St.Gallen: DIE ZAUBERFLÖTE, 17.12.2011
Oper in zwei Aufzügen
Musik: Wolfgang Amadeus Mozart
Libretto : Emanuel Schikaneder
Uraufführung: 30. September 1791 in Wien
Aufführungen in St.Gallen: 17.12. | 18.12. | 20.12. | 23.12. | 27.12.2011 | 6.1. | 8.1. | 14.1. | 18.1. | 24.1. | 29.1. | 8.2. | 28.2. | 26.3. | 22.4. | 19.5. | 315. | 2.6.2012
Kritik:
Welches Publikum möchte man mit einer Inszenierung der ZAUBERFLÖTE, dieser meistgespielten Oper im deutschen Sprachraum, erreichen? Soll sie als märchenhafter und spassiger Einstieg für Kinder in die Welt der Oper auf die Bühne gebracht werden oder als pathetisch überhöhtes humanitäres Gleichnis? Oder soll ihr gar ganz im Sinne des so genannten Regietheaters ein aktualisierendes - und hoffentlich sinnfälliges - Konzept übergestülpt werden, das zum Nachdenken und zur intellektuellen Auseinandersetzung mit den Grundtendenzen des Werks einlädt und anregt? Das Opernhaus Zürich hatte sich vor vier Jahren mit Martin Kusejs brisanter, packender und auch polarisierender Inszenierung für diesen Weg entschieden, das Theater St.Gallen hingegen setzt auf den ersten Blick eher auf unterhaltsames, pralles Musiktheater für die ganze Familie.
Imposant und geheimnisvoll mutet zwar zu Beginn die schwarz geflieste, riesige Mauer an, welche Friedrich Eggert auf die ansonsten leere Drehbühne gestellt hat. Geradezu mystisch fällt bläuliches Licht ein (die geniale Lichtgestaltung des Abends lag in den Händen von Andreas Enzler). Während die feierlichen Klänge der Ouvertüre einsetzen, beginnt sich die Mauer lautlos zu drehen, sie trennt Tamino und Pamina, scheint undurchdringlich. Doch es ist wie im richtigen Leben: Immer wenn man glaubt, es geht nicht mehr, geht irgendwo ein Türchen auf. Die Idee der sich öffnenden oder vorerst für die weitere Entwicklung zum Erwachsenwerden noch verschlossen bleibenden Türen, ist sehr schlüssig und wird mit bestechender Akribie umgesetzt. So in Taminos Kinderzimmer, wo der Kleine in seiner Teddy-Bettwäsche von schlimmen Albträumen geplagt wird (die böse Schlange ist nur in seinem Kopf, seinen Träumen vorhanden und wird von rosa gekleideten Nonnen vertrieben). Die Kinderzimmertür wird auch zum Puppentheater für den Auftritt des Papageno, eines Jungen mit Rasta-Frisur, Strickmütze, roten Turnschuhen und Latzhose. Die drei lüstern-strengen Nonnen haben sich unterdessen zu Politessen in hellblauen Kostümen gewandelt und präsentieren dem Knaben Pamina in ihrer pinkfarbenen Welt, mitsamt Seifenblasen. Doch schon torkelt die sturzbetrunkene Königin der Nacht im senfgelben Hosenanzug ins Zimmer. Auf seinem Weg zur Erkenntnis und zur Reife gelangt Tamino zu Schulhaustüren, Schall isolierenden Türen im Funkhaus, Notausgängen, Ofen- und Kühlraumtüren. Papagenos Weg hingegen ist ganz seinem Charakter entsprechend, einfacher gestrickt: Sein Glück lauert hinter Bretterverschlägen und Fototapeten. Daneben tauchen in dieser „Mauer der Geheimnisse des Lebens“ majestätische Portale der Sektengemeinschaft Sarastros auf, die drei Damen und die Königin versuchen sich im zweiten Akte wie Disneys Panzerknacker an Tresortüren. Immerhin: Tamino und Pamina lassen sich nicht von der dubiosen Sektengemeinschaft vereinnahmen und einsperren. Zum moralisierenden Schlussgesang des Chores Es siegte die Stärke, und krönet zum Lohn die Schönheit und Weisheit mit ewiger Kron' durchbrechen die beiden Jugendlichen die Mauer und hauen einfach ab. Aus der Barbiepüppchen-Pamina und dem ängstlich-braven Tamino sind selbständig denkende und agierende junge Menschen geworden. Da hat Regisseur Bernd Mottl einen wirklich überzeugenden Schluss gefunden. Im Verlauf des Abends hat man sich nämlich oft ein bisschen über das umtriebige und pseudo-lustige Agieren auf der Drehbühne gewundert, welches die vorhandenen Brüche und Schwierigkeiten der Oper einfach platt überspielte und zudeckte. Da waren sich an jugendliche Körpersprache anbiedernde Choreographien zu sehen, unzählige Kostümwechsel für die drei Damen und die drei Knaben und auch eher dämliche Einfälle (Szene der beiden Priester mit Papageno). Als sehr gelungen kann man jedoch die Auftritte der Königin der Nacht bezeichnen: Vom ersten war schon die Rede, beim zweiten wurde sie im Rollstuhl hereingeschoben, stützte sich zur Rachearie auf ihre Krücken und zeigte damit ihre physische und psychische Impotenz.
