Zürich, Tonhalle: ERÖFFNUNGSKONZERT DER FESTWOCHEN (Bringuier/Fischer), 12.06.2015
Jean Sibelius: FINALNDIA | Sinfonische Dichtung | Uraufführung: 2, Juli 1900 in Helsinki | Pjotr Iljitsch Tschaikowsky: Romeo und Julia, Fantasie Ouvertüre | Uraufführung: 16. März 1870 (Version 1), 17. Februar 1872 (Version 2, St.Petersburg), 1. Mai 1886 in Tiflis, Georgien (3. Überarbeitung) | Ludwig van Beethoven: Violinkonzert in D-Dur | Uraufführung: 23. Dezember 1806 in Wien | Aufführung in Zürich: 12. Juni 2015
Kritik:
Unter dem Motto GELD – MACHT – LIEBE stehen die Festspiele Zürich in diesem Sommer - und bereits dem Eröffnungskonzert der Festwochen gestern Abend in der Tonhalle Zürich gelang es auf ausserordentlich stringente, ungemein packende Art und Weise, den shakespearschen Themenkomplex zu umkreisen.
MACHT: Mächtig und düster trumpft das Blech zu Beginn von Sibelius' FINLANDIA auf. Die repressive Macht, das Joch der russischen Besetzung wird bedrohlich hörbar gemacht. Lionel Bringuier am Pult des hervorragend spielenden Tonhalle-Orchesters Zürich gelang es, dieses Leid der Unterdrückung, aber auch die zarten Hoffnungsschimmer der Befreiung zu evozieren. Immer wieder faszinierte die Abmischung des Klangs, so zum Beispiel gegen das Ende hin wenn sich Choralthemen der Blechbläser mit präzise ausgeführten Streicherfiguren verbinden. Lionel Bringuier verfügt über die immense Fähigkeit, Musik auf ihre emotionalen Tiefen hin auszuloten. LIEBE: Dieses untrügliche Gespür für Emotionalität bewies er auch in der nachfolgenden Fantasie Ouvertüre ROMEO UND JULIA von Tschaikowsky, bei welcher es ihm und dem Tonhalle Orchester ausgezeichnet gelang, die Sensibilität des Liebesthemas gegen die aufpeitschenden, plastisch und effektvoll gestalteten Kampfszenen zwischen den Familienclans abzuheben und wieder in der Polyphonie des Klangs zu verschmelzen. Immer wieder wurden auch in den Kampfszenen die Verwundungen und psychischen Blessuren hörbar gemacht und wenn dann aus den Bratschen heraus erstmals das Liebesmotiv aufsteigt und durch die Instrumentengruppen wandert, dann ist das einfach nur noch schön und berührend. Wunderbar transparent erklingen die Arpeggien der Harfe, schwingen sich Kantilenen der Flöte über das Orchester. In tiefer Trauer und mit ein klein wenig tröstender Verklärung endete der erste Konzertteil.
GELD hat Beethoven mit seinem unverständlich lange unterschätzten Violinkonzert wahrscheinlich nicht gerade in Mengen verdient. Heutzutage ist dieses Konzert aus dem Repertoire zum Glück nicht mehr wegzudenken. Nur schon der rätselhafte Beginn mit den vier leisen Schlägen der Pauke hat es in sich. Immer wieder pocht sie im ersten Satz auf ihr Recht: Revolution? Aufbruch?. Dagegen stellt sich die Exposition der liedhaften Hauptthemen, welche dem Orchester mit zarter Gestaltungskraft gelangen. Wenn sich dann Julia Fischer mit der Solovioline dazugesellt, die Themen mit unübertrefflicher Reinheit des Klangs umspielt, dann kann man als Zuhörer nur noch dahinschmelzen. Leicht, schlank und doch von atemberaubender Präsenz ist Julia Fischers Spiel. Fein ausgehorcht dialogisieren sie und das Orchester unter Bringuiers Dirigat, anmutig aber nie kitschig wird musiziert und zur Kadenz hingeführt, welche von Julia Fischer mit einer dermassen stupenden Virtuosität ausgeführt wird, dass man am liebsten applaudiert hätte. Doch dies hätte natürlich den zauberhaft zarten Beginn des Larghettos gestört, welches mit dem tänzerischen, oftmals auch leicht ironisch gebrochenen Rondo ebenfalls mit grossartiger Luzidität interpretiert wurde. Die kleine Kadenz im dritten Satz wurde von Fischer mit beinahe diabolischer Spielfreude vorgetragen, bevor sie mit Grazilität zum Hauptthema zurückkehrte und dieses wiederum bezaubernd umspielte. Selbstverständlich liess das begeisterte Publikum die Stargeigerin nicht ohne Zugaben gehen: Mit dem dritten Satz aus Hindemiths Sonate in g-Moll und Paganinis Caprice Nr.24 in h-Moll präsentierte Julia Fischer ihre unglaubliche Virtuosität, ihr stupendes Spiel, ihr Gespür für die Magie des Klangs und zeigte auf eindrückliche Art, welch faszinierendes Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten das viersaitige Instrument (sie verwendete an diesem Abend übrigens ein „moderne“ Geige) aufweist.
