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Luzern, KKL: ROTTERDAM PHILHARMONIC | LAHAV SHANI | LISA BATIASHVILI; 25.08.2024

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Finlandia, Romeo und Julia, Beethoven Violinkonzert

Werke:

Felix Mendelssohn: MEERESSTILLE UND GLÜCKLICHE FAHRT, Konzertouvertüre | Uraufführung: 7. September 1928 in Berlin (1. Fassung) | Ludwig van Beethoven: VIOLINKONZERT D -Dur, op.61 | Uraufführung: 23. Dezember 1806 in Wien | Claude Debussy: LA MER, Trois esquisses symphoniques pour orchestre | Uraufführung: 15. Oktober 1905 in Paris | Maurice Ravel: LA VALSE, Poème choréographique | Uraufführung: 12. Dezember 1920 in Paris

Kritik:

DIE SUGGESTIVKRAFT VON TONGEMÄLDEN

Es waren nicht Sinfonische Dichtungen im engeren Sinne, welche das Rotterdam Philharmonic Orchestra unter der Leitung seines energiegeladenen Chefdirigenten Lahav Shani für sein Gastspiel beim Lucerne Festival im Gepäck hatten, wohl aber drei Tongemälde, welche auf ihre ganz unterschiedliche Art und Weise enormes suggestives Potential beinhalteten. Mendelssohn, Debussy und Ravel setzten nicht eine konkrete Handlung in Musik (wie z.B. Richard Strauss in seinen Sinfonischen Dichtungen TILL EULENSPIEGEL oder DON QUIXOTE, Dvorak mit DER WASSERMANN oder Dukas mit DER ZAUBERLEHRLING), wohl aber nahmen die drei Komponisten inspiriert von einem Gedicht Goethes (Mendelssohn), einem japanischen Farbholzschnitt (Debussy) oder einem Wiener Walzerrausch (Ravel) Stimmungen auf, die sie in betörende Klänge setzten, welche den Hörer*innen viel Raum für assoziative Gedanken öffnen. Somit war die programmatische Konzeption des Abends keineswegs beliebig, sondern hatte einen inneren Bogen. Ursprünglich war geplant gewesen, dass die Stargeigerin Lisa Batiashvili Mozarts fünftes Violinkonzert spielen würde, das oftmals auch als "Miniaturoper" bezeichnet wurde und somit ausgezeichnet in den musikalisch-programmatischen Bilderreigen gepasst hätte.

DIE BEGLÜCKENDE PROGRAMMÄNDERUNG

Doch in einem Beilagenzettel des Programmhefts erfuhr man, dass anstelle von Mozarts letztem Beethovens einziges Violinkonzert erklingen würde. Beethovens geniales D-Dur Konzert ist ein weitaus gewichtigerer, tiefgründigerer Brocken als Mozarts leichtfüssiges, spritziges Werk (das ich natürlich auch sehr gerne mag). Beethoven geht ungemein in die Tiefe, lotet - wie es meistens seinem Charakter entsprach - auch in seinem Violinkonzert ein lichtes humanistisches Gedankengut aus, führt die Musik vom pochenden Paukenmotiv des Beginns mit vorwärtsdrängender Kraft und gewaltiger Energie zum reflektiv-tröstenden Larghetto-Gesang und attaca zum jubelnden Rondofinale - irgendwie auch wie ein in beglückende Töne gesetztes Gedicht und somit auch ein thematisch perfekt ins Programm passender Schwerpunkt. Die Klänge, welche Lisa Batiashvili ihrer Guarneri del Gesú Violine entlockte, schienen nicht von dieser Welt zu sein. Das war alles von blitzsauberer Reinheit der Intonation geprägt, einer dynamischen Abstufung, die einen von Beginn weg (nach der langen Orchestereinleitung war sie dauerpräsent) fesselte und einer Virtuosität in den fein verästelten Koloraturen und Fiorituren, die einen mit Glückseligkeit überflutete. Dabei erklang diese Virtuosität nie als selbstgefälliger, zirzenischer Akt, sondern war erfüllt mit Wärme und Ausdruckskraft. Feinste Triller in aberwitzig hohen Lagen, flinke, bestechend saubere Läufe, traumhaft schön mit den klanglichen Grundierungen des Orchesters harmonierend, elegisch-verträumte Passagen im Wechsel mit beschwingt tänzerische Wendungen von einer atemberaubenden Wendig- und Lebendigkeit geprägt, ein aufregendes und spannungs- und energiegeladenes Miteinander von Orchester, Solistin und Dirigent - schlicht eine Sternstunde! Ausserdem evozierte Lisa Batiaschvili eine faszinierende Gesanglichkeit mit ihrem kostbaren Instrument und liess einen während der Kadenzen (sie spielte die von Fritz Kreisler) im ersten und im Schlusssatz atemlos an der Stuhlkante verharren. In diesen Momenten herrschte eine absolute Ruhe im Saal, eine gespannte Aufmerksamkeit. Lahav Shani leitete dieses Violinkonzert mit wunderbarer Übersicht und einer fantastischen klanglichen Disponierung, wusste durchaus markante Akzente zu setzen und man spürte in keinem Moment eine Hast, auch im beschwingten Rondo-Finale nicht, wo er die Kantilenen sehr schön ausmusizieren liess. Dabei blieb der Lead gefühlt stets bei der Solistin, auf deren Interpretation er perfekt einzugehen vermochte. Herausragend spielten die Holz- und die Blechbläser des Rotterdam Philharmonic Orchestras. Selbstredend wollte das begeisterte Publikum die diesjährige Artist in Residence des Lucerne Festivals nicht so ohne weiteres vom Podium gehen lassen. Lisa Batiashvili bedankte sich mit einer wunderbar verinnerlichten und von Streichersolist*innen unter Lahav Shanis Leitung begleiteten Interpretation von Bachs Air aus der Suite Nr. 3 in D-Dur. Zum Dahinschmelzen schön!

