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Zürich, Tonhalle: WAGNER; STRAUSS, 09.12.2021

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Vier letzte Lieder/Alpensinfonie

Applausbilder, 9.12.2021, K. Sannemann

Richard Wagner: Ouvertüre und Bacchanale aus TANNHÄUSER | Uraufführung der Oper: 19. Oktober 1845 in Dresden, 13. März 1861 in Paris | Richard Strauss: VIER LETZTE LIEDER | Uraufführung: 22. Mai 1950 in London | Richard Wagner: SIEGFRIED-IDYLL | Uraufführung: 25. Dezember 1870 in Tribschen bei Luzern | Richard Strauss: TOD UND VERKLÄRUNG | Uraufführung: 21. Juni 1890 in Eisenach | Diese Konzert in Zürich: 9. und 10.12.2021

Kritik:

Ganz zart schimmert gegen Ende des Liedes Im Abendrot von Richard Strauss das Verklärungsmotiv aus seiner Tondichtung Tod und Verklärung im Hornsolo auf. Zwischen den beiden Kompositionen liegen beinahe 60 Jahre eines unglaublich reichhaltigen musikalischen Schaffens. Im Sterben liegend bekannte Richard Strauss gegenüber seiner ihn umsorgenden Schwiegertochter Alice: "Ich fürchte mich nicht vor dem Sterben ... Was ich jetzt erlebe, könnte ich alles komponieren - ich hab'es ja schon vor 60 Jahren geschrieben, es ist ganz richtig so (wie in Tod und Verklärung)." Genau das ist es, was uns auch heute noch so berührt an Strauss' Auseinandersetzung mit dem Sterben und dem Tod: Die Musik verströmt eine Tröstlichkeit die das Herz erwärmt, den "freien Flug" der Seele (Hesses Worte in Beim Schlafengehen) in ein goldenes Licht taucht. Dieses herbstlich-warme Licht strömte gestern Abend auch in den grossen Saal der Tonhalle Zürich während der bewegenden Wiedergabe der VIER LETZTEN LIEDER des Komponisten. Der Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller gelang es, den der Musik Strauss' und den Dichtungen Hesses und Eichendorffs innewohnenden Gehalt zum Leuchten zu bringen. Im ersten Lied Frühling lag vielleicht noch etwas viel Druck auf ihrer Stimme, doch bereits da zeigte sich ihre herausragende Qualität des blitzsauberen Tonansatzes in hohen Lagen. Im zweiten Lied September klang ihre bezaubernd schöne Stimme dann jedoch perfekt zentriert und mit der so passenden bronzenen Färbung. Himmlisch gelangen die langen Bögen im dritten Lied Beim Schlafengehen, wo sie die vom Konzertmeister des Tonhalle-Orchesters Zürich, Klaidi Sahatçi, ebenso wunderbar zart intonierte Melodie der Solovioline unendlich schön weitersponn und den erwähnten freien Flug der Seele evozierte. Im Abendrot schliesslich bestach Hanna-Elisabeth Müller mit Schönheit, gebotener Schlichtheit und Wahrhaftigkeit des Ausdrucks und das Tonhalle-Orchester Zürich unter der so wunderbar mitatmenden und einfühlsamen Leitung durch Marek Janowski intonierte die ausgedehnten orchestralen Passagen mit der von Strauss so unnachahmlich schön konzipierten transparenten und berührenden klanglichen Pracht. Von diesen vier Liedern "die zum schönsten, zartesten und ergreifendsten gehören, das Strauss geschaffen hat" (Zitat des Strauss Freundes und Kenners Dr. Willi Schuh) kann man nie genug bekommen - und die Aufführung gestern Abend hat dies aufs Herrlichste bestätigt.

Umso schöner war es, dass man auch die Auseinandersetzung des jungen Richard Strauss mit dem Thema Tod an diesem Abend erleben durfte. Die Tondichtung TOD UND VERKLÄRUNG des 25jährigen Meisters zeigt seine gewaltige Meisterschaft in der Instrumentierung und der Handhabung des plastischen, transparenten Orchesterklangs. Diesem blieb das Tonhalle-Orchester Zürich unter dem ohne Partitur dirigierenden Maestro Marek Janowski nichts an Effekt und Tiefgründigkeit schuldig. Die unregelmässigen Herzschläge des Sterbenden, die Schmerzen des Todeskampfs, die vorbeihuschenden Reminiszenzen aus der Jugend und schliesslich die gloriose Verklärung mit dem zur Erhabenheit aufsteigenden Hauptthema des Künstlers wurden mit eindringlich tonmalerischer Wucht und Schönheit herausgearbeitet. Arpeggien der Harfen, bezaubernde Passagen der Flöten oder der Solovioline klangen nie zu süsslich und doch voll exquisiter Schönheit. Aber auch die schmerzhaften Dissonanzen rüttelten auf. Gebührend ausladend wurden die Gänsehaut-Kulminationen zum Klingen gebracht, die Akustik in der Tonhalle erträgt auch bestens ein voll zupackendes Riesenorchester, wie es Strauss so gerne einsetzte, denn auch die in orchesteraler Breite auftrumpfenden fortissimo-Passagen wirkten nie breiig oder lärmig.

