Laura Kaehr
Darstellerinnen: Giulia Tonelli, Cathy Marston u.v.a.
Kamera: Felix von Muralt, Stéphane Kuthy, Laura Kaehr
Schnitt: Vincent Pluss, Thomas Bachmann
Sound Design: Oscar Van Hoogevest
Musik: Mara Micciché, Julian Sartorius, Balz Bachmann
Vertrieb: First Hand Films GmbH Distribution
Kinostart: 23.03.2023
Kritik:
Der am Zurich Film Festival mit dem Publikumspreis ausgezeichnete Dokumentarfilm BECOMING GIULIA kommt diese Woche nun ins offizielle Kinoprogramm der Schweizer Kinos. Die Regisseurin Laura Kaehr begleitet darin mit der Kamera die Solotänzerin des Balletts Zürich, Giulia Tonelli, auf ihrem Weg zurück auf die Bühne nach Schwangerschaft und Geburt des ersten Kindes.
Der Film taucht in bewegenden Bildern und Szenen ein in die Lebensrealität der Ballerina in ihrem Kampf, ihren Zweifeln und in ihrer Entschlossenheit, Familie, Beruf und Verwirklichung ihrer Träume, Ziele und Ambitionen unter einen Hut zu bringen. Mit einfühlsamer, sehr sensibler Kameraführung, gekonnter Schnitttechnik und exzellent abgemischtem Sound kommt die Regisseurin der Tänzerin und ihrer Familie nahe, sehr nahe und bewahrt trotzdem die geschmackvolle Distanz, so dass diese Nähe nie peinlich oder voyeuristisch wird. Der Film gibt bewegende Einblicke in die Seele der Tänzerin, die sich zwar durch die Mutterschaft in ihrem Mensch -und Frausein wundersam bereichert fühlt, aber sich ohne ihren Beruf, den sie eben genauso stark liebt, nicht komplett fühlt. Das Wunder dieses sehr empfehlenswerten Films besteht darin, dass man sich mit der Zeit in der Kleinfamilie (der Film entstand 2019 bis 2021, unterdessen ist noch ein zweiter Sohn dazugekommen) fast wie bei guten Freunden zu Hause fühlt, mitleidet mit den Qualen, der Nervosität und den Zweifeln der ersten Proben und Aufführungen nach elfmonatiger Abwesenheit von der Bühne. Gerade in den Probenszenen nimmt man aufschlussreiche und bewegende Zwischentöne wahr, das ist wahrlich nicht nur "heile" Ballettwelt! Man spürt auch die eminente Kraft, den starken Willen und die kluge Nachdenklichkeit, welche Giulia Tonelli im Privaten und im Beruflichen auszeichnen. Hoch spannend dargestellt ist auch ihre Arbeit während der Pandemie, ihre Proben mit der Choreographin und zukünftigen Direktorin des Ballett Zürich, Cathy Marston, auch sie eine Mutter und beruflich äusserst erfolgreiche Künstlerin. Der Film ist ein grandioses Plädoyer und eine Ermutigung für Frauen, welche eben nicht "nur" Mutter sein wollen, sondern genauso wie die Männer einen berechtigten Anspruch auf Komplettierung ihrer Persönlichkeit haben (und der Film ist auch eine Hommage an starke, sich gegenseitig schützende und unterstützende Paarbeziehungen). Laura Kaehr hat es geschafft, dass die Spannung dieses 100minütigen Films nie nachlässt, ja, man hätte noch viel länger in diese komplexe Welt, diesem unglaubliche Kräfte und Energien freisetzenden Spagat zwischen Ballett auf höchstem Niveau und Famile eintauchen mögen.
Fazit: 5 von 5 Sternen