Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Zürich, Tonhalle: ELGAR, SCHOSTAKOWITSCH, 07.06.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Elgar, Violinkonzert

Applausbilder, 7.6.23: K. Sannemann

Werke: Sir Edward Elgar: Violinkonzert in h-Moll, op.61 | Uraufführung: 10. November 1910 in London unter der Leitung des Komponisten, Fritz Kreisler spielte den Solopart | Dmitri Schostakowitsch Sinfonie Nr. 1 f-Moll op. 10 Uraufführung: 12. Mai 1926 in Leningrad (heute: St.Petersburg) | Dieses Konzert in Zürich: 7.6. | 8.6. | 9.6.2023 (TonhalleCRUSH, Classic meets Brass, nur Schostakowitsch)

Kritik:

Nur gerade 16 Jahre liegen zwischen den Uraufführungen der beiden an diesem Abend in der Tonhalle Zürich aufgeführten Werke: Der 53jährige Sir Edward Elgar befand sich 1910, als sein Violinkonzert uraufgeführt wurde, auf dem Höhepunkt seiner Popularität, Dmitri Schostakowitsch hingegen hatte eben gerade das Studium am Leningrader Konservatorium abgeschlossen und präsentierte seine erste Sinfonie als Abschlussarbeit; er war noch keine 20 Jahre alt. Beide jedoch wählten für ihre Werke traditionelle Formen: Elgar schrieb sein Violinkonzert in drei Sätzen, Allegro, Andante, Allegro molto, Schostakowitsch komponierte eine viersätzige Sinfonie, ebenfalls in der überlieferten Form angelegt mit einleitendem Sontatensatz, Scherzo, langsamem Satz und Finale. Zusammenfassend könnte man sagen, dass der ältere (Elgar) reflektiver, der jüngere (Schostakowitsch) ungestümer, frecher und bissiger schrieb, beide jedoch Tonalität und auch gefühlvolle, spätromantische Inventionen durchaus beibehielten, Elgar logischerweise noch vermehrter, aber auch der langsame Satz in Schostakowitschs erster Sinfonie ist durchaus sehr emotional durchtränkt.

Begonnen wurde gestern Abend mit Elgars Violinkonzert, das nicht nur wegen seiner für ein Instrumentalkonzert extremen Dauer von gut 50 Minuten für den Solisten zu den anspruchsvollsten Werken der Konzertliteratur zählt. Nach einer langen, intensiven Exposition durch das Orchester setzte der Solist Frank Peter Zimmermann mit eindgedunkeltem, schwerem Ton ein, nahm wie ein Erwachender mit noch schweren Augenlidern, das erste Thema auf, schien sich zu strecken und erreichte lichte Höhen voller Innigkeit, die dann das "Windflower"- Thema zum Erblühen brachten (eine Anspielung Elgars an seine Muse Alice Stuart-Wortley, welche sich eventuell hinter den enigmatischen fünf Punkten der Widmung verbirgt). Zimmermann verstand es, dieses Thema wie mit dem Herzklopfen eines verliebten Jünglings zu intonieren. Die fünf Themen des ersten Satzes wurden in wunderbaren Dialogen voller Intimität zwischen Orchester und Solist spannend variiert. Aufbäumende Tuttipassagen wechselten mit flinken Einwürfen der Solovioline. Das Tonhalle-Orchester Zürich unter der Leitung von Paavo Järvi setzte auf schlanken, nie allzu pastosen Klang, was der musikalischen Sprache Elgars sehr entsprach, der spätromantische Touch wirkte in keinem Moment zu schwer parfümiert, behielt seine britische Eleganz bei. Diese Durchhörbarkeit des Gesamtklangs kam auch dem zweiten Satz sehr entgegen, wo zu Beginn das thematische Material wie aus der Ferne hereinzuschweben schien, dann breiter und ausladender wurde. Tröstliche Wärme, Sanftheit und Emphase standen im Vordergrund, von Frank Peter Zimmermann auf seiner Stradivari-Geige sanft umspielt, Gesanglichkeit, perfekte Harmonie mit bestechender Reinheit und nobler Eloquenz. Nach zwei Sätzen ist man bei diesem Konzert allerdings erst knapp über der Halbzeit - der dritte Satz mit der exponierten Kadenz, von einem pizzicato tremolando des Orchesters unterstützt, steht dem Solisten noch bevor. Frank Peter Zimmermann begeisterte mit herrlichen Trillern, bezaubernden und attackierenden Passagen, Virtuosität ganz im Dienst des Ausdrucks. Ein grossartiges Werk, grandios interpretiert. Natürlich feierte das Publikum im praktisch voll besetzten Saal den Solisten ausgiebig, er bedankte sich mit einer Sarabande aus der Feder Bachs (man ist immer sehr dankbar, wenn die Solisten ihre Zugabe ansagen, so wie es Zimmermann machte!), gespielt mit lichter Intensität.

