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Zürich, Tonhalle: ORFEO ED EURIDICE; 30.11.2024

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Orfeo ed Euridice

Applausbild, 30.11.2024, K. Sannemann

Cecilia Bartoli und Mélissa Petit gastieren mit Glucks Meisterwerk ORFEO ED EURIDICE (der erfolgreichen Produktion der Salzburger Pfingstfestspiele 2023) in der Tonhalle Zürich

Azione drammatica in drei Akten | Musik: Christoph Willibald Gluck | Libretto: Ranieri de' Calzabigi | Uraufführung: 5. Oktober 1762 in Wien | Uraufführung französische Fassung: 2. August 1774 in Paris | Cecilia Bartoli hat die Fassung der Aufführung in Parma gewählt, welche am 24. August 1769 am Teatrino di Corte dort uraufgeführt worden war.

Kommende Aufführungen dieser Salzburger Produktion finden in Köln (22.11.), in Baden-Baden (24.11.), in Wiesbaden (26.11.) und in Zürich (30.11.2024) statt.

Kritik

ERGRIFFENHEIT PUR - Was in einem Opernhaus kaum je der Fall ist (da brandet der Applaus bei BUTTERFLY oder BOHÈME jeweils bereits während des letzten Akkords auf), schaffte diese halbszenische Aufführung von Glucks ORFEO ED EURIDICE in der Tonhalle Zürich: Nach diesem von den Musiciens du Prince - Monaco und den Sänger*innen von Il Canto di Orfeo so unendlich zart intonierten Verklingen des am Ende wiederholten Eingangs-Trauerchors und dem langsamen Erlöschen des Lichts und der Kerzen in den Händen des Chors herrschte minutenlange, ergriffene Ruhe im Saal, bevor die Ausführenden mit begeistertem Applaus für ihre Leistungen vom Publikum in der vollbesetzten Tonhalle Zürich gewürdigt wurden. Zu Recht, denn diese wunderbare Aufführung von Glucks Meisterwerk vermochte zu berühren - und die von Gluck in seinem Vorwort zu einer seiner anderen Opern - ALCESTE - postulierte linguaggio del cuore (die Sprache des Herzens) floss einfach mit traumhafter Schönheit aus den Kehlen der beiden Solistinnen und des fabelhaften Chors.

Im Zentrum dieser Oper steht natürlich die Partie des Orfeo - und damit die Interpretin und Initiatorin dieser gefeierten Produktion der Pfingstfestspiele Salzburg vom vergangenen Jahr, die vom Zürcher Publikum (und weltweit) so sehr geliebte Cecilia Bartoli. Für einmal standen nicht ihre Fähigkeiten zu halsbrecherischen Koloraturen und beeindruckenden Ausbrüchen in tiefe und hohe Register im Zentrum, sondern ihre totale stimmliche und darstellerische Hingabe an die Partie. So schnell macht ihr niemand die souveräne, ungetrübte Beherrschung des sotto-voce-Singens nach, die ungemein berührenden Phrasen im Pianissimo, welche tief empfundene Trauer und Verzweiflung auszudrücken vermögen. Ihr stimmliches Volumen war nie besonders gross, doch sie kennt die Grenzen, forcierte in keinem Moment, artikulierte die Phrasen ab und an wie gehaucht und verleitete so das Ohr zum ganz genauen Hinhören. Das war beeindruckend! Manche empfinden vielleicht die Art ihres Singens und die zum Teil sehr gedehnten und dann wieder ungemein rasant gewählten Tempi als zu manieriert. Doch gerade in der in Rondo-Form gehaltenen, berühmten Arie Che farò senza Euridice machte das vom seelischen Empfinden her Sinn: Zu Beginn fast atemlos schnell jeweils in den A-Teil der Arie einsteigend, bei der letzten Wiederholung dann beinhahe in stockendender Langsamkeit. Erst die unfassbare Verzweiflung, dann immer mehr in tiefste Trauer und Selbstvorwürfe versinkend. Einmalig in der Ausdrucksstärke! Cecilia Bartoli ist eine Sängerin, die nie sich selbst in der Vordergrund rückt, sondern eine Rolle mit einer intensiven Körperlichkeit und stimmlichen Intensität darstellt, die ungemein fesselt und geradezu bannt.

An ihrer Seite berührte Mélissa Petit genauso als Euridice und mit der Arie des Amor im ersten Akt: Ihr wunderbar hell und silbern timbrierter Sopran harmonierte in der grossen Szene in der Unterwelt perfekt mit Bartolis Mezzo; sie vermochte ihre Enttäuschung über das distanzierte Verhalten Orfeos (er darf sie nicht anschauen) mit bewegender Eindringlichkeit auszudrücken.

Die auf historischen Instrumenten spielenden Musiciens du Prince - Monaco liessen nicht nur in den populären Zwischenspielen - wie dem so wunderbar intonierten Reigen der seligen Geister - und der herrlich-festlichen Ouvertüre aufhorchen, sondern waren weit mehr als blosse Begleiter in den Arien und den Accompagnati. Immer wieder blitzten fantastisch gespielte solistische Phrasen und Figuren auf, die Spieler der Solo-Oboe und die Solo-Flöte erhoben sich gar von ihren Plätzen und spielten ihre wunderbaren Passagen stehend neben den Protagonistinnen und dem Dirigenten Gianluca Capuano, der diese Aufführung mit seiner prägnanten und einfühlsamen Art des Musizierens hervorragend zu gestalten wusste. Auffallend war, dass die Geigen und die Bratschen den ganzen Abend im Stehen spielten.