Die jungen Darstellerinnen und Darsteller (viele Rollendebüts) setzten das zum Teil hanebüchene Spiel mit fabelhafter Lockerheit um und verliehen ihren Partien auch gesanglich ausgezeichnetes Profil. Allen voran Beate Ritter als mit fulminanter Sicherheit aufwartender Königin der Nacht, die ihre Koloraturen nicht einfach an der Rampe zu singen hatte, sondern mit Whiskyglas auf der sich emporhebenden Matratze in Taminos Kinderbett oder rosa Barbie-Rehe zertrümmernd im zweiten Akt. Julien Behr gab mit seinem hell und wunderschön timbrierten Tenor einen wunderbaren Tamino, Markus Beam einen herrlich rotznasigen Papageno. Simone Riksman gestaltete eine mehrheitlich einnehmende Pamina. Einzig für die grosse g-Moll Arie hätte man sich eine etwas wärmer gefärbte Stimme gewünscht. Die drei Damen waren mit Evelyn Pollock, Susanne Gritschneder und Katja Starke herausragend besetzt (da könnte manch grössere Bühne neidisch werden). Auch die drei Knabensolisten der Zürcher Sängerknaben beeindruckten mit geradezu himmlischem Schöngesang (Jonah Schenkel, Simon Selden, James Vellacott). Alison Trainer war eine umwerfende Papagena, Riccardo Botta ein schon beinahe zu sympathischer, gnomhafter Monostatos. Die beiden Geharnischten waren mit Derk Taylor und Wade Kernot ebenso wunderbar besetzt wie der Sprecher mit David Maze. Seine Szene mit Tamino geriet zu einem vokalen Höhepunkt. Eher enttäuschend der zu stark und nicht immer sauber intonierend orgelnde Sarastro von Roman Polisadov.
Jeremy Carnall und das Sinfonieorchester St.Gallen bevorzugten zum Glück zügige Tempi, spielten diesen Mozart sauber, direkt und ohne falsches Pathos. Somit passte diese vorwärtsdrängende, kurzweilige Lesart der Partitur wunderbar zum umtriebigen Geschehen auf der Bühne. Die in andern Aufführungen oft betulich wirkenden Dialoge wurden auf ein Minimum beschränkt. Der Abend ging leichtfüssig über die Bühne – doch ein bisschen mehr psychologische Tiefenschürfung hätte bestimmt nicht geschadet.
Inhalt:
Sarastro, weiser Priester der Götter Isis und Osiris, hat Pamina in seinen Tempel entführt, um sie vor dem Einfluss ihrer Mutter, der Königin der Nacht, zu schützen. Die Königin bringt den Prinzen Tamino dazu, sich auf den Weg zu machen und Pamina zu befreien. Papageno, ein eher den weltlichen Genüssen frönender Vogelfänger, begleitet ihn auf Geheiss der Königin. Die drei Damen der Königin geben den beiden eine Zauberflöte und ein Glockenspiel mit auf den Weg. Drei Knaben weisen ihnen den Weg zu Sarastros Burg.
Tamino und sein Begleiter finden Pamina. Tamino und Pamina verlieben sich ineinander. Doch bevor sie sich endgültig vereinen dürfen, müssen sie drei Prüfungen bestehen. Papageno wird auch belohnt und findet eine Frau, die ihm ganz ähnlich sieht.
Die Strahlen von Sarastros Sonne verbrennen die rachsüchtige Königin der Nacht. Die beiden Liebespaare dürfen sich vereinen.
Werk:
Mozarts ZAUBERFLÖTE hält sich seit über 200 Jahren in den Spitzenrankings der am häufigsten aufgeführten Opern weltweit. Die märchenhafte, wenn auch mit etlichen mehr oder weniger versteckten Hinweisen auf die Freimaurer versehene Handlung vermag „in die Zeiten hineinzuwirken und jeder Generation ein Gleichnis, einen Grundriss menschlicher Spannungen zu geben ... „ (Günther Rennert). Selbst Richard Wagner schrieb: „ Die Quintessenz aller edelsten Blüten der Kunst scheint hier zu einer einzigen Blume vereint und verschmolzen zu sein. Welch ungezwungene und zugleich edle Popularität in jeder Melodie ... .“ Und Friedrich Hegel schwärmte von der „Tiefe und der Lieblichkeit der Musik, welche die Phantasie erfüllt und das Herz wärmt.“
Schikaneder hatte den richtigen Riecher für ein effektvolles Libretto gehabt (er selbst sang den Papageno). Zaubermärchen mit hohen und niederen Paaren, Bühnenzauber und Komik gepaart mit moralisierenden Elementen waren damals gross in Mode.
Mozart komponierte die Oper in den letzten Monaten seines kurzen Lebens, in welchen materielle Not und Krankheit seine ständigen Begleiter waren. Der Erfolg des Werks steigerte sich von Aufführung zu Aufführung. Den materiellen Erfolg der Oper erlebte Mozart leider nicht mehr, er starb gut zwei Monate nach der Uraufführung.
Eine Aufnahme der Rachearie der Königin der Nacht mit der Sopranistin Edda Moser befindet sich an Bord der Raumsonde Voyager 2, welche unser Sonnensystem verlassen wird ... Dies unterstreicht wohl aufs Deutlichste die Bedeutung von Mozarts letzter Oper.
Musikalische Höhepunkte:
Viele bekannte Ohrwürmer, so z.B. die beiden Koloratur-Arien der Königin der Nacht:
O zitt're nicht, Königin, Akt I
Der Hölle Rache, Königin, Akt II
Der Vogelfänger bin ich ja, Papageno Akt I
Dies Bildnis ist bezaubernd schön, Tamino, Akt I
In diesen heiligen Hallen, Sarastro, Akt II
Ach ich fühl`s, Pamina Akt II