Den klangimpressionistischen Anfangspunkte setzte das Rotterdam Philharmonic Orchestra mit Mendelssohns Konzertouvertüre MEERESSTILLE UND GLÜCKLICHE FAHRT in D-Dur, op. 27. Im ersten Teil dieses auf Goethes beiden Gedichten fussenden Stücks, dem Adagio mit den langgehaltenen Tönen, bewies das Orchester die hohe Qualität seines Streicherklangs. Die suggerierte Weite - und auch bedrohliche Stille - des Ozeans entstand vor dem inneren Auge, bevor im Allegro- und Vivace Teil der Wind aufkam und somit die glückliche Fahrt in ein an C.M. von Weber gemahnendes Jubel-Finale führte und eine Trompetenfanfare von der geglückten Ankunft Kunde tat - mit einem Hauch von Wehmut in der letzten Kantilene der Streicher und des Holzes. Wunderbar!

Komplexer und mystischer wurden die Impressionen des Wassers und des Meeres, welche Claude Debussy so reich an instrumentalen Farben in Musik gesetzt hatte. Bei ihm bekommt LA MER Züge des Abgründigen, nicht Enträtselbaren. Zu den vom Rottardam Philharmonic Orchestra und Lahav Shani so feinfühlig evozierten Stimmungsbildern tauchte man noch so gerne in eine mal stürmische, dann wieder fast beängstigend ruhige Welt ein, horchte mit grosser Freude auf solistische Einsprengsel des Englischhorns, der Oboe, der Klarinette oder der Solovioline der Konzertmeisterin. Die acht Kontrabässe, die zwei Harfen, das Kontrafagott, das dezent eingesetzte, aber reichhaltige Schlagzeug und Glockenspiel zusammen mit dem gross besetzten klassischen Sinfonieorchester führten zu einem die Sinne betörenden Klangerlebnis. Shani und seinem Orchester gelang es in diesem Stück hervorragend, die Balance zu halten und für eine glasklare Transparenz zu sorgen, ohne dass das Werk seine impressionistische Sinnlichkeit und seinen zeitweise geradezu ekstatischen Charakter einbüsste. Dies traf auch auf das das Konzert offiziell beschliessende Werk von Maurice Ravel zu: LA VALSE. Shani liess das Orchester sich in einen schrägen Walzerrausch steigern, dessen Sog zu entrinnen unmöglich war. Wie sich die Walzermelodien wie hinter Schleiern entwickelten, aufbäumten und wieder zusammenfielen, sich in einer gewaltigen, rauschhaften Raserei entluden, führte zu einem nachdenklich stimmenden Sinnieren über Lust, verführerische Sucht und Gefahr. Die schmissige Zugabe (Prokofiev Marsch h-Moll op. 99) des Orchesters am Ende war dann von purer, mitreissender Lust geprägt.

Werke:

Felix Mendelssohn (1809-1847) schuf seine Konzertouvertüre MEERESSTILLE UND GLÜCKLICHE FAHRT im Jahr 1828. Inspiriert wurde er dazu von den beiden gleichnamigen Gedichten Johann Wolfgang Goethes:

Meeres Stille:
Tiefe Stille herrscht im Wasser,
Ohne Regung ruht das Meer,
Und bekümmert sieht der Schiffer
Glatte Fläche ringsumher.
Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuern Weite
Reget keine Welle sich.

Glückliche Fahrt:
Die Nebel zerreißen,
Der Himmel ist helle,
Und Äolus löset
Das ängstliche Band.
Es säuseln die Winde,
Es rührt sich der Schiffer.
Geschwinde! Geschwinde!
Es teilt sich die Welle,
Es naht sich die Ferne;
Schon seh ich das Land!

