Hamburg, Staatsoper: DIE ZAUBERFLÖTE; 21.12.2024
Oper in zwei Aufzügen | Musik: Wolfgang Amadeus Mozart | Libretto : Emanuel Schikaneder | Uraufführung: 30. September 1791 in Wien | Aufführungen in Hamburg: 21.12. | 28.12. | 30.12.2024 | 1.1. | 4.1. | 9.1. | 17.1.2025
Kritik:
Bereits nach wenigen Takten der vom Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter der sensiblen Leitung von Leo Hussain so weihevoll intonierten Ouvertüre entstand Unruhe in der ersten Parkettreihe. Ein älterer Mann erlitt vermutlich einen Herzanfall; er wurde von Rettungssanitätern auf einer Bahre heraus- und auf die Bühne getragen. Spätestens als er dann mit ziemlich geschwächter Stimme Taminos Auftrittsphrase "Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren" zu singen begann, wusste man, dass hier DIE ZAUBERFLÖTE als Rückblick eines greisen Mannes auf sein bewegtes Leben erzählt wurde. Man hätte auch einen Blick auf die Anzeige der Übertitelungsanlage werfen können, denn da stand: "Achtung, kein Notfall! Szenische Aktion in der ersten Reihe." Das wäre ja ok gewesen, zeigte jedoch meines Erachtens wenig Respekt vor Mozarts Musik. Denn durch diese Aktion verpuffte die Erhabenheit der Ouverture im Klamauk. So ging es dann über weite Strecken weiter: Die Drei Damen waren Nonnen (später auch Zen-Meisterinnen und dann kämpferische Amazonen in schwarzen Overalls), die Tamino wohl aus der Babyklappe gerettet hatten, ihn mit Kinderfahrrad und Fussballspiel liebevoll-verwöhnt aufzogen, ihm einen Kumpel zur Seite stellten (Papageno). Das alles war regietechnisch ganz hervorragend gelöst und ging durch die weitgehenden Striche der gesprochenen Dialoge oder deren Neufassung auch inhaltlich einigermassen gut auf. Die Bühne bestand aus mehreren hintereinander gelegten Pixelvorhängen, deren Leuchtdioden eine kosmische Stimmung verbreiteten. Man bewunderte die ausgefeilte Technik! So erschien Pamina als verpixelte Mädchenfigur. Papageno liess gleich die Hose runter und begann zu masturbieren. Daraufhin wurden ihm von den Nonnen die Arme mit Klebeband an den Oberkörper gebunden und auf die Unterhosen wurde ihm ein Kreuz aus Klebstreifen gesetzt. Das war recht lustig. Auch im weiteren Verlauf der Pubertät der beiden Jungs und während der Adoleszenz ergaben sich witzige Situationen. Geleitet wurden die beiden (und auch Pamina) von roten, tragbaren Leuchtpfeilen (für den stets pubertär agierenden Papageno waren die natürlich Penis-Symbole). Manipuliert wurden sie auch von zwei gegensätzlichen Mächten: Der Königin der Nacht und Sarastro. Die beiden traten allerdings erst ganz am Ende leibhaftig auf der Bühne auf und entschwebten gleichberechtigt auf ihren eigenen Planeten ins All. Ihre großen Arien zuvor sangen sie aus dem etwas hochgefahrenen Orchestergraben heraus. Dabei wurden sie gefilmt und ihre Gesichter erschienen wie riesenhafte Fratzen violett oder gelb verpixelt auf den Vorhängen der Bühne. Eindrücklich! Auch die Prüfungen, welche Tamino und Pamina durchlaufen müssen, führten nicht durch Wasser, Eis und Feuer, sondern auf eine Expedition zum Andromeda Nebel. Ständig flogen Sternschnuppen und Kometen über die Pixelvorhänge, das Spiel fand vorwiegend im Dunkeln oder im Halbdunkeln statt, wenn nicht gerade ein Stroboskop-Gewitter tobte oder starke Scheinwerfer das Publikum blendeten. Eine Nähe zum Publikum entstand durch den Laufsteg rund um den Orchestergraben, den vor allem Papageno zur Interaktion mit uns Zuschauern nutzte. Auch seine Papagena fand er in der ersten Reihe des Parketts. Einige seiner neu gefassten Dialoge sprach er allerdings zu schnell, da ging manch witzige Pointe verloren. Bei "Klinget Glöckchen, klinget" versuchte er, das Publikum zum Mitsingen zu animieren, Monostatos suchte das zu verhindern, ziemlich erfolgreich, denn am Ende der Szene konstatierte Monostatos zu Recht: “Das war erbärmlich!”