Il Canto di Orfeo, dieses von Gianluca Capuano gegründete Vokal- und Instrumentalensemble, beeindruckte mit herrlicher Klangfülle, Geschmeidigkeit, vortrefflicher Genauigkeit und Zärtlichkeit der Intonation und beeindruckender dynamischer Gestaltungskraft. Die Furienszene ging regelrecht unter die Haut, sogar die Bartoli als Orfeo wich beinhahe erstarrt vor Schreck ins Parkett aus. Überhaupt war diese halbszenische Aufführung von einer dermassen stringenten Lebendigkeit geprägt, dass man eine Szene oder gar ein an den Haaren herbeigezognes Regiekonzept in keinem Moment vermisste. Das überaus spannend gestaltete Lichtkonzept unterstrich die Dramatik der Handlung genauestens.

Am Ende gab es Blumensträusse von den Fans im Publikum und vom Veranstalter: Auf ihre unnachahmlich sympathische Art verteilte Cecilia Bartoli Blumen daraus an Mitglieder des Orchesters und des Chors! Das Publikum erhob sich zu einer standing ovation.

Inhalt:

Orpheus beklagt zusammen mit den Hirten den Tod seiner Gattin Eurydike. Er verflucht die Götter der Unterwelt. Amor überbringt ihm die Erlaubnis des Göttervaters Zeus, in die Unterwelt, den Hades, hinabzusteigen. Allerdings müsse es ihm da gelingen, die Furien mit seinem Gesang zu besänftigen. Zudem darf er Eurydike nur unter der Voraussetzung sich auf dem Rückweg aus der Unterwelt nicht nach ihr umzusehen zu den Lebenden zurückführen.

Im zweiten Akt empfangen die wütenden Geister der Unterwelt den Sänger Orpheus. Auf seine Bitten um Einlass antworten sie ostentativ mit NO. Doch die Macht der Musik erweicht die Gemüter der Furien zusehends, so dass Orpheus schliesslich der Zutritt gewährt wird. Er betritt das Elysium, die heiteren seligen Geister empfangen ihn. Orpheus wird zu Eurydike geleitet.

Orpheus will nun Eurydike aus der Unterwelt geleiten. Doch diese wird ein bisschen störrisch, da Orpheus sie nie anblickt. Sie fühlt sich von ihm nicht mehr geliebt, will lieber wieder in die Unterwelt zurückkehren. Orpheus ist dieser Klage Eurydikes nicht mehr gewachsen und verliert seine Standfestigkeit – er dreht sich nach ihr um, will sie in seine Arme nehmen. In diesem Moment fällt Eurydike leblos zu Boden. Orpheus hebt zu seiner grossen Klage an : Que farò senza Euridice? Er will nicht mehr länger leben. Als Deus ex machina erscheint wiederum Amor, entreisst Orpheus den Dolch und führt ihm die Gattin zu.

Werk:

Die Orpheus-Sage gehört wohl zu den am häufigsten vertonten Stoffen. Die erste Oper, deren Musik die Jahrhunderte überdauert hat, war Jacopo Peris EURIDICE (um 1600). Kurze Zeit später folgte Monteverdi mit seinem L`ORFEO, im Barockzeitalter gab es ebenfalls verschiedene Vertonungen der Sage, z.B. von Telemann und Graun. Dann folgten Gluck, Haydn und Paër. Aus dem 19. Jahrhundert ragt nur Offenbachs Parodie ORPHÉE AUX ENFERS heraus, doch im 20. Jahrhundert regte der mythische Stoff erneut viele Komponisten an: Debussy (unvollendet), Milhaud, Krenek, Henze, Birtwistle, Glass.

Christoph Willibald Ritter von Gluck (1714-1787) gilt als Reformator der Oper. Er befreite die damals populäre neapolitanische Oper mit ihren Sängerstars (viele von ihnen Kastraten) von allem virtuosen Zierat und versuchte zum natürlichen, dem Text verpflichteten Gefühlsausdruck zu gelangen. Die Secco-Rezitative wurden durch Accompagnati ersetzt. ORFEO ED EURIDICE stand am Beginn von Glucks so genannten „Reformopern“. Ganz ablegen konnte er auch darin die Konventionen noch nicht: So ist die Hauptpartie für einen Kastraten geschrieben worden (heute wird diese Wiener Fassung meist von einer Altistin oder Mezzosopranistin gesungen oder von einem Countertenor),Gluck setzte auch Da-capo-Arien ein und übernahm Passagen aus anderen Werken, was eigentlich der textbezogenen, natürlichen Ausdruckskraft eher zuwiderlaufen müsste. Doch insgesamt erreichte Gluck in dieser Oper eine tief berührende Kraft des musikalischen Ausdrucks, fand zu schmerzerfüllten Passagen, zu Leidenschaft, Zärtlichkeit, Verzweiflung und Wut – entwarf eine Klangmagie, der man sich kaum entziehen kann.

Für Paris schrieb Gluck die Partie des Orpheus für Tenor um, erweiterte die Partitur durch weitere Arien und Balletteinlagen. Oftmals wurde versucht, aus dramaturgischen Gründen Mischfassungen aus der Wiener und der Pariser Fassung auf die Bühne zu bringen, meist erfolglos.

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