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Berlin, Staatsoper: SIEGFRIED, 10.10.2012

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Siegfried

Fotos: (c) Monika Rittershaus

Zweiter Tag des Bühnenfestspiels DER RING DES NIBELUNGEN | Musik: Richard Wagner | Textdichtung vom Komponisten | Uraufführung: 16. August 1876, Festspielhaus Bayreuth | Aufführungen in Berlin: 2.10. | 6.10. | 10.10.2012 | 27.3. | 7.4. | 18.4.2013

Kritik:

Es ist in erster Linie ein Abend des Orchesters, der Staatskapelle Berlin, und seines klug, ja geradezu architektonisch disponierenden und gestaltenden Dirigenten Daniel Barenboim. Wie er jeden Akt von seinem düsteren, unheimlichen und stellenweise wirklich Furcht einflössenden Anfang aus den Tiefen der Orchesterfarben zu überschwänglichen, jubelnden Enden führt, ist von bezwingender und fesselnder Stringenz. Und erstaunlicherweise funktioniert im SIEGFRIED, diesem oft als Scherzo betitelten Teil der monumentalen Tetralogie, die Installation des Regieteams um Guy Cassiers mindestens in den ersten beiden Akten weitaus besser als in der vorangegangenen WALKÜRE. Dies mag mit der beinahe Comics artigen Handlung zusammenhängen, zu welcher die fantasievollen Projektionen entschieden besser passen als zur emotionaler, menschlicher angelegten WALKÜRE. Im ersten Akt befinden wir uns auf einer Art Altmetall-Sammelstelle. Mime und Siegfried klettern auf Stapeln angerosteter Gitterroste herum, eingefasst von einem Portal aus Eisenspänen. Hier versucht Mime vergeblich aus den Resten von Notung das Schwert neu zu schmieden, die Schmelzvorgänge werden in wirklich wunderbar konzipierten Videoprojektionen auf die gigantische Rückwand geworfen, Splitter und Späne verflüssigen sich zusehends, aus Anthrazit wird glühendes Rot, die Giterroste stellen sich unmerklich auf, geben Bildschirme frei und Siegfried kann zu seinem triumphierenden Aktfinale anheben. Lance Ryan macht das mit bewundernswert rotznasigem Trotz, stimmlicher Präzision und fabelhafter, energiegeladener Kraft. Mühelos triumphiert er im Schmiedelied über das immer lauter aufflackernde Orchester. Eingekleidet ist er allerdings nicht sehr jugendlich, sondern wirkt eher wie ein Altrocker (mit Vokuhila-Frisur und Ledermontur). Grossartig auch der Mime von Peter Bronder, welcher der Figur nichts an Verschlagenheit und Häme schuldig bleibt und mit hervorragender Textverständlichkeit und gekonnt eingesetzten Stimmverfärbungen glänzt. Als Wanderer erlebte man in dieser (der insgesamt dritten Vorstellung seit der Premiere am 3. Oktober) Terje Stensvold: Mit ungemeiner Selbstverständlichkeit lässt er seinen kernigen Bassbariton strömen, zeichnet sich durch eine beeindruckende Textdurchdringung und -sicherheit aus. Seine demagogischen Gespräche mit Mime, mit Alberich (mit grossartiger Schwärze und leicht zu beeinflussendem Ehrgeiz: Johannes Martin Kränzle, enthüllend sein Der Welt walte dann ich), sein vergebliches Erforschen der allwissenden Erda (der Mutter seiner Kinder Sieglinde und Siegmund) gehörten zweifelsohne zu den vokalen Höhepunkten des Abends. Noch unheimlicher als der erste beginnt der zweite Akt. Finster und dumpf erklingt das Lindwurm-Motiv. Geheimnisvoll leuchten und flimmern die semitransparenten Baumstämme, auf der Rückwand sieht man ab und an den von Fafner bewachten Hort aufglimmen. Die Stimme des Drachen (Mikhail Petrenko mit sonor-dumpf gefärbtem Bass) wird elektronisch verstärkt. Jedes „Flimmern und Glitzern“, das im Text vorkommt wird auch hier durch die Lichtkonzeption 1:1 und beinahe bis zum Exzess umgesetzt, stört da aber nicht. Sehr berührend gestaltet Lance Ryan den Mutter-Monolog, und es ist nur folgerichtig, dass das Waldvögelein dann in einem fraulichen Kostüm auftritt (wunderbar klar und fein gesungen von Rinnat Moriah). Mysteriös irrlichterndes, grünes Licht illustriert das Waldweben. Wenn Fafner dann vom Wanderer geweckt wird, erscheinen Projektionen, die an Gigers ALIEN gemahnen, ein riesiges Tuch wird zudem gekonnt von Tänzern bewegt, auf welches eine Reptilienhaut projiziert wird. Die Tänzer kommen (leider) dann auch noch als Tarnhelm zum Einsatz, stellen mit Schwertern schwer zu entschlüsselnde (freimaurerische?) Gebilde dar, wie einen fünfzackigen Stern. Ein verwirrender und meines Erachtens unnötiger Einfall.

