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Berlin, Staatsoper: ORFEO ED EURIDICE, 13.10.2016

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Orfeo ed Euridice

copyright: Matthias Baus, mit freundlicher Genehmigung Staatsoper Berlin

Azione drammatica in drei Akten | Musik: Christoph Willibald Gluck | Libretto: Ranieri de' Calzabigi | Uraufführung: 5. Oktober 1762 in Wien | Uraufführung französische Fassung: 2. August 1774 in Paris | Aufführungen in Berlin: 8.10. | 13.10. | 15.10. | 19.10.2016

Kritik: 

Von einem rundum geglückten und beglückenden Opernabend ist zu berichten, einem Abend, der geprägt war von bewegender musikalischer Ehrlichkeit, Schlichtheit und Demut vor dem Komponisten und seinem Werk und einer einfühlsamen, zurückhaltenden szenischen Umsetzung.

Es war dies die neunte Vorstellung seit der Premiere anlässlich der Festtage im März 2016, und sie wurde musikalisch von einem komplett neu zusammengesetzten Team gestaltet. Am Pult stand nun mit Alessandro De Marchi ein ausgewiesener Barockspezialist. Zusammen mit der Staatskapelle Berlin wurde ein wunderbar homogener Gesamtklang erreicht: Das leicht hochgefahrene Orchester sorgte zusammen mit den beiden Sängerinnen (Euridice und Amor) und dem Sänger des Orfeo sowie dem wunderbar intonierenden Staatsopernchor (Einstudierung: Martin Wright) für ein fantastisch ausbalanciertes Klangbild, für eine konzentrierte Intensität, welche einen unmittelbar in das Geschehen hineinzog, berührte und fesselte. Die knapp 80 Minuten dauernde Aufführung war eigentlich viel zu schnell vorbei, sie hätte gut und gerne nochmals von vorne beginnen können – und irgendwie tat sie das auch, denn der Regisseur Jürgen Flimm traute dem lieto fine, dem glücklichen Ausgang der Orpheus-Sage nicht so ganz. Am Ende, nach den Lobpreisungen Amors, der Schönheit, der Treue der Liebenden erklingt nämlich nochmals die Trauermusik des Anfangs und wir sehen Orfeo am offenen Grab der Geliebten, die Asche seines Instruments ins Grab streuend, wie er es schon im ersten Akt getan hatte. Somit war sein Abstieg in den Hades, die Errettung seiner Euridice aus dem Elysium nur ein Trugbild gewesen, ein aus Verzweiflung und Trauer geborener Wunschtraum. Dies alles gestaltete Flimm mit Dezenz und Geschmack, die passenden Kostüme in Schwarz und Weiss entwarf Florence von Gerkan, die Bühne wurde von den Gehry Partners LLP konzipiert, wobei natürlich Frank Gehrys spektakulär verschachtelte abstrakte Plastik für das Elysium besonders ins Auge stach. Nur langsam wird sie im zweiten Akt sichtbar, ist zuerst hinter einer Mauer aus Eisquadern verborgen, fährt dann nach vorne und wird von den feiernden Hochzeitspaaren des Elysiums in Beschlag genommen, der berühmte Reigen der seligen Geister. Doch noch viel eindringlicher ist der dritte Akt: Die Plastik dreht sich und dahinter wird ein modernistisches Hotelzimmer sichtbar, in welchem die große Auseinandersetzung zwischen Orfeo und Euridice ausgetragen wird. „Szenen einer Ehe“ quasi – die sich durch jede zwischenmenschliche Beziehung ziehenden Fragen werden diskutiert, die Fragen nach Treue, Vertrauen, Liebe. Das ist von Flimm szenisch ganz grandios gemacht: Da sind die Verführungskünste Euridices, welche ihrem Mann ihre Unterwäsche zuwirft um sein Interesse an ihr wieder anzustacheln, ihr Griff zur Zigarette, welche sie vor lauter Enervierung nicht anzünden kann, die typischen Verhaltensweisen des Mannes, der bei Konflikten lieber eine Flasche aus der Minibar nimmt und den Fernseher einschaltet, als sich der Diskussion zu stellen. Herrlich! Dazu bedarf es natürlich glaubhafter Sängerdarsteller – und die hat die Staatsoper Berlin auch in dieser Wiederaufnahme zur Verfügung: Der Countertenor Max Emanuel Cencic singt und spielt einen einnehmenden, fesselnden und attraktiven Orfeo. Quälend und von immenser Trauer erfüllt sind seine „Euridice“- Einwürfe in der Eröffnungsszene, bewegend die drei Arietti im ersten Akt, welche vom Verlust und der Trauer handeln, unterbrochen durch expressiv gestaltete Rezitative. Ganz großartig gelingen dann auch die Lobpreisung des Elysiums im zweiten Akt Que puro ciel und die bekannteste Arie der Oper Que farò senza Euridice im dritten Akt. Max Emanuel Cenci singt diese Juwel einer Trauerarie (welche in Dur komponiert ist!) mit berührender Schönheit der Phrasierung und der Intonation. Mit der eben von der OPERNWELT als Nachwuchskünstlerin des Jahres ausgezeichneten Elsa Dreisig als Euridice steht dem Orfeo eine Partnerin mit fantastischer Bühnenpräsenz und einer lyrischen, bruchlos in allen Lagen blühenden Sopranstimme von herausragender Qualität zur Seite. Wunderschön und voll jugendlicher Frische und Enthusiasmus leuchtet auch die helle Stimme von Narine Yeghiyan als Amor.

