Berlin: ANDREA CHÉNIER, 16.02.2011
Oper in 4 Akten | Musik: Umberto Giordano |Libretto : Luigi Illica | Uraufführung: 28. März 1896 an der Mailänder Scala
Kritik:
Am liebsten möchte man den Mantel des Schweigens über die Qualität dieser misslungenen Aufführung von Giordanos Meisterwerk legen. Doch ist der Ärger so gross, dass es für die Psyche wohl besser ist, ihm Luft zu verschaffen. Was die Verantwortlichen dazu bewogen haben mag, welche Nöte, Zwänge oder Vorstellungen sie getrieben haben eine solch - man muss es leider sagen - desaströse Besetzung zusammenzuschustern, wird wohl immer ein Geheimnis bleiben.
Doch beginnen wir, ganz im Sinne eines lösungsorientierten Ansatzes, mit dem Positiven: Liane Keegan war von berührender Kraft als Madelon, der bewegende Abschied von ihrem Enkel rührte zu Tränen. Katarina Bradic überzeugte als bis zum bitteren Ende auf dem immer schiefer werdenden Parkett unerschütterlich Gavotte tanzende Gräfin, Julia Benzinger sang eine solide Bersi. Die restlichen kleineren Partien waren aus dem Ensemble mehr oder weniger adäquat besetzt. Als weitere Pluspunkte kann man die Konzeption John Dews anfügen (von einer "Regie" kann man leider nicht mehr sprechen, dazu war von einer stringenten Personenführung nichts mehr zu sehen) und das phänomenale Bühnenbild von Peter Sykora sowie die Kostüme von José-Manuel Vazquez. Und damit hat sich´s.
Denn das grosse Ärgernis des Abends waren die drei Protagonisten (von "Stars" kann man angesichts der Leistungen nicht sprechen). Robert Dean Smith hat in seinem Kalender für 2011 eigentlich nur Wagner und Mahler stehen. Warum er zwischen seine Tannhäuser Auftritte in Zürich nun noch den Chénier schob, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Leidenschaftslos steht er auf der Bühne herum, da ist nichts von einem Revolutionär, geschweige denn von einem glühenden Liebhaber zu spüren, weder im streckenweise zwar sehr gepflegten Gesang, noch in der Darstellung. Zwar vermeidet er gewisse Unarten, welche oft bei Tenören aus dem lateinischen Sprachraum auftreten können, doch ist sein eintöniger Gesang, sein Kleben an der Linie ohne Strahlkraft, die Arien klingen eher wie Schubert-Lieder, hohe Töne gehen in den Orchesterfluten verloren. Immerhin stimmte bei ihm die Intonation einigermassen. Dies kann man von seinem Konkurrenten um die Gunst Madeleines kaum behaupten: Der Bariton von Seng Hyoun Ko klingt brüchig, hölzern, die Vokale werden zu stark geöffnet, was oft zu einem quäkenden Eindruck führt, längere Töne kann er nicht sauber halten. Und dann bleibt noch Madeleine: Die grosse Maria Guleghina muss einen rabenschwarzen Tag gehabt haben. Den ersten Akt erlebte man noch als viel versprechend, mit angenehmem Piano vermochte sie das Kindhafte dieser Frau rüberzubringen. Doch bereits das Duett im zweiten Akt schien nicht mehr ganz zu passen, war verwackelt. Die grosse Arie im dritten Akt La mamma morta begann sie in einer Art Sprechgesang, man dachte "oh, interessanter Ansatz", doch die Schwierigkeiten nahmen zu, die Höhe klang unsauber, die dynamischen Steigerungen wurden verschenkt - schlimm. Der totale Einbruch kam im Schlussduett des vierten Bildes: Da war dann nichts mehr von "Insieme" - Robert Dean Smith sang alleine. Frau Guleghina verzichtete denn auch wohlweislich auf einen Einzelvorhang ...
Seltsam disparat auch die Unterstützung aus dem Orchester: Unter der Leitung des Ulmer GMDs James Allen Gähner klangen zwar einige wirklich schöne Momente auf, doch es fehlten die grossen Bögen, die Leidenschaft, welche eben gerade diese wunderbare Musik Giordanos ausmachen würden. Jedenfalls führte bei mir nur grade die Szene mit der alten Madelon zu Gänsehaut - zu wenig für einen Verismo-Reisser.