Dem einen Richard wurde im Programm der andere Richard gegenübergestellt - Strauss gegen Wagner. Programmiert wurde quasi ein viersätziger Abend, mit zwei exaltierteren Ecksätzen (TANNHÄUSER-Ouvertüre und Bacchanale von Wagner und TOD UND VERKLÄRUNG von Strauss) und zwei intimeren Binnensätzen (VIER LETZTE LIEDER von Strauss und das SIEGFRIED-IDYLL von Wagner). Der renommierte Wagner-Kenner Marek Janowski dirigierte selbstverständlich auch das SIEGFRIED-IDYLL auswendig. Gespielt wurde natürlich die Orchesterfassung (für gross besetztes Orchester), welche dem eigentlich sehr intim gehaltenen Werk nur bedingt gerecht wird. Intensive Wirkung entfalteten vor allem die Motive, welche Wagner seiner gerade im Entstehen begriffenen Oper SIEGFRIED entlehnt hatte. Die flirrenden Streicher erfüllten das Waldweben mit stimmiger Atmosphäre, mit ruhiger Hand liess Janowski die tonmalerischen Gedanken Wagners zur Natur und zur Familie (das Tapsen seines gerade mal einjährigen Sohnes Siegfried ist deutlich zu hören) vorbeifliessen. Es ist meines Erachtens ein Stück, das in der originalen kammermusikalischen Fassung seinen Reiz haben kann, für das grosse Orchester jedoch irgendwie zu wenig Substanz hat. In seiner ruhigen, unaufgeregten und manchmal fast kindlichen Art und mit dem so unpathetisch sanften Verklingen (wunderschön ausgehorcht vom Tonhalle-Orchester Zürich) ist es ziemlich untypisch für Wagner. Cosima hatte vielleicht doch recht, dass sie sich gegen eine Veröffentlichung dieser (einzigen) sinfonischen Dichtung Wagners ausgesprochen hatte ... .

Richard Wagner vom Allerfeinsten wurde allerdings mit der den Konzertabend eröffnenden TANNHÄUSER-OUVERTÜRE und dem BACCHANALE geboten. Das Pilgermotiv von den Hörnern mit so wunderbar reinem Klang intoniert, von den Celli herrlich stömend aufgenommen, die unter die Haut gehenden, rasanten Violinfiguren beim ersten Crescendo des Hauptmotivs, die noch an das Vorbild Carl Maria von Webers angelehnten Jubelmotive der Ouvertüre und dann die weit in die Zukunft weisende "Ballett"-Musik des Bacchanales mit ihrer Chromatik, den scharfen, präzis gespielten Holzbläserpassagen und dem gleissenden Blech und dem origiastischen Schlagwerk verfehlten nicht ihre Wirkung, ebensowenig wie die sanft lockenden Venusrufe, die am Ende nochmals kurz dem Pilgermotiv weichen musten. Ein fulminanter Beginn war das in einen vor allem durch die Kompositionen von Strauss bewegenden Konzertabend.

Werke:

Noch kurz vor seinem Tod erwähnte Richard Wagner (1813 - 1883), er sei der Welt noch einen TANNHÄUSER schuldig. Zwar war die Oper fertig komponiert, lag aber in zumindest drei Fassungen vor, und es scheint, dass Wagner mit keiner vollständig zufrieden war. Nach der Uraufführung 1845 in Dresden nahm Wagner bereits erste Änderungen an der Partitur vor. 1860 ergriff Wagner die Chance, in Paris, der Metropole der damaligen Opernwelt, Fuss zu fassen (wo bisher der von Wagner verachtete Meyerbeer triumphiert hatte). Allerdings sollte Wagner die Pariser Gepflogenheit eines Balletts im zweiten Akt einhalten. Daran hielt er sich nicht (tanzende Minnesänger wären ja auch wirklich lächerlich gewesen), sondern schuf das Bacchanale im ersten Akt, der im Venusberg spielt. Doch die Pariser Herren (die nur wegen des Balletts in den Logen sassen) griffen schon bald zu Trillerpfeifen und störten die Aufführung dermassen, dass Wagner den TANNHÄUSER zurückzog. Für Wien erarbeitete er nochmals eine Fassung, welche das Bacchanale in die zweite Dresdener Fassung integrierte. Er plante auch, den TANNHÄUSER ins Repertoire der Bayreuther Festspiele aufzunehmen, war sich aber nicht schlüssig, welcher Fassung er den Vorzug geben sollte. Daher sein Ausspruch: "Ich bin der Welt noch einen TANNHÄUSER schuldig."