Mit der ersten Fassung war Mendelssohn nicht ganz zufrieden, arbeitete die Komposition um und liess sie erst 1834 in Druck gehen. sie war nun nach eigenen Angaben des Komponisten “etwa 30mal besser”! Das viertelstündige Werk ist zweiteilig gehalten: Im ersten Teil hören wir langgehaltene Töne, die auch etwas unheimlich klingen, da Meersesstille (wie Goethe ja auch schreibt) für die Schifffahrt durchaus nichts Gutes war im Zeitalter der Segelschifffahrt. Dafür srpüht dann die Freude im zweiten Teil mit dem Aufkommen der “säuselnden Winde”, wo die Musik in Weberschen Jubelklang einschwenkt. Trompetenfanfaren beschreiben am Ende die glückliche Ankunft.

Ludwig van Beethoven (1770-1827) schrieb nur ein einziges Konzert für Solovioline, das in D-Dur. Das Werk hatte es zu Beginn nicht ganz einfach sich durchzusetzen. Erst eine Aufführung durch Felix Mendelssohn (mit dem damals erst 13jährigen Virtuosen Joseph Joachim, welcher auch die Kadenzen zum ersten Satz komponierte) verhalf dem Werk zum Durchbruch, 17 Jahre nach Beethovens Tod. Das Violinkonzert Beethovens ist sinfonisch gehalten, eine Form, welche auch von Schumann, Brahms, Dvorak und Pfitzner bevorzugt wurde. Bemerkenswert ist Beethovens überlanger erster Satz, welcher die Hälfte des zeitlichen Ablaufs des Konzertes für sich beansprucht. Er beginnt mit leisen Paukenschlägen, bevor die liedhaften Hauptthemen des Satzes von den Bläsern intoniert werden. In anmutigem Wechselspiel evozieren die Varianten der Themen Bilder und Gedanken. Der zweite Satz, Larghetto, ist von einer berührenden Schlichtheit und Schönheit, er erinnert auch an Beethovens berühmte Violinromanzen. Mit vor Frohmut sprudelnder Verve wird bruchlos der dritte Satz eingeleitet, das Rondo. Dieser erscheint wie eine Reverenz an das 18. Jahrhundert, mit Haydn und Mozart, welche ebenfalls in vielen Werken, das Jagdstückartige in Finalsätzen effektvoll eingesetzt hatten.

Claude Debussy (1862-1918) gilt als der Impressionist schlechthin. Besonders bedeutsam für ihn war seine Begegnung mit der asiatischen Kunst, der bildenden und der musikalischen. So übte die Pentatonik mit ihrem schwebenden Klangbild einen grossen Einfluss auf seinen Kompositionsstil aus. Um diesen Einfluss zu unterstreichen, wählte er z.B. Hokusais Holzschnitt DIE GROSSE WELLE als Titelbild für einen Druck seiner Partitur LA MER aus. Dieses zwischen 1903 und 1905 entstandene Orchesterwerk umfasst die drei Teile De l’aube à midi sur la mer – Jeux de vagues – Dialogue du vent et de la mer. Er beschreibt darin mit differenzierter musikalischer Sprache Atmosphärenwechsel in der Natur, irisierendes Licht und Wellenschläge, die bis zur Bedrohung durch Sturmwinde im dritten Teil reichen.

Maurice Ravel (1875-1937) komponierte LA VALSE als Auftragswerk für Diagilews Ballets Russes. Ursprünglich sollte es "Wien und seine Walzer" heissen, nach dem ersten Weltkrieg schien aber dieser Titel als nicht mehr angebracht zu gelten, deshalb wählte Ravel schlicht LA VALSE als Stückbezeichnung. Diagilew war wenig begeistert, so dass das Werk erstmal rein konzertant erklang. 1928 schuf Bronislawa Nijinska eine Choreographie, später wurde Ravels Werk erfolgreich von George Balanchine und Frederic Ashton auf die Ballettbühnen gebracht. Ravel setzte seiner Komposition diesen Text voran: “Flüchtig lassen sich durch schwebende Nebelschleier hindurch walzertanzende Paare erkennen. Nach und nach lösen sich die Schleier auf, man erblickt einen riesigen Saal mit zahllosen im Kreise wirbelnden Menschen. Die Szene erhellt sich zunehmend; plötzlich erstrahlen die Kronleuchter in hellem Glanz. Eine kaiserliche Residenz um 1855.” Doch das Werk endet nicht in Harmonie, der schwermütige Ravel liess die aufblitzenden Anklänge an den Wiener Walzer in einen chaotischen Todestanz taumeln. Das Werk ist eng mit biographischen Ereignisse in Ravels Leben verknüpft: Seine Erfahrungen im ersten Weltkrieg, der Tod seiner Mutter, seine Schwierigkeiten, Beziehungen einzugehen.

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