Inhalt:
Die Handlung der Oper findet zwischen 1789 und 1794 statt, zur Zeit der Französischen Revolution und der Schreckensherrschaft der Jakobiner in und um Paris.
1. Akt
Der Dichter Andrea Chénier ist gegen den Adel und dessen dekadenten Lebensstil eingestellt. Durch spitze Bemerkungen der adeligen Maddalena wird er dazu gebracht, eigene Verse vorzutragen. In denen übt er harsche Kritik am Adel und dessen Lebensweise. Der Diener Gérard stört das Fest, indem er Bettler von der Strasse in den Ballsaal schleppt. Er wird aus dem Haus gejagt.
2. Akt
Andrea Chénier ist im Paris der Revolution zu einem gefeierten Mann geworden. Doch die Zeiten haben sich geändert und er wird kritisch wegen seiner Beziehungen zum Adel betrachtet und gerät unter Verdacht, nicht mehr hinter den Ideen der Revolution zu stehen. Geheime Liebesbriefe halten ihn davon ab zu fliehen. Es kommt zu einer Liebesszene, die von einem Spitzel (Un Incredibile) beobachtet wird. Der Spitzel benachrichtigt Gérard, der mittlerweile zum Sekretär der Revolution aufgestiegen ist. Zwischen Gérard und Chénier kommt es zu einem Duell, bei dem Gérard schwer verwundet zusammenbricht.
3. Akt
Gérard ist wieder genesen, hat Chénier verhaften und vor Gericht stellen lassen. Im Sitzungssaal des Revolutionstribunals taucht Maddalena auf, um ihn zu retten. Gérard erkennt sie ebenfalls und fühlt, wie seine Liebe zu ihr wieder aufflammt und stärker wird. Als Preis für Chéniers Rettung fordert er ihre Liebe und sie willigt ein. Sie hält eine ergreifende Rede über ihr Schicksal während der Revolution. Diese und ihre Bereitswilligkeit, “sich zu opfern”, lassen Gérard seine Einstellung zu Chénier ändern. Gérard tritt für ihn ein und spricht sich gegen das Todesurteil aus. Dennoch kann er nicht verhindern, dass Andrea Chénier zur Guillotine verurteilt wird. Das Volk will es so.
4. Akt
Im Gefängnis: Chénier trägt seinem Freund Roucher seine letzten Verse vor. Maddalena fasst den Entschluss, mit dem Mann, den sie liebt, zu sterben. Sie besticht den Gefängniswärter und besteigt so an Stelle einer verurteilten Delinquentin zusammen mit Chénier den Karren, der sie zum Schafott bringt. Gérard versucht, eine Begnadigung zu erwirken, doch es ist zu spät. Maddalena und Chénier sind im Tode vereint.
Werk:
Wie vielen Vertretern des italienischen Verismo (Leoncavallo, Mascagni, Cilea, Zandonai) gelang Umberto Giordano mit seinem frühen Werk (er war gerade mal 29 Jahre alt) ein ganz grosser Wurf und ein Riesenerfolg, an den er mit seinen späteren Opern kaum mehr anknüpfen konnte. Obwohl der Stoff historisch ist, zählt er zu den veristischen Werken, da Giordano vor allem die hässlichen Seiten der Revolution zeigt, den Aufstieg des kleinen Mannes, die Drastik der Revolution, die ihre eigenen Kinder frisst. In der Deiecksgeschichte weist die Handlung auch in der musikalischen Umsetzung eine gewisse Parallele zu Puccinis späterer TOSCA auf. Deklamationsstil pathetischer Art wechselt mit herrlich aufblühenden ariosen Momenten und breit strömender, mitreissender Melodik. Die Oper zählt zu den bühnenwirksamsten Stücken des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Musikalische Höhepunkte:
“Un dì all’azzuro spazio” (Chénier, 1. Akt)
“La mamma morta” (Maddalena, 3. Akt) bekannt als Filmmusik aus dem AIDS Drama “Philadelphia” mit Tom Hanks
“Nemico della patria” (Gérard, 3. Akt)
“Come un bel dí di Maggio” (Chénier, 4. Akt)