Richard Strauss' (1864 - 1949) so genannte VIER LETZTE LIEDER entstanden während seines Aufenthalts gegen Ende seines Lebens in der Schweiz im Jahre 1948. Sein Sohn Franz beobachtete, dass der Vater gegen Ende seines Lebens zunehmend depressiver wurde und sich in umtriebiger und sinnloser Korrespondenz mit Kulturfunktionären verlor. Deshalb drängte Franz seinen Vater, sich wieder der Komposition von Liedern zuzuwenden. Richard Strauss nahm schliesslich den Rat seines Sohnes an und vervollständigte eine Skizze zu Eichendorffs Im Abendrot, die seit zwei Jahren in seiner Schulblade lag. Er vertonte noch drei weitere Gedichte (Frühling, September, Beim Schlafengehn von Hermann Hesse) und übergab die vier Lieder seiner Schwiegertochterf Alice mit den schroffen Worten: "Da sind die Lieder, die dein Mann bestellt hat." Mit gewohnter Schönheit und Raffinesse der Kantilenenführung setzte sich Strauss am Ende seines Lebens mit den Themen Abschied und Tod auseinander. (Hesse war über die Vertonung übrigens nicht allzu glücklich, für ihn klang das alles zu geglättet und zu oberflächlich auf Wohlklang bedacht.) Strauss erlebte die Uraufführung vom 22. Mai 1950 in London (mit Kristen Flagstad und dem Phiharmonia Orchestra unter Wilhelm Furtwängler) nicht mehr, er starb am 8. September 1949 in Garmisch-Partenkirchen.

Richard Wagner lebte von 1866-1871 in der Tribschener Villa bei Luzern, es war für ihn eine glückliche Zeit. 1870 war die Scheidung Cosimas von Hans von Bülowendlich rechtskräftig geworden und Richard Wagner konnte Cosima im Sommer 1870 heiraten, die Zeit der "wilden" Ehe war vorüber. Der gemeinsame Sohn Siegfried war nun ein Jahr alt. Zu Cosimas 33. Geburtstag am 25. Dezember 1870 komponierte Wagner heimlich das „Tribschener Idyll mit Fidi-Vogelgesang und Orange-Sonnenaufgang, als Symphonischer Geburtstagsgruss. Seiner Cosima dargebracht von Ihrem Richard“ . Er liess das Stück von 15 Mitgliedern des Zürcher Tonhalleorchesters auf der Treppe und in den Gängen der Villa als morgendlichen Geburtstagsgruss für Cosima aufführen. Cosima war zu Tränen gerührt. Es ist aber auch ein wunderschönes, idyllisches Musikstück und stellt die einzige sinfonische Dichtung aus der Feder Wagners dar. Wagner entnahm dazu einige Motive aus seinem kürzlich vollendeten SIEGFRIED, dem dritten Teil seines RING DES NIBELUNGEN. Das intime Werk war eigentlich nicht für eine Veröffentlichung gedacht, vor allem Cosima sträubte sich dagegen. Doch Wagner war 1878 mal wieder in Geldnöten und liess es drucken, den langen Titel änderte er jedoch in Siegfried-Idyll.

Nicht nur bei seinen VIER LETZTEN LIEDERN hat sich Richard Strauss mit dem Sterben auseinandergesetzt, sondern auch 60 Jahre zuvor, als 25jähriger aufstrebender Komponist mit seiner Tondichtung TOD UND VERKLÄRUNG. Schon früh hatte Strauss erkannt, dass sich die traditionelle sinfonische Form überlebt hatte, der Sonatensatz mit Beethoven ausgereizt war. So strebte er neue Lösungen an. Beeinflusst wurde er dabei von seinem 31 Jahe älteren Freund Alexander Ritter, selber Komponist und Geiger, bekannt mit Liszt und Wagner, verheiratet mit Wagners Nichte Franziska. Strauss' Tondichtung TOD UND VERKLÄRUNG (seine vierte von insgesamt zehn vollendeten Tondichtungen) entstand 1890, nach AUS ITALIEN, DON JUAN und MACBETH. Strauss griff dabei nicht auf eine literarische Vorlage zurück, sondern entwickelte den Stoff selbst: Ein im Sterben liegender Künstler erfährt im Tod seine Verklärung und findet in der Ewigkeit sein Ideal. (Das kitschig-banale Gedicht von Alexander Ritter wurde übrigens erst nach der Fertigstellung der Partitur geschrieben und heutzutage kaum mehr als Programmheftbeigabe verwendet). Nach der unregelmässig atmenden Einleitung (das Sterben) folgen die grässlichen Schmerzen, episodische (Traum-)Bilder aus der Jugend, dann taucht das Hauptthema auf, das künstlerische Ideal, das diverse Verwandlungen durchschreitet und in der Coda mit Erhabenheit zur C-Dur-Kulmination gebracht wird. Sogar der nörglerische Kritiker Eduard Hanslick erkannte darin das dramtische Potential des jungen Komponisten, der sich danach seiner ersten Oper GUNTRAM zuwandte, noch einige Tondichtungen schrieb und schliesslich ab 1905 (SALOME) auf den Opernbühnen der Welt Triumphe feiern konnte.

Karten

 

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