Zürich, Tonhalle: MAHLER 7.SINFONIE; 09.11.2024
Paavo Järvi und das Tonhalle-Orchester Zürich mit Mahlers 7. Sinfonie
Uraufführung: 19. September 1908 in Prag, unter der Leitung des Komponisten | Aufführungen in Zürich: 8.11. | 9.11. und 10.11.2024
Kritik:
Per aspera da astra - spätestens seit Beethovens Meistersinfonien kämpfen sich Komponisten in ihren sinfonischen Werken oftmals aus dem Dunkel ins Licht. So auch Gustav Mahler z. B. in seiner fünfsätzigen 7. Sinfonie, ein Opus ganz besonderen Ausmasses - und ein qualvoller Schaffungsprozess (Mahler hatte in den vier Jahren, während derer er an der Sinfonie arbeitete, von den ersten Skizzen der Nachtmusiken bis zu den letzten Feinschliffen an der Partitur während der Proben zur Uraufführung, viel Schweres zu ertragen: Hasstiraden auf ihn, teils antisemitisch geprägt, in Wien, wo er die Hofoper leitete, den Tod seiner Lieblingstochter Marie und regelrechte Schreibblockaden, die ihn in Trübsinn stürzten). Trotz all dieser Widrigkeiten ist eine grandiose Sinfonie entstanden, ein regelrechtes Klangbad mit unterschiedlichen Temperaturen, in welches man dank der durchwegs spannungsgeladenen Interpretation durch das bestens disponierte Tonhalle-Orchester Zürich unter der ungemein explosiv formenden Leitung Paavo Järvis noch so gerne eintauchte. Vom düsteren Beginn der Adagio-Einleitung zum ersten Satz (abgelauscht den Ruderschlägen, welche den depressiven Mahler ans andere Ufer des Wörthersees brachten) bis zum so schmerzhaft und blechgewaltig gleissenden C-Dur Finalrondo, dessen Jubel man kaum aushält - und doch am Ende in diesem gewaltigen Strudel mitgerissen wird. Die Reise dahin führte nach der kurzen, schwer lastenden Adagio-Einleitung mit dem selten verwendeten Tenorhorn durch den forsch danhinlärmenden ersten Satz, in dem oftmals ein jauchzendes Kreischen wie von spielenden Kindern zu vernehmen war, Fanfaren des Blechs mit dem "Karfreitagszauber" verwandten, ruhigeren, naturnahen Passagen wechselten, ein Trauermarsch sich jäh durchsetzte, alles grandios vom Tonhalle-Orchester und Järvi ineinander verwoben. In der Reprise (der Satz ist in einer Art freien Sonatensatzform gehalten) setzte sich das Hauptthema mit markanter Vehemenz durch, wobei die Schlagzeuggruppe des Orchesters prägnante Akzente zu setzen wusste. In der Nachtmusik I bewunderte man den schönen, die anmutige Natur verehrenden Klang der Hörner, mit leichten, fein intonierten Echowirkungen, dem berühmten Kuhglocken-Klang, dem fein ziselierten Vogelgezwitscher. Järvi dirigierte das alles beinahe swinghaft tänzerisch. Ein Augenblick (ach verweile doch ... ) zum Zurücklehnen. Ganz herrlich war das anschiessende Scherzo intoniert, den verschatteten, schrägen Walzer hörte man wunderbar heraus. Ob Ravel diese Mahlersinfonie gekannt hatte, als er LA VALSE komponierte? Man lauschte gespannt dieser so geheimnisvollen, trotzdem leicht sinnlichen-befremdenden Musik, auf die Franziska Gallusser in der hervorragend gestalteten Einführung im kleinen Tonhallesaal besonders hinwies, indem sie einen Ausschnitt aus der Vision Ken Russells zu dieser Musik in seinem umstrittenen Mahler-Film aus dem Jahr 1972 zeigte. Die zweite Nachtmusik kam dann erst wie ein Lullaby daher, ein sanftes Hinübergleiten in Träume, eine wunderbar leichte Serenade mit Gitarre und Mandoline, mit Waldesrauschen und Elfentanz. Wunderbar spielte die Konzertmeisterin Julia Becker die schönen Solopassagen der Violine. Und auch das Solohorn trug viel dazu bei, die Schönheiten der Nacht zu preisen. Ein sehr