Glucks Reformopern führen zur Zeit eher ein Mauerblümchendasein. Das ist schade, denn die Qualitäten seiner Werke sind unüberhörbar, gerade wenn sie mit solcher Akkuratesse umgesetzt werden, wie ORFEO ED EURIDICE an der Staatsoper Berlin. Es ist eine Ehrlichkeit und Stringenz des Ausdrucks spür- und hörbar, welche sich deutlich absetzt von den zum Teil aufgesetzt und übertrieben wirkenden Affekten der weitaus populäreren Händel-Opern mit ihren unendlichen effektgeladenen Da capo Arien.

Inhalt:

Orpheus beklagt zusammen mit den Hirten den Tod seiner Gattin Eurydike. Er verflucht die Götter der Unterwelt. Amor überbringt ihm die Erlaubnis des Göttervaters Zeus, in die Unterwelt, den Hades, hinabzusteigen. Allerdings müsse es ihm da gelingen, die Furien mit seinem Gesang zu besänftigen. Zudem darf er Eurydike nur unter der Voraussetzung sich auf dem Rückweg aus der Unterwelt nicht nach ihr umzusehen zu den Lebenden zurückführen.

Im zweiten Akt empfangen die wütenden Geister der Unterwelt den Sänger Orpheus. Auf seine Bitten um Einlass antworten sie ostentativ mit NO. Doch die Macht der Musik erweicht die Gemüter der Furien zusehends, so dass Orpheus schliesslich der Zutritt gewährt wird. Er betritt das Elysium, die heiteren seligen Geister empfangen ihn. Orpheus wird zu Eurydike geleitet.

Orpheus will nun Eurydike aus der Unterwelt geleiten. Doch diese wird ein bisschen störrisch, da Orpheus sie nie anblickt. Sie fühlt sich von ihm nicht mehr geliebt, will lieber wieder in die Unterwelt zurückkehren. Orpheus ist dieser Klage Eurydikes nicht mehr gewachsen und verliert seine Standfestigkeit – er dreht sich nach ihr um, will sie in seine Arme nehmen. In diesem Moment fällt Eurydike leblos zu Boden. Orpheus hebt zu seiner grossen Klage an : Que farò senza Euridice? Er will nicht mehr länger leben. Als Deus ex machina erscheint wiederum Amor, entreisst Orpheus den Dolch und führt ihm die Gattin zu. 


Werk:

Die Orpheus-Sage gehört wohl zu den am häufigsten vertonten Stoffen. Die erste Oper, deren Musik die Jahrhunderte überdauert hat, war Jacopo Peris EURIDICE (um 1600). Kurze Zeit später folgte Monteverdi mit seinem L`ORFEO, im Barockzeitalter gab es ebenfalls verschiedene Vertonungen der Sage, z.B. von Telemann und Graun. Dann folgten Gluck, Haydn und Paër. Aus dem 19. Jahrhundert ragt nur Offenbachs Parodie ORPHÉE AUX ENFERS heraus, doch im 20. Jahrhundert regte der mythische Stoff erneut viele Komponisten an: Debussy (unvollendet), Milhaud, Krenek, Henze, Birtwistle, Glass.

Christoph Willibald Ritter von Gluck (1714-1787) gilt als Reformator der Oper. Er befreite die damals populäre neapolitanische Oper mit ihren Sängerstars (viele von ihnen Kastraten) von allem virtuosen Zierat und versuchte zum natürlichen, dem Text verpflichteten Gefühlsausdruck zu gelangen. Die Secco-Rezitative wurden durch Accompagnati ersetzt. ORFEO ED EURIDICE stand am Beginn von Glucks so genannten „Reformopern“. Ganz ablegen konnte er auch darin die Konventionen noch nicht: So ist die Hauptpartie für einen Kastraten geschrieben worden (heute wird diese Wiener Fassung meist von einer Altistin oder Mezzosopranistin gesungen oder von einem Countertenor), er setzte Da-capo-Arien ein und übernahm Passagen aus anderen Werken, was eigentlich der textbezogenen, natürlichen Ausdruckskraft eher zuwiderlaufen müsste. Doch insgesamt erreicht Gluck in dieser Oper eine tief berührende Kraft des musikalischen Ausdrucks, findet zu schmerzerfüllten Passagen, zu Leidenschaft, Zärtlichkeit, Verzweiflung und Wut – zu einer Klangmagie, der man sich kaum entziehen kann.

Für Paris schrieb Gluck die Partie des Orpheus für Tenor um, erweiterte die Partitur durch weitere Arien und Balletteinlagen. Oftmals wurde versucht, aus dramaturgischen Gründen Mischfassungen aus der Wiener und der Pariser Fassung auf die Bühne zu bringen, meist erfolglos.

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