Zürich, Tonhalle: ENESCU | BARTOK | DVORAK, 05.10.2022
George Enescu: RUMÄNISCHE RHAPSODIE in A-DUR, op.11. Nr.1 | Uraufführung: 23. Februar 1903 in Bukarest | Béla Bartók: KONZERT FÜR ZWEI KLAVIERE, SCHLAGZEUG UND ORCHESTER Sz 115 | Uraufführung: 16. Januar 1938 in Basel (Sonatenfassung), 14. November 1943 in London unter der Leitung von Sir Adrian Boult | Antonín Leopold Dvořák: SINFONIE NR. 8 in G-Dur op. 88 | Uraufführung: 2. Februar 1890 in Prag | Dieses Konzert in Zürich: 5.10. und 6.10. 2022
Kritik:
Über einem dumpfen Paukenwirbel erklingt ein düsteres, aus wenigen Tönen bestehendes, pentatonisches Motiv des ersten Klaviers, es wird wiederholt von beiden Klavieren - dann folgt ein brutaler, scharf zugespitzter Schlag (Becken, Klavier) und ab diesem Moment ist man als Zuhörer*in wie elektrisiert, sitzt auf der Stuhlkante und verfolgt mit weit geöffneten Ohren und staunenden Augen, wie sich die Klaviervirtuosen Lucas und Arthur Jussen, die Soloschlagzeuger Andreas Berger und Klaus Schwärzler und der Paukist Christian Hartmann zusammen mit dem Tonhalle-Orchester Zürich unter der Leitung von Cristian Măcelaru voller Spielfreude und ansteckendem Enthusiasmus in Béla Bartóks Konzert für zwei Klaviere, Schlagzeug und Orchester stürzen. Man kann gar nicht anders, als sich in dieses mit höchsten Ansprüchen an die Ausführenden gespickten Werks zu verlieben. Lucas und Arthur Jussen, das kometenhaft am Pianistenhimmel aufsteigende niederländische Brüderpaar, spielen mit einer staunenswerten Selbstverständlichkeit, rasen mit Leichtigkeit durch Akkordkaskaden und vertrackte Rhythmen, können - wie durch unsichtbare Bande verknüpft - mit einem soliden Grundvertrauen aufeinander eingehen, zusammen prägnant ausmusizierte Triller und orgiastische Gipfel erklimmen. Bartóks Konzert lebt aber nicht nur von Synkopen und jazzigem Fluidum, sondern findet immer wieder zu intorvertierten Kantilenen, bei denen die beiden Pianisten die Töne regelrecht atmen lassen. Mystische Glissandi des einen Bruders untermalen sanft intonierte Melodien des anderen, verspielte, mit gekreuzten Händen angeschlagene Phrasen vermitteln ein unfassbar reichhaltiges Klangkolorit, bei dem die Schlagzeuger ebenbürtige Partner sind. Hochspannend gestaltet sich der Dialog zwischen Xylophon und Pauke; es ist ein akustischer Hochgenuss, wie die Schlaginstrumente konzertierend eingesetzt werden, auch die beiden Klaviere werden (da hat Bartók absolut recht) zu Schlaginstrumenten. Alle fünf Solisten zeichnen sich durch eine grandiose Virtuosität aus, die jedoch in keinem Moment exhibitionistisch wirkt, sondern sich ganz in den Dienst des Werks stellt. Wunderbar packend schält der Dirigent Cristian Măcelaru die Steigerungen heraus, lässt das Orchester zurückfallen und die verhauchenden Trommelwirbel am Ende lassen das Publikum kurz innehalten, bevor begeisterter Applaus losbricht. Als Zugabe beglücken Lucas und Arthur Jussen das Publikum im fast vollen Saal mit einer für Klavier zu vier Händen von György Kurtág arrangierten Fassung von Johann Sebastian Bachs Sonatina aus ACTUS TRAGICUS (Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit). Damit schaffen sie es, uns in einen beinahe meditativen Zustand zu versetzen, in eine Reinheit, die nicht von dieser Welt zu stammen scheint. Nach den aufwühlenden und mitreissenden Explosionen bei Bartók ist das ein willkommener und wohltuender Kontrast.