positiv, luftig daherkommender Satz, wunderschön verklingend. Doch die beschauliche Ruhe hält nicht lange, denn das bei vielen Kritikern umstrittene Jubelfinale, dieses lärmige Rondo, das selbst die Akkustik der Tonhalle an ihre Grenzen bringt, ist ein gefährliches Stück Musik. Allzu leicht ertappt man sich dabei, in den beinahe populistischen Freudentaumel, untermalt von effektvollem Kirchenglockengeläut, mit einzusteigen. Einzig die differenziert herausgearbeiteten B, C, D ... Teile des Rondos bringen etwas Ruhe in den (parodistischen?) Tanz. Oftmals wurde ja Mahler vorgeworfen, damit Wagners "Meistersinger-Ouvertüre" zu verballhornen. Es ist zwar richtig, dass man in den blechgeschwängerten A-Teilen des Rondos tatsächlich Anlehnungen an Wagners einzige komische Oper heraushört, doch Mahler selbst hat in von ihm dirigierten Aufführungen dieser Sinfonie Wagners Meistersinger-Ouvertüre seiner siebten Sinfonie vorangestellt. Auf ein "Beiwerk" hat man in Zürich verzichtet (noch auf der kürzlich durchgeführten Spanien-Tournee des Orchesters wurde diese Sinfonie - in Barcelona - mit Prokofjwes 2. Violinkonzert gekoppelt). Nun liess man in der Zürcher Tonhalle also Mahlers 7. als glanzvollen Solitär erstrahlen. Mit einer Spieldauer von knapp 80 Minuten kann man das machen, muss man aber nicht.
Werk:
Gustav Mahler (1860-1911) komponierte seine 7. Sinfonie in den Jahren 1904/05. Sie gehört zusammen mit den Sinfonien 5 und 6 zu Mahlers mittlerer Schaffensperiode. Wie in den Nr. 5 und 6 verzichtet Mahler in der Nr. 7 auf Worte und musikalisch poetisierende Vorstellungen (welche den drei “Wunderhorn” Sinfonien 2-4 zugrunde lagen). Vielmehr sind diese drei Sinfonien 5-7 ein Abbild der Zeit: Die habsburgische Monarchie zeigte deutliche Verschleisserscheinungen, in der Musik wurd v.a. in Wien die Tonalität in Frage gestellt. Mahler kam mit diesen drei Sinfonien dem vorherrschenden progressiven Geist sehr nahe. Seine siebte Sinfonie bezeichnete Mahler selbst als “mein bestes Werk und vorwiegend heiteren Charakters.” Alma Mahler berichtete in ihren Erinnerungen von der Uraufführung: “Die Siebente wurde kaum verstanden - es gab so etwas wie einen Achtungserfolg.” Unterdessen wird Mahlers 7. Sinfonie jedoch sehr geschätzt, ja von vielen Kennern als seine beste bezeichnet, auch wenn sie (wohl auch wegen ihrer Länge und den Schwierigkeiten für die Ausführenden) nie die Popularität der 1.-5. Sinfonien erreicht hat. Das e-Moll in der Bezeichnung der Sinfonie ist etwas irreführend, denn nur im Hauptteil des ersten Satzes wird diese Tonart von Mahler benutzt. Die Einleitung der Sinfonie steht in h-Moll, das Finale in triumphalem C-Dur. Mahler hat die traditionelle Viersätzigkeit, die er in 5. und der 6. noch angewandt hatte, nun wieder aufgegeben und eine architektonische Symmetrie von fünf Sätzen geschaffen: Zwei schnelle Sätze (der erste allerdings mit der erwähnten langsamen Einleitung in h-Moll) rahmen quasi eine Sinfonie in der Sinfonie ein, die aus drei Sätzen besteht. Zwei von Mahler als “Nachtmusik I und II” bezeichnete Sätze umrahmen da ein als “schattenhaft” bezeichnetes Scherzo. Die beiden Nachtmusiken stellen aber nicht das Grauen oder gar das Satanische der Nacht dar, sondern haben freundlichen Charakter, wobei in der zweiten Nachtmusik noch Mandoline und Gitarre dazu kommen, so dass dieser Satz einer Serenade gleicht. Das Finale beginnt mit einem Paukensolo, wird turbulent (parodistisch?) und führt zu einem von Trompetengeschmetter erfüllten, lebensbejahenden (leicht trivialen) Ende.