Schliesslich folgt noch der dritte Akt: Der Beginn hochkarätig, mit dem bereits erwähnten Zwiegespräch Wanderer-Erda. Anna Larsson singt sie mit wunderbar sattem Alt, der in den höheren Regionen vielleicht etwas zu stark an Substanz verliert. Wunderbar bebildert ist auch der einleitende Sturm mit den dräuenden Wolken über einer zerklüfteten Landschaft, auf welcher verstreute Siedlungen auszumachen sind. Der folgende Dialog Wanderer-Siegfried geriet meines Erachtens Wagner wieder einmal viel zu lang, denn erzählt wird, was wir alle schon längst wissen. Zudem kostet er dem bis anhin sehr guten Siegfried von Lance Ryan Substanz, die ihm im finalen Duett mit der erwachenden Brünnhilde nun fehlt: Die Vokalverfärbungen (E wird immer zu einem quäkenden Ä) beginnen zu stören und beeinflussen auch die Intonation, vor allem weil auch diejenige von Iréne Theorin als schwerfällig agierender Brünnhilde (kein Wunder, die beiden müssen auf einem unmöglichen Felsen herumturnen) streckenweise sehr grenzwertig ist. Wie in der WALKÜRE auch, die posaunenartig herausgeschmetterten Spitzentöne sind da, doch der geforderte ekstatische Jubel und die begründete Ungewissheit (und vielleicht auch Vorfreude) vor dem Verlust der Jungfräulichkeit gleichen eher einer schrillen, manchmal unkontrolliert wirkenden, dann wieder brüchig klingenden Hysterie. „Wie Wunder tönt, was wonnig du singst...“ (Siegfried). Nun, auf den wonnigen Klang wartete man am Ende vergebens. Immerhin, der überwiegenden Mehrheit des Publikums schien dieses lautstarke Singen am Limit zu gefallen. Und dann ist´s wohl auch gut so … .

Inhalt des zweiten Tages:
Der Wälsungenspross Siegfried (Sohn der Geschwister Sieglinde und Siegmund, siehe Walküre) wächst beim Zwerg Mime auf. Dieser will sich Siegfrieds Kraft zunutze machen, um das zerbrochene Schwert Notung wieder neu zu schmieden. Siegfried gelingt dies. Damit tötet er den Riesen Fafner, der sich in einen fürchterlichen Drachen verwandelt hat und den Ring des Nibelungen Alberich hütet. Siegfried bemächtigt sich des Rings und des Tarnhelms, trinkt das Blut des Drachen, wird dadurch hellhörig und versteht nun die Falschheit seines Ziehvaters Mime. Er streckt den Zwerg nieder und schlägt auch dessen Bruder Alberich aus dem Feld, der ebenfalls scharf auf den mächtigen Ring ist. Göttervater Wotan (der Wanderer) hat eben vergeblich Urmutter Erda um Rat gefragt, wie seine Machtsphäre noch zu retten sei. Das Waldvögelein führt Siegfried zur schlafenden Brünnhilde. Wotan versucht noch, Siegfried den Zutritt zum Walkürenfelsen zu verwehren. Vergeblich: Der junge Held zerschlägt den Speer des Göttervaters, bricht damit dessen Macht und erweckt Wotans Tochter Brünnhilde, die den strahlenden Helden jubelnd begrüsst.

Das Werk:
Wagner begann bereits 1856 mit der Komposition des SIEGFRIED, brach aber 1857 die Arbeit im 2. Akt ab (er beschäftigte sich zwischenzeitlich mit TRISTAN UND ISOLDE und den MEISTERSINGERN). Er nahm die Komposition erst 1869 wieder auf und vollendete die Partitur 1871.
Bis zum erlösenden, strahlenden C-Dur Finale des dritten Aktes verwendet Richard Wagner in den ersten beiden Akten eher die düsteren Farben des Orchesters. Besonders die starke Präsenz der Bratschen im ersten Akt ist bemerkenswert. Sie charakterisieren die Heimtücke des Mime. Immer wieder erklingt mit den Tuben das schwarze, bedrohliche Motiv des Drachen Fafner, bevor die Hörner dann den Helden Siegfried feiern. Daneben entbehrt jedoch der erste Akt mit dem rotznasigen jungen Siegfried und dem von Falschheit nur so strotzenden Mime nicht einer gewissen Komik.Wagners orchestrale Instrumentierungs- und Charakterisierungskunst ist in diesem Werk – trotz eines zehnjährigen Kompositionsunterbruchs – auf dem Höhepunkt angelangt. Das Vorspiel zum dritten Akt verwebt äusserst kunstvoll die vielschichtigen Leitmotive.

Musikalische Höhepunkte:
Notung! Notung! Neidliches Schwert, Siegfried, Akt I
Dich holdes Vöglein, Siegfried, Akt II (Waldweben)
Wohin schleichst du?, Alberich-Mime, Akt II
Vorspiel Akt III
Wache, Wala! Wala erwach!, Wanderer-Erda, Akt III
Selige Öde auf sonniger Höh’, Siegfried Akt III
Heil dir Sonne, heil dir Licht, Brünnhilde Akt III
Ewig war ich, ewig bin ich, Brünnhilde Akt III

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