Nach der Pause dann also Schostakowitschs erste Sinfonie, die gleich einem Wirbelwind daherbrauste. Im ersten Satz dominierte das Exponieren einzelner Instrumentengruppen, Schostakowitsch zeigte sich schon in jungen Jahren als exzellenter Orchestrator, das war klang- und effektsicher angeleget. Das Tonhalle-Orchester Zürich begeisterte mit Spritzigkeit, rhythmischer Versiertheit und mit begeisternden Soli einzelner Musiker*innen, so zum Beispiel die Solopassagen der beiden Konzertmeister Andreas Janke und Klaidi Sahatçi. Im zweiten Satz liess natürlich der Einsatz des Klaviers aufhorchen, rasant und herrlich fetzend, die sehr bewegte, präzise ausgeführte Rhythmik dieses Scherzos erweckte manchmal den Eindruck einer Jahrmarktsmusik, doch der leicht sarkastische Unterton und der eigenwillige, liedhafte Mittelteil nahmen der Jahrmarktsmusik alles Plakative und verliehen so auch diesem Satz eine gewisse Tiefe. Im dritten Satz, dem Lento, kam dann die erwähnte spätromantisch-elegische Stimmung auf, ganz vortrefflich ausgedrückt durch das exzellente Spiel des Solocellisten Paul Handschke, der eindrücklich zeigte, dass das Cello mit seiner warm grundierten Gesanglichkeit das "menschlichste" unter den Instrumenten des grossen Sinfonieorchesters ist. Auch der Konzertmeister Andreas Janke hatte in diesem Satz nochmals eine wunderbar intonierte, innige Solopassage darbieten dürfen. Paavo Järvi disponierte den Klang so wunderbar, dass man nur noch selig lauschte. Aber selbstverständlich liess einem Schostakowitsch dafür nicht allzu lange Zeit, denn mit dem gurrenden Blech, schneidenden und peitschenden Klängen, einem flirrenden, immensen Klangspektrum, donnernden und verhaltenen Schlägen und Wirbeln der Pauke und erneuten Phrasen der Solovioline und des Cellos wurde man ins Finale hineigerissen, das mit einer fulminant dargebotenen Prestostretta seinen turbulenten Abschluss fand.

Grosser und verdienter Jubel für Paavo Järvi und das Tonhalle-Orchester Zürich, das seine dankbare Aufgabe mit grandioser und hörbarer Spielfreude bewältigte. Heute Abend nochmals zu erleben, es gibt noch wenige Karten.

Werke:

Obwohl Sir Edward Elgar (1857--1934) selbst Geiger war, tat er sich schwer mit der Komposition eines Violinkonzerts. Einen ersten Versuch unternahm er 1890, war jedoch unzufreiden mit dem Werk und zerstörte das Manuskript. Erst als ihn der weltberühmte Geiger Fritz Kreisler um die Komposition eines Violinkonzerts bat, machte er sich erneut an die Arbeit. Fritz Kreisler war ein grosser Bewunderer von Elgars Kompositionen und schrieb einmal: "If you want to know whom I consider to be the greatest living composer, I say without hesitation Elgar... I say this to please no one; it is my own conviction... I place him on an equal footing with my idols, Beethoven and Brahms. He is of the same aristocratic family. His invention, his orchestration, his harmony, his grandeur, it is wonderful. And it is all pure, unaffected music. I wish Elgar would write something for the violin."

Elgar widmete das Konzert zwar Fritz Kreisler, doch gibt eine spanische Notiz in der Partitur nach wie vor Rätsel auf: "Aquí está encerrada el alma de ....."  Wessen Seele mit den fünf Auslassungspunkten gemeint war, wurde nich ganz entschlüsselt, vielleicht waren mehrere gemeint, in jedem Satz des dreisätzigen Werkes eine (oder mehrere) Geliebte oder Freund*innen.

Das Violinkonzert erlebte eine triumphale Uraufführung, und Elgar war selbst zufrieden mit seinem Opus: "It's good! Awfully emotional! Too emotional, but I love it." In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde es sehr oft aufgeführt, verschwand dann etwas aus dem Fokus der Interpreten und des Publikums, erlebt nun aber wieder vermehrt Aufmerksamkeit, zu Recht. Das Konzert ist hochromantisch, mit gewaltigen Ansprüchen an die Ausführenden des Soloparts und mit einer Spieldauer von rund 50 Minuten gehört es zu den längsten der Gattung.

Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) legte seine erste Sinfonie im Alter von 18 Jahren als Abschlussarbeit seines Studiums am Leningrader Konservatorium vor. Die erste Aufführung geriet zu einem rauschenden Erfolg, Sätze mussten Wiederholt werden. Bereits in dieser ersten seiner insgesamt 15 Sinfonien zeigte sich die meisterhafte Beherrschung dieses Genres durch den Komponisten. Da ist alles bereits da, was man in seinen reiferen Werken so bewunderte: Die scharfen Rhythmen, die umwerfende Instrumentierungskunst, der Biss, der leichte Sarkasmus, die subtile Ironie, die formale Gestaltungskraft und vor allem der Witz und die Virtuosität, die sich durch alle Instrumentenfamielien hindurchzieht. Auf einen kontrastreich gestalteten ersten Satz folgt ein wild daherbrausendes Scherzo. Der dritte Satz, Lento, beeindruckt durch Erhabenheit und Kantabilität. Ohne Unterbrechung folgt der beschwingte Finalsatz mit einer expressiven Kantilene der Solovioline. Es scheint, dass Schostakowitsch in dieser ersten Sinfonie Erlebnisse seiner Jugend verarbeitet und künstlerisch überhöht hat: Die frohe Jugendzeit, die Oktoberrevolution, die Hoffnung machte, den Tode des Vaters. Schostakowitsch war mit diesem Werk auf dem besten Weg dazu, der führende Komponist der jungen Sowjetunion zu werden - eine Aussicht, die Stalin wenige Jahre später zunichte machte.

Von der Qualität dieser Sinfonie des 18jährigen Russen waren alle grossen zeitgenössischen Dirigenten überzeugt: Bruno Walter brachte sie in Berlin zur Aufführung, Leopold Stokowski und Arturo Toscanini nahmen sie in ihr Repertoire auf, Eugene Ormandy, Leonard Bernstein, Bernard Haitink, Rudolf Kempe u.v.a.m. folgten mit Einspielungen dieser ersten Sinfonie Schostakowitschs.

Karten

 

Zurück