Wetzikon, Aula der Kantonsschule: ARTHUR & LUCAS JUSSEN, 24.03.2024
Das Weltklasse Klavier-Duo in Wetzikon im Rahmen des KLAVIERISSIMO Festivals
Werke:
Wolfgang Amadeus Mozart: Sonate für Klavier zu vier Händen C-dur, KV 521, entstanden 1787 | Robert Schumann: Andante con Variazioni für zwei Klaviere op. 46, entstanden 1843 | Jörg Widmann: "Bunte Blätter" für zwei Klaviere, Uraufführung: 3. Juli 2022 in Bochum durch Lucas und Arthur Jussen (Teile), kompletter Zyklus 4. Februar 2024 in Herlen NL, ebenfalls durch Lucas und Arthur Jussen | Claude Debussy: Six Epigraphes Antiques (1914), entstanden 1914/15, Uraufführung erst 100 Jahre später am 2. November 2016 in Genf | Sergej Rachmaninow: 2. Suite für zwei Klaviere op. 17, Uraufführung 24. November 1901 durch den Komponisten und Alexander Siloti
Kritik:
STILISTISCHE VIELSEITIGKEIT
Das niederländische Brüderpaar Lucas und Arthur Jussen strahlen zur Zeit mit überwältigender Vitalität am Pianistenhimmel. Sie glänzen mit stupender Virtuosität, einem Zusammenspiel, das nicht von dieser Welt scheint in seiner Perfektion und dem immensem Stilbewusstsein.
Gestern Abend in der Aula der Kantonsschule Wetzikon reichte die Spannweite von Mozart über Schumann und Debussy zu Rachmaninow - und zu Jörg Widmann, der mit BUNTE BLÄTTER quasi den Brüdern Jussen einen Zyklus kurzer Stücke auf den Leib - oder besser in die Hände - geschrieben hatte. Erst vor 20 Tagen hatten die beiden Widmanns Werk komplett uraufgeführt, nun interpretierten sie die im wahrsten Sinne ver-rückten Stücke mit einer unglaublichen Selbstversändlichkeit, einer witzigen Jagd auf zwei Klavieren, gleich einem Fangenspiel. Widmann, ein grosser Bewunderer Schumanns, gab dem Zyklus einen Namen, den auch Schumann für einen Klavierzyklus verwendet hatte: BUNTE BLÄTTER. Und bunt wurde es wahrlich, kunterbunt. Schrille, grelle Akkordsprünge, Cluster artige Klangballungen, Reibungen und immer wieder hereinwehende schumannsche Phrasen. Herrlich. Manchmal hatte man das Gefühl, dass da wild gewordene Pferde losgaloppieren und sich nicht mehr einfangen lassen. Aber auch wenige intimere Momente erklangen, für ein Arpeggio wurde auch mal in den Flügel hineingefasst, um die Saiten zu anzureissen. Vertrackte Passagen voller Dissonanzen mündeten in schräge, beschwingte Tänze, wurden dann wieder brachial zerstört. Ein Riesenspass, stellenweise zirzensische Artistik - das Publikum geriet ganz aus dem Häuschen. Davor spielten die beiden Pianisten auch einen originalen Schumann, nämlich ANDANTE UND VARIATIONEN IN B-DUR. Man bewunderte das subtile Wechselspiel zwischen Flügel eins und Flügel zwei, das Ineinandergreifen und Fortführen der thematischen Verarbeitung. Es ist ein ruhiges, suchendes Stück, überhaupt nicht auf äusserlichen Effekt angelegt. Staunen machten die ländlerhaften Wendungen, welche mal vom einen, dann vom zweiten Klavier virtuos umspielt und begleitet wurden. Stupend war die staccatohafte Mechanik in einer der Variationen, die in den Händen von Lucas und Arthur Jussen einen jazzig-improviesierenden Touch erhielt. Den Abend eingeleitet hatten die beiden vierhändig an einem Flügel sitzend mit Mozarts SONATE IN C-DUR, KV 521, die quasi ein Klavierkonzert "en miniature" darstellt. Während Lucas Jussen links sass und mit fast burschikoser Herangehensweise markig attackierte, übernahm Arthur Jussen die hohe Stimme, setzte zarte Gegenpole, was in der Verschmelzung zu einem wunderbar frischen Klangerlebnis führte. Sehr feinfühlig interpretierten die beiden den langsamen Satz und erzeugten im vorwärtsdrängenden Rondo-Finale imposante Spannung!
Nach der Pause ging es mit Debussys SIX ÉPIGRAPHES ANTIQUES (ebenfalls an einem Klavier vierhändig gespielt) mit introvertierteren Klängen in eine impressionistische Welt. Aufmerksam lauschte man den manchmal verspielt suchenden, leicht verschwommenen, dann wieder sehr diesseitig attackierenden, überaus virtuos perlenden Stücken und brauchte kein Programm, um sich in eigene Bilder und Fantasien zu versenken. Stupend das Ineinandergreifen der vier Hände, bezaubernd die poetischen Echowirkungen.
Ganz gegensätzlich dann der viel mehr auf Effekte und spätromantisches Aufbäumen angelegte Rachmaninow: Dessen ZWEITE SUITE FÜR ZWEI KLAVIERE sprühte nur so vor unfassbaren, effektvollen, mitreissenden Passagen. Nach der Introvertiertheit Debussys dominierte nun mitreissende, extrovertierte Kraft. Manchmal an der Grenze zur Plakativität, aber ungemein wirkungsvoll, man konnte sich dem fulminaten Zauber dieser Musik nicht entziehen. Ekstase mit Emphase! Dabei begeisterten Lucas und Arthur Jussen mit ihrem untrüglichen Sinn für Phrasierung und Dynamik. Das Finale ein wahrhaftiger Sinnestaumel, ein Räderwerk, das perfekt ineinandergriff. Purer tastenzauberischer Wahnsinn mit donnernden Crescendi provozierte Bravi-Rufe des Publikums. Zwei Zugaben erklatschte sich diese: Zuerst einen trillerreichen Walzer und dann noch die irrwitzige FLEDERMAUS-Transkription von Igor Roma, welche die Zuhörer*innen in der leider nicht ganz ausverkauften, wunderbaren Aula der Kantonsschule Wetzikon definitiv von den Stühlen riss!
Wenn man sich den Konzertkalender der Jussens anschaut, könnte einem schwindelig werden: Am Mittwoch spielten sie noch in Abu Dhabi, gestern nun also in Wetziken, heute in Erlangen, am Montag in der Isar-Philharmonie in München, am 28.2. in Bari, dann folgen im März zwei Konzerte in Mailand, drei Konzerte in NRW (Köln, Bielefeld, Düsseldorf), weiter geht es in die Royal Festival Hall in London, im April sind sie dann zweimal in der Tonhalle Zürich zu Gast mit dem Tonhalle-Orchester unter der Leitung von Jan Willem de Vriend. Da ist man umso dankbarer, dass zwischen Abu Dhabi und Erlangen ein Zwischenstopp in Wetzikon eingeschaltet wurde!