Werke:
FINLANDIA: Jean Sibelius (1865 – 1957) konzipierte zur regelmässig stattfindenden Pressefeier eine sechsteilige Suite, deren letztes Stück FINLANDIA darstellte. Finnland war seit 1809 ein Teil des Russischen Reiches und litt erheblich unter der Besatzung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts regte sich der Widerstand der Finnen zunehmend und das Nationalbewusstsein erstarkte. Somit fiel die von Hymnen geprägte Komposition auf fruchtbaren Boden und erhielt schnell eine patriotisch-emotionale Bedeutung. Nach dem Angriff der Sowjetunion auf Finnland im Zweiten Weltkrieg schrieb Veikko Koskenniemi einen Text zu dem gesanglichen Mittelteil der FINLANDIA, welcher auch heutzutage noch oft von einem Chor gesungen wird. Die Melodie der Hymne erlangte nach einem Konzert anlässlich der Weltausstellung in Paris (1900) weltweite Popularität. Die Republik Biafra i(1967-1970) n Westafrika z.B. wählte sie als Nationalhymne. Im Film DIE HARD 2 mit Bruce Willis wurde sie als Filmmusik verwendet. Die amerikanische Folk Sängerin Joan Baez singt die FINLANDIA Hymne oft in ihren Konzerten.
ROMEO UND JULIA: In Pjotr Iljitsch Tschaikowskys (1840-1893) sinfonischem Schaffen nehmen die durch literarische Werke inspirierten Tondichtungen einen gewichtigen Platz ein. Neben Shakespeare (ROMEO UND JULIA; HAMLET; DER STURM) liess sich der Russe auch durch Ostrowskij, Dante (FRANCESCA DA RIMINI) oder Byron (MANFRED) zu Instrumentaldramen inspirieren. Die Fantasie Ouvertüre ROMEO UND JULIA entstand 1869 nach einem Plan seines Komponistenkollegen Balakirew, dem das Werk auch gewidmet ist. Tschaikowsky arbeitete das Werk zweimal um. Die dritte Fassung von 1880 wurde ein weltweiter Erfolg. Die Form ist die eines Sonatenhauptsatzes mit zwei Themen, dem Kampf zwischen den beiden Familien und dem Liebesthema. Umrahmt werden diese beiden Themen von einer Einleitung (Choralthema) und einer Coda in Form eines Trauermarsches.
VIOLINKONZERT in D-Dur, op 61: Ludwig van Beethoven (1770-1827) schrieb nur ein einziges Konzert für Solovioline, das in D-Dur. Das Werk hatte es zu Beginn nicht ganz einfach, sich durchzusetzen. Erst eine Aufführung durch Felix Mendelssohn (mit dem damals erst 13jährigen Virtuosen Joseph Joachim, welcher auch die Kadenzen zum ersten Satz komponierte) verhalf dem Werk zum Durchbruch, 17 Jahre nach Beethovens Tod. Das Violinkonzert Beethovens ist sinfonisch gehalten, eine Form, welche auch von Schumann, Brahms, Dvorak und Pfitzner bevorzugt wurde. Bemerkenswert ist Beethovens überlanger erster Satz, welcher die Hälfte des zeitlichen Ablaufs des Konzertes für sich beansprucht. Er beginnt mit leisen Paukenschlägen, bevor die liedhaften Hauptthemen des Satzes von den Bläsern intoniert werden. In anmutigem Wechselspiel evozieren die Varianten der Themen Bilder und Gedanken. Der zweite Satz, Larghetto, ist von einer berührenden Schlichtheit und Schönheit, er erinnert auch an Beethovens berühmte Violinromanzen. Mit vor Frohmut sprudelnder Verve wird bruchlos der dritte Satz eingeleitet, das Rondo. Dieser erscheint wie eine Reverenz an das 18. Jahrhundert, mit Haydn und Mozart, welche ebenfalls in vielen Werken, das Jagdstückartige in Finalsätzen effektvoll eingesetzt hatten.