Gar nicht erbärmlich sangen allerdings die Profis auf der Bühne. Alexander Roslavets vermochte als Sarastro mit seinen bassgewaltigen Tiefen ebenso zu überzeugen wie Aleksandra Olczyk mit ihren durchdringenden Staccati-Koloraturen in der höchsten Lage. Ganz wunderbare Kantilenen strömten aus der Kehle von Adriana González als Pamina. Sehr gepflegt (ein bisschen zu leise für mein Empfinden) sang Aaron Godfrey-Mayes die Partie des Tamino. Der pubertär agierende Papageno fand in Benjamin Appl einen exzellenten Sängerdarsteller. Als sich sein warmer Bariton dann zusammen mit der wunderbar klingenden Papagena von Yeonjoo Katharina Jang im Kinderlein-Duett vereinigte, nahm er als Zeichen der Reife auch seine lächerliche Männerdutt-Perücke vom Kopf und zeigte seine normale Kurzhaarfrisur. Der Monostatos wurde als eine Art Conferencier von Peter Galliard mit weiß geschminktem Gesicht gegeben. Rassistische Wörter wie "Mohr" wurden aus dem Text getilgt; misogyne Aussagen des Sprechers (Astronaut im All: David Minseok Kang) wie "Ein Weib taugt wenig, plaudert viel" hingegen blieben bestehen. Die drei Damen klangen für mich etwas zu uneinheitlich, ebenso habe ich die drei Knaben schon als souveräner singend empfunden.
Jette Steckels Inszenierungskonzept hatte optisch dank Bühnenbild (Florian Lösche), Licht (Paulus Vogt) und verblüffender Technik (Video EINS[23] TV, Alexander Bunge) also durchaus faszinierende und amüsante Aspekte und war schon ein echter Hingucker. Wie schön und interessant eigentlich die Kostüme (Pauline Hümers) für den exzellenten Chor der Staatsoper Hamburg waren, sah man erst beim Schlussapplaus. Der alte Tamino hat seinen Platz in der ersten Parkettreihe wieder eingenommen. Der Applaus mündete schnell in einen lautstarken, anhaltenden Jubel für sämtliche Beteiligten des - zu einem Großteil jungen - Publikums im ausverkauften Haus - was den alten weißen Mann nun ehrfurchtsvoll verstummen lässt!
Inhalt:
Sarastro, weiser Priester der Götter Isis und Osiris, hat Pamina in seinen Tempel entführt, um sie vor dem Einfluss ihrer Mutter, der Königin der Nacht, zu schützen. Die Königin bringt den Prinzen Tamino dazu, sich auf den Weg zu machen und Pamina zu befreien. Papageno, ein eher den weltlichen Genüssen frönender Vogelfänger, begleitet ihn auf Geheiss der Königin. Die drei Damen der Königin geben den beiden eine Zauberflöte und ein Glockenspiel mit auf den Weg. Drei Knaben weisen ihnen den Weg zu Sarastros Burg.
Tamino und sein Begleiter finden Pamina. Tamino und Pamina verlieben sich ineinander. Doch bevor sie sich endgültig vereinen dürfen, müssen sie drei Prüfungen bestehen. Papageno wird auch belohnt und findet eine Frau, die ihm ganz ähnlich sieht.
Die Strahlen von Sarastros Sonne verbrennen die rachsüchtige Königin der Nacht. Die beiden Liebespaare dürfen sich vereinen.
Werk:
Mozarts ZAUBERFLÖTE hält sich seit über 200 Jahren in den Spitzenrankings der am häufigsten aufgeführten Opern weltweit. Die märchenhafte, wenn auch mit etlichen mehr oder weniger versteckten Hinweisen auf die Freimaurer versehene Handlung vermag „in die Zeiten hineinzuwirken und jeder Generation ein Gleichnis, einen Grundriss menschlicher Spannungen zu geben ... „ (Günther Rennert). Selbst Richard Wagner schrieb: „ Die Quintessenz aller edelsten Blüten der Kunst scheint hier zu einer einzigen Blume vereint und verschmolzen zu sein. Welch ungezwungene und zugleich edle Popularität in jeder Melodie ... .“ Und Friedrich Hegel schwärmte von der „Tiefe und der Lieblichkeit der Musik, welche die Phantasie erfüllt und das Herz wärmt.“
Schikaneder hatte den richtigen Riecher für ein effektvolles Libretto gehabt (er selbst sang den Papageno). Zaubermärchen mit hohen und niederen Paaren, Bühnenzauber und Komik gepaart mit moralisierenden Elementen waren damals gross in Mode.
Mozart komponierte die Oper in den letzten Monaten seines kurzen Lebens, in welchen materielle Not und Krankheit seine ständigen Begleiter waren. Der Erfolg des Werks steigerte sich von Aufführung zu Aufführung. Den materiellen Erfolg der Oper erlebte Mozart leider nicht mehr, er starb gut zwei Monate nach der Uraufführung.
Eine Aufnahme der Rachearie der Königin der Nacht mit der Sopranistin Edda Moser befindet sich an Bord der Raumsonde Voyager 2, welche unser Sonnensystem verlassen wird ... Dies unterstreicht wohl aufs Deutlichste die Bedeutung von Mozarts letzter Oper.
Musikalische Höhepunkte:
Viele bekannte Ohrwürmer, so z.B. die beiden Koloratur-Arien der Königin der Nacht:
O zitt're nicht, Königin, Akt I
Der Hölle Rache, Königin, Akt II
Der Vogelfänger bin ich ja, Papageno Akt I
Dies Bildnis ist bezaubernd schön, Tamino, Akt I
In diesen heiligen Hallen, Sarastro, Akt II
Ach ich fühl`s, Pamina Akt II