Eingestimmt auf das Programm mit drei Werken osteuropäischer Komponisten wurde man mit George Enescus RUMÄNISCHER RHAPSODIE op. 11 Nr. 1. Das Tonhalle-Orchester Zürich verlieh dem Werk eine reichhaltige Palette an instrumentalen Farben, liess die Töne in fein ausgehorchtem ondeggiando subtil an- und abschwellen. Aus den Händen von Cristian Măcelaru schienen die Rhythmen, die Steigerungen und Wirbel nur so zu strömen, sich zu mitreissenden Tänzen und Weisen zu formen - und machte neugierig auf weitere Werke des Komponisten George Enescu. In der kurzen Umbaupause, die nötig wurde, um das Schlagzeug für Bartóks Konzert hinter die zwei Flügel zu platzieren, wandte sich Cristian Măcelaru ans Publikum und kommentierte in einer sowohl tiefgründigen wie herzlich-launigen kurzen Ansprache den musikalischen Grundgedanken (die Pentatonik), welcher die Völker der Erde miteinander von Ost bis West verbindet: "These five notes unite us, we are all the same. Music unites us!" Wie wahr, vor allem in diesen Zeiten.
Mit Antonin Dvořáks 8. Sinfonie erklang nach der Pause ein überaus populäres Werk, eine Sinfonie, bei der die melodiösen Einfälle nur so zu purzeln scheinen, die einem bestens bekannt ist. Und doch konnte man dank der feinsinnigen Lesart durch Cristian Măcelaru auf Entdeckungsreise gehen. Die differenzierte Klanggestaltung öffnete die Türen zu harmonisch-melodischen Schätzen, die dank der klug ausgehorchten Transparenz der Wiedergabe gehoben wurden. Beeindruckend war der warme Streicherklang des Tonhalle-Orchesters Zürich, die wunderbaren Klänge der Posaunen, die von den Violinen so herausragend begleitet wurden, die herrlich tragenden Piani und verinnerlichten Passagen im Adagio. Der Konzertmeister Andreas Janke steuerte dazu ein wunderschön intoniertes Solo bei. Wie durch eine zarten Schleier erklangen in diesem Satz melancholische Weisen. Mit wiegenden Walzerklängen erfreute das Allegretto grazioso, bevor die blitzsauber intoniertenTrompetenfanfaren den Finalsatz einleiteten, in welchem zuerst die tiefen Streicher aufhorchen liessen. Geschärft und klar traten die ersten und zweiten Violinen in den Dialog mit den tiefen Streichern ein. Ein fulminantes Tutti wuchs daraus hervor, mit getragenen Bläsern, die noch dagegen zu setzen versuchten. Ein besänftigender Mittelteil mit erhebenden Kantilenen der Klarinette verschaffte kurzfristig eine ruhige Stimmung, bevor das Hauptthema des Satzes in einer furianten, kurzen, aber effektvoll musizierten Stretta expolodierte. Rasend!
Werke:
George Enescu (1881-1955) kam in Rumänien zur Welt. Sein immenses Talent wurde früh erkannt und so begann er seine Karriere denn auch als "Wunderkind". Er erhielt seine Ausbildung am Wiener Konservatorium und setzte diese in Paris fort, wo er zu den Kompositionsschülern Massenets und Faurés zählte. In seinen frühen Kompositionen, zu denen auch die in diesem Konzert gespielte Rumänische Rhapsodie zählt, erhalten die tradierten rumänischen Volksweisen eine hohe künstlerische Form. Auch in späteren Kompositionen (eigentlich empfand er es als Fluch, dass seine ganz frühen Werke so erfolgreich waren, so dass er noch heutzutage beinahe aussschliesslich darauf reduziert wird) verwendet er strukturelle Elemente der folkoristischen Weisen seines Heimatlandes, so die Pentatonik, Rhythmen, unaufgelöste Dissonanzen, lydische oder dorische Modi, in einer Synthese mit westeuropäisch geprägtem harmonischem Denken. Die erste Rhapsodie, die in der Tonhalle nun zur Aufführung gelangt, ist ein lebensfrohes, wirkungsvolles Orchesterstück. Es beginnt mit einem Moderato, dessen Tempo allmählich gesteigert wird, immer brillanter daherkommt und zum stürmischen Tanz wird.
Der im selben Jahr wie Enescu geborene Béla Bartók (1881-1845) war noch stärker als Enescu an der musikalischen Folklore interessiert und verfasste bedeutende Forschungsarbeiten in dieser Richtung. Gemeinsam mit seinem Landsmann Zoltán Kodály sammelte er unermüdlich Zeugnisse echter Volksmusik verschiedner Völker und vor allem in seiner Heimat Ungarn. In seinem amerikanischen Exil arbeitete er die Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug in eine Orchesterfassung um und brachte sie 1943 in New York zur Uraufführung. Unter der Leitung von Fritz Reiner spielten Béla Bartók und seine Frau Ditta Pásztory die Klavierparts. Dies war der letzte öffentliche Auftritt Béla Bartóks. Indem er gleich zwei Klaviere dem Schlagzeug gegenüberstellt, entwickelt sich eine klangliche und rhythmische Gleichberechtigung zwischen Tasten- und Schlaginstrumenten, auch kontrapunktische Varianten werden ausgeführt. Das Werk zeichnet sich durch eine spannende und kühne musikalische Sprache aus, bei der logischerweise die Rhythmen eine entscheidende Rolle spielen. Die Interpreten müssen sich hohen technischen Ansprüchen stellen, das Publikum wird mit einem spannungsgeladenen Werk und mitreissender rhythmischer Faktur belohnt.
Leider geht gerne vergessen, dass Antonin Dvořák (1841-1904) im Schatten der überpopulären 9. Sinfonie "Aus der neuen Welt" noch acht weitere Sinfonien hinterlassen hat, die es mehr als wert sind entdeckt und geschätzt zu werden. Gerade die Achte stellt einen Meilenstein und eine Wendung in der kompositorischen Reife des böhmischen Meisters dar. "Mein Kopf ist voller Ideen, wenn man sie nur sofort niederschreiben könnte", schrieb er 1889 an einen Freund. Nach der Arbeit an den dreizehn Klavierstücken, op. 85 machte er sich daran, die Vielzahl der Ideen in einer Sinfonie zu verarbeiten. Formal entspricht sie zwar mit ihren vier Sätzen der traditionellen sinfonischen Grossform. doch die Verarbeitung des reichen motivischen Materials ist von einer nie erlahmenden, beinahe improvisierenden Schaffenslust geprägt. Dabei nimmt er die poetische Grundstimmung der dreizehn Klavierstücke auf, die wie eine Studie zur 8. Sinfonie wirken können. Auf den schnellen Kopfsatz in Sonatenform folgt ein serenadenhaftes Adagio, in dem sich Hell und Dunkel abwechseln. Der dritte Satz, ein graziles, walzerartiges Scherzo, scheint eine Referenz an Tschaikowski darzustellen. Mit Fanfarenstössen der Trompeten wird der kraftvolle Finalsatz eingeleitet. Variationen prägen die musikalische Struktur. Dvořák lässt ihn mit einer triumphalen Coda enden.
Wegen (finanzieller) Streitigkeiten mit seinem bisherigen Verleger Simrock liess Dvořák die Sinfonie bei Novello in London herausgeben. Dieser Umstand und der damit verbundene Erfolg, den Dvořák mit der Sinfonie in England hatte, brachten der Achten den Beinamen "Die Englische" ein.